Autor: Markus Oess
Auch König Fußball kennt seinen Kaiser. Nein, nicht der Franz ist gemeint, das Geld regiert bekanntlich diese Welt. Und seinen Verlockungen erliegen die Top-Player der Branche gleich reihenweise. Was Football Leaks an Absurditäten ans Licht der Öffentlichkeit gebracht hat, zeugt von Weltabgewandtheit der besonderen Art, die sogar eingefleischte Kritiker von FIFA, UEFA und Co überrascht. Nicht allein des Geldes wegen, sondern auch der Inhalte der Profiverträge, etwa wenn ein Spieler offenbar belohnt werden soll, wenn er sein Gegenüber nicht anspuckt. Aber es geht auch anders. Bernd Schröder ist einer der erfolgreichsten Trainer überhaupt: zwölf deutsche Meisterschaften, UEFA-Cup- und Champions-League-Sieg. Unglaubliche 45 Jahre trainierte der Mann Turbine Potsdam, bevor er das Amt im vergangenen Juni ablegte. In all den Jahren hat er nicht einen Cent von seinem Verein angenommen. Bernd Schröder über Maß, Maßlosigkeit und Montanwissenschaften.
FT: Herr Schröder, König Fußball regiert die Welt, was fühlen Ihrer Einschätzung nach Königinnen dabei?
Bernd Schröder: „Ich glaube, man sollte auch mit der symbolischen Vergabe von Titeln und Superlativen sehr sensibel umgehen. Ich kenne viele Menschen, die die Entwicklung des Fußballs in all seinen Facetten sehr kritisch sehen. Denen wäre es lieber, die Welt würde mehr mit Verstand, Glaubwürdigkeit, Vertrauen und Zuverlässigkeit regiert werden und nicht vom ,König Fußball‘.“
FT: In der Tageszeitung „Die Welt“ haben Sie einmal auf die Frage nach Ihrem Vermächtnis geantwortet: „Ich hoffe, dass man sagt, das war ein Mensch, der über die ganze Zeit authentisch war, der ehrlich war, der einen hohen Grad an Verantwortungsbewusstsein praktiziert hat, der zuverlässig war, dessen gesprochenes Wort zu jeder Zeit gegolten hat, der die Sekundärtugenden Verantwortungsbewusstsein, Zuverlässigkeit, Solidarität gelebt hat.“ Glauben Sie, dass der Profisport tatsächlich so sauber sein kann, wie er sich gerne darstellt?
„Der Mensch und damit auch die handelnden Personen im Profisport sind keine moralischen Wesen. Sie möchten keine Verlierer sein. Wie wir wissen, ist letztlich das eigene Gewissen oberste Handlungsinstanz. Im Profisport bleiben zunehmend Moral und Gewissen auf der Strecke.“
FT: Wie viele der Bundesligaspielerinnen können von ihrem Fußballjob gut leben?
„Ich glaube, unsere qualitativ guten Bundesligaspielerinnen und die Nationalspielerinnen können im Rahmen ihrer eigenen Ansprüche relativ gut leben.“
FT: Wie sieht es mit Ihrem Umfeld aus – Spielerberater, Manager, Vermögensverwalter …?
„Wir sind traditionell ein rundum solide aufgestellter Verein; überflüssige Funktionsträger finden bei uns keine Basis. Das Spielerberatertum ist allgegenwärtig, vielfach zeigen sich hier auch die Unselbstständigkeit und die fehlende souveräne Freiheit einzelner Personen.“
FT: Man sagt, die finanziellen Größenordnungen im Frauenfußball der ersten Liga lassen sich in etwa mit denen der vierten (!) Liga der Männer vergleichen. Leisten die Männer einfach mehr?
„Der Frauenfußball ist nach wie vor eine ‚andere Sportart‘. Wir kennen ausreichend Beispiele in der Gesellschaft, wo Aufwand und Nutzen, Leistung und Entlohnung in keinem ausgewogenen, gerechten Verhältnis stehen. Leistung ist zwar als physikalische Größe eindeutig messbar, im Fußball wird es aber immer ein relativer Begriff bleiben.“
FT: Aber wer mehr verdient (in dem Fall der Verein), kann auch mehr ausgeben, zum Beispiel für Spielergehälter. Ist da was dran?
„Die finanzielle Situation wird im Wesentlichen vom sportlichen Erfolg bestimmt. Wenn es in einem Verein verantwortungsbewusste Leute gibt, die das Sagen haben, wird man auch immer angemessene Rücklagen haben und diese nicht primär für Spielergehälter ausgeben. Es gibt aber ausreichend andere Beispiele.“
FT: 1989 gab es für den EM-Titel ein Kaffeeservice, immerhin von Villeroy & Boch. 2015 lockten 65.000 Euro Prämie für den Gewinn des WM-Titels, was bekanntlich schiefging. Den Männern überwies der DFB 2014 für den WM-Titel 300.000 Euro pro Kopf, manche Spieler kamen sogar auf 500.000 Euro. Sprechen wir wirklich über Gleichberechtigung?
