Stagnation und Potenziale

HDS|L

„Der stationäre Fachhandel hat seine Berechtigung, wenn er sich richtig und kompetent aufstellt.“ Manfred Junkert, Hauptgeschäftsführer HDSL © HDSL

Autorin: Eva Westhoff
Der Bundesverband der Schuh- und Lederwarenindustrie e.V. (HDS|L) hat zentrale Zahlen für das erste Halbjahr 2024 bekannt gegeben. Sie zeugen von stagnierenden Umsätzen und Einfuhrwerten mit teils deutlichem Minus. Auch für das zweite Halbjahr 2024 sieht die Industrie laut HDS|L wenig Anzeichen einer Belebung. „Es ist sogar zu erwarten, dass aufgrund der vielen weiteren bürokratischen Belastungen Schuhe im nächsten Jahr deutlich teurer werden“, so Manfred Junkert. Im Folgenden die Marktdaten im Überblick – gefolgt von drei Fragen an den HDS|L-Hauptgeschäftsführer.  

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Im ersten Halbjahr 2024 erzielte die deutsche Schuhindustrie Umsätze im Wert von rund 1,15 Milliarden Euro, so der HDS|L. Das entspricht einem leichten Rückgang von 1,7 Prozent zum Vergleichszeitraum 2023. Auf 877 Millionen Euro beliefen sich die Umsätze von Januar bis Juni 2024 im Inland. Im Vorjahr waren es im gleichen Zeitraum rund 860 Millionen Euro, das ist ein nominelles Plus von 1,98 Prozent. Der Auslandsumsatz betrug im ersten Halbjahr 2024 insgesamt 273 Millionen Euro – ein Rückgang von über 11 Prozent. 167 Millionen Euro wurden innerhalb der Eurozone umgesetzt (2023: 191 Millionen Euro). Wertmäßig liegen die Umsätze damit inflationsbereinigt etwa auf Vor-Corona-Niveau.

Trotz des Umsatzrückgangs blieb die Zahl der Betriebe mit 50 oder mehr Beschäftigten bis Juni 2024 mit 33 Betrieben stabil. Nimmt man auch die kleineren Betriebe hinzu, dann arbeiten in der Herstellung von Schuhen in Deutschland rund 15.700 Beschäftigte.

Der Gesamtwert der Exporte lag im ersten Halbjahr 2024 bei 5,2 Milliarden Euro (+1,96 Prozent). Wichtigste Absatzmärkte in Europa sind Polen und Frankreich. Nach Polen wurden im betrachteten Zeitraum Schuhe im Wert von rund 786 Millionen Euro ausgeführt (+2,34 Prozent). Der Ausfuhrwert für Schuhe nach Frankreich lag mit rund 493 Millionen Euro fast 1,8 Prozent unter Vorjahresniveau.

Rückläufige Einfuhren – Ausnahme: Vietnam

Gerade die Einfuhrzahlen belegen, dass die Außenhandelsbilanz für Schuhe deutlich mehr belastet ist als im Vorjahr, wie der HDS|L herausstellt. Die Einfuhren von Januar bis Juni 2024 erreichen ein Volumen von 5,80 Milliarden Euro, was einem deutlichen Minus von 7,5 Prozent entspricht. Von den Hauptimportländern, zu denen in Europa Italien und in Asien China, Vietnam und Indien gehören, konnte nur Vietnam einen höheren Bilanzwert vorlegen. Lag der Wert hier im ersten Halbjahr 2023 noch bei 1,27 Milliarden Euro, beläuft er sich für den Vergleichszeitraum 2024 auf 1,37 Milliarden Euro – ein Plus von fast 8 Prozent. Damit hat Vietnam beim Importwert erstmals China überholt. Dort sind die Plusjahre vorerst vorbei. Wurden im ersten Halbjahr 2023 aus China Schuhe im Wert von rund 1,58 Milliarden Euro eingeführt, ergab sich 2024 im gleichen Zeitraum noch ein Wert von 1,33 Milliarden Euro – das sind über 15,8 Prozent weniger. Für Indien lag der Einfuhrwert von Schuhen im ersten Halbjahr 2024 bei 239 Millionen Euro (–2,5 Prozent).

Das wichtigste Einfuhrland in Europa, Italien, musste ebenfalls Rückgänge hinnehmen – von rund 20 Prozent. So wurden in den Monaten Januar bis Juni 2024 aus Italien Schuhe im Wert von rund 459 Millionen Euro eingeführt. Dem gegenüber stehen 577 Millionen Euro im ersten Halbjahr 2023.

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Beim Schuhsegment „Schuhe mit Oberteil aus Leder“, welches mehr als ein Drittel des Schuhmarktes ausmacht, ist mit einem Einfuhrwert von etwa 2,3 Milliarden Euro im ersten Halbjahr 2024 ein Minus von 8 Prozent bei den Importen zu verzeichnen.

Stagnierende Erzeugerpreise, steigende Verbraucherpreise  

Zur Preisentwicklung hält der HDS|L in seiner Mitteilung fest, dass die Erzeugerpreise bei Schuhen im betrachteten Zeitraum stagnieren beziehungsweise auch nominell nur gering steigen, nämlich um 0,44 Prozent. Dem gegenüber steht ein Anstieg der Verbraucherpreise um rund 4,16 Prozent. Für Herrenschuhe gaben die Verbraucher im Juni 2024 rund 5,43 Prozent mehr aus als im Januar. Für Damenschuhe waren es im selben Zeitraum 3,24 Prozent und für Kinderschuhe rund 4,63 Prozent mehr. Zum Vergleich: Die gesamte Inflation lag von Januar bis Juni 2024 bei 1,53 Prozent.

