Autor: Markus Oess Es fehlen schlicht zwei Monate, für die einmal Ware beschafft wurde. Knut Brokelmann, Vorstand der KATAG AG, bringt es auf den Punkt. Aber die Folgen von Covid-19 und dem Kampf gegen seine Ausbreitung sind weniger drastisch als befürchtet. Brokelmann sieht im FT-Interview auch Lichtblicke. Wie die KATAG AG die Lage einschätzt und welche Lehren wir aus der aktuellen Pandemie ziehen können.
FT: Herr Brokelmann, die deutsche Industrie meldet für den Mai wieder steigende Auftragseingänge, immerhin 10,4 Prozent, aus dem Euroraum sogar 20,9 Prozent. Was würden Sie zu solchen Wachstumszahlen für die Textilbranche sagen?
Knut Brokelmann: „Von solchen Zahlen sind wir natürlich weit entfernt. Dennoch gibt es aktuell auch Anlass zu gedämpftem Optimismus. Zu Zeiten des Lockdowns waren wir noch von Umsatzrückgängen im Mai von 50 Prozent und im Juni von 30 Prozent ausgegangen. Heute wissen wir, dass wir mit minus 29 Prozent beziehungsweise minus 15 Prozent weit weg sind von diesem Worst-Case-Szenario. Auch die Liquiditätszahlen und die Zahlungsmoral im Handel, die wir gespiegelt bekommen, machen Mut. Manche Bereiche wie Kiko liegen sogar gegenüber dem Vorjahr im Plus, Casual erholt sich schneller als der Durchschnitt. Kurzum, es gibt auch Lichtblicke. Wir gehen davon aus, dass die Volumina in der anstehenden Order zwischen 10 und 15 Prozent sinken werden. Auch hier ist die Lage etwas besser, als anfangs befürchtet.“
Wann rechnen Sie mit einer nachhaltigen Erholung der Textilbranche?
„Auf Basis der eben angesprochenen Anpassungen gehen wir davon aus, dass sich die Branche Monat für Monat erholt, und streben für das Weihnachtsgeschäft wieder eine gewisse Normalität an. Vorausgesetzt, wir bekommen keine zweite Welle und die Maskenpflicht wird aufgehoben. Die Maske kann bis zu zehn Prozent Umsatz ausmachen. Im kommenden Jahr werden die ersten zwei Monate anspruchsvoll sein, da wir gegen zwei gute Monate 2020 anlaufen. Danach haben wir keine Vergleichsbasis mehr. Ziel muss es aber sein, das Niveau von 2019 schnellstmöglich wieder zu erreichen.“
Immerhin zeigen die Quartalszahlen von Marktteilnehmern, dass das Online-Geschäft die Umsatzeinbrüche im stationären Handel abfedert. Inwieweit trifft das auch auf Ihre Anschlusshäuser zu?
„Es mag noch vereinzelt Händler geben, die ‚Online‘ als den großen Feind betrachten und den E-Commerce am liebsten auslöschen würden. Aber die sind inzwischen sehr selten geworden. Die ganz große Mehrheit auch unserer Händler hat verstanden, dass im Online-Geschäft auch Chancen liegen, und nutzen zusehends die Angebote, die wir ihnen machen. So haben wir uns vor zwei Jahren an Modehaus.de beteiligt und myVEO als Baustein dort integriert. Wir sehen, dass immer mehr Händler einsteigen und das mit wachsendem Erfolg. Manche Häuser haben während des Lockdowns siebenstellige Umsätze über die angebundenen Marktplätze erzielt und diesen Absatzkanal genutzt, Bestände abzubauen.
Wenn man die Parameter der Marktplätze richtig wählt, und diese Chance bietet Modehaus.de, kann man hier übrigens nicht nur Bestände abbauen, sondern Geld verdienen.“
Müssen sich die KATAG und der mittelständische Handel noch weiter und vor allem schneller digitalisieren?
