Autor: Markus Oess„Ich sehe mich als Modehandwerker, Visual Merchandiser, Coach und Visionär“, sagt Tom Bußmann über sich. Bußmann ist gelernter Textilkaufmann und seit 1990 in der Modebranche. 2018 dann hat er sich mit „textilmerchandiser“ selbstständig gemacht. In der FT-Serie „Auf der Fläche“ stellt er seine Wareninszenierungen vor, die er seither realisiert hat.
Das Thema ist nicht eben neu und im Markt umfasst die Altersverteilung des Jeansträgers ein Menschenalter. Die Designer des Kultstoffes schaffen es aber immer wieder, ihn neu zu erfinden. Denim ist keine Rebellion, Denim ist Fashion, aber irgendwie dann doch auch wieder etwas Protest. Was tun mit dem blauen Stoff auf der Fläche? Das sagt Tom:
FT: Tom, bist du mehr der Cowboy, James Dean oder 1990er-Jahre-Jeansträger?
Tom Bußmann: „Gerne und ganz bestimmt von jedem und allem ein bisschen. Begrifflichkeiten, Identifikationen, Authentizität, Kategorien, Formen, Qualitäten und Schnitte sowie Statements kommen über Denim extrem breit aufgestellt, kaum einzufangen und unfassbar vielfältig sowie nachhaltig, inzwischen auch fair daher. Ausschließlich geboren und geprägt durch Lebensgefühl, Stimmung der Weltveränderung, aber sicher nicht durch vorgegebene Trends. Du kannst diese vielfältige Denimflut nicht fassen und sofort begreifen, deshalb lass uns gerne in diese eintauchen, um die neue Denimwave einzufangen, zu begreifen.
Die Baggy Jeans wird von Männern geliebt, wiederbelebt und gelebt. Sie sitzt irgendwo am Hüftknochen, ist zeltweit und schleift am Boden. Weiße Jeans sind nur in gerader Form ein angesagter Fit, mit einem weißen T-Shirt kombiniert. Dann aber sind sie ein absoluter Hit in diesem Herbst. Blue Jeans bestechen nur durch einen höheren Sitz und müssen wieder bis zu den Schuhen reichen. Workwear-Jeans in derben Qualitäten mit auffälligen Nähten, großen Taschen und Schlaufen triumphieren über Lässigkeit. Gleichermaßen gefagt und zurück ist die Destroyed Jeans, die ihre Löcher und Risse jetzt minimalistischer ausschließlich am Knie platziert. Paperbag-Jeans mit Raffungen an den Knöcheln sind ebenso spannend wie Split-Jeans mit Schlitzen an den Hosenbeinen und bei den Mädels ein Hingucker. Bequeme Mom Jeans, ausgestellte Hosenbeine generell und Schlag-Jeans beflügeln die urbane Leichtigkeit. Die sogenannte Low-Rise-Jeans im Wide-Leg-Schnitt hat ebenfalls im Herbst ein Wörtchen mitzureden. Ohne beim Stil einzubüßen, geben die locker sitzenden Modelle über Gemütlichkeit und Tragekomfort klar den Ton an. Bewegungsfreiraum wird spürbar. Die Bootcut, die Denim der 2000er, ist zurück. Sie mutet cropped und extralang an. Wir stellen fest, es handelt sich hierbei nicht mehr um eine Aneinanderreihung von Jeans-Trends, wie wir diese aus der Vergangenheit gewohnt waren, sondern es ist eine Errungenschaft, das urbane Lebens- und Modegefühl dieser Generation hat diese Vielfältigkeit eingefordert und erreicht. Der Markt hat reagiert und ist diesem Lebensgefühl über die Modeaussagen gefolgt, nicht andersrum. Das ist absolut erwähnenswert und neu. Der maßgebliche Indikator für diese revolutionäre Veränderung ist die Emotion der Menschen in diesen Zeiten. Was gibt es Schöneres?“
Mode für ein Menschenalter
Die Formen verändern sich bei Denim wirklich deutlich. Vermisst du Slim Fit?
„Nein, wieso? Durch die besagte Vielfältigkeit und Möglichkeiten, sich über Formen, Schnitte und Qualitäten bei Denim selber zu beschenken und wiederzufinden, vermisse ich gar nichts. Im Übrigen finde ich auch noch neue spannende Slim-Fit-Jeans im Handel. Sie rücken nicht mehr in den Fokus, finden aber noch statt. Die Stimmung entscheidet auch bei mir.“
Was zeichnet eine gute Denim-Fläche aus, mehr Festival, mehr Abenteuer oder mehr jugendlich?
