„Den Fertigungsprozess dort deindustrialisieren, wo wir uns Qualitätsvorteile versprechen.“
Otto Hertz gründete 1938 in Belgien einen Stoffhandel und machte nach den Wirren des Zweiten Weltkrieges und der Diktatur der Nationalsozialisten dort weiter, wo er aufhören musste. Heute ist SCABAL einer der Top-Player im Luxussegment. Den Stoffhandel gibt es immer noch, inzwischen verkauft das Unternehmen auch Konfektion. FT sprach mit Gregor Thissen, Gesellschafter und CEO von SCABAL, über den Umgang mit Preisdruck im gehobenen Genre, deutsche Produktion und die Perspektiven im Stoffhandel.
FT: Herr Thissen, Ihre Firma sitzt in Belgien, Ihre Weberei in Yorkshire, die Stoffe, mit denen Sie arbeiten, werden in England und Italien produziert, Ihre Konfektion ist in Deutschland ansässig. Sie arbeiten, wie Sie sagen, mit deutscher Pünktlichkeit, Verlässlichkeit zahle sich im Handel aus. Wie viele Händler beliefern Sie derzeit?
Gregor Thissen: „Wir beliefern rund 3.000 Kunden weltweit. Mit rund 300 von ihnen arbeiten wir bei der Maßkonfektion zusammen.“
Wie viele kommen aus Deutschland?
„Schätzungsweise 150. Deutschland ist für uns ein sehr bedeutender Markt.“
Seit den 1980ern bieten Sie auch Oberbekleidung an. Inzwischen macht das Geschäft 45 Prozent aus. Wie läuft es aktuell?
„Der Markt war 2016 für alle schwer, auch in unserem Segment. Wir spüren bei der Vororder auch einen Preisdruck, der von unten nach oben durchschlägt. Die Maßkonfektion dagegen läuft sehr gut. Nach Regionen betrachtet, sehen wir in den USA und Asien, besonders in China, großes Wachstumspotenzial. Das soll aber nicht heißen, dass wir den Glauben an den europäischen Markt verloren haben. Ich bin sicher, das Qualitätsbewusstsein der Verbraucher kommt zurück und wir gewinnen auch immer noch neue Kunden dazu.“
Sie arbeiten mit Schlupfgrößen?
„Sicher, echte Maßanfertigungen sind generell die Ausnahme und immer auf den Schneider beschränkt. Schlupfgrößen haben den Vorteil, dem Kunden eine konkrete Vorstellung zu geben, wie sein Anzug aussehen wird, und er gibt dem Händler eine konkrete Orientierung, wie das Teil ausfallen soll. Allerdings verlangt es Erfahrung und Können, die Abänderungen für das einzelne Teil wirklich passgenau hinzubekommen. Und es bleibt immer noch ein hohes Maß an Individualisierung.“
Sie produzieren in Saarbrücken in einer eigenen Fertigung. Rentiert sich das noch?
„Aber ja. Wir haben fortlaufend in die Produktion investiert und sie verbessert. Wir haben eigens auch italienische Modellmacher in der Firma. Denn wir wollen immer die Besten ihrer Zunft beschäftigen. Die italienische Schneiderkunst ist unübertroffen. Davon profitiert auch unsere Konfektion erkennbar: britischer Stil, italienischer Komfort und Leichtigkeit kombiniert mit deutscher Zuverlässigkeit. Wir sind inzwischen wieder bemüht, den Fertigungsprozess dort zu deindustrialisieren, wo wir uns Qualitätsvorteile versprechen. Handwerk ist schließlich kein Selbstzweck.“
Wie gehen Sie als klassisch ausgerichteter Hersteller mit den Trends um?
„Wir haben das Produkt sanft, aber konsequent verjüngt. Auch hier setzen wir auf die Besten und haben einen jungen englischen Designer verpflichtet, der die Aufgabe bekam, die Kollektionen zu modernisieren, ohne unsere klassische Generallinie zu verlassen. Wir sind keine Trendsetter. Er hat völlig freie Hand und wir werden mit einer Topkollektion belohnt. Wir setzen moderne Stoffe ein, auch Stretch. Aber wir gehen bei den Stoffen und deren Funktionen nur so weit mit, wie dies mit traditionellem Handwerk und natürlichen Stoffen möglich ist. Wir haben auch enge Schnittformen und Shorts im Programm. Im Ergebnis können wir zu Recht sagen, dass SCABAL auch den 30-jährigen Mann anspricht und sogar noch jüngere. Wir müssen junge Neukunden an die Marke heranführen, wenn wir nicht mit den bestehenden Kunden altern und sterben wollen.“
Wie wollen Sie das schaffen?
