Autorin: Katja VadersEins ist sicher: Das Metaverse ist derzeit nicht vorstellbar ohne Virtual Reality. Begehbar wird die digital erschaffene Welt nämlich mit einer sogenannten VR-Brille, die für den User den Zugang in das virtuelle Paralleluniversum ermöglicht. FT sprach mit Christoph Bucher, COO bei der Düsseldorfer AR/VR-Agentur A4VR GmbH, über den tatsächlichen Entwicklungsstand des Metaverse und darüber, wie sich das Thema seiner Meinung nach in den nächsten Jahren entwickeln wird.
FASHION TODAY: Christoph, mit eurer Virtual-Reality-Agentur A4VR entwickelt ihr für eure Kunden aus Industrie, Film und Marketing verschiedenste AR-, VR- und MR-Anwendungen. Was genau kann man darunter verstehen?
Christoph Bucher: „A4VR ist eine 2015 gegründete und auf VR und AR (Die Abkürzung steht für ,Augmented Reality‘, übersetzt ,erweiterte Realität‘. Der Begriff bezeichnet die Kombination von computergenerierten Inhalten mit der wahrgenommenen Realität. Anmerkung der Autorin) spezialisierte Agentur mit Sitz in Düsseldorf. Wir beschäftigen uns also schon seit geraumer Zeit mit dem Thema Virtual Reality. VR ist ein wunderbares Medium, was nicht zuletzt dazu geführt hat, dass unser Unternehmen im stetigen Wachstum ist, wir haben mittlerweile 23 Mitarbeiter. Unser Kerngeschäft ist Marketing im B2B- wie auch B2C-Bereich. Wir erstellen Marketing Experiences in VR und programmieren multiinvasive Markenerlebnisse. Das heißt, wir bedienen nicht nur zwei Sinne, sondern kreieren eine Virtual Reality, die Haptik, Geruch, aber auch Temperaturwechsel oder Bewegung miteinbezieht, damit man richtig in einer Story versinken kann.“
Wie ist der Stand der Dinge in eurer Branche, wenn es um das Thema Metaverse geht?
„Das Metaverse ist für mich so ein bisschen wie Schrödingers Katze: Es ist da, aber irgendwie auch nicht (lacht). Der Begriff wird derzeit häufig genutzt, aber ist noch nicht wirklich mit Leben gefüllt. Wir sind natürlich bereit, das Ganze umzusetzen, wenn es gewünscht wird, und es ist auch ein cooler Ansatzpunkt. Als Agentur arbeiten wir aber bisher noch nicht für das ,Metaverse‘, von dem es übrigens mehrere Definitionen gibt. Und das ist vielleicht auch der Haken: dass es eher ein Buzzword ist. Und das wird auch auf unbestimmte Zeit so bleiben.“
Trotzdem wird schon viel mit der Idee des Metaverse experimentiert …
„Auf jeden Fall. Im Moment besteht das Metaverse aus vielen Projekten und Ansätzen. Es existieren dementsprechend auch schon Grundlagen, die man für ein großes Metaverse braucht. Dazu gehören NFTs (Non-Fungible Tokens; digitale Unikate, die nicht durch ein Äquivalent abgebildet oder ersetzt werden können. Sie fungieren daher als eine Art digitales Eigentums- oder Echtheitszertifikat. Anmerkung der Autorin) und Bitcoins, die man benötigt, um eine Ökonomie aufzubauen. Aber es gibt noch kein Framework, das dezentral und interoperabel irgendetwas darreicht, das der Idee des Metaverse näherkommt. Stattdessen gibt es Silos, die hauptsächlich im Gamingbereich zu finden sind wie Horizon Worlds (eine Virtual-Reality-Software und ein Online-Spiel von Meta Platforms, dem Unternehmen von Mark Zuckerberg, zum Aufbau einer virtuellen Welt; Anmerkung der Autorin), aber auch Computerspiele wie Roblox, Minecraft oder Fortnite. Wenn man die Definition zugrunde legt, funktionieren diese Spiele schon wie einzelne kleine Metaverses: Sie haben eine Währung und man kann sich mit einer digitalen Version von sich, einem Avatar, in diesen Spielen bewegen, einkaufen und diese Plattformen sogar mitgestalten. Das alles ist natürlich nicht annähernd so groß wie das, was viele derzeit unter Metaverse verstehen. Es ist eher so, dass jeder relativ isoliert seine eigenen Experimente macht, was dazu führt, dass es nicht ein großes, zusammenhängendes Metaverse gibt.“
„Das Metaverse ist für mich so ein bisschen wie Schrödingers Katze: Es ist da, aber irgendwie auch nicht.“
Ich bin mir ziemlich sicher, dass die meisten Menschen noch gar keine Vorstellung davon haben, was der Begriff Metaverse überhaupt beinhaltet. Wie weit ist die Entwicklung des Ganzen schon vorangeschritten?
