
Er hat ein gutes Gefühl, sagt Chen Dapeng, Präsident der China National Garment Association und der CHIC sowie Vizepräsident des China National Textil Councils, im Pressegespräch am zweiten Tag der Messe. Der Markt kehrt zurück, national wie international. 40.000 Besucher sind am ersten Tag gezählt worden. Das ist gegenüber der Veranstaltung im März 2024 ein Plus von 12 Prozent. Insgesamt zählte die Messe rund 165.000 Besucher Im März 2024 zeigte sich Chen zuversichtlich, dass sich der Erfolg fast schon automatisch einstelle. „Wir sind das Tor zu China. Wer das Land verstehen lernen und hier Geschäfte machen will, kommt an einem Besuch der CHIC nicht vorbei“, betonte er.
Heute, ein Jahr später, sieht es der Manager noch genauso. Allerdings haben sich bekanntlich die Vorzeichen nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten und die sowieso eher von Misstrauen belasteten Beziehungen zwischen dem Reich der Mitte und der westlichen Welt nicht eben zum Besseren gewendet. Die Welt dreht sich weiter und wird auch die aktuellen Ereignisse überdauern, sagt Chen. In letzter Konsequenz bedeutet das für die chinesische Wirtschaft, besser zu werden, um gerade in herausfordernden Zeiten zu punkten: schneller, effizienter und mit einem qualitativ hochwertigen Output. Mit den besten Fähigkeiten und Angeboten. Chen selbst ist im vergangenen Jahr viel gereist, um Werbung für die CHIC zu machen. Unter anderem gab es Satellitenveranstaltungen in Florenz auf der Pitti und in Paris auf der Who’s Next. Das Geschäft läuft eben nur Face to Face, ohne persönlichen Kontakt geht es nicht. Jeder, der in China Geschäfte machen wolle, müsse erst den Markt verstehen, Kontakte knüpfen – und das könne man auf der CHIC am besten bewerkstelligen, wirbt Chen. Der zweite Grund für die Reisen war auch, chinesisches Design in der Welt bekannt zu machen. Man habe zur Welt auch im Design aufgeschlossen. Das müsse die Welt wissen und natürlich sei der Verband darauf bedacht, heimische Unternehmen zu unterstützen, sagt der Verbandsmanager.
CHIC in Bildern
Der chinesische Markt habe sich geändert, betont Chen. Inzwischen sind es nicht nur die westlichen Marken, die die Konsumenten, gerade die jüngeren, tragen. Die Menschen kaufen zusehends bewusst chinesisches Design und mixen diese Kleidung mit westlichen Marken zu einem besonderen eigenen Stil. Zudem machen auch in China die Casualisierung und der Wandel der Businesswear nicht halt. Sports- und Casualwear gewinnen weiter an Bedeutung. Mit einem Volumen von schätzungsweise 585 Milliarden Euro für dieses Jahr ist der Markt vergleichsweise stabil. Chen geht davon aus, dass auch die jüngst beschlossenen Maßnahmen zur Belebung der Konjunktur Wirkung zeigen werden. Der Markt und die Nachfrage würden sich weiter erholen. Er sagt auch, dass sich On- und Offline weiter vermischen und sich die Kräfteverhältnisse von ungefähr 50 zu 50 nicht so schnell verschieben werden. Allerdings bringt der Markt immer wieder neue Konzepte hervor, die ihr ganz eigenes Geschäftsmodell betreiben.
Es gibt auch Unternehmen, die unter dem Abwandern der internationalen Auftraggeber leiden und nun mit einem eigenen Markengeschäft versuchen, den Verlust zu kompensieren. GAOER produziert Outerwear. Die Auftraggeber kommen aus den USA und auch aus Europa. Früher waren auch Deutsche und Polen dabei. Doch das ist vorbei. Die Volumina reduzierten sich. GAOER produziert auch für andere chinesische Marken. Dennoch blieb Firmenchef David gar nichts anderes übrig, als mit CALEMUR eine eigene Outdoormarke zu starten. Das war im letzten Oktober. Noch sind die Anteile gemessen am Gesamtgeschäft vergleichsweise gering. David will sie gezielt nach oben bringen. Die Verkaufspreise liegen bei 300 bis 450 Renminbi für die Jacken und bei rund 150 Renminbi für die Hosen. David ist hier, um Wholesale-Partner zu finden. Erst einmal für den chinesischen Markt, er könnte aber auch exportieren. Um die Marke in China bekannter zu machen, hat er vor rund einem halben Jahr den Verkauf über TikTok gestartet. Etwa 1.000 Renminbi kostet es ihn pro Tag. Rund 500.000 Renminbi hat er bisher investiert. Zurückgekommen seien bislang 2 Millionen Renminbi. Auch auf der CHIC läuft gerade eine Verkaufsaktion. In den ersten vier Stunden wurden 177 Orders ausgelöst, 224 Teile verkauft. Storniert wurden wieder 31 Prozent. Der Erfolg könnte noch größer sein. Es dauere eben, sagt David.
