„Die beste Antwort auf eine herausfordernde Zeit“

MICAM

Für die 100. Ausgabe der MICAM wünscht sich Verbands-Chefin Giovanna Ceolini klare Zeichen der Erholung. Alle Bilder ©FT

Autor: Markus Oess
Die Schuhfachmesse MICAM und die parallel stattfindenden Veranstaltungen mipel, TheOne Milano und MILANO FASHION&JEWELS zogen insgesamt 40.449 Fachbesucher an. 45 Prozent der Besucher kamen aus dem Ausland, vertreten waren 127 Länder, darunter Deutschland, Frankreich, Spanien, China und Japan. Die Zahlen entsprechen weitgehend der vorherigen Ausgabe.

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1.758 Marken aus 51 Ländern nutzten die verschiedenen Messen zur Präsentation ihrer Kollektionen. Trotz der angespannten Marktlage bleibt das Messeangebot ein wichtiger Treffpunkt für die Branche. Antonio Tajani, Italiens Vizepremier und Außenminister, betonte die wirtschaftliche Bedeutung der Modeindustrie für das Land. Die Nachfrage auf der MICAM konzentrierte sich auf handwerklich gefertigte Schuhe mit klassischen Formen und funktionalen Elementen. Besonders gefragt waren Country-inspirierte Modelle, Hiking-Schuhe und robuste Paraboot-Designs in Braun- und Erdtönen.  Digitale Entwicklungen spielten eine zunehmende Rolle. MICAM präsentierte den KI-gestützten „Trends Buyer’s Guide“, der Social-Media-Analysen zur Marktprognose nutzt. Der deutsche Markt bleibt für italienische Hersteller wichtig, auch wenn die Exporte 2024 wohl rückläufig waren. Die 100. MICAM im September soll neue Impulse setzen.

Zwischen Tradition und Innovation

Die 99. Ausgabe der MICAM zeigte trotz wirtschaftlicher Herausforderungen eine stabile internationale Beteiligung. Giovanna Ceolini, Präsidentin des italienischen Verbandes der Schuhhersteller Assocalzaturifici, spricht im FT-Interview über die Rolle von Handwerkskunst und technologischer Innovation, die Bedeutung der Digitalisierung für die Branche und die Herausforderungen des globalen Marktes. 

„Deutschland ist ein wichtiger Markt für unsere Unternehmen und rangiert als drittgrößtes Zielland für italienische Schuh-Exporte. 2024 erreichten die Exporte einen Wert von 1,014 Milliarden Euro (minus 4,1 Prozent).“ Giovanna Ceolini ©MICAM

FASHION TODAY: Giovanna, die 99. Ausgabe der MICAM ist zu Ende gegangen. Sind Sie mit den Ergebnissen zufrieden?
Giovanna Ceolini: „Die bedeutende Besucherzahl, mit fast 50 Prozent internationaler Beteiligung, ist die beste Antwort auf eine herausfordernde Zeit für die Branche. Einmal mehr hat sich die Veranstaltung als unverzichtbare Plattform für all jene erwiesen, die Geschäftsmöglichkeiten in die Realität umsetzen wollen. Ein Pflichttermin im Kalender von Branchenprofis sowie italienischen und internationalen Unternehmen. Hier können Besucher hautnah die Schuhe erleben, die in den kommenden Kollektionen im Mittelpunkt stehen werden. Es ist eine Bühne, auf der die Exzellenz der italienischen Fertigung erstrahlt, geprägt von handwerklicher Expertise und einem Blick in die Zukunft. Besonders freue ich mich über die positive Resonanz auf unser Konferenzprogramm, das hochwertige Schulungssitzungen bot und wertvolle Einblicke in die drängendsten Themen der Branche lieferte.“

Die globalen Entwicklungen haben die Stimmung weltweit gedrückt. Die Herausforderungen sind erheblich, nicht nur für die Schuhbranche. Ist das der Grund, warum Sie die neue MICAM-Kampagne „Gamechanger“ genannt haben?
„Wir haben uns entschieden, unsere diesjährige Kampagne den außergewöhnlichen Menschen zu widmen, die die Schuhindustrie vorantreiben. Ihre Handwerkskunst, ihr Fachwissen und ihr tiefgehendes Wissen hinterlassen einen nachhaltigen Eindruck. Schuhmacher sind die Bewahrer einer alten Tradition und zugleich Vorreiter ständiger Innovation. Saison für Saison wandeln sie ihr Erbe, indem sie modernste Materialien einführen, bahnbrechende Techniken entwickeln und mutig die Zukunft von Design und Stil prägen – und das alles unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit. Sie sind diejenigen, die die Spielregeln neu schreiben. Deshalb wurden sie während der MICAM als wahre ,Gamechanger‘ gefeiert. Die positive Resonanz des Publikums bestätigte den Wert dieser Entscheidung.“

