Autor: Andreas GrüterIn der neuen Rubrik ‚Was uns lieb und teuer ist‘ erzählen unsere Redakteure die Geschichten hinter Fashionpieces, die einen besonderen Platz in ihren Kleiderschränken gefunden haben. Los geht’s mit den Vans von Andreas Grüter.
Wir schreiben die frühen achtziger Jahre. In den Charts regiert die Neue Deutsche Welle und auf den Straßen das dumpfe Discomackertum mit Nackenspoiler, Minipli und Cowboystiefeln. Punkrock, so heißt es, ist tot. Doch im Untergrund formiert sich der Widerstand. Während Punk in seinem second coming als Hardcore musikalisch noch schneller, zynischer und aggressiver wird, gibt sich der harte Kern der Szene einen neuen, betont harmlos wirkenden Look, der die wahren Intentionen jugendlichen Delinquententums zu verschleiern sucht. Stachelfrisuren werden gegen Kurzhaarschnitte eingetauscht, Lederjacken gegen Hoodies und Karohemden und Springerstiefel gegen Turnschuhe, die mit ihren griffigen Gummisohlen auf dem Skateboard, dem Punk-Transportmittel der Wahl, wesentlich bessere Dienste leisten als dicke Stollenprofile.
Mittendrin im Trubel: ich, gerade 16 Jahre alt und angetrieben von einem unstillbaren Durst nach Abenteuern jenseits des Mainstreams. Während die textile Grundausstattung auch hierzulande zumeist gut in Secondhand-Läden erhältlich ist, gestaltet sich der Kauf von Skate-Hardware und der passenden Footwear aufgrund der nahezu komplett fehlenden Skateshop-Infrastruktur ungleich schwieriger. Das erste Board (für Connaisseure: ein ‚Brad Bowman‘-Pro-Modell der Marke Sims im Superman-Design) schwatze ich einem Freund im Tausch gegen ein paar Platten und eine Handvoll Deutschmarks ab und für die ersten Chucks geht’s von Mülheim/Ruhr einmal quer durchs Ruhrgebiet nach Dortmund, wo in einem kleinen Sportladen immer mal wieder ein paar Kartons der in der Szene beliebten und unter Discokids verachteten Canvas-Sneaker aufschlagen. Der 60-minütige Trip mit Straßen- und S-Bahnen gleicht dabei einer Reise ins Innere eines Überraschungseis. Denn erstens ist es völlig ungewiss, ob überhaupt Schuhe vorrätig sind, und zweitens steht in den Sternen, ob die richtige Größe mit dabei ist.
Während die textile Grundausstattung auch hierzulande zumeist gut in Secondhand-Läden erhältlich ist, gestaltet sich der Kauf von Skate-Hardware und der passenden Footwear aufgrund der nahezu komplett fehlenden Skateshop-Infrastruktur ungleich schwieriger.
Chucks sind jedoch lediglich ein Notbehelf. Der wahre Holy Grail der Skate-Footwear sind Vans. Beworben in nur mit erheblichem Aufwand aufzutreibenden US-Skatemags wie ‚Thrasher‘, gibt es in Europa kaum ein Herankommen an die Schuhe mit der Waffle Sole. Was also bleibt, als das hart ersparte Taschengeld zusammenzukratzen, es gut versteckt in einen Briefumschlag zu stopfen und alsdann auf die Reise zu einem Skateshop irgendwo in Kalifornien, New York oder Chicago zu schicken. Immer in der Hoffnung, dass weder der Briefträger lange Finger macht, noch der Shopbetreiber zu Rip-offs neigt.
Meine Adresse ist der legendäre Skateshop ‚Skates on Haight‘ in San Francisco. Um jedoch halbwegs auf Nummer sicher zu gehen, bestelle ich meine Sk8-Hi über eine Freundin in Texas, der ich neben meiner Größe auch eine ungefähre Idee des von mir favorisierten Upper-Designs zukommen lasse. Gewünscht ist „so eine Art Hawaiimuster mit Palmen und so …“. Und tatsächlich überreicht mir der Postbote einige Wochen später das heiß ersehnte Paket. Weiße Basis mit dezenten orangen und grünen Neon-Elementen und Palmenprints – ready, um im Einsatz auf dem Skateboard und auf Konzerten die höchst nötige Patina zu bekommen.
Ein paar Jahre und einige mit Shoe Goo geflickte Löcher in den Sohlen später überzeugten mich Farben und Design dann nicht mehr, weshalb ich zu einer schwarzen Sprühdose griff und für einen neuen Look sorgte. Im Laufe der Zeit fusionierten durch das verblassende Schwarz altes und neues Design schließlich zu einem zugegebenermaßen ziemlich abgerockten Ganzen. Das fabulöse Desaster sehen Sie auf dem Foto. Warum ich diese Wracks von Schuhen immer noch im Schrank habe, fragen Sie? Das fragt mich meine Freundin auch regelmäßig. Ich sage dann nichts, sondern grinse einfach wissend in mich hinein.