„Wir haben ein paar Layer, die schon in die richtige Richtung gehen, gewissermaßen die Grundtechnologie für ein Metaverse: Bitcoins, die eine Ökonomie gewährleisten, Blockchain (eine kontinuierlich erweiterbare Liste von Datensätzen in einzelnen Blöcken; Anmerkung der Autorin), um Informationen verwalten zu können, ein Copyright, um Dinge im Metaverse zu kaufen, sowie NFTs, um diese Ökonomie auch tatsächlich umzusetzen. Aber selbst wenn du, ganz verkürzt, diese drei Dinge zusammennimmst und dazu noch ein Framework außen herumbaust, das dezentral ist und keinem gehört und auf das jeder aufsetzen kann, ist das Ganze trotzdem nicht interoperabel.“
Das hört sich für mich etwas kryptisch an. Kannst du das bitte noch ein bisschen näher erklären?
„Ich habe eben von Silos gesprochen. Damit sind Computerspiele wie Roblox oder Minecraft gemeint. Jedes Spiel für sich ist ein eigenes, kleines Metaverse, sie haben aber nichts miteinander zu tun. Ein Beispiel: GUCCI hat in Florenz den physischen Laden GUCCI GARDEN eröffnet und dann Roblox beauftragt, diese GUCCI-Welt in ein Computerspiel zu übersetzen. In diesem in Roblox integrierten GUCCI Store konnte man sich dann digitale ACIDs (Der Begriff ACID ─ Atomicity, Consistency, Isolation, Durability ─ beschreibt Regeln und Eigenschaften zur Durchführung von Transaktionen in Datenbankmanagementsystemen. Anmerkung der Autorin) kaufen, wie zum Beispiel einen digitalen GUCCI-Hut. Der ist virtuell und gehört deinem Roblox-Charakter. Dementsprechend kannst du dich innerhalb von Roblox als Avatar mit diesem Hut bewegen. Interoperabel wäre es jetzt, wenn dieser Avatar mit dem GUCCI-Hut auch zu Fortnite gehen könnte. Das funktioniert aber derzeit noch nicht. Das Gleiche gilt bei den sozialen Medien. Man kann keine TikTok-Likes oder -Follower mit zu Instagram nehmen. Diese Interoperabilität ist für das Metaverse also immens wichtig.“
Trotzdem hat sich Mark Zuckerberg beziehungsweise sein Unternehmen Meta auf die Fahne geschrieben, dass er ein einziges, riesiges Metaverse kreieren kann und wird. Er hat bereits Facebook, Instagram und WhatsApp miteinander verschmolzen. Kann er also grundsätzlich diese Interoperabilität herstellen und ein großes, geeintes Metaverse erschaffen?
„Da ist schon viel dran, ja. Zuckerberg hat eine Vision und weiß natürlich, dass es Facebook in zehn Jahren nicht mehr so geben wird, wie es derzeit existiert, also als Website. Die soziale Interaktion wird dann seiner Meinung nach über VR und AR passieren. Und wenn wir ihm nur Gutes unterstellen, geht es ihm vor allem darum, dass wir dann etwa mit Freunden in Südafrika virtuell abhängen können und nicht mehr den Unterschied bemerken, ob derjenige, mit dem wir gerade Schach spielen, uns wirklich gegenübersitzt oder sich auf einem anderen Kontinent befindet. Abgesehen davon sieht Mark Zuckerberg im Metaverse natürlich auch beziehungsweise vor allem seine ökonomischen Chancen.
Grundsätzlich könnte man natürlich auch sagen, dass wir jetzt schon ein Metaverse haben – es ist halt nur noch nicht 3-D und es heißt Internet. Hier haben wir auch Silos, die sich allerdings Websites nennen und die wir dezentral ansteuern können.“
Vergangene Zeiten
Und wann wird es endlich ein funktionierendes Metaverse geben? Oder ist diese Idee nur eine große Blase, die irgendwann wieder platzen wird?
