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Autorin: Katja VadersBenjamin Rennicke und seine Partnerin Nuria Simon lebten in Spanien, als die Wirtschaftskrise sie im Jahr 2011 einholte – und sie daher beschlossen, nach Berlin zu ziehen. Mit nur 20 Euro in der Tasche kamen die beiden mit ihren Kindern in der Hauptstadt an und gründeten kurzerhand ihr eigenes Unternehmen BERLIN UNDERWEAR. Ihre erste Kollektion nähten sie noch im heimischen Wohnzimmer. Inzwischen betreibt das Paar eine eigene Brand, einen Store sowie einen Onlinehandel mit einem sehr sympathischen wie nachhaltigen Konzept, das uns Benjamin Rennicke in einem Gespräch erklärte.
FASHION TODAY: Wie kam es zur Gründung von BERLIN UNDERWEAR? Und vor allem: Wie kommt man auf die Idee, Unterwäsche im heimischen Wohnzimmer zu nähen?
Benjamin Rennicke: „Ich hatte meine Partnerin während der Semesterferien meines Archäologiestudiums in Spanien kennengelernt, wo wir dann auch gelebt und Kinder bekommen haben. Im Jahr 2011 machten sich die Nachwirkungen der Krise 2008 auch bei uns bemerkbar, und als wir noch 300 Euro hatten, habe ich gesagt: ,Wir müssen jetzt nach Berlin, das Geld reicht noch für den Sprit und dann schauen wir mal.‘ Wir kamen an mit 20 Euro Restgeld und zwei Kindern.
Und dann?
„Der Plan war einfach. Wir wollten etwas verkaufen, das wir selber produzieren und bei dem wir möglichst nah am Produkt und nicht von anderen abhängig sind. Wir waren beide mit unserer Unterwäsche unzufrieden. Ständig unbequem, nicht sonderlich ansehnlich und auch nicht besonders haltbar. Also haben wir uns etwas Geld von einem Freund geliehen, eine billige Nähmaschine und etwas Stoff auf dem Stoffmarkt gekauft und einige Tage und Nächte später waren die ersten Stücke fertig. Nach unseren heutigen Standards unglaublich schlecht, aber wir haben am ersten Tag auf dem Flohmarkt 200 Euro gemacht. Von da an ging alles relativ schnell, weil wir ziemlich fleißig und zielstrebig sind. Ein paar Monate später war auch schon der Webshop fertig, die erste Mitarbeiterin ließ dann auch nicht lange auf sich warten, wie auch ein Atelier mit Industriemaschinen.“
Ihr Unternehmen trägt „Berlin“ im Namen. Wie leben Sie Ihren Standort in der Hauptstadt in Ihrem Unternehmenskonzept und den Kollektionen aus?
„Für uns ist es wichtig, die komplette Produktion selbst in der Hand zu haben und nicht die Fertigung irgendwo billig im Ausland (aus welchem Grund lagert man seine Produktion sonst aus?) abzugeben, wo alles bei unbekannten Subunternehmern landet: Sobald man seinen ,Kontrollbesuch‘ beendet hat, übernimmt die Produktion sonst wer zu wer weiß welchen Konditionen und Bedingungen. Man kennt ja die Geschichten … Und das wollten wir nicht! Wir haben tolle Mitarbeiter hier aus Berlin, die uns seit Jahren treu sind, und wir behandeln uns gegenseitig sehr gut. Ich denke, unsere Kunden wissen das auch zu schätzen.“
Was bedeutet das für Ihr Konzept?
„Wir wollten unserer Verantwortung hier bei uns, wo wir leben, gerecht werden. Besonders wichtig war uns, dass wir zu 100 Prozent hinter dem stehen können, was wir tun. Dazu gehört, niemandem beschönigende oder halbwahre Geschichten zu erzählen. Das enttäuscht mich persönlich im Gespräch mit Kollegen auf dem Markt, Messe- und Marktgeschäft nämlich oft sehr. Aber das muss jeder für sich entscheiden.
Wir wissen sehr wohl, dass wir nicht den verlockenden Weg des leichten Geldes gehen und uns so wesentlich mehr Arbeit und Verantwortung aufhalsen, aber wir wollen uns nicht den Charakter vergiften und unseren Teil dazu beitragen, dass die Welt ein bisschen besser wird. Das ist für mich das Wichtigste im Leben: Dass man, wenn man zurückblickt, feststellt, dass man alles ein klein wenig besser hinterlassen hat, als man es vorgefunden hat.“
Kann man von der Produktion und dem Verkauf von Unterwäsche und Bademoden leben? Wie sind die Margen?
„Von unserem Betrieb haben zu Spitzenzeiten circa 20 Personen plus deren Kinder gelebt, aber wenn dann auf sehr gute Monate plötzlich schlechte folgen und man zum Teil innerhalb von einer Woche Zigtausende Euro für das Finanzamt an Vorsteuer auftreiben muss, für Sachen, die man noch gar nicht verkauft hat, schläft man nicht wirklich gut. Deshalb haben wir uns jetzt bei zehn Mitarbeitern eingepegelt, sind lieber regelmäßig ausverkauft und haben geringere Umsätze, aber mehr Stabilität.
