Autor: Markus OessEines vorab: Es gibt durchaus Grund zum Optimismus in der Sportartikelbranche, sagt Alexander Thiel. Er ist Partner im Zürcher Büro von McKinsey & Company und verantwortlich für den „Sporting Goods 2024 – Zeit zu handeln“, den inzwischen vierten jährlichen Branchenbericht des Weltverbandes der Sportartikelindustrie (WFSGI) und McKinsey & Company. Thiel sagt auch, dass Fashion und Sport immer näher zusammenrücken. Warum und was das für die Branche bedeutet, erklärt der Berater im FT-Interview.
FASHION TODAY: Herr Thiel, warum sollte die Sportartikelbranche positiv in die Zukunft blicken?
Alexander Thiel: „Die globale Sportartikelbranche wächst aus mehreren Gründen: In den letzten Jahren ist ein verstärktes Bewusstsein für Gesundheit und Fitness in der Bevölkerung zu beobachten. Dies führt zu einer erhöhten Nachfrage nach Sportbekleidung, Ausrüstung und Zubehör, da die Menschen aktiver werden und sich gesünder ernähren möchten. Die Entwicklung neuer Technologien und Materialien hat zu verbesserten Sportprodukten geführt. Beispielsweise bieten leichte Materialien und smarte Technologien wie Fitness-Tracker zusätzliche Anreize für Verbraucher, in Sportartikel zu investieren. Darüber hinaus werden Sportbekleidung und -schuhe zunehmend als modische Alltagskleidung getragen, was als ,Athleisure‘-Trend bekannt ist. Dies hat die Grenzen zwischen Sport- und Freizeitkleidung verwischt und die Nachfrage nach diesen Produkten weiter erhöht. Die Expansion internationaler Marken in neue Märkte, insbesondere in Schwellenländern, hat das Wachstum der Sportartikelbranche ebenfalls weiter vorangetrieben. Verbesserte Vertriebskanäle und Online-Handel ermöglichen es den Verbrauchern weltweit, auf eine breite Palette von Sportartikeln zuzugreifen. Es gibt immer mehr Sportgroßveranstaltungen und Ligen generieren hohe Sichtbarkeit sowie Nachfrage nach Markenprodukten.“
Wenn wir speziell auf den Markt in der DACH-Region blicken, zeigt sich aber gleichwohl, dass der Sporthandel leidet. Was sind die Hauptgründe dafür und wie können Händler gegensteuern?
„Trotz des allgemeinen Wachstums innerhalb der Sportartikelindustrie sehen sich einzelne Händler von Bekleidung und Sportartikeln mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert, die Wachstum hemmen und ihre Rentabilität negativ beeinflussen. So hat der Aufschwung des Online-Handels zu einer verstärkten Wettbewerbslandschaft geführt. Traditionelle Geschäfte, die es versäumen, eine effektive digitale Präsenz oder eine ausgereifte E-Commerce-Strategie zu entwickeln, verlieren Marktanteile an agile Online-Händler und Marken mit D2C-Vertrieb. Stationäre Einzelhändler tragen oft hohe Fixausgaben für Mieten und operative Kosten. Diese fixen Ausgaben können, insbesondere bei einem Rückgang der Umsätze im stationären Handel, die Gewinnmargen signifikant schmälern.
Im deutschsprachigen Raum herrscht zudem in vielen Gebieten eine Übersättigung des Marktes für Bekleidung und Sportartikel, was zu einem intensiven Preiswettbewerb führt. Diese Situation kann die Gewinnspannen der Einzelhändler erheblich reduzieren und ihre Fähigkeit zur Profitgenerierung einschränken.
Dies sind nur einige der vielschichtigen Faktoren, die dazu beitragen, dass einzelne Bekleidungs- und Sportartikelhändler Schwierigkeiten bei der Expansion und Gewinnerzielung haben.“
Welche Sportarten sind im Trend?
„Der Boom von Outdoor-Sportarten hält an und eine signifikante Präsenz in Running, Wandern und Fahrradfahren ist essenziell. Dazu kommt eine spannende Vielfalt von kreativen und individuellen Trendsportarten. Im deutschsprachigen Raum erfreuen sich insbesondere Disc Golf, Slackline, Kiten und Snowkiten sowie Triathlon stark wachsender Nischen-Beliebtheit. Diese Aktivitäten bieten eine Mischung aus Spaß, körperlicher Herausforderung und der Möglichkeit, in Gemeinschaft aktiv zu sein.
Zusätzlich setzen sich auch globale Trends wie Piloxing, Teqball und Mindful Running durch. Piloxing kombiniert Boxen, Pilates und Tanz für ein dynamisches Ganzkörpertraining. Teqball, eine Mischung aus Fußball und Tischtennis, fordert Koordination und Technik, während Mindful Running den Fokus auf Achtsamkeit und Körperwahrnehmung während des Laufens legt. Lagree, eine Form des Krafttrainings auf speziellen Geräten, sowie Indoor Cycling, das eine effektive Kardio-Option bietet, sind ebenso auf der Liste der Trendsportarten für 2024 zu finden. Deep Work, ein Konzept, das intensive mentale Fokussierung in physische Routinen integriert, gewinnt ebenfalls an Bedeutung.“
„Der Sportmarkt teilt sich zunehmend auf zwischen Intensiv- und Gelegenheitssportlern, die jeweils unterschiedliche Bedürfnisse und Präferenzen haben.“
Gleichzeitig treiben vermehrt ältere Konsumenten Sport. Was heißt das für die Sortimentspolitik der Händler?
