„Talent reicht nicht aus“

CIVIDINI

20 Prozent der Ware auf Handstrickmaschinen produziert. alle Bilder, sofern nicht extra gekennzeichnet ©FT
Autor: Markus Oess

„Design ohne Qualität ist wie ein Fahrrad ohne Räder“, sagt Piero Cividini, Inhaber des gleichnamigen Strickers mit Sitz in Bergamo. Vor zehn Jahren stellte der Italiener die Menswear-Kollektion ein und fokussierte sich auf Womenswear. Jetzt kommt er mit Männermode zurück und will auch in Deutschland damit wieder Fuß fassen. Wir haben uns bei ihm in Bergamo umgesehen.

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FT: Herr Cividini, Sie haben in Deutschland in den beginnenden 2000er-Jahren als Gastprofessor an der UdK (Universität der Künste) in Berlin gelehrt, sprechen fließend Deutsch. Was ist in Ihren Augen typisch deutsch?

Piero Cividini: „Organisation, Seriosität und eine gewisse Sachlichkeit sind Eigenschaften, die ich den Deutschen zuschreibe. Sie sind innovativ, wenn auch nicht unbedingt in der Mode. Aber Ihre Landsleute verfügen durchaus über Kreativität und Fantasie. Sonst wäre das Land nicht dort, wo es heute steht.“

Miriam & Piero Cividini©FT

Wie sieht es umgekehrt bei den Italienern aus?

„Sie sind etwas konfus, aber das meine ich überhaupt nicht negativ. Es ist nur so, dass die Rationalität nicht unbedingt an erster Stelle steht. Erst kommt die Idee, dann die Organisation. Das ist bei den Deutschen umgekehrt.“

Was ist für CIVIDINI wichtiger, Design oder Qualität?

„Beides ist nach meiner Auffassung gleich wichtig, sonst können Sie sich nicht 30 Jahre erfolgreich mit einem hohen Internationalisierungsgrad am Markt behaupten, so wie CIVIDINI. 80 Prozent unserer Umsätze erzielen wir außerhalb Italiens. Design und Kreativität verleihen unseren Kollektionen die Attraktivität. Jedoch müssen wir gleichzeitig auch die Wertschöpfungskette im Griff haben, das heißt zum einen eine Topqualität liefern, aber auch die Besonderheiten der einzelnen Märkte sensibel erfassen und in den Kollektionen reflektieren. Was in Deutschland oder Österreich funktioniert, muss nicht unbedingt auch in Asien ein Erfolg sein. Design ohne Qualität ist wie ein Fahrrad ohne Räder. Es mag gut aussehen, aber es hat in dem Moment keine Funktion.“

Wer ist für das Design verantwortlich?

„Meine Frau und ich entwickeln erste Ideen und arbeiten die Kollektionen dann gemeinsam mit unserem Team aus. Basierend auf diesen Ideen werden erste Scribbles, erste Skizzen erstellt und aus diesen dann die fertigen Teile, die Kollektion. Wir feilen an unserer Kollektion, bis wir wirklich zu 100 Prozent überzeugt sind und wir in die Produktion der Prototypen einsteigen können.“

Sie sagen, Talent hat man oder man hat es nicht. Aber reicht Talent allein aus, um Erfolg zu haben?

„Talent kann man nicht lernen. Das ist so. Aber Talent reicht eben nicht aus. Sie müssen sich das Know-how erarbeiten und dazu die Besonderheiten des jeweiligen Marktes verstehen. Sie müssen kreativ sein, Ideen finden und schnell ausarbeiten können. Sie müssen aber auch organisieren und führen können. Das sind dann wiederum Dinge, die man sich erarbeiten kann.“

  • Bergamo, die Heimat von CIVIDINI
  • Print ist immer noch ...
  • ... Inspirationsquelle und wird archiviert.
  • Kreatives Chaos
  • Qualitätskontrolle wird groß geschrieben.
  • Grane für die ...
  • Produktion in ...
  • ... Handarbeit

 

Sie produzieren zum Teil noch handwerklich, aber alles in Italien. Welche Geschichte steckt in den Teilen, die im gehobenen Preissegment angesiedelt sind?

