„Wir sind alle gleich“

Inklusion im Model-Business

In den 1990ern war Del Keens ein weltbekanntes Model. Er wurde auf den Straßen Londons von dem Modefotografen David Sims entdeckt und war das Gesicht der Kampagnen von Brands wie Calvin Klein oder LEVI’S. ©Kasper Fuglsang

Autorin: Katja Vaders
Er war in den 1990er-Jahren eins der bekanntesten Models der Welt und prägte einen völlig neuen Look: Del Keens wurde auf den Straßen Londons entdeckt und war seinerzeit in großen Kampagnen von Brands wie LEVI’S, DIESEL oder Calvin Klein zu sehen. Irgendwann zog der Brite nach Berlin und gründete 2012 seine eigene Agentur Misfit models. Seine Unternehmensphilosophie lautet „Where the word Inclusion or Diversity, is not just another hashtag or fashion statement“. Dementsprechend vermittelt Del Keens Models mit Behinderung, allen möglichen Hautfarben, Gesichtstattoos oder einer Größe von über zwei Metern für Filme, Werbespots, Musikvideos oder Fashion Editorials. Das Aufnahmekriterium für seine Kartei: Authentizität und ein ganz spezieller Look jenseits des langweiligen Mainstreams. Wie dieses Konzept bei seinen Kunden ankommt und was er ganz persönlich von dem Trendbegriff „Diversity“ hält, erzählte er FASHION TODAY bei einem Gespräch.

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FASHION TODAY: Del, du betreibst die Agentur Misfit models, die nur ganz spezielle Typen in ihrem Portfolio hat. Was hat deine eigene Geschichte mit diesem Konzept zu tun? Du warst ja in den 1990ern ein sehr bekanntes Model …
Del Keens: „Das stimmt. Ich wurde damals in London auf der Straße von dem sehr bekannten Modefotografen David Sims angesprochen. Er fragte mich, ob er ein paar Fotos von mir machen könne, und ich hatte nur zwei Rückfragen an ihn: Ob er mich dafür bezahlen wird – und ob ich meine Kleidung anbehalten darf. Von da an war es ein Selbstläufer. Sims machte mit mir ein Portfolio, mit dem ich anschließend zu der Agentur ,Ugly Models‘ ging. Damals gab es ja noch kein Internet, wie wir es heute kennen, und normalerweise nahm die Agentur nur zu einem bestimmten Zeitpunkt einmal im Jahr neue Models in ihre Kartei auf – in meinem Fall wäre der Termin erst ein halbes Jahr später gewesen. Ich dachte mir aber: ,Fuck that!‘ Ich klingelte, es öffnete ein Kurier und ich legte meine Mappe einfach auf einen Schreibtisch und sagte, ich käme in einigen Tagen wieder. Als ich eine Woche später wieder bei Ugly Models vor der Tür stand, sagte man mir, wie großartig man mich fände, und nahm mich tatsächlich unter Vertrag. In der Zwischenzeit hatte ich auch schon mit David Sims gearbeitet und Jobs für LEVI’S und für Calvin Klein gemacht …“

Du bist also ursprünglich aus London, lebst aber inzwischen schon einige Jahre in Deutschland.
„Ich bin irgendwann mal wegen einer Beziehung nach Berlin gezogen. Als diese endete, entschloss ich mich, trotzdem in Deutschland zu bleiben, und musste natürlich Geld verdienen. Dazu wollte ich etwas finden, bei dem ich gut bin, und das ist nun mal, dass Leute Fotos von mir machen und mich dafür bezahlen. Allerdings bekomme ich, wenn ich Glück habe, höchstens ein- oder zweimal im Jahr einen Job, weil mein Look sehr speziell ist. Und so entstand die Idee, meine eigene Agentur zu gründen und somit andere Models dazu zu bekommen, für mich zu arbeiten. So entstand Misfit models, wo ich inzwischen anderen dabei helfe, Arbeit als Model zu finden.“

Gab oder gibt es in Deutschland auch andere Agenturen, die ein ähnliches Portfolio wie Misfit models zu bieten haben?
„Ich habe mitbekommen, dass auch andere Leute versucht haben, in Deutschland eine Character-Agentur zu gründen, allerdings war das nicht von Erfolg gekrönt – bis ich kam. Misfit models gibt es offiziell seit 2012 und für mich gilt die Devise: Wenn ich ein Model sein kann, können das andere auch. Meine Vergangenheit in dem Job kommt mir definitiv zugute, weil sie mich legitimiert und ich noch Kontakte von früher habe. Außerdem würde ich nie versuchen, meine Models auszunutzen.“

