„Die Haptik spielt eine wichtige Rolle“

Mods in Maßanzügen

Volker von Reths erster maßgeschneiderter Anzug wurde auch sein Lieblingsanzug. Bis vor wenigen Jahren passte er ihm sogar noch. Inzwischen hat er das Design kopieren und in Thailand zwei Ersatzanzüge im genau gleichen Schnitt nähen lassen. Alle Bilder: © Paul Müller-Rhode

Autorin: Katja Vaders
Mods – ein Begriff, der sich von dem englischen Wort „Modernist“ ableitet – sind Anhänger einer Subkultur, die in den 1960ern in der britischen Arbeiterklasse entstand und sich in ganz Europa ausbreitete. Die Mods zeichneten sich durch einen Kleidungsstil aus, den man nicht anders als „sophisticated“ bezeichnen kann: Extrem gut sitzende, schmal geschnittene und nicht selten maßgefertigte Anzüge sind bis heute das Markenzeichen der männlichen Mods. Volker von Reth entdeckte in den 1980er-Jahren die Subkultur und damit auch den Anzug für sich. Seinen ersten ließ er sich bei einem klassischen Herrenschneider im nordrhein-westfälischen Dorsten auf den Leib schneidern. Wie es dazu kam und wo er heute seine Anzüge und Hemden kauft, erzählte er FASHION TODAY bei einem Gespräch.

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„Als Mod legt man viel Wert auf sein Äußeres. Modsein ist verbunden mit einer gewissen Attitude und es gehört zum Erscheinungsbild, möglichst nichts von der Stange zu tragen.“ Volker von Reth mit seiner Frau Astrid.

FASHION TODAY: Volker, du hast dich in den 1980er-Jahren der Mod-Subkultur angeschlossen – und damit deine bis heute währende Liebe für gut sitzende Anzüge und Hemden für dich entdeckt.
Volker von Reth: „Das stimmt. Ich habe mir meinen ersten Anzug machen lassen, als ich 17 Jahre alt war. Wir sind damals zu einem klassischen Herrenschneider nach Dorsten gefahren, der übrigens auch so hieß: Franz Schneider. (lacht) Einer meiner Freunde innerhalb der Mod-Szene hatte den Kontakt aufgetan und ab da sind wir alle dorthin gegangen, um uns Anzüge nach unseren Wünschen anfertigen zu lassen. Herr Schneider hatte zwar nur eine begrenzte Anzahl von Stoffen, darunter aber auch Ware aus England. Vor allem kaufte er Konvolute der Bundesbahn auf, die er dann selbst einfärbte.“

Wie sah dein erster Anzug aus?
„Herr Schneider machte mir damals ein sehr eng geschnittenes Vier-Knopf-Jackett. Er hatte relativ lange Lieferzeiten. Wenn ein Mod-Event bevorstand, bei dem man einen neuen Anzug tragen wollte, musste man daher immer drei oder vier Monate Vorlauf einplanen, damit er rechtzeitig fertig war. Meinen ersten Anzug habe ich noch – bis vor fünf Jahren passte er, jetzt aber nicht mehr.“ (lacht)

Warum trägt man in der Mod-Szene so gerne maßgeschneiderte Anzüge?
„Als Mod legt man viel Wert auf sein Äußeres. Modsein ist verbunden mit einer gewissen Attitude und es gehört zum Erscheinungsbild, möglichst nichts von der Stange zu tragen. Bei mir kommt hinzu, dass ich relativ groß bin und es damals die Anzüge, dich ich tragen wollte, nirgends zu kaufen gab – zumindest nicht in meiner Größe. Und: Auf Mod-Events wollte man immer etwas Neues tragen, hat darauf geachtet, seinen Anzug nicht aus demselben Stoff fertigen zu lassen wie die anderen, und es durfte auch gerne extravagant sein. Ein Anzug war ein Statement! Unser Vorbild waren die Mods aus den 1960er-Jahren, seinerzeit war es sehr angesagt, sich italienische Anzüge zu kaufen oder machen zu lassen; dazu trug man italienische Schuhe.“

Es ging dir also nicht nur um den Anzug?
„Nein, irgendwann wollte ich auch schicke Hemden tragen: mit Manschetten, meistens Button-down. Das gestaltete sich aber als etwas schwieriger, denn solche Hemden hatte Herr Schneider nicht im Angebot. Im Laufe der Jahre haben sich dann aber Kontakte zu anderen Schneidern oder Bekannten ergeben, die Mode studiert und Hemden mit der Hand genäht haben.“

Zu deinen maßgeschneiderten Anzügen kamen also passende maßgeschneiderte Hemden …
„Genau. Inzwischen ist es durch die Digitalisierung erheblich einfacher, an solche Hemden zu kommen. Ich habe mir erst kürzlich welche machen lassen: Man muss nur einmal beim Händler vor Ort erscheinen, damit Maß genommen wird, und jetzt kann ich dort meine Hemden immer wieder online bestellen.“