„Für Personen über 50 Jahre sind besonders solche Sportarten relevant, die eine moderate Belastung bieten und zugleich das Herz-Kreislauf-System stärken, die Muskulatur erhalten und die Beweglichkeit verbessern. Zu den besonderen Aktivitäten, die signifikante Zuwächse in dieser wachsenden Altersgruppe erfahren, zählen unter anderem Walking/Nordic Walking, Schwimmen und Aqua-Gymnastik, Yoga, Krafttraining und Radfahren.“
Die Grenzen zwischen Mode und Sport verwischen und längst wundert sich keiner mehr über Sneaker, Jogpants oder Hoodie als Fashion-Item. Andererseits wird die Mode immer mehr mit Funktion ausgerüstet. Wie wird das weitergehen?
„Die Grenzen zwischen Sportbekleidung und Alltagskleidung verschwimmen zunehmend. Diese Entwicklung wird durch den wachsenden Trend zu Gesundheit, Fitness und einem aktiven Lebensstil sowie durch die steigende Nachfrage nach Bequemlichkeit und Vielseitigkeit in der Kleidung angetrieben. Die Kollektionen vieler Bekleidungsmarken reflektieren diese Entwicklung, indem sie funktionale Fitness-Kleidung anbieten, die sowohl im Fitnessstudio als auch im Alltag getragen werden kann. Produkte, die mit neuen Technologien ausgestattet sind, sorgen für Komfort durch feuchtigkeitsabsorbierende Eigenschaften, während gleichzeitig ein breites Spektrum an Designs und Passformen angeboten wird, die den unterschiedlichen Anforderungen und Stilen der Verbraucher entsprechen.
Zusätzlich treibt das wachsende Bewusstsein für Nachhaltigkeit und ethische Produktion die Entwicklung von Sport- und Freizeitkleidung weiter voran. Marken setzen auf nachhaltige Herstellungsverfahren, achten auf faire Arbeitsbedingungen und die Verwendung von Materialien, die umwelt- und gesundheitsfreundlich sind. Diese Entwicklungen zeigen, dass die Verbraucher zunehmend Wert auf Produkte legen, die nicht nur funktional und modisch, sondern auch ethisch und ökologisch verantwortungsbewusst sind.
Angesichts dieser Trends ist davon auszugehen, dass die Verschmelzung von Sport- und Alltagskleidung weiterhin an Bedeutung gewinnen wird. Die Kleidung der Zukunft wird voraussichtlich noch vielseitiger und anpassungsfähiger sein, um den Bedürfnissen eines aktiven, gesundheits- und umweltbewussten Lebensstils gerecht zu werden.“
Was heißt das nun für die Branche allgemein, teilt sich der Markt zwischen „Intensiv- und Gelegenheitssportlern“ auf? Und wie kommt da die Mode oder besser gesagt Lifestyle ins Spiel?
„Der Sportmarkt teilt sich zunehmend auf zwischen Intensiv- und Gelegenheitssportlern, die jeweils unterschiedliche Bedürfnisse und Präferenzen haben. Fortschritte im Sportmarketing und in der Marketing-Technologie, auch durch die Einführung künstlicher Intelligenz, schaffen jedoch immer personalisiertere Erlebnisse, die die Kluft zwischen diesen Gruppen überbrücken könnten. Der Schwerpunkt liegt auf Hyperpersonalisierung und der Verbesserung von Kundenerlebnissen sowie der Erkundung neuer Plattformen wie Social Commerce, die sowohl intensive als auch Gelegenheitssportbegeisterte ansprechen können.“
Der Interview-Partner
Alexander Thiel ist Partner im Zürcher Büro von McKinsey & Company. Thiel hat mehrere Führungsrollen inne: Er verantwortet in der Schweiz die Bereiche Consumer- und Retail-Praxis, Fashion, Bekleidung und Luxus. Der Berater leitet überdies den Bereich Sportartikel in Europa.
Thiel hat hauptsächlich Kunden im Bereich Consumer, Einzelhandel, Luxus und Sport in Europa, den USA und Asien betreut. Bevor er Teil des Zürcher Büros wurde, war er in San Francisco, Singapur, Jakarta und Kuala Lumpur tätig. Er ist der Hauptautor und Herausgeber mehrerer McKinsey-Publikationen, darunter der jährlichen Berichte über Sportartikel und der State of Fashion: Watches & Jewellery. Vor seiner Tätigkeit bei McKinsey erwarb Thiel einen MBA von der Stanford University und schloss sein BA-Studium an der Universität St. Gallen ab. Bevor er zu McKinsey kam, arbeitete Alexander Thiel als M&A-Analyst im Investmentbanking in New York.