„Die Bestrebungen in Richtung Metaverse lassen sich sicherlich nicht mehr aufhalten. Die Entwicklung des Internets geht ganz klar in diese Richtung. Das muss aber nicht unbedingt in VR oder AR stattfinden. Ich glaube, dass das Metaverse auf allen Medien eine Darreichungsform finden wird und wir uns nicht exklusiv auf dem Medium VR mit dem Metaverse verbinden werden.“
… sondern? Was wäre die Alternative dazu?
„Noch mal: Es wird definitiv ein Metaverse geben, aber im Interesse der Weiterentwicklung des Netzes stellen sich Leute wie Mark Zuckerberg natürlich auch die Frage, womit man in Zukunft Geld verdienen wird. Was muss er tun, damit sich die User weiterhin für seine Inhalte interessieren? Außerdem ist es wichtig, sich über viele rechtliche Dinge Gedanken zu machen. Bleiben wir bei dem Beispiel eines GUCCI-Huts, den wir im Metaverse gekauft haben … Es wird jemanden geben, der eine Art Zoll abrechnet, wenn man den Hut von Roblox zu Fortnite mitnehmen möchte. Und darf ich meine digitalen ACIDs wie diesen Hut wie gebrauchte Güter im realen Leben irgendwann weiterverkaufen? Die Umsetzung des Metaverse ist meiner Meinung nach weniger eine technische Herausforderung als eine juristische. Wer hat Interesse daran, wer möchte Geld wann und wofür haben? All diese Punkte sind derzeit noch völlig ungeklärt. Und momentan weiß auch noch keiner so recht, wie das alles funktionieren soll. Die Idee ist ja, dass das Metaverse allen gehören und auch nicht kontrollierbar sein soll.“
Selbst bei allergrößtem Optimismus fällt es mir schwer, davon auszugehen, dass Mark Zuckerberg nicht an alles und jeden im Metaverse finanzielle Ansprüche stellen wird …
„Davon ist auszugehen. Die Herausforderung besteht daher ja auch für Entwickler wie mich darin, sich einer Verantwortung bewusst zu sein. Wir müssen das Metaverse so entwickeln, dass es dort nicht vor allem um Kapitalismus geht wie inzwischen im Internet, sondern dass Datenschutz und Sicherheit umgesetzt werden.“
Wie wird sich die Nutzung des Metaverse entwickeln? Wird es hauptsächlich Entertainmentzwecken dienen oder wird man dort, wie von dir schon angedeutet, vor allem großes Geld machen? Und wird das digitale Paralleluniversum eine ernste Konkurrenz zur realen Welt werden?
„Es wird mit Sicherheit in Konkurrenz treten zu dem, was wir jetzt Internet nennen, als eine Art mediale Weiterentwicklung. Die Generation Alpha wird einen komplett anderen Umgang mit dem Metaverse finden, als wir uns das jetzt noch vorstellen können. Durch höhere Bandbreiten und Prozessorleistungen sowie künstliche Intelligenz ist es nur eine logische Konsequenz, dass wir da auch VR unbedingt mitdenken müssen.“
Und sieht unsere Zukunft dann so aus, dass wir nur noch in einem Bett oder einem Wassertank liegen und den ganzen Tag in der virtuellen Welt verbringen?
„Nein, das denke ich nicht. Wir Menschen sind viel zu soziale Wesen und in unserer Körperlichkeit verankert, ganz egal, welche Features wie Bodysuits, VR-Handschuhe oder Ähnliches es da noch geben wird. Wir haben einfach das grundlegende Bedürfnis nach realer Körperlichkeit und das wird auch so bleiben.“
Tatsächlich hat eine Studie in den USA herausgestellt, dass sich die Generation Z einsamer fühlt als die Boomer- oder Nachkriegsgeneration. Vielleicht heißt das ja, dass es sogar zu einem regelrechten Comeback der physischen Begegnungen kommen wird. Bergen die rasant fortschreitende technologische Entwicklung und das Metaverse vielleicht sogar Chancen für die reale Welt? Und was sind die Gefahren?