„Festival trifft es genau. Es ist ja über die Verschiedenartigkeit der Denims bereits ein absolutes Jeans-Festival im Statement. Die Begrifflichkeit jugendlich verliert beziehungsweise scheidet ganz aus, weil das Lebensalter in Bezug auf die Emotion ‚Fashion und Denim‘ glücklicherweise keine Rolle mehr spielt. Abenteuer nehme ich in Bezug auf Denim, weil wir uns ja bekanntlich auch auf Anreize des Neuen und Unbekannten regelmäßig einlassen. Als Visionär und Textilmerchandiser denke und sehe ich zukünftig zum Beispiel reine und gebündelte Denim-Flächen in der Warenpräsentation. Gerne erstreckt sich diese Denim-Festival-Darstellung über eine gesamte Abteilung, Ebene oder sogar eine ganze Etage der jeweiligen Moderäume. Selbstverständlich innerhalb der jeweiligen Marken fokussiert serviert, um natürlich auch meinem Anspruch, dem Pioniergeist, treu zu bleiben.“
Baumwolle und Nachhaltigkeit sind ein schönes Paar, aber hält die Liebe wirklich und würdest du bei der Wareninszenierung darauf eingehen?
„Diese Liebe steht noch am Anfang, wird sich festigen und unwiderruflich auf ewig blühen und halten. Die Ressourcen-Verknappung, der gesamte Klimawandel und somit das Thema Nachhaltigkeit bezeichnen keinen Trend, sondern beschreiben langfristig und dauerhaft die größte Herausforderung und Aufgabe. Jede Möglichkeit der Nachhaltigkeit ist entscheidend. Und ja, ich gehe bewusst, stark und täglich bei meinen Wareninszenierungen auf die zwingend erforderlichen und wertvollen Themen Nachhaltigkeit und Fairtrade ein. Sanft interpretiert sich diesbezüglich derzeit die Mode, deren Ansatz beziehungsweise Schwerpunkt auf langsam wachsenden Produkten mit geringem Umwelt-Fußabdruck liegt. Die Herkunft und Kulturen bewahren, ist angezeigt. Traditionen berücksichtigen und sich um unseren Planeten sorgen sowie kümmern. Zum Beispiel das Thema Pastelltöne bei Jeans unter Verwendung natürlicher Farbstoffe, mit besonderem Augenmerk auf Rohstoffe und Prozesse sowie der Einsatz von unbehandeltem Denim. Re- und Upcycling bleiben maßgebliche Merkmale. Das Kleidungsstück Jeans mit starker Bedeutung also. Optimismus und die Verbindung von Mensch und Erde rücken in den Vordergrund. Natürliche Waschungen und mineralische Töne bei den aktuellen Jeans-Favourites unterstreichen diese Zuwendung.“
Optimismus
Wie sieht es für den in die Jahre gekommenen Jeanser aus? Mick Jagger zum Beispiel oder Bruce Springsteen sind nun auch nicht mehr ganz knackig frisch. Also mehr Rock ’n’ Roll oder doch Comfort, Qualität und Funktion?
„Die Alt-Rocker Jagger und Springsteen sind und bleiben absolute Legenden. Intensives Leben, extremes Leben und Erleben sowie Comfort haben doch eine gute Qualität und Funktion, oder?! Na klar, die Jeans von heute muss komfortabel sitzen, absolut keinem Zweck dienen und dennoch botschaften, dabei prima ausschauen, feier- und partytauglich sein. Stimmt alles. Aber sie kann und sie bedeutet in unserer Zeit noch viel mehr. Die Jeans steht in ihrer facettenreichen Präsenz und Beliebtheit aktuell auch für Reality-Kleidung, Nachahmung, ein Gefühl, wenn ihr wollt, auch Trend zum aktuellen Zeitgeschehen. Weite ballonartige Formen spiegeln das Gefühl des Trotzes. Low Rise und Workwear Jeans erinnern an die späten 1990er und drücken der Neuen Zeit ihren Stempel auf. Das neue und urbane Lebensgefühl drückt sich zunehmend in Nachahmung, Verantwortung und Optimismus aus.“
Steckbrief „textilmerchandiser“
Name: Thomas Bußmann, Rufname: Tom
Alter: 51 Jahre (26.05.1971)
Karriere:
– gelernter Textilkaufmann (Kaufmann im EH), seit 1990 in der Modebranche
– Area Manager bei MANGO, Retail Area Manager bei JACK&JONES und Bereichsleiter bei Donna
– selbstständiger Visual Merchandiser seit 2018
Dienstleistungen:
– externes Visual Merchandising
– VM Support & VM Coaching für Modehäuser, Mitarbeiter im Textileinzelhandel und für die Markenindustrie
Arbeitsorte: deutschlandweit, Österreich, Niederlande und Schweiz