Es ist die erste große Werkschau in Deutschland über das Schaffen des großen Pierre Cardin. Ein Meister seines Fachs und auch der Selbstvermarktung. Der Besuch der Ausstellung, die besondere Einblicke in die Designwelt des französischen Modeschöpfers zeigt, ist lohnenswert.
Genialer Designer und schlauer Selbstvermarkter. Kein Modeschöpfer vor ihm hat seinen Namen so geschickt zu viel Geld gemacht wie er. Im September eröffnete der Kunstpalast in Düsseldorf die erste große Werkschau des französischen Modeschöpfers Pierre Cardin in Deutschland. Rodrigo Basilicati Cardin, der Neffe und Generaldirektor des Unternehmens Pierre Cardin, ist zur Eröffnung eigens aus Paris angereist. Auch Dr. Stella Ahlers, Chefin der Ahlers AG, inzwischen der größte Lizenznehmer von Pierre Cardin in Europa, ist gekommen. „Mit dieser Mode-Ausstellung widmet sich der Kunstpalast im Kontext seiner Sammlung Angewandter Kunst abermals einem Projekt, das für einen erweiterten Kunst- und Designbegriff steht“, sagt Felix Krämer, Generaldirektor Kunstpalast. „Zudem verstehen wir die in der international bekannten Modestadt Düsseldorf präsentierte Schau als eine Verbeugung gegenüber dem bis heute aktiven 97-jährigen Modeschöpfer.“
Die Deutschen, sagt Rodrigo Basilicati Cardin, hätten Geschmack. Und von dem, was er auf der Straße sieht, könnte durchaus auch sein Onkel Pierre angetan sein, sagt er. Erlaubt ist, was gefällt. Geschmackssache eben. Auf die Frage, ob Pierre Cardin so wie Karl Lagerfeld auch Mode für einen Discounter kreieren könne, antwortet Rodrigo Basilicati Cardin: „Schon möglich, wenn sie fragen, dass er Ja sagt.“ Designer wie Cardin hätten mit ihren Looks eine ganze Ära geprägt, meint Kuratorin Barbara Til. Egal ob die spacigen Kollektionen der 1960er-Jahre oder der berühmte Rollkragenpullover unter dem Sakko, der bevorzugt von Frankreichs Existenzialisten getragen wurde. Cardin habe als Erster seinen Namen zur Marke gemacht, auch Geld damit verdient und tue es immer noch. Aber im Gegensatz zu manchem Designer der großen Labels diesen nicht als Preisschild missbraucht. „Er hat sich und seine Mode ständig weiterentwickelt“, sagt Til. Heute, habe sie den Eindruck, wechselten die Designer viel zu häufig die Marken und machten deren Mode damit austauschbar. Der Umsatz stehe über allem.
Damals, als Cardin anfing, Mode zu machen, waren Fotografen nicht zugelassen, gab es noch keine Handys und kein Instagram. Die Menschen zeichneten die Teile nach den Schauen nach. Entsprechend lange hatte es gedauert, bis die Designermode auch auf der Straße angekommen war. Unvergessen ist die erste Modenschau Cardins für Männer. Weil es das bis dahin nicht gab und demzufolge auch keine männlichen Models, schickte der Designer Studenten von der Sorbonne über den Laufsteg. „Heute dreht sich der gesamte Modebetrieb unglaublich schnell und erzeugt so einen Druck, ständig Neues zu liefern.“ Nicht immer komme dabei wirklich Neues heraus und schon gar nicht immer Gutes.
