Autorin: Katja Vaders In Berlin-Prenzlauer Berg scheint die Zeit stillzustehen. Schuhmacher Reno Jünemann führt in seiner kleinen Werkstatt mit angeschlossenem Ladenlokal nämlich eine fast ausgestorbene Handwerkskunst aus: das Pantoffelmachen. Mit FT sprach er über mehr als 110 Jahre bewegte Geschichte seines Familienunternehmens und weshalb Pantoffeln niemals aus der Mode kommen.
FT: Herr Jünemann, Sie führen das PANTOFFELECK bereits in der vierten Generation. Können Sie mir etwas zur Geschichte Ihres Ladens erzählen?
Reno Jünemann: „Mein Uropa hat unser Familienunternehmen im Jahr 1908 in Magdeburg gegründet. Warum er auf die Idee gekommen ist, kann ich Ihnen nicht sagen. Mein Opa ist dann 1927 wegen der Liebe nach Berlin gezogen. Zur Zeit des Zweiten Weltkriegs gab es in Berlin noch um die 50 Pantoffelmacher. Die ersten Jahrzehnte hat meine Familie mehr oder weniger in Heimproduktion Pantoffeln hergestellt in einem Einfamilienhaus, in dem ein Raum die Werkstatt war. Mein Opa hatte zwölf Kinder, die alle fleißig waren und mitarbeiten mussten. Da herrschte ein hartes Regime (lacht). Als mein Opa starb, hat zunächst Oma den Laden weitergeführt, im Jahr 1968 hat ihn dann mein Vater Günther in dritter Generation übernommen. Seit 1980 sind wir in der Torstraße in Prenzlauer Berg und feiern in diesem Jahr das 40. Standortjubiläum.“
Und wann haben Sie entschieden, dass auch Sie Pantoffelmacher werden wollen?
„Ich arbeite seit 1991 im Geschäft. Meine Eltern hatten mir seinerzeit ans Herz gelegt, eine anständige Berufsausbildung zu machen. Ich hätte natürlich auch Maurer oder Hirnchirurg werden können, habe mich aber für die Ausbildung zum Schuhmacher und Orthopädieschuhmacher entschieden. Kurz nach der Wende hat sich mein damaliger Arbeitgeber aufgelöst und Papa mich ganz offiziell eingestellt.
Schon als Kind wollte ich Pantoffelmacher werden. Gleich nach der Schule bin ich immer in den Laden gelaufen und sofort in die Werkstatt. Da war immer die ganze Familie – meine Eltern, meine Onkel und Tanten. Manchmal habe ich neben den ratternden Maschinen meinen Mittagsschlaf gehalten oder Hausaufgaben gemacht. Ich bin also richtig reingewachsen in das Familienunternehmen.“
Das hört sich alles sehr romantisch an. Aber in 112 Jahren Unternehmensgeschichte gab es doch bestimmt auch mal schwierige Zeiten …
„Ja, zum Beispiel nach der Wende. Da waren wir ein paar Jahre mehr oder weniger pleite. Aber mein Enthusiasmus und das Geld meiner Frau haben geholfen, dass das PANTOFFELECK überlebt hat. Ich habe damals bei ihr gewohnt und auf ihre Kosten gelebt. Das war aber längst nicht die einzige schwere Zeit: Der Laden hat die Weltwirtschaftskrise mitgemacht, den Ersten und den Zweiten Weltkrieg und die Teilung Deutschlands, die Wiedervereinigung … Jede Generation hatte ihr Päckchen zu tragen. Aber wir haben alles überstanden.“
Erzählen Sie uns bitte etwas über Ihr Sortiment. Welche Modelle führen Sie?
„Wir führen handgemachte Pantoffeln, auf Wunsch mit Filzsohlen. Das Obermaterial ist aus synthetischen Stoffen. Ganz klassisch ist das Kamelhaarmuster in Orange. Aber das ist nicht wirklich aus Kamelhaar gemacht. Bis auf mich hat der Stoff noch kein Kamel gesehen. (lacht) Wir stellen insgesamt drei Modelle her: Da ist zunächst einmal der klassische Pantoffel, der hinten offen ist. Dann der sogenannte Niedertreter, wie ein Halbschuh geformt, aber die Kappe an der Ferse kann man niedertreten oder hochziehen, wenn man es gerne wärmer hat. Zuletzt haben wir noch den sogenannten Kragenschuh, der über den Knöchel geht. Wenn man den Kragen hochschlägt, sind sie kuscheliger. Alle Modelle gibt es in 15 Farben und verschiedenen Mustern.“
Was ist das Besondere an Ihren Pantoffeln?
„Unser erstes Alleinstellungsmerkmal ist, dass es bei unseren Pantoffeln keinen rechten und keinen linken gibt – sie sind beide gleich. Das hat den Vorteil, dass wir bei der Fertigung alle Vorlagen nur einmal brauchen. Für unsere Kunden ist es gut, dass sie immer gleich den richtigen Pantoffel finden, auch im Dunkeln. Was noch besonders ist: Einer unserer Pantoffel wiegt nur 250 Gramm, das ist extrem leicht. Wenn man abends nach Hause kommt und den ganzen Tag zum Beispiel im Hackenschuh rumgelaufen ist, ist es ein wunderbares Gefühl, in den leichten und bequemen Pantoffel zu schlüpfen. Außerdem sind unsere Filzsohlen sehr selten zu finden. Meist sind Pantoffelsohlen beschichtet. Unsere Kunden schwören auf den Filz, der bohnert den Boden und man ist leiser unterwegs, wenn man nachts noch mal zum Kühlschrank läuft.“
Erzählen Sie mir etwas über Ihre Kundenstruktur. Wer kauft Pantoffeln bei Jünemanns?