MICAM in Bildern

Was sind aus Ihrer Sicht die aktuellen Gamechanger und damit die wichtigsten Hoffnungsträger für die italienische Schuhindustrie sowie für die Messe, die als internationales Branchentreffen fungiert?
„Es sind genau die Persönlichkeiten, die ich zuvor erwähnt habe – diejenigen, die die Verbindung zwischen handwerklicher Tradition und technologischer Innovation verkörpern, die den Erfolg der italienischen Schuhindustrie sichert.“

Die Digitalisierung schreitet voran, auch bei MICAM, zum Beispiel mit dem AI Trend Guide. All dies beeinflusst die Branche und natürlich auch MICAM. Wie stark wird künstliche Intelligenz die Schuhindustrie verändern?
„Es geht nicht nur um Trends und Design, sondern auch um KI-gesteuerte Marktmodelle, die in extremen Fällen manipulierend wirken können – ähnlich wie in anderen Branchen. Der von Livetrend entwickelte ,Trends Buyer’s Guide‘ stieß beim Publikum auf großes Interesse. Dieser wurde mit künstlicher Intelligenz erstellt, um Social-Media-Datenströme und andere Variablen zu analysieren. Der Guide bietet eine innovative Zukunftsvision, indem er menschliche Kreativität mit digitaler Intelligenz kombiniert. Ich bin überzeugt, dass diese neuen Technologien in den kommenden Jahren eine zunehmend entscheidende Rolle spielen werden, um das Einkaufserlebnis zu verbessern und Unternehmen hochpräzise Prognosen über das Verbraucherverhalten und Präferenzen zu liefern.“

Wenn Sie diese Entwicklungen betrachten, überwiegt Zuversicht oder Besorgnis?
„Es geht immer darum, die Kontrolle zu behalten und neue Technologien zu beherrschen. Nur dann können wir sie in leistungsstarke und effektive Werkzeuge zur Verbesserung der Geschäftsergebnisse verwandeln.“

Wird die Digitalisierung die Beziehungen zwischen Industrie und Einzelhandel neu definieren und umgestalten?
„Die Digitalisierung ist der Schlüssel, um sowohl Verbraucher- als auch Einzelhandelsgeschäfte in der Zeit nach der Pandemie wettbewerbsfähiger und nachhaltiger zu machen. Sie wird auch dazu beitragen, die Beziehungen zwischen Herstellern und Einzelhändlern zu optimieren und Prozesse effizienter zu gestalten.“

Wie reagiert MICAM auf diese Veränderungen?
„Durch den Bereich MICAM X behandelt die Veranstaltung in jeder Ausgabe die drängendsten Themen der Branche und bietet Unternehmen sowie Besuchern Einblicke von Branchenprofis und globalen Experten. Bei der jüngsten Ausgabe konzentrierten wir uns auf folgende Themen: Kunst, Mode, Erbe & Zukunft, Trends & Materialien, Nachhaltigkeit und die Zukunft des Einzelhandels.“

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Die Verbindungen zwischen MICAM und der deutschen Schuhindustrie sind sehr stark. Gleichzeitig ist der deutsche Markt für Italien von entscheidender Bedeutung. Wie bewerten Sie die aktuellen Entwicklungen in Deutschland, so kurz nach der Bundestagswahl?
„Deutschland ist ein wichtiger Markt für unsere Unternehmen und rangiert als drittgrößtes Zielland für italienische Schuh-Exporte. 2024 erreichten die Exporte einen Wert von 1,014 Milliarden Euro (minus 4,1 Prozent). Wie Italien erlebt auch Deutschland eine komplexe globale Wirtschaftslage, beeinflusst durch anhaltende Konflikte, steigende Rohstoffkosten und sinkende Verbraucherausgaben.“