Zu welchen Anlässen trägst du deine maßgeschneiderten Hemden und Anzüge?
„Dieses Silvester habe ich einen maßgeschneiderten Anzug mit Hemd und Krawatte getragen – und war wahrscheinlich komplett overdressed … (lacht) Auch wenn ich Schallplatten auflege, ziehe ich meist eine Anzughose an, bin aber ansonsten etwas legerer unterwegs, zum Beispiel mit einem Fred-Perry-Polo. Bei der Arbeit trage ich allerdings häufig eine Jeans.“

Aber bei privaten Anlässen bevorzugst du den Anzug?
„Auf jeden Fall, insbesondere, wenn ich auf einen Sixties-Weekender gehe (Tanz-Events, auf denen sich vor allem Mods treffen, Anmerkung der Autorin). Inzwischen lasse ich mir nicht mehr ganz so häufig neue Anzüge machen, glücklicherweise habe ich mich körperlich in den letzten Jahren wenig verändert, sodass mir auch noch etwas ältere Anzüge passen … Allerdings habe ich mir von meinem ersten Anzug, der sich vom vielen Tragen natürlich irgendwann aufgelöst hat, ein Back-up machen lassen. Meine Stieftochter hatte das Original mit nach Thailand genommen, wo ein gewisser ,Taylor Jim‘ das Design von Herrn Schneider aus Dorsten für mich kopierte – und mir zwei Drei-Knopf-Anzüge fertigte.“

„Mein absoluter Lieblingsanzug war tatsächlich mein erster, den ich mir von Herrn Schneider habe machen lassen. Er war aus einem englischen Stoff mit einem Wollanteil, aber nicht zu dick, dunkelgrau mit rötlichen Nadelstreifen.“

Du lässt aber auch in Deutschland fertigen. Was ist hierzulande die Maßschneiderei deines Vertrauens?
„Tatsächlich habe ich mir überlegt, demnächst wieder zu Herrn Schneider nach Dorsten zu fahren – den gibt’s nämlich noch. Meine letzten Hemden habe ich mir aber bei XUITS machen lassen, die fertigen auch Anzüge und haben ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Es gibt immer mehr Online-Plattformen, bei denen muss man allerdings zunächst einmal zu einem stationären Vertragshändler gehen, um Maß nehmen zu lassen. Anschließend kann man dort immer wieder online bestellen.“

Hast du mit solchen Anbietern schon Erfahrungen gemacht?
„Ich habe mir so was natürlich schon einmal angesehen, dieses Konzept geht meiner Meinung nach aber eher in die Hose. Ein Freund von mir war bei so einem Händler in Köln und hat sich einen Anzug machen lassen, wirklich zufrieden war er mit dem Ergebnis allerdings nicht.“

Ging die Bestellung komplett online oder musste er sich vor Ort vermessen lassen?
„Er musste zunächst in eine Filiale, um sich vermessen zu lassen. Der Händler bietet Anzüge ab 300 Euro an, dafür bekommt man allerdings nur die absolute Grundausstattung, der Schnitt ist Standard und natürlich werden günstige Stoffe und Innenfutter verarbeitet. Für einen guten Anzug muss man in Deutschland mindestens 800 Euro investieren.“

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Welche Maßanfertiger kannst du empfehlen – abgesehen von dem guten alten Herrn Schneider in Dorsten?
„Ich habe gute Erfahrungen mit cove gemacht, dort habe ich mal ein Hemd nähen lassen. Für seine Anzüge bietet cove momentan allerdings eher diese grauen Tweedstoffe an, die aktuell modern sind. Das Ganze erinnert sehr an den Stil der 1940er-Jahre, auch bei den Schnitten – nicht das, was ich möchte.“

Gibt es bei cove keine Möglichkeit, sich einen Anzug nach seinen ganz individuellen Vorstellungen anfertigen zu lassen?
„Ich habe dort sehr viele Modelle anprobiert und bei der Maßanfertigung der Schneiderin gesagt, dass ich mein Hemd sehr eng sitzend haben möchte. Trotzdem war es mir im Endeffekt zu weit – es war also sehr schwierig, meine individuellen Wünsche durchzusetzen. Die Chemie muss stimmen zwischen mir und dem Schneider oder der Schneiderin, und er oder sie sollte sich meinen Wünschen anpassen können. Schließlich ist es etwas Besonderes, wenn man sich alle paar Jahre einen neuen Anzug oder Hemden machen lässt – und dann sollten sie auch so sitzen, wie man es sich vorstellt.“

Also doch lieber zu Herrn Schneider …
„Er kannte uns und wusste genau, was wir wollten. Das fängt ja schon bei der Stoffauswahl an, mit der man sich zuvor beschäftigen sollte. Unabhängig von Farbe und Muster geht es vor allem um die Qualität. Es ist schön, wenn man den Stoff vorher in die Hände bekommt, ihn sich anhalten, vor den Oberkörper legen kann … und dann vor den Spiegel stellt und überprüft: Matcht der Stoff mit mir? Hinzu kommt die Haptik, die für mich eine sehr wichtige Rolle spielt. Das alles kann man online natürlich nicht machen. Und Fotos sagen leider im Endeffekt gar nichts aus …“