„Das stimmt, wir produzieren rund 20 Prozent unserer Ware auf Handstrickmaschinen. Maschinen aus den 1950er- und 1960er- Jahren, die wir aufgekauft, sorgfältig restauriert und wieder in Gang gesetzt haben. Die Strickwaren, die auf diesen außergewöhnlichen Maschinen entstehen, sind unsere Topprodukte. Aber auch alle anderen Modelle werden hier in der Gegend produziert. Stricken ist ein komplizierter Vorgang. Mit den modernen Maschinen können Sie schneller und feiner stricken. Sie benötigen allerdings für jedes Modell ein neues Programm, das die Produktion steuert. Selbstverständlich bringen wir auch den maschinell gestrickten Teilen die gleiche Wertschätzung und Sorgfalt entgegen. Und doch sind die handgefertigten Teile etwas Besonderes, verkörpern die Seele von CIVIDINI in Reinstform. Sie sind die Quintessenz jahrelanger Erfahrung und Können. Jedes Teil wird in einem luftdurchlässigen Beutel und einem Karton einzeln verpackt und ein Brief der Strickerin, die es gefertigt hat, wird beigelegt.“

Sie kommen nach zehn Jahren wieder mit einer Menswear-Kollektion auf den deutschen Markt zurück. Was war der Grund, vor zehn Jahren die Produktion einzustellen?

„Wir haben uns vor zehn Jahren dazu entschlossen, mit der Womenswear zu wachsen und unsere gesamten Kapazitäten darauf zu richten, denn uns war klar, dass bei den Damen ein deutlich größeres Wachstumspotenzial bestand als bei Männern. Für uns war das die richtige Entscheidung. Der Schritt, jetzt wieder eine anspruchsvolle, kleine Herrenkollektion anzubieten, erfolgte aufgrund einiger Faktoren: Zum einen wurde bei uns von Handelsseite immer wieder nachgefragt, zum anderen haben wir für unser doch sehr charakteristisches Produkt im Bereich der Menswear ein großes Potenzial festgestellt.“

Und warum soll es klappen? Der deutsche Markt ist stark preisgetrieben.

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„Wir produzieren aktuell in der fünften Saison wieder Menswear. Jetzt haben wir mit unserem Vertriebspartner, der REINHARD SCHÜRENBERG MODEAGENTUR in München, die kompetente Agentur gefunden, die wir uns gewünscht haben. CIVIDINI ist keine Anker-Marke, mit der sich der Händler beim Endkunden erkennbar positioniert, aber wir bieten ein Preis-Leistungs-Verhältnis, das den Vergleich mit bekannteren Marken im gehobenen Preissegment keineswegs scheuen muss und so das Sortiment signifikant auffrischt dank unserer Kompetenz. Es mag sein, dass CIVIDINI im Bereich der Menswear immer ein Nischenprodukt bleiben wird, aber wir fühlen uns in dieser Nische überaus wohl. Wir stehen nicht für laute, extravagante Mode, aber wir veredeln jedes Teil zu einem einzigartigen Produkt. CIVIDINI ist ein ästhetisches Statement für Männer, die modisch interessiert sind, aber leise Töne vorziehen und anerkennen, dass wahre Qualität auch ihren Preis hat und haben muss.“

Strick ist doch eher zur Herbst/Winter-Saison angesagt, warum sind Sie ausgerechnet zum Frühjahr/Sommerin Deutschland gestartet?

„Das war mehr oder minder ein Zufall, irgendwie ‚italienisch‘, um auf Ihre Eingangsfrage zurückzukommen. Die Gespräche mit Herrn Schürenberg hatten sich so positiv entwickelt, dass beide Parteien sich einig waren, so schnell wie möglich einen Vertrag schließen zu wollen. Andererseits war es vielleicht auch ein bisschen ‚deutsch‘, denn wir verkaufen im Sommer grundsätzlich mehr Teile als im Winter, auch wenn sich das in absoluten Umsatzzahlen etwas anders bemisst.“

Mit welchen Erwartungen sind Sie in die Order gegangen, was ist Ihr Minimalziel?