Cardin wurde 1922 in Italien geboren. Er begann seine Karriere als Couturier 1947 bei Dior. Nur drei Jahre später gründete er sein eigenes Modelabel. Überzeugt von seinem Leitsatz, dass exklusive Mode für alle Menschen erschwinglich sein müsse, hat er als einer der ersten Couturiers 1959 eine große Modenschau im Pariser Kaufhaus Au Printemps veranstaltet. Cardin folgte von Anfang an einer Vision: „Meine liebsten Kleider sind diejenigen, die ich für ein Leben schaffe, das es noch gar nicht gibt – für die Welt von morgen.“ In den frühen 1960er-Jahren eroberte der Couturier, Designer und Pionier des Prêt-à-porter den internationalen Modemarkt mit seinen futuristisch-avantgardistischen Entwürfen. „Cardin, der mit seiner geometrisierenden Formensprache eine unverwechselbare Ästhetik geschaffen hat, zeichnet wenig und kreiert seine skulptural anmutende Mode meist am Modell“, sagt die Kuratorin Barbara Til. „Er arbeitet geradezu plastisch, wie ein Bildhauer, mit einer direkt am Körper entwickelten und dem verwendeten Stoff gemäßen Schnittführung.“
Cardins Mode wurde auch international zu einem Hit. Seine Kreationen haben eine provokative Optik, die die jugendlichen Körper ihrer Trägerinnen und Träger hervorhebt. Cardin arbeitete dabei mit innovativen, zum Teil auch modefremden Materialien wie Plastik und Vinyl. So schuf er ein neuartiges textiles Formenrepertoire und einen Bekleidungsstil, der mit knalligen Farben und auffälligen Schnitten ein freieres Lebensgefühl mit identitätststiftender Wirkung vermittelt. „Cardins Mode verschafft Frauen, aber auch Männern in einer Zeit der politischen und sexuellen Umwälzungen große modische Freiheiten. Mit Looks aus Minirock, flachen Stiefeln und helmartigem Hut kreiert er eine Mode des Protests: jung, sexy und mutig zugleich“, sagt Kuratorin Maria Zinser. Zinser und Til akzentuieren das Moderne, Innovative und zugleich Provokative von Cardins Kreationen. Gezeigt werden Beispiele aus der legendären futuristischen Cosmocorps-Kollektion für Frauen und Männer von 1966: farbenfrohe, figurbetonte Outfits, die an Raumschiffuniformen erinnern. Unter den Stücken ist auch das 1968 entworfene Cardine–Minikleid. Sein ungewöhnlicher Look wurde durch die Verwendung der neu entwickelten, nach dem Designer benannten thermoplastisch formbaren Chemiefaser „Cardine“ erst möglich.
In den 1970er-Jahren veränderte sich der Stil Cardins. Er arbeitete verstärkt mit Kontrasten. Cardin kombinierte ultrakurze Kleider und Röcke mit bodenlangen Jacken und Tuniken sowie farbigen Bodysuits. Fransen, Schlitze und Cut-Outs prägten die Outfits und dienten gleichzeitig der dynamischen Verformung. Seine Kreationen wurden von Filmstars wie Lauren Bacall, Raquel Welch und Jeanne Moreau getragen.
In den 1980er- und 1990er-Jahren erweiterte Cardin sein Formenspektrum um stromlinienförmige Elemente. Charakteristisch sind bewegte Faltensegmente an den Rückenpartien von Jacken und Mänteln. Auch das „Schlauchkleid“ erhielt durch eingearbeitete Reifen eine neue, plastische Gestalt. Für die Männerkollektion entwickelte Cardin kastenförmige Lederjacken mit breiten, geometrischen Schulterelementen, die mit sportlichen Keilhosen kombiniert wurden. Pierre Cardin gilt als Pionier der Globalisierung und des weltweiten Lizenzhandels in der Mode. Bis heute ist er Alleineigentümer seines weltweit agierenden Unternehmens.
„Sein Name, sein modischer Instinkt“
Pierre Cardin ist ein Visionär. Dr. Stella Ahlers, Vorstandschefin der Ahlers AG, über das, was Cardin im Museum von Cardin auf der Straße unterscheidet.
FT: Frau Dr. Ahlers, wann haben Sie das letzte Mal Herrn Cardin gesehen?
Dr. Stella Ahlers: „Anfang September auf dem Filmfestival in Venedig. Dort feierte der Dokumentarfilm ,House of Cardin‘ über sein Leben und Schaffen Premiere, der bald weltweit in die Kinos kommen soll. Herr Cardin wäre auch gern zur Eröffnung der Ausstellung hier nach Düsseldorf gekommen. Allerdings hat ihn die Reise nach Venedig sehr angestrengt, sodass er diese Strapazen nicht innerhalb weniger Tage ein zweites Mal auf sich nehmen konnte. Schließlich ist Herr Cardin schon 97 Jahre alt.“
Konnten Sie mit ihm auch über die Ausstellung FASHION FUTURIST sprechen?
