Was man nicht kennt, macht einem Angst.

Chinas Imageproblem

©AdobeStock

Die China-Kompetenz ist hierzulande gering – leider, sagt Marina Rudyak. Die chinesische Führung hat einen Masterplan, wohin sich das Riesenland in den kommenden Jahren entwickeln soll. Das haben andere Nationen aber auch. Kritik ist berechtigt, aber die Sicht der Deutschen auf das Reich der Mitte ist verzerrt, sagen die China-Experten Marina Rudyak und Dr. Jürgen Steiger im FT-Interview.

WERBUNG

FT: Frau Rudyak, gibt es das eine China überhaupt: gigantisch groß, viele Menschen und mit einem klar formulierten Führungsanspruch in der Welt?
Marina Rudyak: „Natürlich gibt es das eine China nicht, genauso wenig wie es das eine Deutschland gibt. China ist genauso vielfältig und divers wie seine 1,3 Milliarden Einwohner. Es gibt aber das klar formulierte Ziel der Kommunistischen Partei, zu den führenden Mächten der Welt zu gehören, …“

Dr. Jürgen Steiger: „… aber auch zunehmend globale Verantwortung zu übernehmen – Stichwort Weltschicksalsgemeinschaft.“

Made in China 2025, die neue Seidenstraße und der ungestillte Hunger nach Ressourcen sowie Know-how sind Schlagworte, die mindestens zu Ressentiments gegenüber China führen. Inwiefern sind diese berechtigt?
Rudyak: „Die allgemeine China-Kompetenz in Deutschland ist leider sehr gering. Und was man nicht kennt, macht einem Angst. Erst recht, wenn es einen so beachtlichen wirtschaftlichen Aufschwung hingelegt hat wie China. Viele der Chinabilder in Deutschland sind verzerrt, aber genauso gibt es vieles, was kritikwürdig ist.“ 

 „Die Ressentiments sind nicht berechtigt.“

Dr. Steiger: „Die Ressentiments sind nicht berechtigt: MC 2025 ist eine industriepolitische Strategie, die zum Ziel hat, China zu einer starken Industrienation werden zu lassen, und zwar in zehn Schwerpunkbereichen der Industrie, darunter IT, Robotik, KI, NEV, maritime Wirtschaft; Deutschland hat eine ähnliche Strategie, die Hightech-Strategie 2025, die ähnliche Ziele verfolgt. Die neue Seidenstraßeninitiative (BRI) ist ein Angebot der chinesischen Regierung, gemeinsam, vornehmlich in Eurasien, Infrastrukturvorhaben durchzuführen, aber auch den Handel, Investitionen und Finanzkooperation zu fördern. Jeder Staat hat die Option, sich zu beteiligen oder auch nicht. Hunger nach Ressourcen ist nicht verwerflich; zu kritisieren ist ein Abbau von Rohstoffen, der sich nicht Sozial- und Umweltstandards unterwirft. China orientiert sich an den Standards eines verantwortungsvollen und umweltbewussten Ressourcenabbaus innerhalb und außerhalb Chinas: Afrika.“

Durchleben auch die Chinesen einen kulturellen Wandel oder brechen wie überall auf der Welt sogar nationalistische Strömungen auf, die eine vermeintlich sichere Vergangenheit und mit ihr verbundene Stärke heraufbeschwören?
Rudyak: „Den Wandel, bedingt durch die digitale Revolution, erlebt ja gerade die ganze Welt. China ist davon ebenso betroffen wie wir. Der Unterschied ist, dass die Menschen in China technologischem Fortschritt gegenüber grundsätzlich positiver eingestellt sind als die Deutschen. Das wiederum hat mit dem historischen Gedächtnis zu tun. In der eigenen Wahrnehmung wurde China in den Opiumkriegen besiegt, weil es sich dem technologischen Fortschritt verweigert hatte. Das soll nicht wieder passieren.“

Abseits der (Neu-)Reichen, die ihren Wohlstand mit westlichen Statussymbolen dokumentieren – wie würden Sie den Durchschnittskonsumenten beschreiben?
Rudyak: „Der Durchschnittskonsument legt, wo er sich das leisten kann, Wert auf gute Qualität.“ 

Welchen Stellenwert haben westliche Marken für den Konsumenten?
Rudyak: „Chinesische Konsumenten haben ein großes Bewusstsein dafür, welche Länder in welchen Branchen führend sind. Dementsprechend gibt es auch ein starkes Bewusstsein für westliche Marken. Wenn Chinesen dann in den Westen reisen, kaufen sie sehr zielbewusst ein. Das gilt auch für Bekleidungsmarken.“

WERBUNG

 

Inwiefern verändert das Selbstbewusstsein, nicht mehr nur zu kopieren, sondern selbst zu gestalten und zu entwickeln, den herkömmlichen Produktionsmarkt Chinas? Sind die (Textil-)Fabriken inzwischen mehr Türöffner für den chinesischen Absatzmarkt oder gibt es noch die traditionellen billigen Produktionsbetriebe? Es werden ja immer noch weit mehr Textilien exportiert als importiert.
Rudyak: „Sehr deutlich. Von vielen Chinesen hört man inzwischen: Wir sind jetzt auch selber innovativ und werden euch überholen. Dieses Bewusstsein trifft aber mehr auf die Technologiebranchen zu, wobei auch die Textilbranche aufholt. Es gibt chinesische High-End-Labels, die zuletzt durch Chinas First Lady Peng Liyuan mehr internationale Aufmerksamkeit erlangten. Die Lowtech-Textilproduktion verlagert sich tatsächlich allmählich nach Südostasien und Südasien, wobei der Prozess wohl noch andauern wird.“