Du glaubst also, dass ihr mit Misfit models erfolgreich seid, weil du früher die gleichen Erfahrungen gemacht hast wie deine Models heute?
„Auf jeden Fall. Die Leute sehen, dass ich früher sehr erfolgreich war, und wollen das Gleiche erleben. Allerdings gibts in dem Job keine Garantie und ich weiß nie, wie sich die Nachfrage entwickeln wird: Vielleicht sind in der nächsten Woche Kleinwüchsige angesagt, Menschen, die im Rollstuhl sitzen, oder People of Color … Das ist sehr stark abhängig davon, welche Art von ,Diversity‘ gerade im Trend ist. Momentan benutzt jede Marke diesen Begriff, alle wollen auf diesen Zug aufspringen und das Hashtag für sich nutzen. Sie sagen: ,Schaut doch mal, wie inklusiv und was für wunderbare Menschen wir sind!‘ Bei Misfit models ist es aber völlig egal, ob du arbeitslos, arm, schwarz oder behindert bist, ob du zwei oder drei Beine hast, schwul oder lesbisch bist, pinkes Haar und ein Gesichtstattoo hast, ob du einen Rock oder eine Lederjacke trägst: Für uns sind alle Menschen gleich. Und deshalb funktioniert auch unser Konzept so gut. Wichtig ist nur, ob ich es schaffe, dass meine Models gebucht werden, aktuell gibt es jedenfalls einen Markt für diese speziellen Looks.“

Hast du denn auch Models in deinem Portfolio, die dem gängigen Schönheitsideal entsprechen?
„Nein, ich lehne immer wieder hübsche, 20-jährige Mädchen ab, weil ich diesen Look nicht verkaufen kann. Bei mir gehen viel besser die zahnlosen, bärtigen Biker, die richtig schön aggressiv aussehen. Meine Models müssen anders sein, etwas Spezielles haben, erst dann interessieren sie mich. Ich möchte keine langweiligen Gesichter in meiner Kartei, die man sofort wieder vergisst, sondern das besondere Gesicht und den besonderen Körper. Solche Models kann ich verkaufen – vielleicht nicht sofort, aber eventuell nächste Woche, wenn jemand genau diesen ganz speziellen Look anfragt.“  

Hast du ein Beispiel für den speziellen Misfit-models-Look?
„Letztens kam eine Anfrage von einer sehr bekannten deutschen Krimiserie. Man war auf der Suche nach einem Model, das eine Leiche spielt – und dem einige Zehen fehlen. Ich sagte: ,Alles klar, könnte sein, dass ich da jemanden habe.‘ Ich erinnerte mich nämlich an einen Typen mit dem Namen Bernhard, ein Bergsteiger, der mir mal erzählt hatte, dass er vor ein paar Jahren auf den Mount Everest gestiegen war und dort Frostbeulen bekommen hatte. Also rief ich ihn an und fragte ihn, ob ihm vielleicht ein paar Zehen fehlen, und er schickte mir Fotos: Tatsächlich hatte er an einem seiner Füße gar keine Zehen mehr. Der Kunde war begeistert und sagte mir, dass das genau das sei, wonach er gesucht habe. Bernhard hat aber sehr lange Haare und einen langen Bart und ich dachte, das sei vielleicht problematisch. Aber auch das passte perfekt, weil er einen toten Obdachlosen darstellen sollte. Du siehst also: Irgendwann kann jeder Look genau das sein, was gesucht wird. Und deshalb habe ich alle Größen und Körperformen in meinem Portfolio. Mein kleinstes Model ist 90 Zentimeter und sitzt im Rollstuhl, mein größtes ist 2,24 Meter.“

Del Keens hat im Portfolio seiner Agentur Misfit Models Menschen mit allen möglichen Körperformen. „Mein kleinstes Model ist 90 Zentimeter und sitzt im Rollstuhl, mein größtes ist 2,24 Meter.“ ©Misfit Models

Wie findest du deine Models?
„Sie finden mich – es gibt über die Agentur und meine Geschichte einiges im Internet, in der Presse oder im Fernsehen zu sehen. All meine Models haben sich also irgendwann bei mir beworben, ich antworte aber nur denjenigen, die ich in meine Kartei aufnehme. Ich kann schließlich nicht allen zurückschreiben und ihnen erklären, warum sie meiner Meinung nach nicht zu Misfit models passen – und ich bin kein Sozialarbeiter. Außerdem möchte ich niemanden auf der Straße ansprechen und sagen: ,Wow, du siehst super aus, du wärst ein tolles Model.‘ Wer mich nicht kennt, könnte dann denken, dass ich sie oder ihn verarschen oder ausbeuten möchte. Nicht jeder hat genug Selbstvertrauen, als Model zu arbeiten, oder möchte fotografiert werden. Also warte ich darauf, dass die Leute zu mir kommen.“

