Autorin: Silke LambersSie sind wieder da. Lange habe ich sie nicht gesehen, die Touristen, die mit Stapeln von ZARA-, H&M- und PRIMARK-Tüten, mit einer Mischung aus Erschöpfung und Shopping-High in der Berliner U-Bahn sitzen. Eingeklemmt zwischen prall gefüllten und überdimensionierten Tüten voller vermeintlicher Schnäppchen und umstrittener Fast Fashion. Auch wenn pandemiebedingt Sichtungen dieser Art selten geworden waren, nach der Normalisierung von Eintrittsregeln und Flugplänen sind sie wieder da. Nicht nur wundere ich mich immer wieder, dass Touristen die Reise nach Berlin auf sich nehmen, um dann bei einem internationalen Filialisten einkaufen zu gehen, sondern auch über die anhaltenden Tütenberge bei einem gleichzeitig lauter werdenden Ruf nach Nachhaltigkeit aus der Branche. Was sagen eigentlich die Shopper dazu? Fordern die auch, dass Fast Fashion mit dem Zeitgeist geht, oder ist der Preis immer noch das durchschlagende Argument?
Kürzlich saß ich mit einer Freundin und bekennenden H&M-Kundin zusammen und wir sprachen über nachhaltige Mode. Und um es gerade herauszusagen: Für meine Freundin sind Nachhaltigkeit und Kaufentscheidung zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Aber liegt das nun an ihr als Kundin? Diese Freundin hat viel Freude an Mode und kauft (aus Kostengründen) nicht nur Neuware, sondern häufig auch auf verschiedenen Internetplattformen und auf dem Flohmarkt ein. Meine Frage, ob sie das Recyclingangebot von H&M nutze, verneinte sie aber. Also lieber Tonne als Recyclingtonne? Für die, die es nicht kennen: H&M nimmt gebrauchte Kleidung jeden Zustands gegen einen „digitalen Gutschein“ zurück. Warum die Gänsefüßchen? Weil sich auf der H&M-Website nicht nachvollziehen lässt, wofür dieser Gutschein ist. Ich glaube mich zu erinnern, dass es 10 Prozent auf den nächsten Einkauf gibt, aber das lässt sich zumindest auf der Seite nicht nachvollziehen. Ist es also erstaunlich, dass meine Freundin den Service nicht als Erstes im Sinn hat, wenn wir über den nachhaltigen Umgang mit Bekleidung sprechen? Solange er ein tristes Dasein in der hintersten Ecke der Website führt, wohl eher nicht. Und deshalb wird sie wahrscheinlich auch in Zukunft ihre gebrauchten Kleider eher zur Altkleidertonne bringen oder anderweitig verkaufen. Ich will damit nicht sagen, dass ich das Angebot nicht gut finde, aber der Kunde müsste es auch kennen.
Überhaupt ist es interessant zu verfolgen, welche Themen H&M testet. Zum Beispiel Maßhemden, die man per Internet bestellen kann. Ich habe natürlich sofort einen guten Freund, der im Job regelmäßig Hemden trägt (ja, auch nach der Pandemie noch), zu einem Testrun überredet. Er selber bezeichnet sich als den Jeden-Tag-Typ, also einen Kunden, der viele Hemden braucht und diese zweimal pro Jahr en gros beim Ausstatter seines Vertrauens kauft. (Der zweite Typ in seinen Augen ist übrigens der Anlass-Typ, der Hemden nur zu Hochzeiten et cetera trägt und bei diesen seltenen Anlässen aus Mangel an Übung die Hemden mit Mickymaus-Krawatte kombiniert.) Aber zurück zum Maßhemd. Das Baukastensystem kam sehr gut an, eher schwierig wurde der Teil empfunden, bei dem Sportlichkeit und Bauchform abgefragt werden. Ja, selbst mit einem Algorithmus wollte er so private körperliche Merkmale nicht teilen.
Mich selber hat die virtuelle Anprobe, die H&M im vergangenen Herbst getestet hat, begeistert. Also, begeistert von der Idee. Man geht in den Store, lässt sich in Sekunden scannen und einen Avatar mit den persönlichen Körpermaßen erstellen. Dieser kann dann im Anschluss im Online-Shop die Kollektion „anprobieren“. Eine hervorragende Idee. Das reduziert nicht nur die Retouren, sondern auch die Enttäuschungen herauszufinden, dass die bestellte Hose viel zu eng oder der Ausschnitt viel zu tief ist. Eine Win-win-Situation für Anbieter und Kunden. Getestet wurde in Hamburg und meiner Heimatstadt Berlin. War ich da und habe mich vermessen lassen? Nein. Ich zeige doch nicht meine Problemzonen vor einem Scanner und schaue mich danach on screen als Avatar an. Nicht, solange ich die Erfahrung, dass ich nicht in ein Kleidungsstück passe, auch in der Abgeschiedenheit meiner Wohnung machen kann. Aber abgesehen davon ist das eine ganz tolle Idee.
Am 21. April ist der Welttag der Innovation. Ich werde auf alle anstoßen, die nicht müde werden, neue Lösungen zu finden und optimistisch in ihre und die Zukunft ihrer Kunden schauen, denn schon Seneca wusste: „Es ist schon ein großer Fortschritt, den Willen zum Fortschritt zu haben.“