Unsere Margen sind für Textil tatsächlich ziemlich schlecht. Das liegt daran, dass wir trotz der sehr hohen Kosten hier in Deutschland die Preise unten halten wollen. Wir möchten nämlich kein Luxusprodukt für wenige Gutbetuchte anbieten, sondern lieber mehr mit weniger Gewinn verkaufen, damit sich jeder an ein paar schönen Höschen erfreuen kann.“
Wie viel Prozent Ihres Sortiments sind Bademode und wie läuft das Geschäft mit diesem Segment?
„Das Bademodensegment beläuft sich auf 5 bis 10 Prozent und läuft gut. Wir machen eigentlich immer das, worum uns unsere Kunden bitten. Das Neueste sind beispielsweise Tankinis, das hat eine ganze Weile gedauert. Sobald die Bikinis verkauft sind, machen wir neue.“
Welchen modischen Strömungen ist Bademode unterworfen? Ändern Sie jede Saison Ihre Schnitte, Farben und Muster? Oder sind Ihre Badehosen eher klassisch?
„Wir sind irgendwie außerhalb von Mode gelandet, weil wir unsere Schnitte über Jahre hinweg immer besser an die Wünsche unserer Kunden anpassen. Irgendwann sind alle zufrieden und wir müssen die Schnitte nicht mehr großartig ändern. Stoffe und Muster dagegen ändern sich ständig. Ich bestelle meist 15 Meter von einem Stoff und wenn der alle ist, dann ist er alle … Im Schnitt haben wir immer 50 Muster im Angebot und alle vier Monate bestelle ich dann 50 neue Designs.“
Woher bekommen Sie Ihre Inspiration? Besuchen Sie auch Messen?
„Wir arbeiten mittlerweile mit zwei Stoffproduzenten zusammen, die jeweils ihre eigenen Designer haben. Wir wünschen uns aber öfter Muster und machen Vorschläge, in welche Richtung es gehen könnte. Die Stoffe unserer Biokollektion sind zu 100 Prozent für uns angefertigt und auch die Muster wählen wir dementsprechend aus oder lassen sie von Stoffdesignern für uns entwerfen. Stoffmessen besuchen wir keine. Wir sind im Moment sehr zufrieden mit unseren Zulieferern und möchten nicht zu viel Variation in der Qualität haben.“
Es gibt immer weniger inhabergeführte Stores, die Unterwäsche und Bademoden verkaufen. Wer ist Ihre stärkste Konkurrenz? Und wie läuft Ihr Umsatz im Vergleich zum eigenen Onlinehandel?
„Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wer unsere stärkste Konkurrenz ist. Wir wurden schon öfter kopiert, aber das sind meist Frauen, die lokal im kleinen Rahnen etwas dazuverdienen und anscheinend kein Interesse oder nicht die Möglichkeiten haben, einen eigenen kleinen Betrieb aufzubauen. Das stört uns aber überhaupt nicht, leben und leben lassen. Die großen Firmen betrachten wir auch nicht als Konkurrenz, da wir einen Nischenmarkt bedienen, in dem wir aufgrund unseres Konzeptes der lokal gefertigten Einzelstücke mit Multis gar nicht in Berührung kommen. Das ist so wie die kleine, leckere Eismanufaktur um die Ecke, die auch nicht mit Langnese konkurriert.
Vor ein paar Jahren haben wir den Großteil noch auf Märkten und Veranstaltungen verdient, aber seit Corona machen wir weit weniger Veranstaltungen und verkaufen dafür mehr online. Da wir kein Geld mit Werbung verbrennen und die Preise gering halten möchten und weil es uns Spaß macht, würden wir dieses Jahr gerne wieder anfangen, mehr Märkte zu machen, weil wir dort auch unsere Stammkunden für den Onlineshop kennenlernen.“
Wenn Sie online verkaufen: Sind Bademode und Unterwäsche nicht vom Umtausch ausgeschlossen?
„Das mit dem Umtausch ist tatsächlich ein Thema. Rechtlich gesehen kann jeder Kunde es durchsetzen, auch Badesachen 14 Tage lang zurückzugeben. Zum Glück ist unsere Retourenquote aber bei unglaublichen 1, manchmal 2 Prozent, wenn überhaupt. Bei Textil sind ja sonst ganz andere Retourenquoten üblich. Unsere Kunden sind generell verantwortungsbewusst und wissen, dass man Unterwäsche bei der Anprobe nicht auf der Haut trägt. Trotzdem lassen wir uns von unseren Kunden versichern, dass sie die Sachen nicht auf der Haut probiert haben, und wir hatten bisher keine Hygieneprobleme in den letzten 14 Jahren.“
Vielen Dank für Ihre Antworten und vor allem weiterhin viel Erfolg mit Ihrem sehr sympathischen, nachhaltigen Konzept!
Store
Berlin Underwear
Schönhauser Allee 44a
10435 Berlin
Online
https://www.berlin-underwear.com/
Märkte
- Mauerpark: sonntags 10‒17 Uhr
- Hackescher Markt: samstags 10‒17 Uhr
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