Du hast gerade schon den Trend „Diversity“ angesprochen. Auch Inklusion ist ein immer größeres Thema in der Modebranche. Wie hat sich in diesem Zusammenhang die Nachfrage nach entsprechenden Models bei euch entwickelt?
„Für mich sind diese Begriffe Bullshit, wie gesagt, ein Zug, auf den alle aufspringen wollen. Man sieht Bilder von Menschen, die den Catwalk in einem Rollstuhl entlangfahren, was natürlich ganz viel Publicity für den entsprechenden Designer oder die Brand mit sich bringt, man stellt sich als wahnsinnig offen und divers dar, weil man ein Model mit Behinderung gebucht hat. Letztendlich werden diese Models aber nur als Gimmick benutzt, um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen. Wenn du sie allerdings fragst, wie viel Geld sie für einen solchen Auftritt erhalten haben, heißt es oft: ,Nichts, ich habe den Job aus Spaß gemacht.‘ Und das ist nicht inklusiv, sondern Ausbeutung!“

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Passiert so etwas denn oft?
„Ich wurde immer wieder von Leuten aus der Modebranche angesprochen, die Probeaufnahmen oder Editorials machen wollten, aber kein Budget für meine Models zur Verfügung hatten. Man möchte also keine 100 oder 200 Euro für die Zeit eines Models bezahlen, dessen Bilder man vielleicht in einem Magazin abdrucken möchte? Schau dir diese Magazine doch einmal an: Zwei Drittel bestehen aus Werbung. Und die wird nicht bezahlt? Es gibt Geld für Reisekosten, um eine Kamera zu mieten oder einen Werbespot zu finanzieren – aber kein Budget, um die Models zu bezahlen? Wie gesagt: Ich bekomme täglich solche Anfragen, aber auf dem Ohr bin ich taub. Ich verstehe nicht, warum man in der Modebranche den Models so wenig oder gar kein Honorar bezahlt, sondern sie einfach nur benutzt und dann wegwirft, denn die Fashion-Industrie hat reichlich Geld.“

Du hast aber glücklicherweise auch Kunden, die für die Arbeit deiner Models bezahlen. Mit welchen Marken und Unternehmen hast du schon zusammengearbeitet?
„Das sind eine ganze Menge. Wir hatten Models und Schauspieler bei ,Stromberg – Der Film‘ oder bei verschiedenen ,Tatort‘-Produktionen dabei, haben mit Banken und Versicherungen gearbeitet, aber auch mit der Telekom, der Bundesagentur für Arbeit oder dem Deutschen Roten Kreuz. Dazu kommen viele Marken von ASTRA, FISHERMAN’S FRIEND oder adidas über Schwarzkopf, PENNY., LiDL und ALDI bis zu LFDY, Men’sHealth, ABOUT YOU oder zalando … Wir machen auch immer wieder Musikvideos, aber ganz besonders gern Werbung, weil die am besten bezahlt wird.“

Also auch wenn „Diversity“ ein Trend ist, der von vielen Unternehmen zum Aufpolieren des Images genutzt wird, kommt er euch zugute  ..
„Absolut – wir haben immer mehr zu tun. Vor allem die Nachfrage nach People of Color in der Filmindustrie ist ganz offensichtlich. Diese Entwicklung habe ich schon bei der Gründung der Agentur vorausgesehen. Ich fragte mich damals, warum die deutschen Medien vor allem weiße Menschen abbildeten, wenn doch die meistwachsende Bevölkerungsgruppe arabische oder türkische Wurzeln hatte und damit auch einen großen Teil der nächsten Konsumentengeneration stellen würde. Inzwischen hat sich viel verändert, aber auch wenn Diversity heutzutage ein beliebtes Hashtag ist, das sogar Heidi Klum in ihrer TV-Show aufgegriffen hat, ist es für Menschen mit Behinderung immer noch schwer.“

Mir persönlich ist vor allem wichtig, dass dieser Diversity-Quatsch aufhört und man stattdessen endlich anfängt, alle Menschen gleich zu behandeln.“ ©Misfit Models