Pasteur wurde aus dem gleichen Grund ins Leben gerufen wie CALEMUR. Neben Pasteur gibt es noch die Untermarke Blend (Casual Wear) und Culture Room, ein Serviceangebot für Designer. Der Produzent verliert internationale Auftraggeber und kann bei den Preisen nicht noch weiter nach unten. Der Kosten wegen, erklärt Xujia Ye, die Tochter des Firmengründers. Die Energiepreise steigen und auch die Lohnkosten gehen weiter hoch. Nach dem staatlich vorgeschriebenen Wechsel von Öl auf Gas sind die Energiekosten um 17 Prozent gestiegen. Lag das Monatsgehalt eines Arbeiters vor der Pandemie noch bei 4.000 Renminbi, sind es heute 5.000 Renminbi. Das mache es unmöglich, Preissenkungen mitzugehen. Zwar sind die freien Tage von zwei auf vier im Monat gestiegen und das bei einer täglichen Arbeitszeit von zehn bis zwölf Stunden. Bei Weitem kein europäischer Standard, was Arbeitsrechte angeht. Zwei eigene Stores betreibt das Unternehmen aktuell in Hangzhou und in Chongqing. Mit Preisen von bis zu 10.000 Renminbi für einen Anzug ist die Marke im oberen Segment angesiedelt. Xujia Ye sieht drei große Herausforderungen für Unternehmen wie ihres. In China selbst gibt es harte Konkurrenz, die auch nach dem Prinzip Copy and Paste arbeitet. Zum Zweiten wird der Kuchen für alle kleiner auf dem Heimatmarkt und die ausländischen Buyer wandern ab. Es gibt für sie keinen anderen Ausweg, als Dapengs Maxime zu folgen und besser, innovativer zu sein als andere.
INNERCO versteht sich als Plattform für urbane Mode, Lifestyle und Kultur. Das Konzept wurde von Gennie Qiuqiu in Chengdu gegründet und entwickelt sich zu einem wichtigen Treffpunkt für internationale und chinesische Marken. Das Projekt kombiniert klassische Elemente des Einzelhandels mit modernen Erlebniswelten. Auf einer Fläche von 7.740 Quadratmetern, verteilt über zwei Etagen, finden sich neben Verkaufsräumen auch gastronomische Angebote, Kunstausstellungen und Eventflächen. Die Betreiber setzen darauf, nicht nur Produkte anzubieten, sondern eine Umgebung zu schaffen, in der Marken und Konsumenten miteinander in Austausch treten. Die Flächen werden flexibel genutzt, um sowohl stationären Handel als auch temporäre Pop-up Stores und Veranstaltungen zu ermöglichen. Zu den vertretenen internationalen Marken gehören Rick Owens, FREITAG, RAINS, OAMC und Martine rose. Neben diesen etablierten Labels sind zahlreiche chinesische Streetwear-Marken wie RANDOMEVENT, ROARINGWILD und SOULGOODS vertreten, die einen starken Bezug zur Jugendkultur des Landes haben. 80 Prozent des Markenangebotes kommen aus China.
Das Unternehmen setzt auf interaktive Formate wie VR Retail Experiences und Online-Events, um seine Zielgruppe auch über die physischen Standorte hinaus zu erreichen. Mit dieser Mischung aus Handel, Kunst und urbaner Kultur entwickelt sich INNERCO zu einem aufstrebenden Akteur im chinesischen Einzelhandel und spricht gezielt eine junge, trendbewusste Zielgruppe an. Die 44-jährige Unternehmerin hatte vorher ihr Geld im Luxussegment verdient, sieht aber dort zum einen wenig Perspektiven und zum anderen will sie mit dem Konzept auch gestalten. Sie hat hier auf der Messe einen Raum angemietet und ist Teil des Matchmaking-Services der CHIC. Rund 30 Prozent der Marken tauscht INNERCO innerhalb eines Jahres aus. Es gibt also Informationsbedarf für sie selbst, aber auch für die Marken, die gerne auf ihre Flächen wollen. 20 Marken wird sie hier treffen. Zehn davon kennt sie bereits und hat im Vorfeld der Messe über diese recherchiert. Sie schätzt diesen Service sehr.