„Im Moment halten wir das Tempo schon recht hoch und es ist umgekehrt auch wenig sinnvoll, blind zu digitalisieren. Wir müssen dies auch innerhalb der KATAG-Welt intelligent tun. Schon vor Covid-19 haben wir eine starke Entwicklung gesehen. Es ist beeindruckend, wie schnell Tools wie MS Teams oder Zoom Akzeptanz gefunden haben und uns auch in Zukunft einen echten Mehrwert an Effizienz bringen werden. Oder ein anderes Beispiel: Wir bieten den Händlern unsere Premiummarke (THE MERCER) N.Y. in der momentanen Order neben einem klassischen Showroom-Besuch auch über einen digitalen Showroom an. Über die Hälfte der Händler haben diesen neuen Weg gewählt und sind begeistert. Wir als Branche befinden uns in einem Lernprozess. Tatsache ist: Die Akzeptanz digitaler Kommunikation hat durch Covid-19 immens zugenommen – zwangsläufig. Vieles, was heute gang und gäbe ist, wäre vor wenigen Monaten noch undenkbar gewesen. Und um den Widerspruch perfekt zu machen, freue ich mich schon jetzt unglaublich auf hoffentlich bald wieder stattfindende Messen und Veranstaltungen.“
„B2C ist nicht unsere erste Priorität.“
Wo sehen Sie vor allem Handlungsbedarf?
„Ich sehe insbesondere zwei Felder: Das ist zum einen im Vertrieb, wo wir, wie eben ausgeführt, auch vieles digital klären können, Stichwort digitale Showrooms. Und ich sehe in der Produktentwicklung viel Potenzial. Neue Software ermöglicht schnellere, kostengünstigere und nachhaltigere Kollektionsentwicklungen. Aber auch im praktischen Alltag – zum Beispiel müssen wir nicht mehr jedes Mal nach Asien reisen, um die Produktion auszusteuern.“
Muss die KATAG dann nicht auch noch mehr über den Endkunden und dessen Präferenzen erfahren und das am besten auch fortwährend, also forciert eigene Marktforschung betreiben und vielleicht doch sogar eine eigene Plattform aufbauen?
„B2C ist nicht unsere erste Priorität. Auch wir durchlaufen einen Optimierungsprozess, den die Krise beschleunigt hat. Wir konzentrieren uns auf unsere Stärken und die liegen nicht in der direkten Marktforschung. Das erwarten unsere Händler auch nicht. Zumal wir von unseren Anschlusshäusern umfangreiche Marktdaten aufgespielt bekommen, aus denen wir dann wiederum Handlungsempfehlungen ableiten können. Unsere Händler schneiden momentan besser ab als der Marktdurchschnitt und das hat Gründe. So werden wir am 30. Juli wieder rund 100 Händler einladen und über die kommende Order, Trends und Analysen sprechen. Und wir werden uns auch bei den Eigenmarken fokussieren und unser Portfolio anpassen.“
Wie sieht es mit der Arbeitswelt aus? Inwiefern haben der Lockdown und das Ausweichen auf das Homeoffice, wo es möglich ist, das Arbeiten in Bielefeld verändert?
„Wir haben kurz nach dem Lockdown innerhalb kürzester Zeit 100 Telearbeitsplätze eingerichtet, um unseren Mitarbeitern Homeoffice zu ermöglichen. Dies in kürzester Zeit erfolgreich umzusetzen, war eine echte Herausforderung für die IT. Dort, wo es sinnvoll ist, wo Mitarbeiter es wünschen und es auch umgesetzt werden kann, kann ich mir durchaus vorstellen, dass der Telearbeitsplatz im Homeoffice auch eine sehr gute Alternative darstellt. Aber es ist auch eine Typfrage. Ich selbst war während des Lockdowns nahezu jeden Tag im Büro, weil es effizienter war und Entscheidungen schnell getroffen werden mussten. Abgesehen davon bin ich persönlich im Büro deutlich produktiver als im Homeoffice. Meine Selbstdisziplin scheint überschaubar zu sein.“
Was wird bleiben, wo wird es Veränderungen bei der KATAG geben?
„Wir haben inzwischen ein Sicherheits- und Hygienekonzept erarbeitet und umgesetzt, sodass wir in Bielefeld einen im wahrsten Wortsinn sicheren Arbeitsplatz bieten können, und unsere Mitarbeiter daher aufgefordert, wieder regulär ins Büro zu kommen. Dies wurde mit großer Freude aufgenommen. Wo flexible Lösungen im Einzelfall gefunden werden müssen, haben wir das schon immer getan. Es ist heute nur etwas einfacher geworden.“
Krisenzeiten sind immer auch Zeiten der Veränderungen. Sehen Sie in der aktuellen Covid-19-Krise auch etwas Gutes, dass Verbraucher sich neu besinnen, mehr über Lieferketten und Nachhaltigkeit nachdenken und bewusster einkaufen oder wollen die Menschen doch lieber so schnell wie möglich zurück zur Zeit vor Corona?