Auf der anderen Seite des Atlantiks sitzt nun ein rücksichtsloser Egomane im Oval Office, der sich mehr für Deals und persönliche Gewinne interessiert als für Gleichgewicht und Werte. Sein engster Berater, Elon Musk, gilt kaum als Gandhi der Tech-Industrie. Da sich die USA zunehmend aus globalen Angelegenheiten zurückziehen und sich nur auf ihre eigenen Interessen konzentrieren, wird der europäische Markt an Bedeutung gewinnen. Erleben wir eine Rückkehr zum Eurozentrismus, ausgelöst durch Russland, China und die USA? Und was bedeutet das für Europa?
„Zum jetzigen Zeitpunkt ist es schwierig, eine Prognose zu treffen. Wir müssen abwarten, wie sich die Situation entwickelt, insbesondere in Bezug auf Zölle.“

Themenwechsel: Im September feiert MICAM ihre 100. Ausgabe. Können Sie uns einen ersten Ausblick geben?
„Wir haben gerade die 99. Ausgabe abgeschlossen. Wir arbeiten bereits an einem einzigartigen Event für den September, aber es ist noch zu früh, um Details zu verraten.“

Was wünschen Sie sich persönlich und für uns alle zur Jubiläumsausgabe der MICAM?
„Ich hoffe, es wird eine unvergessliche Ausgabe, die eine deutliche Markterholung signalisiert. Das würde auch bedeuten, dass viele externe Herausforderungen, die derzeit erhebliche Probleme für unsere Branche und die Gesellschaft insgesamt verursachen, überwunden wurden.“

Schlaglichter 

Sioux

„Etwas mehr Frequenz wäre gut. Aber wir sind ja noch früh am ersten Messetag“, sagt Reiner Pfeiffer, Marketingleiter Sioux Schuhe GmbH. Wir waren diesmal auch auf der CIFF mit einem kleinen Stand. Die MICAM bleibt für uns die Messe Nummer eins. Wir haben diesmal einen etwas kleineren Stand, da wir im Jubiläumsjahr andere Kommunikationsschwerpunkte haben. Aber wir wollten Flagge zeigen.“

LLOYD

„Heute am zweiten Messetag ist die Resonanz doch stärker als zu Beginn dieser Ausgabe. Wir treffen hier in Mailand Einkäufer aus aller Welt und gewinnen immer wieder Neukunden. Asien ist weniger stark vertreten wie noch vor der Pandemie. Die MICAM ist für die Schuhbranche unersetzlich. Eine Messe für alle sehe ich in Deutschland nicht. Dafür ist die Modebranche zu heterogen“, betont LLOYD CEO Andreas Schaller. Generell haben Messen es heute schwerer zu reüssieren. Zumal die Zahl der relevanten Händler merklich verliert und die Händler, die noch da sind, mit einem kleineren Team antreten. Wir sehen auch, dass Modehändler zusehends versuchen, in diese Lücke vorzurücken. Wir positionieren LLOYD zur Lifestyle-Marke, die über das bloße Angebot von Schuhen hinausgeht. Wir werden auch in die Welt der Bekleidung vordringen.“

SNEARK

„Wir haben das Glück, als Emerging Designer auf der MICAM dabei zu sein. Ich bin wirklich zufrieden mit der Resonanz. Uns hilft die Messe ein großes Stück weiter“, sagt Lello Romano, Gründer der Marke SNEARK. Der Sizilianer ist eigentlich Architekt. Seine Sneaker (Durchschnittspreis EK 140 Euro, VK 320 Euro) werden komplett kompostiert. Einzig die Plastikkappen der Schnürsenkel müssen entfernt werden. SNEARK kooperiert mit dem grünen Pionier Ecotan. Produziert werden die Schuhe in der Toskana.

bugatti

„Wir stehen global vor Herausforderungen. Das wirkt sich natürlich auch auf unsere Branche aus. Wir können das Volumen bei bugatti halten, auch in dieser Orderrunde. Mit unserer neuen Damenschuhmarke TT. BAGATT, mit der wir 2021 gestartet sind, legen wir kontinuierlich zu. Wir sind unterm Strich mit dieser Ausgabe der MICAM zufrieden.“ Tim Varrall, AstorMueller AG

JOSEF SEIBEL

„Ich bin zufrieden. Die großen Messezeiten sind leider vorbei. Aber mit einem Stück Realismus betrachtet, lohnt sich die MICAM für uns allemal. Die Messe bleibt das Schaufenster in die Welt. Auch die deutschen Händler wie Zumnorde oder KLAUSER waren hier.“ Winfried Göbel