Das lange Ende einer Institution

Causa ESPRIT

Andreas Grüter ©Peter Zembol

Autor: Andreas Grüter
Bereits seit Jahren moribund, ist ESPRIT als eigenständig agierendes Fashionlabel Anfang August wohl endgültig von uns gegangen. Was bleibt, sind ein Markenname, ein paar Lizenzgeschäfte und ein Haufen bittersüßer Erinnerungen.

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Es ist vorbei und, bei allem Respekt und allem Mitgefühl für die 1.300 Mitarbeiter in den ESPRIT-Stores und im Ratinger Headquarter, die jetzt ihren Arbeitsplatz verlieren, letztendlich nur folgerichtig. Nach Gründung im Jahr 1968 und einer langen Wachstumsphase, in der es für das Unternehmen international nur noch einen Weg, den nach oben, zu geben schien, zogen bereits in den frühen 2000er-Jahren die ersten dunkleren Wolken am bis dato azurblauen ESPRIT-Erfolgshimmel auf. Ich erinnere mich an Messegespräche mit aufgebrachten Einzelhändlern, die zähneknirschend die in Ratingen zusammengestellten Produktbundles orderten, wohl wissend, dass ein guter Teil der Ware, sei es aufgrund der Styles, der Mengen, der Farben oder der Größen, in ihren Shops nicht regulär würde abverkauft werden können. Der Tenor lautete: „Wir wollen nicht, aber wir müssen, denn unsere Kunden wollen die Kollektionspieces auf unseren Kleiderstangen sehen.“ Doch schon damals war interessierten Beobachtern klar, dass sich die von ESPRIT wenig partnerschaftlich forcierte „Buy or die“-Haltung in Zeiten sinkender Nachfrage irgendwann rächen würde.

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Gute Zeiten, schlechte Zeiten

Selbstüberschätzung, falsche Managemententscheidungen, ungünstige gesamtwirtschaftliche Entwicklungen, ein sich wandelnder Zeitgeist, neue Mitbewerber – zweifelsohne haben letztendlich viele Faktoren zum schrittweisen Niedergang der einstmals stolzen Trendmarke geführt, mit der viele Händler über Jahrzehnte gutes Geld verdienten. Nachdem sich ESPRIT 2013 aufgrund von Umsatz- und Gewinnrückgängen zunächst aus dem nordamerikanischen Markt zurückgezogen hatte, folgten 2018 Neuseeland und Australien. Da machte das Unternehmen längst mehr als wirtschaftlicher Problemfall von sich reden denn mit seinen modischen Skills und Kollektionen. Die Dauerkrise gipfelte im Corona-Jahr 2020 in einem Schutzschirminsolvenzverfahren mit noch mehr Sparmaßnahmen, Umstrukturierungen und Filialschließungen, dem Einstieg der chinesischen Großinvestorin Karen Lo und der jetzigen zweiten Insolvenz der Esprit Europe GmbH.

Flogging a dead horse

Epilog: Unterdessen hat sich der britische Finanzinvestor ALTERI die Markenrechte für das europäische Geschäft gesichert und gab bekannt, dass ESPRIT als Marke in absehbarer Zeit weitergeführt werden soll. Wann und in welcher Form der Relaunch stattfindet, wurde bislang jedoch nicht bekannt. Ob eine über Jahre mehr oder weniger gänzlich entkernte Marke auch nur ansatzweise noch einmal an ihre Heydays anknüpfen und neue Generationen von Konsumenten begeistern kann? Ich wage es zu bezweifeln und plädiere, auch wenn es wehtun mag, für ein Ende mit Schrecken statt für einen Schrecken ohne Ende.