„Ja, wir haben uns verschiedene Male darüber ausgetauscht. Angesichts der Tatsache, dass es noch nie eine Retrospektive über seine Arbeit in Deutschland gab, ist er sehr angetan von dem Projekt. Allerdings haben nicht wir die Ausstellung organisiert, sondern das Team vom Generaldirektor des Kunstpalastes, Felix Krämer. Ich finde, die Ausstellung ist absolut sehenswert und zeigt, was für ein Visionär Pierre Cardin war und bis heute ist!“
Welches Stück hat Sie in der Ausstellung am meisten begeistert?
„Sehr viele. Da ist zum Beispiel seine futuristische Space-Age-Kollektion, die einen Ankerpunkt der gesamten Ausstellung darstellt. Auch die extravagante Abendmode von ihm ist ein Highlight sowie verschiedene Einzelstücke, wie die knallroten Damenstiefel oder der rote Ledermantel für Herren.“
Was trennt Pierre Cardin im Museum von Pierre Cardin auf der Straße?
„Herr Cardin entwirft bis heute Haute Couture in Paris. Hier im Museum erleben wir seine vielfältige Formensprache und die Entwicklung seiner Mode, die die Designwelt nachhaltig verändert hat. Er war es, der zum Beispiel den Rollkragen unter dem Anzug salonfähig gemacht hat. Dieses Wirken ist im Museum zu sehen. Gleichzeitig ist Herr Cardin ein guter Geschäftsmann, der sehr schnell erkannt hat, wie er mit seiner Marke Geld verdienen kann, sei es mit der Haute Couture oder dem Prêt-à-porter, das heute weitgehend von Lizenznehmern produziert und vertrieben wird.“
Und was verbindet den Cardin aus dem Museum mit dem auf der Straße?
„Sein Name, sein modischer Instinkt. Wir sind der größte europäische Lizenznehmer und bringen viele seiner Ideen auf die Straße. Wir produzieren die kommerziellere Mode unter seinem Namen und sind immer wieder inspiriert von ihm. Sein Drang, Dinge zu schaffen ‚für ein Leben, das es noch gar nicht gibt‘, stand gewissermaßen Pate bei der Entwicklung unserer Future-Flex-Kollektionen.“
Zeitgleich läuft auch eine Pierre-Cardin-Ausstellung zum 50. Jahrestag der Mondlandung im New Yorker Brooklyn Museum. Waren Sie schon da?
„Nein, leider noch nicht. Aber ich möchte sie gerne noch besuchen.“
Cardins kreativer Kosmos
Die Ausstellung im Kunstpalast Düsseldorf zeigt mehr als 80 Haute-Couture-Kleider und Accessoires für Damen und Herren und bietet mit zusätzlichen Fotos und „Filmmaterial einen faszinierenden Einblick in Cardins kreativen Kosmos“, wie der Kunstpalast mitteilt. In einer aufwendigen Inszenierung thematisiere die Schau Cardins avantgardistisches Modeschaffen ebenso wie seine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und ästhetischen Entwicklungen, heißt es weiter. Die Schau gliedert sich in thematische Kapitel, die die Schwerpunkte von Cardins Arbeitsweise abbilden: „Visionär – Futuristisch“, „Skulptural – Geometrisch“, „Jung – Innovativ“ und „Glamourös – Spektakulär“. Der Hauptakzent der Ausstellung liegt auf den 1960er- und 1970er-Jahren. In dieser Zeit beginnt Cardin, unter Verwendung modernster Materialien die internationale Modeszene mit seinen fantasievollen Entwürfen zu revolutionieren. Die Bandbreite der ausgestellten Kreationen reicht vom jungen, androgynen Look über Scifi-Stil und Space-Age-Mode bis zur eleganten Abendgarderobe. Die Ausstellung ist noch bis zum 5. Januar geöffnet. www.kunstpalast.de