Wie meinst du das?
Selbst wenn sie jemanden im Rollstuhl buchen, soll es bitte das nette, hübsche Mädchen von nebenan sein, obwohl die Realität ja oft anders aussieht. Menschen, die im Rollstuhl sitzen, haben zum Beispiel häufig eine Spastik, aber so etwas ist bei den Kunden nicht erwünscht. Sie wollen jemanden, der aufrecht und perfekt im Rollstuhl sitzen kann – nur das lässt sich verkaufen. Nicht einmal männliche Rollstuhlfahrer werden gebucht, sondern nur junge und hübsche Frauen. Ich habe Menschen mit allen möglichen körperlichen Behinderungen oder mit Down-Syndrom in meinem Portfolio, die aber leider nur sehr selten angefragt werden, auch wenn ich sie den Kunden immer wieder vorschlage. Vielleicht funktionieren diese Models irgendwann in der Zukunft – obwohl ich nicht glaube, dass sich in diese Richtung gerade viel entwickelt.“

Was sich allerdings entwickelt hat, ist der Standort von Misfit models: Gestartet seid ihr in Berlin, inzwischen sitzt ihr in Fitzen bei Hamburg. Wie kam es zu diesem Umzug? Und funktioniert eine erfolgreiche Model-Agentur in der Provinz?
„Ich wollte schon länger auf dem Land leben. Seit Corona finden die meisten Meetings digital statt, man muss also nicht mehr in einer großen Stadt leben. Beim Start von Misfit models wohnten die meisten unserer Models in Berlin, das hat sich aber inzwischen geändert und wir arbeiten mit Leuten aus ganz Deutschland und halten über Telefon und E-Mail Kontakt. Ich lerne die Models gerne bei einem Termin persönlich kennen, danach machen wir mit ihnen vor allem E-Castings, das heißt, unsere Models filmen sich selbst mit dem Handy, sodass wir ihre Videos an Kunden verschicken können. Ein weiter Grund, seinerzeit von Berlin nach Hamburg zu ziehen, war übrigens die Unzuverlässigkeit vieler Kunden dort. Es gab für viele Jobs kein Geld oder Anfragen wurden doch nicht realisiert … Das liegt sicherlich auch daran, dass wir früher an vielen Musikvideos beteiligt waren, die Branche aber inzwischen sehr eingebrochen ist.“

Du sagst, dass du insgesamt eine steigende Nachfrage nach deinen „diversen“ Models beobachtest. Glaubst du, dass es in Zukunft immer normaler wird, Models zu buchen, die nicht mehr den althergebrachten Schönheitsidealen entsprechen? Und wie sollte sich vor allem die Modebranche in diesem Zusammenhang entwickeln?
„Die Nachfrage gab es ja immer schon, egal ob in der Mode, der Werbung, im Film oder in Musikvideos. Wenn die Kunden jemanden brauchen, der in seiner Rolle wirklich authentisch aussehen soll, kontaktieren sie mich – und meistens habe ich genau das, was sie suchen. Wie ich schon sagte: Diese sogenannte Vielfalt ist für viele nur eine neue Möglichkeit, diese speziellen Menschen zu vermarkten – so sehe ich das nun mal. Natürlich verdiene auch ich mein Geld mit dem Diversity-Hype, ich sehe das Thema allerdings nicht als Trend und die kurzfristige Gelegenheit, Geld zu machen, sondern als meinen Way of Life. Wir werden sehen, ob sich die Modeindustrie in diesem Zusammenhang langfristig entwickeln kann. Mir persönlich ist vor allem wichtig, dass dieser Diversity-Quatsch aufhört und man stattdessen endlich anfängt, alle Menschen gleich zu behandeln, auch wenn sie eine Behinderung haben oder anders aussehen – nur so kann sich auch langfristig etwas ändern.“

Bei Misfit Models ist es aber völlig egal, ob du arbeitslos, arm, schwarz oder behindert bist, ob du zwei oder drei Beine hast, schwul oder lesbisch bist, pinkes Haar und ein Gesichtstattoo hast, ob Du einen Rock oder eine Lederjacke trägst: Für uns sind alle Menschen gleich.“ ©Misfit Models

Dazu passt euer Claim „Where the word Inclusion or Diversity, is not just another hashtag or fashion statement“. Was steckt dahinter?
„Ich komme aus South London und habe damit einen sehr multikulturellen Background. Damals kamen wir bis zu einem gewissen Grad alle gut miteinander aus, natürlich gab es auch mal Probleme und wenn man sich nicht mochte, konnte es auch mal zu einer Schlägerei kommen. Der Grund für eine Prügelei war aber nie, dass jemand eine andere Hautfarbe, Größe oder Hintergrund hatte, Ärger gab es nur, wenn sich jemand schlecht benahm. Wir sollten also Menschen nicht anders oder besonders behandeln, weil sie eine Behinderung haben oder irgendwie anders aussehen. Denn im Endeffekt sind wir alle gleich. Und das sollte auch der Rest der Welt endlich verstehen.“

Ein gutes Schlusswort. Vielen Dank für das Interview, Del.