Die Entwicklung von INNERCO ist auf Wachstum ausgerichtet. Neben der Präsenz in Chengdu gibt es Pläne, das Konzept in weitere Städte wie Shenzhen, Shanghai und Guangzhou zu bringen. Digitale Angebote spielen dabei eine zentrale Rolle, allerdings schweben ihr dabei nicht die klassischen Kaufpartys der gängigen Plattformen vor. Dort ließen sich weder die Preise kontrollieren noch ein gewisses Qualitätsniveau halten. Im Gegenteil, Gennie will gestalten und Teil einer werteschaffenden Jugendkultur werden, auch wenn ihre Kunden durchaus 30 Jahre und älter sein können.
Eine der angesagten Marken, die INNERCO führt, ist 1807, ein Streetwear-Label mit Wurzeln im Hip-Hop. Kai ist der Designer der noch recht jungen Marke, die modisch im für das Genre typischen Gestus agiert. Gegründet hat das Label Chrissley im Jahr 2015. Verkauft wird das komplette Programm: Hosen, Jacken, Shirts und Schuhe. Ein wenig Blingbling, aber mit eigenem Charakter. Rund 300 bis 1.500 Renminbi ruft die Marke für das Basisprogramm auf. Für Premium-Produkte werden dann 800 bis in der Spitze 7.000 Renminbi fällig. Zielgruppe: junge und jung gebliebene Menschen mit passendem Geldbeutel im Alter von 25 bis 40 Jahren. Die Marke verkauft on- und offline. Zwar gibt es auch bereits Kooperationen mit der US-Brand Jeff Hamilton und der Rapper Tyga tritt als Markenbotschafter auf. Und wenn auch weitere US-Hip-Hopper die Marke vertreten werden, konzentriert sich 1807 immer noch auf den riesigen Heimatmarkt und will dort weiter expandieren. Inzwischen betreibt die Marke mehr als 20 Konzessionsflächen, unter anderem in Beijing, Shenzhen, Chongqing und Nanjing. Allein der Beijinger Standort erwirtschaftet mehr als 1 Million Renminbi. Auch interessant ist, dass dieStreetwear-Brand schon 2019 komplett aus dem Online-Geschäft ausgestiegen ist und seither mit realen Flächen expandiert. Eine bewusste Entscheidung, um die Prozesshoheit nicht abzugeben. Auch ein Wholesale-Geschäft ist nicht angedacht. „Wir sind hier, weil wir eingeladen wurden von der Messe. Wir betrachten das als Werbung für uns.“
Schließlich gibt es ein Wiedersehen mit Tina Ayasse. Die Designerin war schon im vergangenen Jahr Ausstellerin in Shanghai. Sie ist immer noch begeistert von den Perspektiven und vielen Möglichkeiten, in China Geschäfte zu machen. „Auch diesmal habe ich wieder Neukunden gefunden. Wholesaler, die ihr Fach verstehen, beraten und Mode suchen, wie wir sie haben. Ich werde auf jeden Fall wiederkommen und würde mir wünschen, noch mehr europäische Aussteller hier zu haben, um die Wahrnehmung zu steigern. Im Team, das sich bei allen Fragen auch gegenseitig unterstützt und hilft, ist vieles leichter“, sagt sie noch.
Fragmentierter Markt
In China gibt es verschiedene Vertriebsmodelle für Textilien und Mode. Der Markt ist riesig und fragmentiert, was dazu führt, dass unterschiedliche Geschäftsmodelle parallel existieren. Viele chinesische und internationale Marken setzen auf den klassischen Großhandel. Händler oder Distributoren kaufen größere Mengen ein und vertreiben die Ware über eigene Kanäle oder an kleinere Einzelhändler. Besonders in Märkten wie Guangzhou oder Yiwu gibt es riesige Großhandelszentren, in denen Textilien direkt von Herstellern an Händler verkauft werden. Internationale und chinesische Premium- und Luxusmarken setzen häufig auf Concession-Modelle in Kaufhäusern oder High-End-Shoppingmalls. Kaufhäuser wie SKP, Lane Crawford oder K11 bieten solche Flächen an.
Viele größere chinesische Marken wie BOSIDENG, SEPTWOLVES oder PEACEBIRD betreiben eigene Stores in Einkaufsstraßen oder Malls. Auch internationale Marken wie UNIQLO oder ZARA setzen in China auf dieses Modell. Besonders wichtig sind große Flagship Stores in Metropolen wie Peking, Shanghai oder Shenzhen, um Markenpräsenz zu zeigen. Chinesische Modemarken expandieren auch über Franchisenehmer. Partner übernehmen die Eröffnung und das Management von Stores, während die Marke die Produkte, das Branding und oft auch das Marketing steuert. China ist überdies der weltweit größte Markt für Online-Modehandel. Plattformen wie Tmall, JD.com, Pinduoduo und Douyin (TikTok China) dominieren den Online-Verkauf. Eine Vielzahl von Marken betreibt eigene Tmall-Stores oder nutzt Social Commerce, um über Livestreaming direkt an Kunden zu verkaufen.