Autor: Andreas GrüterSpiel, Spaß, Spannung und immer ein Hauch von Rebellion – die facettenreichen Insignien der Surfkultur gelten Modelabeln seit Jahrzehnten immer wieder als stilistischer Jungbrunnen, mit dem sich gut Geld verdienen lässt. Dabei war die Liaison beider Welten lange Zeit alles andere als harmonisch – und ist es in vielen Bereichen bis heute nicht.
Vorspiel
Ursprung des Wellenreitens: Polynesien vor mehr als 4.000 Jahren. 19. Jahrhundert: Das rigorose Verbot des Surfens sowie weiterer als heidnisch und unmoralisch angesehener einheimischer Kulturrituale auf Hawaii durch eingewanderte christliche Missionare aus den USA führt dazu, dass Surfen fast vollständig in Vergessenheit gerät. Anfang des 20. Jahrhunderts: Dank der unermüdlichen Arbeit des legendären hawaiianischen Schwimm-Olympioniken Duke Kahanamoku, der bei seinen Wettkampfreisen stets ein Surfboard bei sich hat, erfährt das Wellenreiten eine fulminante Wiedergeburt. Hotspot ist dabei neben Hawaii vor allem Kalifornien, wo Outlaws und Bohemians wie Mark Twain und Jack London, vom konservativen Mainstream Amerikas misstrauisch beäugt, an der Kunst stehend auf einem Brett über die Wellen zu gleiten versuchen. Sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts: Surfen ist an kalifornischen Stränden allgegenwärtig und wird mit Filmen wie „Gidget“ und „The Endless Summer“ sowie der Musik von Dick Dale, The Ventures, The Trashmen, The Beach Boys und weiteren Bands integraler Bestandteil der aufkeimenden US-Pop- und Gegenkultur.
Fashion? What Fashion?
Surfmode? Daran war bis dato überhaupt nicht zu denken. Für die Spießer sind Surfer Beach Bums, Strandpenner, denen man so ziemlich alles zutraut und die lieber im gepflegten Anzug und mit ordentlicher Frisur einem ordentlichen Job nachgehen sollten, als den ganzen Tag Wellen hinterherzujagen. Und die Surfer selber geben ihr zusammengespartes Geld lieber für ein neues Brett aus als für modischen Schnickschnack. Eine robuste, lässig geschnittene Hose, weite, bequeme Shorts, ein T-Shirt mit dem Logo des lokalen Boardshapers, ein warmer Sweater, eine wetterfeste Jacke und ein paar Sneakers oder Sandalen – fertig ist die Textilgarnitur für die Zeit, die man außerhalb des Wassers verbringt. Im Meer selbst trägt man, wenn die Temperaturen es zulassen, lediglich Boardshorts und an kalten Tagen müssen, vor Einführung des von Jack O’Neill entwickelten Neoprenanzugs im Jahr 1952, normale Kleidung und lange Unterwäsche reichen, die mittels einer Ölschicht imprägniert und von innen mit PVC ausgestopft ist.
Alles so schön bunt hier …
Die späten 1960er- und die 1970er-Jahre: Love, Peace, eine gute Portion halluzinogener Drogen und ab und zu eine Schlägerei um die lokale Vorherrschaft im Line-up, das dank des weiter anhaltenden Surfbooms stetig voller wird. Technisch steigt die Szene vom elegant-entspannten Single-Fin-Longboarding aufs Drei-Finnen-Shortboard um, was bislang unmöglich erscheinende, radikale Manöver in den Wellen ermöglicht, und onshore orientiert man sich am aktuellen Hippie-Look, sprich Batikshirts, Schlaghosen, Fransenjacken, Westen und bunt gemusterten Hemden. Absolute Stilikone on- und off-board ist Bunker Spreckels, Surfrider extraordinaire, erfolgreicher Boardshape-Tüftler und Stiefsohn von Hollywood-Legende Clark Gable, der es sich nicht nehmen lässt, in Anzug und pelzbesetztem Ledermantel im Luxusauto zu den Surfspots zu fahren. Es sind Rockstar-Moves wie diese, die ihm den Titel „Surfing’s Divine Prince of Decadence“ (so der Titel eines Buches über sein kurzes, von Exzessen geprägtes Leben) einbringen. 1969 gehen in Australien die zukünftigen Surfindustrie-Schwergewichte Quiksilver und Rip Curl an den Start, vier Jahre später folgt Billabong.
Neon Waves
In den 1980er- und 1990er-Jahren hebt der Surf-Lifestyle international ab. Der lässige Surf-Look oder das, was der Mainstream darunter versteht, liegt im Trend. Längst nicht mehr nur aktive Wellenreiter, die die Styles der rasant wachsenden Surfbrands tragen, sondern auch reine Fashionkonsumenten, was mitunter zu skurrilen Szenen führt, etwa wenn Discobesucher, weit entfernt von jedem Kontakt mit dem Salzwasser der Ozeane, verwaschene Jeans und Cowboyboots mit eng anliegenden Lycra-Surfshirts kombinieren. Der Look ist bunt, gestreift oder geblümt, oft neonfarben und natürlich dürfen großformatige Labelprints nicht fehlen. Zudem bauen die großen Surfbrands ihre Kollektionen aus. Zu Boardshirts, Shirts, Hoodies und Jacken gesellen sich immer mehr Mode-Pieces. Mit Skate- und Snowboard-Kollektionen werden darüber hinaus weitere Board-Sportfelder bespielt.
Die 2000er
Ob in TV-Spots für Autos oder Versicherungen, ob auf der Sponsorenliste von Mobilfunkanbietern oder als inhaltsleere Statement-Prints auf den Klamotten vertikaler Fast-Fashion-Labels – Surfen ist immer dabei. Und auch Luxusmarken lassen sich inspirieren. So bringt PRADA 2019 neben Neopren-Tops auch Sneaker im Stil von Surf Socks auf den Markt, während GUCCI im Herbst desselben Jahres mit einer Kollektion überrascht, die mit dem Surflook der 1960er-Jahre spielt. 2020 schiebt das Label das Videospiel „Gucci Surf“ nach, das in Zusammenarbeit mit dem italienischen Profi-Surfer Leonardo Fioravanti anlässlich des olympischen Debüts des Surfsports entwickelt wurde. BURBERRY schließlich präsentiert eine limitierte Serie von Surfboards zum Stückpreis von knapp 7.000 US-Dollar. Entwicklungen, auf die die aktive Surfwelt durchaus gespalten reagiert. Für die einen ein positiver Schritt in Richtung Breitensport, wenden sich vor allem die sogenannten Soul Surfer – Surfer, die die Kommerzialisierung des Surfens verachten, den spirituellen Aspekt des Surfens betonen und aus purer Freude am Surfen über die Wellen gleiten – einmal mehr vom Surfbrand-Mainstream ab und alternativen Labels mit nachhaltigem Anspruch wie TWOTHIRDS, patagonia, finisterre oder LANGBRETT zu.