„Die Chancen sind, dass alle Vorzüge, die gerade in dem Zusammenhang angepriesen werden, auch real werden: mit Leuten zu kommunizieren, in den Austausch zu treten, Erfahrungen zu machen; dezentral und unabhängig von dem Ort, an dem ich mich befinde, mit der VR- oder additiv mit einer AR-Brille an einem Tisch zu sitzen mit Menschen, die eigentlich Hunderte Kilometer entfernt sind. Außerdem sehe ich unglaubliche Chancen für den Entertainment-Bereich wie für das Marketing von Unternehmen. Auch die Kombination aus beidem kann sehr spannend sein. Ein Beispiel für die Modebranche: Stell dir ein Shirt mit einem integrierten Chip vor, das in der realen wie in der virtuellen Welt funktioniert. Du kaufst dir beispielsweise ein Basketballshirt, das dir im Metaverse die Fähigkeit verleiht, beim virtuellen Basketball spielen dreimal höher zu springen als ohne das Shirt. Da gibt es bestimmt noch eine Menge ganz ähnliche Spielereien, die gleichzeitig Spaß machen, aber auch Chancen auf den verschiedensten Ebenen bieten, auch in der wissenschaftlichen Forschung.“
„What a time to be alive!“
Und welche möglichen Gefahren siehst du?
„Meine einzige und größte Sorge ist, dass das Metaverse einen Überwachungskapitalismus begünstigt. Dass gerade bei der Nutzung von VR-Brillen Metadaten generiert werden, die sich auf körperliche Daten stützen. Die werden gesammelt über Microtargeting (Der Begriff Microtargeting bezeichnet eine aus den USA stammende Kommunikationsstrategie – vor allem im Bereich der politischen Kommunikation oder des Marketings. Sie zielt darauf, Öffentlichkeitsarbeit so effizient und effektiv wie möglich einzusetzen. Anmerkung der Autorin) und den digitalen Footprint, den wir ja auch schon heute im Internet hinterlassen und der Datenschützern Sorgen macht. Richtig schlimm wird es nämlich dann, wenn wir nicht nur digitale, sondern auch biometrische Daten hinterlassen.“
Was genau meinst du damit?
„Manche VR-Brillen haben schon die Möglichkeit zu speichern, wo man hinschaut, wie man blinzelt oder den Kopf neigt, wie man agiert und was der Körper so macht. Das alles sind Muster und diese Muster zu erkennen, ist die Spezialität von KI. Anschließend werden diese Daten dann für Microtargeting genutzt. Das Ganze ist sehr komplex ─ und verursacht die Probleme, die ich persönlich mit der Vision von einem Metaverse habe. Dass es nicht nur dem Wohle der Menschheit und dem Entertainment dient, sondern dass daraus eine Art Neurotechnologie entsteht, die einen Kapitalismus der kognitiven Überwachung zur Folge hat.“
Es ist jedenfalls schwer vorstellbar, dass Mark Zuckerberg ein Metaverse aus reiner Philanthropie erschaffen möchte.
„Richtig, es geht vor allem ums Geld. Natürlich muss er seine Investitionen in die Entwicklung auch wieder rausholen. Das sind die Grundlagen des Wirtschaftsmodells, dem wir unterliegen.“
Trotzdem ist der Gedanke gruselig, dass Mr. Zuckerberg dann irgendwann das Metaverse als eine Art Präsident beherrschen wird.
„Ja, aber noch haben wir kein kohärentes System, weder technisch noch rechtlich, das ein Metaverse möglich macht. Deshalb wird die Entwicklung im Endeffekt bei den großen Konzernen und Unternehmen liegen. Es ist natürlich eine schöne Vorstellung, dass das Metaverse dezentral und von seinen Usern demokratisch gesteuert wird. Aber das sehe ich leider nicht. Denn anders als das Internet ist es kein Forschungsprojekt von irgendeiner Universität. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb ist die Entwicklung wahnsinnig spannend und interessant. What a time to be alive!“
Wir werden weiter ganz genau beobachten, was passiert. Vielen Dank für das sehr aufschlussreiche Gespräch!
KURZBIO:
Christoph Bucher lebt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in Düsseldorf. Inzwischen schaut er auf über 20 Jahre Erfahrung in der Digital- und Kreativwirtschaft zurück. Schon während seines geisteswissenschaftlichen Studiums lernte er das digitale Beratergeschäft. In der Web-, Software- und Anwendungsentwicklung blieb er der Werbe- und Kreativwirtschaft treu, war an Ausgründungen zu Softwareprodukten beteiligt, betreute über die Jahre in Entscheiderpositionen die Digital-Etats international renommierter Unternehmen und setzte so unzählige digitale Projekte in Europa und den USA um. 2016 gründete er mit der burgeon (digital) eine der ersten VR/AR-Full-Service-Agenturen in Deutschland. Nach gemeinsamen erfolgreichen Projekten mit der A4VR GmbH schloss er sich dem dynamischen Team an und konzentriert sich seitdem auf die Erschaffung hochqualitativer Experiences in AR und VR.