„Insbesondere setzen wir in der Kommunikation auf die digitalen Medien, also Website und Social Media, denn die Jungen sind hier doch deutlich aktiver unterwegs als die Alten. Auch Mundpropaganda hilft in dem Zusammenhang. Wir sehen, dass selbst in China junge Männer zu SCABAL greifen. Gerade im Internet und im Ausland bauen Faktoren wie Heritage, Nachhaltigkeit und natürlich Tradition bei den Endkunden das nötige Vertrauen auf, das für uns unentbehrlich ist. Und natürlich hilft der eigene Retail, weil wir die komplette Welt von SCABAL darstellen können, so wie wir uns sie vorstellen. Wir arbeiten zurzeit auch an einem neuen verbesserten Retailkonzept, das die Dimensionen von on- und offline neu definiert. Die Pläne sind schon sehr konkret, aber ich will an dieser Stelle noch nicht mehr dazu sagen.“
Wird der Druck aus dem Markt größer, wenn inzwischen vergleichsweise günstige Maßanzüge im Internet angeboten werden?
„Auf jeden Fall merken wir indirekt, dass sich das Preisgefüge nach unten bewegt. Andererseits wollen wir uns einer Preisdiskussion erst gar nicht aussetzen und mit Können und Qualität überzeugen. Das gelingt uns ganz gut, gerade auch in den USA und China. Es entscheidet nicht allein die Maßanfertigung, wir sprechen genauso über Stil, Verarbeitung und Vertrieb. Es sind viele Faktoren, die unseren Erfolg bestimmen.“
Erkennen Sie auch in Ihrem angestammten Segment, dass Endkunden günstiger einkaufen?
„Das passiert an den Rändern durchaus, aber unterm Strich hält es sich in Grenzen.“
Wie groß ist der Anteil an Prêt-à-porter?
„Über Vororder machen wir rund 20 Prozent unseres Geschäftes in dem Segment, wir haben schon immer stärker auf die Maßanfertigung gesetzt.“
Die Qualität ist im Grunde gesetzt, wie sieht es mit Nachhaltigkeit aus, fragen die Kunden, woher die Ware kommt, wie sie produziert wird?
„Das ist sehr unterschiedlich, speziell bei den Social Media können wir Kunden unterscheiden, die überhaupt nicht interessiert sind, und solche, die sich bis ins kleinste Detail informieren. Wir arbeiten traditionell und achten auf Topqualitäten. Die handwerkliche Tradition von SCABAL, sei es im Stoffgeschäft, sei es in der Konfektion, verstehen wir sowieso als nachhaltiges Wirtschaften. Ein Beispiel: Inzwischen gehen wir teilweise bis zum Rohstoff und kaufen die Wolle des Saxonschafs direkt in Australien vom Erzeuger. Wir lassen sie spinnen und in unserer eigenen Weberei in England weben. Wir haben also die gesamte Wertschöpfung im Auge und wissen, woher unsere Rohwaren kommen und wie sie hergestellt werden. Wir bieten englischen Stil, italienischen Komfort und deutsche Verlässlichkeit.“
Kaufen Sie auch zu?
„Alles, was nicht zu unserem Kerngeschäft zählt. Schuhe zum Beispiel oder Lederjacken. Aber wir achten auf Topqualitäten und bieten den Kunden stets die Möglichkeit, das Produkt selbst mitzudesignen und zu individualisieren.“
Den größeren Anteil des Umsatzes machen Sie immer noch mit Stoffen. Wie läuft das Geschäft dort?
„Das läuft sehr gut, das kann ich nicht anders sagen. Und das auch schon seit mehreren Jahren. Wir liefern inzwischen in mehr als 70 Länder weltweit. Das hilft auch, das Risiko zu streuen. Wir lernen aus unseren Fehlern. Japan war der wichtigste Markt für uns, als das Land dann Anfang der 1990er-Jahre in die Krise trudelte, und wir hatten mit den Konsequenzen schwer zu kämpfen. Heute achten wir genau darauf, uns nicht zu sehr von einem Kunden oder einem Land abhängig zu machen.“
Ist denn der modische Wandel bei Stoffen weniger schnell?
„Die Schnitte fallen natürlich weg. Aber ansonsten geht es bei den Stoffen genauso schnelllebig zu wie bei der Konfektion. In den zurückliegenden Jahren hat sich einiges getan. Wir sehen das an den Farben. Dass Blau sich so lange hält, ist da schon sehr verwunderlich. Aber die Farbe selbst hat sich geändert. Früher hatten wir ein Marineblau, heute ist es deutlich heller. Die Gewichte und Mischungen verändern sich, auch das Finishing, die Webart oder der Faden. Jede Saison gibt es etwa Neues wie zum Beispiel den Naturstretch, den ich eben angesprochen hatte.“
Was ist im Augenblick angesagt?
„Mikrodessins sind immer noch hip, obwohl sie schon vor zwei Saisons aufkamen. Streifen kommen wieder, auch Kreidestreifen. Beim Sakko sind große Karos angesagt. Die Farben werden kräftiger und der Stoff erhält dreidimensionale Strukturen. Blau wird bleiben, außerdem sehen wir wieder mehr Grau.“
Fragen die Unternehmen bei den Stoffen nach Herkunft und Produktion?