„Die meisten denken, dass der typische Pantoffelkunde alt ist, aber das stimmt nicht. Es kommen vermehrt junge Leute zu uns. Die sagen: Eure Pantoffeln sind so hässlich, dass wir die schon wieder chic finden. Grundsätzlich kommen Kunden aus allen Schichten, vom Arbeiter über den Angestellten bis zum Künstler, wir verkaufen Pantoffeln für Kinder, für Arme und Reiche … Früher hat hier sogar Guido Westerwelle eingekauft, der ist aber nicht selbst reingekommen, sondern hat draußen im Wagen gewartet. Auch Max Raabe gehört zu unserer Stammkundschaft. Er kauft den Niedertreter in Grau oder Kamelhaar, ganz klassisch, und freut sich, dass er hier ganz privat und in Ruhe einkaufen kann.“
Ist der Pantoffel eigentlich ein Saisonartikel?
„Eigentlich haben wir Pantoffelmacher Saison im Herbst und im Winter, da kaufen unsere Stammkunden ein. Im Sommer leben wir von den Touristen. Wir hatten in den letzten Jahren viel Presse und stehen als Insidertipp in ein paar Reiseführern, auch in asiatischen, daher kommen viele Touristen aus asiatischen Ländern. Wir waren sogar schon mal im japanischen Fernsehen! Und letzte Woche waren zwei Damen aus Amerika hier. Die haben 20 Paar Pantoffeln als Geschenke für die Familie gekauft.
Es passiert auch immer mal wieder, dass Online-Kunden auf einmal im Laden stehen. Die sagen dann: ,Wir wollten nur mal gucken, ob das auch wirklich so aussieht bei Ihnen. Dürfen wir mal in die Werkstatt gehen?‘ Dürfen sie! Wir sind sehr familiär und von dem Ambiente leben wir. Bei uns darf jeder mal in die Werkstatt gucken!“
Erzählen Sie uns was zum Interieur Ihres Ladens. Im PANTOFFELECK sieht es ein bisschen so aus, als wäre die Zeit stehen geblieben …
„Ich bezeichne unseren Laden gerne als klassisch. Unsere Verkaufsregale sind aus den 1950er-Jahren, die hat meine Oma schon aus dem anderen Laden hierhergeschleppt. Man könnte unsere Einrichtung altmodisch nennen, ich sage dazu aber generationsverbindend. Ähnliches gilt für unsere Werkstatt: Wir haben da eine Stanze im Gebrauch, die ist von 1936, arbeitet aber noch fleißig. Damit ist sie drei Jahre älter als mein 81-jähriger Vater. Man könnte also sagen, dass unser Geschäft einen nostalgischen Charme hat.
Witzigerweise gibt es ja in Berlin seit ein paar Jahren diesen Vintagetrend. Wenn ich am Prenzlauer Berg spazieren gehe, sehe ich in den Schaufenstern auf einmal die alten Koffer, die man vor ein paar Jahren noch weggeschmissen hätte und die jetzt für teuer Geld verkauft werden. Die Leute mögen das! Wir haben so einen alten Kleingeldteller von früher, den uns die Kunden schon abkaufen wollten … Ich sehe das so: Was ich nicht erneuern muss, das bleibt. Und wenn ich dann doch mal etwas austauschen muss wie zum Beispiel Lampen, dann schaue ich, dass die neuen zum Look des Ladens passen.“
Sind Pantoffeln der Mode unterworfen? Ist es zum Beispiel momentan hip, welche zu tragen?
„Was in Mode ist, kann auch wieder aus der Mode kommen. Der Pantoffel an sich erfährt ja immer wieder eine Renaissance. Früher war er mehr in der spießigen Ecke, so etwas für richtige Pantoffelhelden, jetzt gerade ist er in Mode … Die Leute stehen dazu und tragen auch gerne Pantoffeln von Jünemann. Wir merken richtig, dass wir von Mundpropaganda leben. Teilweise identifizieren die Kunden sich richtig mit uns. Sie sagen zum Beispiel: ,Bitte bleiben Sie uns erhalten.‘ Oder: ,Toll, dass es Sie gibt!‘ Das motiviert uns natürlich weiterzumachen. Ganz besonders in der Corona-Zeit, als wir den Laden geschlossen hatten. Der Online-Versand hat uns über eine schwere Zeit gerettet, unsere Kunden haben uns die Treue gehalten und auch Nachrichten geschrieben. Das war schön!“
Wie sieht es mit der Zukunft des PANTOFFELECKS aus? Haben Sie für Nachwuchs gesorgt?
„Ich habe zwei Töchter, eine ist 17, die andere 20 Jahre alt. Die haben aber beide leider keine Ambitionen, Pantoffelmacherinnen zu werden. Um ehrlich zu sein, mache ich mir da aber auch noch keine Gedanken drüber. Ich bin 48 Jahre alt, ein paar Jährchen habe ich ja noch. Und wer weiß … Vielleicht gibt es ja irgendwann mal einen Schwiegersohn, der den Laden übernimmt.“
Es wäre toll, wenn das PANTOFFELECK auch noch in die fünfte Generation ginge, ich drücke die Daumen. Und vielen Dank für das nette Gespräch!