Für die kommenden Monate sieht der HDS|L die Schuhindustrie vor große Herausforderungen gestellt. Aufgrund der sich abzeichnenden anhaltenden Konsumschwäche, steigender Kosten und weiterer bürokratischer Belastungen sei für das zweite Halbjahr noch keine Trendwende zu erwarten.

Welche Stärken können klassische Schuhmarken in die Waagschale werfen, welche Perspektiven gibt es mit Blick auf den Vertrieb? Drei Fragen an Manfred Junkert, Hauptgeschäftsführer HDS|L.

FASHION TODAY: Herr Junkert, wie kann sich eine klassische Schuhmarke in dem schwierigen Marktumfeld heute behaupten? Was braucht es insbesondere, um gegenüber Lizenzanbietern zu bestehen?
Manfred Junkert: „Die klassischen Schuhmarken haben Vertrauen aufgebaut. Dieses Vertrauen hat sich über viele Jahrzehnte entwickelt und der Kunde kennt die Marke. Oft steht hinter der Marke auch ein Familienname oder ein konkreter in Deutschland oder Europa sichtbarer Unternehmer (Gabor, adidas, LOWA, Finn Comfort, um einige zu nennen). Bei Lizenzmarken ist das häufig anders. Hier steht der Marketing-Aspekt im Vordergrund. Nicht selten beobachten wir bei Lizenzmarken schnelle Wechsel, zum Beispiel was die Verträge oder Inhaber betrifft. Wer tatsächlich hinter der Marke steht, ist für die Kunden unklar. Nicht zuletzt stehen die klassischen Schuhmarken für Qualität, Tradition und Nachhaltigkeit.“

Der Schuhfachhandel wird zunehmend von branchenfremden Vertriebsformaten verdrängt. Insbesondere der Marktanteil des E-Commerce im Handel mit Schuhen ist in Deutschland zuletzt erheblich gestiegen und ein weiteres Wachstum wird prognostiziert. Welche Entwicklungen sehen Sie? Wie kann sich der Schuhfachhandel konzeptionell für die Zukunft rüsten und welches Potenzial bietet der stationäre Modehandel für klassische Schuhmarken?
„Der E-Commerce-Boom durch die Pandemie hat den Digitalplattformen einen weiteren Push beschert. Neu sind die digitalen Marktplätze und Direktvertriebe über internationale Grenzen hinweg. Mittlerweile haben sich die Wachstumsraten allerdings deutlich abgeschwächt und bewegen sich in der Schuhbranche unter 40 Prozent. Für die Zukunft sehen wir für diesen Vertriebskanal daher nicht mehr so viel Potenzial. Einige chinesische Plattformen sind besonders aggressiv in der Werbung und im Preis. Da dies nach unserer Auffassung oft nicht den Regeln eines fairen Wettbewerbs entspricht, regt sich dagegen heftiger Widerstand.
Der stationäre Schuhfachhandel sollte die aktuelle Schwäche nutzen und sich konzeptionell rüsten. Die Kunden von heute sind anspruchsvoll. Sie sind durch Smartphone und Social Media bestens informiert. Vor allem aber sind sie es gewohnt, eine große Auswahl sofort verfügbar zu haben. Dennoch hat der stationäre Fachhandel seine Berechtigung, wenn er sich richtig und kompetent aufstellt. Der Händler muss die persönliche Ansprache, die schnelle Erreichbarkeit und die Möglichkeit des Erlebnisses nutzen. Aber selbstverständlich muss der stationäre Handel auch ‚connected‘ sein, das heißt, er muss mit dem Lager der Marken und Hersteller verbunden sein, um eine optimale Verfügbarkeit der Produkte zu sichern. Bei der Kundenansprache ist ein sehr gutes, kompetentes Know-how unersetzlich. Über das ECC bieten wir die technischen Möglichkeiten und mit den Einkaufsvereinigungen haben wir das Portal ‚Wissenswelt‘ geschaffen, über welches die Verkaufskräfte aus erster Hand Informationen über die Produkte und über modische Themen abrufen können. Bei cads erarbeiten wir Inhalte des digitalen Produktpasses.“

Der HDS|L hat die Marktdaten für das erste Halbjahr 2024 auf der SHOES in Düsseldorf vorgestellt. Auf der MICAM in Mailand ist die deutsche Schuhindustrie diesmal nicht mit einem Gemeinschaftsstand vertreten. Wie betrachten Sie das Thema Messen perspektivisch?
„Dass wir auf der kommenden MICAM nicht mit einem Gemeinschaftsstand vertreten sind, ist dadurch begründet, dass der Bund (genauer gesagt das Bundeswirtschaftsministerium) in diesem Jahr das Budget für das Auslandsmesseprogramm gekürzt hat. Das gilt für alle Messen und alle Branchen. Die MICAM ist aus internationaler Sicht für die deutsche Schuhindustrie die bedeutendste Messe. Im nächsten Jahr werden wir wieder zu beiden Ausgaben (Februar und September) mit einem German Pavilion auf der MICAM in Mailand vertreten sein.
Zwar haben Messen als reine Orderplattform an Bedeutung verloren; wir glauben aber weiterhin an das Format Messe. Die Branche will eine Plattform zum Informationsaustausch. Eine Messe ist der ideale Ort für Gespräche und Begegnungen, auch mit und für die unterschiedlichen Ebenen der Unternehmen. Eine Messe bietet außerdem die perfekte Plattform für die Markendarstellung. Wir sind überzeugt, dass gerade in der digitalisierten Welt die persönliche Begegnung noch wichtiger wird. Jedoch werden sich die Messen auf diese Bedürfnisse einstellen und entsprechende Konzepte bieten müssen.“