„Gleichberechtigung ist in der Realität der Gesellschaft ein großes Wort. Seit 1949 finden wir im Grundgesetz den Satz: ‚Männer und Frauen sind gleichberechtigt.‘ Im Fußball haben wir eine leichte Annäherung, aber auch in der Zukunft bleiben wir in zwei Welten. Aber es wird auch keiner auf die Barrikaden gehen.“
FT: Andererseits ist Gerechtigkeit auch nur relativ, denn Sie haben ebenfalls gegenüber der Welt geäußert, manche Spielerinnen zu entlassen, weil sie nicht das seien, was sie vorgeben zu sein. Das heißt, das Geschlecht ist kein Bestimmungsfaktor für den Charakter. Ist der Frauenfußball auch verdorben, nur eben auf niedrigerem Niveau?
„In jeder größeren Menschengruppe finden wir ein Spiegelbild der aktuellen Gesellschaft, so auch im Frauenfußball. Scheinheiligkeit und Heuchelei haben wesentlich größere Zuwachsraten als Aufrichtigkeit — quer durch die Gesellschaft. Die Aktiven des Frauenfußballs sind Bestandteil unserer Gesellschaft. In ihren Charaktereigenschaften unterscheiden sie sich nur durch die unterschiedliche Gehirnarchitektur von Männern. Das muss man wissen.“
FT: Hätten Sie komplett freie Hand gehabt, was hätten Sie geändert?
„Ich habe während meiner Tätigkeit im Wesentlichen immer freie Hand gehabt, um auch weniger populäre Entscheidungen zu fällen. Im Nachhinein hat es mir überwiegend Zustimmung eingebracht. Ein angemessenes Maß an Toleranz kann nie schaden, auch wenn es manchmal schwerfällt.“
FT: Allein für Werbeeinnahmen hat der portugiesische Superstar Cristiano Ronaldo 75 Millionen eingestrichen, am Fiskus vorbei. Mesut Özil musste Millionen Steuern nachzahlen. Menschen, die von anderen angehimmelt und zu ehrbaren Landesvertretern stilisiert werden, weil sie sehr viel Glück hatten und zufällig gut kicken können. Das sagt noch herzlich wenig über den Charakter von Menschen aus. Wenn Sie die Enthüllungen von Football Leaks verfolgen, können Sie mit den Geldsummen, um die es dabei geht, überhaupt etwas anfangen?
„In meiner Generation gibt es ausreichend Menschen, die jeden Euro, den sie in Verantwortung eines Vereines oder einer Institution ausgeben, so behandeln, als wäre es ihr eigenes Geld. Wir wissen: Gibt es keinen Kläger, gibt es keinen Richter. Wir reden ständig von Leitkultur. Was wir benötigen, sind Vorbilder als Hilfen zur Selbsterkenntnis und zur Orientierung. Vorbilder auch als moralische Instanz. Wir bewegen uns im Fußball in Bereichen, wo wir damit rechnen können, dass die Seele des Fußballs verloren geht. Leute die Steuern hinterziehen und unsaubere unmoralische Geschäfte machen, gehören an den Pranger oder hinter Gitter.“
FT: Mario Balotelli, der deutschen Männernationalelf in schlechter Erinnerung, hatte laut Football Leaks beim FC Liverpool eine Klausel im Vertrag stehen, wonach ihm untersagt wurde, andere Menschen anzuspucken. Wäre er zudem nicht mehr als dreimal in einer Saison vom Platz geflogen und hätte sich auch sonst auf eine dem Verein entsprechenden Art und Weise verhalten, hätte er zusätzlich 1,2 Millionen Euro erhalten. Gezahlt hat Liverpool offenbar nicht. Sind solche Klauseln auch bei den Frauen üblich?
„Wenn man jede Grundregel von Ethik und Moral in den Verträgen der Profis fixieren muss, um ein normales Miteinander zu erreichen, frage ich mich: Wo sind wir gelandet? Unsere Verträge setzen die Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens voraus.“
FT: Sie selbst haben für Ihren Trainerjob keinen Cent genommen. Gab es nie lukrative Angebote, die Sie zum Grübeln gebracht haben?
„Ich hatte in meinem Umfeld immer Menschen, die mit beiden Beinen im Leben standen, mit denen habe ich mich immer beraten, auch über die Tendenzen zur eigenen Entwicklung. Ich habe Montanwissenschaften studiert, da ist man geerdet, da kann man sich keinem Konjunktiv verschreiben.“
FT: Würden Sie alles wieder so tun?
„Ich habe zu jeder Zeit auf die Einhaltung des gesprochenen Wortes geachtet, daran erkennt man, wer man ist. Wenn man im Wesentlichen seine bisherigen Entscheidungen in eigener souveräner Freiheit getroffen hat, sollte man davon ausgehen, es war gut so. Also warum anders machen?“