Dr. Steiger: „Zudem ist China, vor allem die chinesische Mittelschicht, umwelt- und gesundheitsbewusster geworden, das bedeutet auch den Verzicht auf toxische Stoffe in der Kleidung (Detox-Liste). Im Übrigen hat der Verbraucherschutz seit zehn Jahren an Bedeutung gewonnen. Ausgangspunkt war die Textilkrise im Süden/Südosten Chinas, als zahlreiche, vor allem kleinere Textilbetriebe geschlossen wurden, die a) Fake-Produkte hergestellt und b) Arbeits- und Umweltstandards nicht eingehalten haben. Außerdem engagiert sich Deutschland sehr stark im Verbraucherschutz sowie dem Bündnis für nachhaltige Textilien und der Einhaltung der Detox-Liste in Zusammenarbeit mit China.“

„Die Deutschen gelten nicht als allzu modebewusst.“

Wie sollten gerade mittelständische (Mode-)Firmen damit umgehen, die auf der einen Seite in China produzieren und auch in dem Land verkaufen wollen, im Grunde aber zu klein oder unbekannt sind, um nachhaltig einen Fußabdruck im Markt zu hinterlassen? Reicht das Attribut „westliche Marke“ wie beim Hosenhersteller C. Brühl, Fulda aus, die in China mit einem Partner ihre Hosen verkaufen?
Rudyak: „Deutsche Marken haben per se den Standortvorteil, dass sie für Qualität stehen. Allerdings ist Deutschland in China eher für seine Autos und Messer bekannt als für Mode. Die Deutschen gelten nicht als allzu modebewusst. Das Angebot westlicher Marken reicht bei der Konkurrenz bei Weitem nicht mehr. Womit Deutschland aber punkten kann, gerade bei Männermode, ist Qualität. Bei Jacken, Anzügen und vor allem auch bei Outdoor. Auch das wird mit Deutschland verbunden.“

Wird China sein Projekt „Made in China 2025“ und die neue Seidenstraße wie beabsichtigt realisieren können oder wird das Land von (geo-)politischen Sachlagen und weltwirtschaftlichen Marktstrukturen beziehungsweise -verflechtungen und Interessen eingebremst werden?
Rudyak: „Ihre Frage setzt voraus, dass beide mit konkreten Zielvorgaben unterlegt sind, und das ist nur bedingt der Fall. Mit ,Made in China 2025‘ will China zu einem Innovationsstandort werden. Das ist sehr wohl möglich. Die Seidenstraßeninitiative ist, wie der Name sagt, eine ,Initiative‘. Es ist kein Ziel, sondern ein Prozess, der bisher zunächst einmal dafür gesorgt hat, dass Entwicklungsressourcen mobilisiert wurden und Entwicklungsthemen wieder in den Fokus gerückt sind. Der nächste Schritt wird sein zu schauen, wo wir mit China Überschneidungen bei Interessen haben und wo wir konkurrieren. Letzteres ist klar der Fall, wenn es um Werte wie Demokratie, Menschenrechte oder freie Meinungsäußerung geht. Die Herausforderung wird es sein, bei globalen Themen, die nur gemeinsam gelöst werden können – Armutsbekämpfung, Anpassung an den Klimawandel, nachhaltige Entwicklung –, zu kooperieren und gleichzeitig als Deutschland beziehungsweise Europa kompromisslos bei unseren Werten zu bleiben.“

Die Interviewpartner:

Marina Rudyak ©privat

Marina Rudyak hat an der Universität Heidelberg und der Shanghai International Studies University Sinologie und öffentliches Recht studiert. Nach ihrem Abschluss im Jahr 2009 war sie Politikberaterin und Programmmanagerin bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Peking. Seit 2010 war sie auch Koordinatorin der Arbeitsgruppe „Regionale Wirtschaftsintegration und Handel“ im Branchennetzwerk Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung der GIZ in Asien. 2014 kehrte sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin (Dozentin) und Doktorandin wieder ans Institut für China-Studien zurück. Gegenwärtig promoviert sie über Chinas Entwicklungszusammenarbeit. Daneben ist sie Autorin mehrerer Publikationen zu Chinas Entwicklungspolitik und Gründerin des China Aid Blog, wo sie entwicklungspolitische Debatten aus dem Chinesischen übersetzt und kommentiert. Sie wurde in Moskau geboren, wuchs seit ihrem elften Lebensjahr in Deutschland auf.

Dr. Jürgen Steiger ©privat

Dr. Jürgen Steiger studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Heidelberg, wo er auch promovierte. Seine Karriere begann er 1975 als wissenschaftlicher Angestellter am Südasien-Institut der Universität Heidelberg mit Forschungs- und Lehraufgaben auf dem Gebiet der Entwicklungsökonomie. Später arbeitete er in einer Beratungsgesellschaft für Entwicklungszusammenarbeit in Heidelberg als Abteilungsleiter und später als Geschäftsführer. Von 1998 bis 2016 war er als Berater für Wirtschaftspolitik und ‑reformen für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in China im Auftrag der deutschen Bundesregierung und der Europäischen Kommission tätig. Seit März 2016 befindet sich Dr. Steiger im Ruhestand, ist aber als Seniorberater und Gutachter für die GIZ und andere Organisationen in China tätig.