„Mehr als die Endkunden. KERING ist hier das Paradebeispiel. Die Unternehmen in der Holding sind inzwischen richtig pingelig. Aber das ist gut so. Dennoch wird es voraussichtlich von SCABAL in absehbarer Zeit kein Öko-Label geben. Wir arbeiten schon immer nachhaltig und halten das für selbstverständlich.“
Wie viel des Geschäftes kommt aus dem Ausland?
„Wir sind historisch gesehen sehr stark internationalisiert. Unser Firmengründer hatte in den 1930er-Jahren die Idee, als Deutscher ein Unternehmen in Belgien zu gründen, das auch in Luxemburg, England und Deutschland operierte und in die Welt exportierte. Wir liefern in 70 Länder, das hatte ich schon erwähnt. Ich habe so gesehen etwas Probleme, das Exportgeschäft zu definieren. Wir handeln mit der Ware in Brüssel, konfektionieren in Deutschland und haben in England eine eigene Weberei. Wir sourcen ausschließlich in Westeuropa und verkaufen international.“
Wo sehen Sie Wachstumsperspektiven?
„Wir haben in Asien, besonders in China, und in den USA viel Potenzial. Aber auch in den bestehenden Märkten wollen wir weiter wachsen – möglicherweise auch durch Akquisition. Wir werden weiter Marktanteile in Europa gewinnen.“
Asien ist ein Wachstumsmarkt, der chinesische Markt werde erwachsener, sagen Sie. Was denken Sie, warum kaufen die chinesischen Verbraucher besonders gern europäische Marken?
„Das ist eine gute Frage, die ich mir auch schon oft gestellt habe, denn China blickt ja auf eine jahrtausendealte Geschichte zurück und hat eine kulturelle Identität, die umgekehrt viele Europäer fasziniert. Vielleicht war die Kulturrevolution wirkungsvoller, als wir es uns wünschen. Wir sehen aber, dass das Land und seine Menschen beginnen, sich neu zu entdecken.“
Wie sieht es in den USA aus?
„Die USA laufen gut an. Aber wir haben natürlich noch sehr viel Arbeit vor uns. Man hat nun nicht gerade auf uns gewartet. Nach zwei Saisons haben wir 30 Kunden und die arbeiten nicht nur an den Küsten des Landes, sondern auch im Landesinneren. Wir werden einen Schritt nach dem anderen gehen. Ich bin von unserem Erfolg dort fest überzeugt.“
Bereiten Ihnen die aktuellen politischen Ereignisse Sorgen? Der Brexit ist beschlossene Sache, in Deutschland wird die nationalistische AfD drittgrößte Partei im Bundestag, generell nimmt der Nationalismus in Europa, aber auch in den USA längst überwunden gedachte Dimensionen an.
„Oh ja. Wer hätte noch vor wenigen Monaten gedacht, dass sich die politische Weltbühne noch einmal so dramatisch ändern wird? Andererseits bin ich überzeugt, dass die Vernunft sich durchsetzt. Die Geschichte lehrt uns, dass nur Bestand hat, was sich in der Mitte der Weltgemeinschaft und ihrer Gesellschaften aufhält.“
SCABAL im Zeitraffer
Die Unternehmensgeschichte von SCABAL beginnt 1938. Damals gründete Otto Hertz in Belgien einen Stoffhandel und machte nach den Wirren des Zweiten Weltkrieges und der Diktatur der Nationalsozialisten dort weiter, wo er aufhören musste. 1946 wurde aus dem Stoffhandel die Société Commerciale Anglo Belgo Allemande Luxembourgeoise, kurz SCABAL. Hertz handelte mit edlen Stoffen und belieferte schon damals internationale Kunden. Er war auch der Erfinder des Stoffbuches, um zu den Kunden nicht Mengen von Stoffproben mitschleppen zu müssen und eine größere Auswahl zu bieten. Doch dann kamen die Nationalsozialisten und Hertz ging in die USA, er war Jude. Nach dem Krieg stieg der Firmengründer wieder ins Geschäft ein und 1970 war SCABAL ein internationales Unternehmen, das Mitarbeiter in ganz Europa beschäftigte. J. P. Thissen übernahm die Leitung und setzte neue Impulse. SCABAL brachte als erstes Unternehmen Stoffe jenseits der Super-120-Grenze auf den Markt. Heute führt Gregor Thissen als Chief Executive Officer die Geschäfte gemeinsam mit Stefano Rivera, der für den operativen Bereich verantwortlich ist. 1973 kaufte SCABAL eine Weberei im britischen Huddersfield, der Heimat vieler traditioneller Webereien. 1989 kam eine Atelierwerkstatt hinzu, die seit 1937 Maßkleidung anfertigte. Das war der Einstieg in die Konfektion. Heute verfügt SCABAL in Saarbrücken über eine eigene Fertigung. Immer wird zu 80 Prozent auf Maß produziert. SCABAL arbeitete im Jahr 1971 mit Salvadore Dalí zusammen und stattete in Hollywood eine Vielzahl von Filmgrößen wie Robert De Niro aus.