„Anders als bei den Frauen, sind die Männer doch stärker an eine Marke gebunden. Händler listen eine Marke nur dann aus, wenn sie dauerhaft an Qualität verliert oder viele Fehler macht. Das ist gut für Marken, die drin sind, aber schwieriger für die, die reinwollen. Trotzdem bin ich von unserem Erfolg überzeugt, denn sonst wären wir nicht angetreten.“

Gibt es bereits kaufende Kunden?

„Mit dieser ersten Saison konnten auf Anhieb zwei Kunden gewonnen werden und wir haben viele interessierte Reaktionen bekommen. Viele Händler warten jetzt auf die kommende Winterkollektion. Erst kommt der Test, dann die zweite Saison auf der Fläche und ab der dritten Saison lassen sich realistische Ergebnisse für uns ablesen, aber ich denke, wir werden in den kommenden drei Jahren um die 50 Händler mit Menswear in Deutschland beliefern.“

Was erwarten Sie von Ihren Händlern, wenn sie Ihre Strickteile richtig vermarkten sollen?

„Jeder Händler von uns ist zugleich unser Markenbotschafter. Er sollte den Markenkern, unseren hohen Anspruch an Qualität und Design, verstehen und unsere Philosophie zum Endkunden transportieren. Ideal ist, wenn er und sein Verkaufsteam auf der Fläche CIVIDINI auch ein Stück weit selbst leben. Wir machen zwar keine laute Werbung, aber wir bieten zum Beispiel Schulungen vor Ort an. Hinter jedem Teil steckt eine Geschichte, die wir erzählen und die so interessant ist, dass sie weitererzählt werden sollte.“

Mit welchen Kalkulationen arbeiten Sie?

„Wir rechnen mit einer Kalkulation von 2,7. Manche Händler arbeiten auch mit einem höheren Faktor, was durchaus möglich ist, weil das Produkt es auf jeden Fall hergibt.“

Wie geht es in der kommenden Saison weiter?

„Wenn die Händler, wie sie es angekündigt haben, kommen, werden wir eine erstklassige Kollektion präsentieren und sie werden ordern. So hoffen wir, uns Schritt für Schritt an eine deutschlandweite Präsenz auf der Fläche heranarbeiten zu können. Aber wie auch unsere Mode, die alles andere als schrill und kurzlebig ist, wird das eine eher ruhige Entwicklung werden und nicht mit einem lauten Knall passieren.“

Verstrickt in Venetien

CIVIDINI STUDIO wurde 1983 gegründet und designte im Auftrag anderer Marken komplette Kollektionen. 1988 startete der Vertrieb der eigenen Marke CIVIDINI. Heute beschäftigt das Unternehmen um die 20 fest angestellte und 30 freie Mitarbeiter.Headquarter, Design, das Garn- sowie das Versandlagersind in Bergamo, die Produktion mit den Handstrickmaschinen und auch die industrielle Fertigung (fünf Partnerbetriebe) befinden sich in der Nähe von Vicenza, in Nanto.

Das Label hat eine Exportquote von 80 Prozent und liefert in 20 Länder, darunter Deutschland, andere westeuropäische Länder sowie Asien (China, Taiwan, Südkorea und Japan),die USA und Russland.

Die Männerkollektion umfasst rund 40 Teile. Von leichter Kaschmirqualität über Merino und Baumwolle, Leinen, Seide (im Sommer) und neuen Blends wie zum Beispiel Kaschmir, Hanf, Seide bis hin zu entsprechend schwereren Qualitäten im Winter. Die Teile treten modisch leise auf undwerden zu einem Großteil weiterbearbeitet sowiemit Druck- und Maltechniken in Handarbeit veredelt. Die Preisrange reicht von rund 80 bis 280 Euro im Einkauf. Die Teile, die mit der Handstrickmaschine gefertigt werden, kosten bis zu 600 Euro im Verkauf. Die insgesamt zwölf Handstrickmaschinen hat CIVIDINI gekauft und wieder instand setzen lassen. Auch sind einige Strickmaschinen, die bei den Partnerbetrieben stehen, im Besitz des Unternehmens.

Die maschinelle Produktion eines Strickpullovers dauert circa zwei Stunden, auf der Handstrickmaschine um die vier Stunden und mehr. CIVIDINI beschäftigt drei Strickerinnen und zwei Managerinnen für die Qualitätskontrolle.