„Ich sehe eine zweigeteilte Entwicklung. Es gibt Menschen, die so schnell wie möglich zum alten Staus quo zurückkehren wollen. Andererseits gibt es viele Menschen, die die Notwendigkeit schon vor Corona erkannt haben, nachhaltig zu handeln und zu konsumieren. Ein Beispiel: Wir haben mit unseren Mitgliedern eine Kampagne pro Innenstadt unter dem Motto ,Shop local‘ aufgelegt, bei der die Kunden die Mehrwertsteuersenkung entweder ausgezahlt bekommen oder diese spenden können, um die Innenstadt am Leben zu halten. Der Erfolg ist bemerkenswert und das nicht ohne Grund. Unsere Innenstädte sind ein Kulturgut und wir sollten sie unbedingt erhalten. Sie schaffen eine kulturelle Identität. Das sehen viele Menschen auch so.“
Welche Lehren ziehen Sie aus Covid-19 für die KATAG und persönlich?
„Ökonomisch ist Covid-19 eine Katastrophe. Ökologisch hat das Virus der Welt eine Atempause verschafft. Dies vorab. In der KATAG führte Covid-19 zu einer noch stärkeren Selbstdisziplinierung, sich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren. Antworten auf die Fragen zu geben, was eigentlich unsere Kernaufgabe ist, wo unsere Stärken liegen und wie wir uns in der Zukunft aufstellen wollen. Die KATAG ist Dienstleister und Berater, sie ist aber auch Moderator zwischen Industrie und Handel und sie ist auch Lobbyist. Mit Herrn Dr. Terberger haben wir eine Persönlichkeit an der Spitze, die sehr wohl in der Lage ist, diese Aufgabe auszufüllen. Unsere Anschlusshäuser und wir wurden sehr deutlich daran erinnert, dass der Zusammenhalt und das Miteinander für Verbundgruppen immer noch der Schlüssel zum Erfolg sind. Das gilt auch für mich persönlich. Ich hätte nicht gedacht, dass wir in der Familie mit zwei fast erwachsenen Kindern an Wochenenden während des Lockdowns zusammensitzen, uns austauschen und einfach Zeit miteinander verbringen.“
Wie hat Corona die Beziehungen des Handels zu den Lieferanten verändert?
„Es hat die Beziehungen zwischen Handel und Industrie intensiviert. Marken, die gut und vertrauensvoll mit dem Handel zusammenarbeiten, haben die Geschäftsbeziehungen noch einmal gefestigt. Gleiches gilt übrigens auch für kooperative Händler. Partnern, die einem rechtlich abgesicherte Briefe schreiben, hilft man am Ende wahrscheinlich weniger gerne als denen, die einem ihre Situation erklären und nach Lösungen streben.“
Was empfehlen Sie Ihren Mitgliedshäusern zum Start der Order Frühjahr/Sommer 2021 und vor allem Herbst/Winter 2021/22?
„Wir werden am 30. Juli wie schon erwähnt zusammenkommen und über die Order sprechen, auch Marken und Innovationen vorstellen, die vielleicht noch nicht so im Fokus sind, denn gerade die kommende Order muss sich bewähren, Neues inszenieren und Restbestände, die eingelagert wurden, integrieren. Zuvorderst aber sollten die Händler bei der Vergabe der Order im Kopf haben, wer sich in der Krise partnerschaftlich verhalten hat und wer nicht. Im Premiumsegment zum Beispiel war das nicht immer der Fall. Tatsache ist, dass zwei Monate weggefallen sind, für die einmal Ware beschafft wurde, und dafür müssen wir individuelle, faire und nachhaltige Lösungen finden.“
Der Manager
Seit 1. April 2019 ist Knut Brokelmann als Vorstand Vertrieb für die Betreuung der KATAG-Partner in der Markenindustrie und im Einzelhandel verantwortlich. Brokelmann managt die Schnittstelle zwischen Markenindustrie und Handel im Rahmen der KATAG-Plattform und kann dabei auch auf eigene Erfahrungen zurückgreifen. Vor seinem Wechsel nach Bielefeld war er Geschäftsführer bei ESPRIT und zuvor im Management bei HUGO BOSS tätig.