Hast du denn auch positive Erfahrungen mit Online-Plattformen für Maßanfertigungen gemacht?
„Zufrieden war ich mit dem Online-Händler Befeni. Dort habe ich ein Hemd machen lassen und konnte zuvor den Kragen und die Manschetten frei wählen. Der Preis war unglaublich günstig. Bevor ich mir etwas von der Stange kaufe, das nicht wirklich passt, würde ich lieber ein Hemd bei Befeni machen lassen. Aber so ein Hemd ist kein Anzug – wenn es nicht perfekt ist, kann man immer noch ein gutes Jackett drüberziehen und so Verarbeitungsfehler kaschieren.“

Wie schneidet deiner Ansicht nach ein Markenhemd von der Stange im Vergleich mit einem maßgeschneiderten von Befeni ab?
„Die Hemden von Befeni sind wirklich gut verarbeitet und überleben auch die Waschmaschine – bis auf eins, das allerdings aus einem relativ dünnen Sommerstoff gefertigt war und bei dem sich das Vlies an der Knopfleiste relativ schnell abgelöst hat. Wenn ein Hemd mindere Qualität hat, sehe ich das meist schnell an den Manschetten, die irgendwann anfangen, wellig zu werden. Bei Anzügen hingegen zeigt sich die schlechte Verarbeitung an den Schulterteilen der Sakkos, dort bilden sich Hubbel oder sie verziehen sich. Problematisch bei Anzügen aus Thailand ist, dass es dort eine ganz andere Luftfeuchtigkeit gibt als in Deutschland, sich das Jackett daher schnell verzieht und die Knopfleiste schief sitzt, sobald man anfängt zu schwitzen … Es ist auch vorgekommen, dass ein thailändischer Schneider ein Zwei-Knopf- statt des bestellten Drei-Knopf-Sakkos genäht hat. Ich musste es dann wieder zurückschicken …“

Dann fragt man sich wahrscheinlich, ob man das nächste Mal nicht gleich zu Herrn Schneider fährt …
„… und seinen Anzug face-to-face bestellt, genau. Man hat eine Anprobe und der Schneider ruft an, sobald er einen Rohschnitt fertig hat mit Länge und Weite. Die Kleinigkeiten werden dann vor Ort geändert und man muss nichts zurückschicken. Zudem hat es definitiv etwas, wenn dir ein Anzug auf den Leib geschnitten wird … Das ist schon cool!“

Warst du schon einmal auf der Savile Row in London, um dir einen Anzug anfertigen zu lassen?
„Bisher nicht, vielleicht irgendwann mal, wenn ich das nötige Kleingeld dazu habe … (lacht) Wenn man sich einen wirklich tollen Anzug bestellt, will man natürlich auch das dazu passende Hemd haben. Und die passenden Schuhe – was für uns Männer schnell zu einem Problem wird. Es gibt nicht viele gute Schuhe für verschiedene Anlässe wie für Frauen, sondern oft lediglich die Standardmodelle.“

Magst du es ausgefallen oder eher klassisch? Was waren deine spektakulärsten Anzüge?
„Mein absoluter Lieblingsanzug war tatsächlich mein erster, den ich mir von Herrn Schneider habe machen lassen. Er war aus einem englischen Stoff mit einem Wollanteil, aber nicht zu dick, dunkelgrau mit rötlichen Nadelstreifen. Ein Vier-Knopf-Jackett mit aufgesetzten Taschen, oben mit Klappen, komplett schmal geschnitten. Den habe ich geliebt! Deshalb habe ich ihn mir auch in Thailand kopieren lassen, in Schwarz und in Blau mit hellblauen Nadelstreifen.“

Also bevorzugst du es klassisch.
„Ja, bei den Anzügen auf jeden Fall. Meine Hemden dürfen allerdings auch ein bisschen extravaganter sein. Ich habe zum Beispiel ein Button-down mit rotem Paisley-Muster oder eins in Dunkelblau mit weißen Punkten. Bei Herr von Eden in Köln, den es leider nicht mehr gibt, habe ich mir mal eins gekauft, für das man eine Krawattennadel brauchte, wie bei ,Peaky Blinders‘ … Anzüge mit großem Muster sind mir allerdings zu plakativ. Sie sollten im Stil der britischen Mods gehalten sein, also in gedeckteren Farben wie Grau, Blau, ich habe auch einen in Hellblau.“

Vielleicht näht deinen nächsten Anzug wieder Herr Schneider, dann würde sich ein Kreis schließen. Bis dahin erst einmal vielen Dank für dieses sehr interessante Gespräch!