
Autorin: Katja VadersMit der Wahl von Donald Trump zum 47. US-Präsidenten rückt die westliche Welt einen weiteren großen Schritt nach rechts; auch in Europa regieren immer mehr rechtspopulistische Parteien in EU-Staaten. Dieser Rechtsruck ist vor allem für Menschen mit Migrationshintergrund besorgniserregend, aber auch die Mitglieder der queeren Szene sehen sich zunehmend Anfeindungen, vor allem in Social Media, ausgesetzt. Wie sieht in diesem Zusammenhang die aktuelle Situation in Deutschland aus, wo die AfD in Umfragen schon seit geraumer Zeit zweitstärkste Partei ist? FASHION TODAY bat kurz vor der Bundestagswahl Steven*, ein Mitglied der Gay Community, in einem Gespräch um seine ganz persönliche Einschätzung der Situation.
(* Wir haben den Namen von Steven auf eigenen Wunsch geändert.)
FASHION TODAY: Steven, du bist ein homosexueller Mann von Anfang 50 und arbeitest als Stylist unter anderem für Filmproduktionen. Hast du das Gefühl, dass sich in deinem beruflichen Umfeld das Klima für dich und andere Menschen aus der queeren Szene verändert hat?
Steven: „Meinst du, ob sich aufgrund des politischen Klimas etwas am Umgang mit mir als schwulem Mann in meinem Beruf geändert hat? Ich würde sagen nein, vor allem, weil ich nur mit freien Geistern zusammenarbeite, größtenteils sind es Freelancer wie ich. Auch die Agenturen, die mich buchen, haben Mitarbeitende, die mir gegenüber genauso open-minded sind wie immer.“
Du reist viel. Wie sieht momentan die Situation in deinen bevorzugten Urlaubsorten aus?
„Meiner Erfahrung nach hat sich in einigen Ländern die Situation für queere Menschen verändert, wenn auch nur minimal. Ich war kürzlich in Djerba, Tunesien, und wenn du dort als Homosexueller einen einheimischen Lover hast, vermeidet er, mit dir gesehen zu werden, damit er nicht in Misskredit bei seinen Verwandten und Bekannten gerät. Auf der anderen Seite sieht man aber ältere Frauen, die ganz offensichtlich Sextourismus betreiben und Hand in Hand mit sehr jungen tunesischen Männern auf die Straße gehen, was von allen geduldet wird. Das nehme ich dann erstaunt zur Kenntnis, weil ich bei der Buchung eines airbnb-Apartments Schwierigkeiten mit dem Vermieter bekommen habe. Ich hatte meinen Lover als Übernachtungsgast angegeben, was ja grundsätzlich erlaubt ist. Als ich zu einem späteren Zeitpunkt das Apartment noch einmal buchen wollte, bekam ich eine Absage, obwohl es frei war. Man sagte mir, ich hätte es bei meinem letzten Aufenthalt in einem schlechten Zustand hinterlassen – was nicht der Wahrheit entspricht. Es war offensichtlich, dass mir der Vermieter etwas anhängen wollte, da er ein Problem mit mir als einem homosexuellen Mieter hatte. Das fand ich schon sehr erschreckend.“
Wie empfindest du aktuell deine Situation als schwuler Mann in Deutschland?
„Ich wohne in einer mittelgroßen deutschen Stadt, in der es ähnlich ist wie in anderen europäischen Großstädten und Metropolen: Man sieht junge Männer aus allen Gendergruppen, von Homosexuellen über Bisexuelle, aber auch Heteromänner, die im Rock, mit Spaghettiträger-Top und langen Ohrringen über die Straße laufen. Da denke ich mir oft: Wie toll, was heutzutage alles möglich ist! Ich freue mich also über das Bunte, stelle aber gleichzeitig fest, dass viele schwule Männer dieser Entwicklung irritiert oder ablehnend gegenüberstehen. Sie sind genervt, dass diese neue Offenheit ständig abgebildet wird, sprachlich, aber auch optisch.“
„Verbal werde ich immer wieder angegangen, es gibt einen bestimmten Männertyp, der schwule Männer angreift – und zwar nicht nur mit Worten.“
Warum sind sie genervt?
„Ich glaube, es ist ihnen zu viel, sie wünschen sich vielmehr eine Duldung ihrer sexuellen Orientierung. Dieses Offensive führt aber dazu, dass viele ältere schwule Männer immer konservativer werden und ähnlich wie ältere heterosexuelle Männer zum Beispiel das Gendern oder das offen gelebte Queere komplett ablehnen. Auf mich wirkt es fast so, als wolle man im Gegensatz zu den jungen Aktivisten ,normal‘ rüberkommen. Dazu gehört, auch optisch ,unauffällig‘ zu bleiben.“
Wie äußert sich diese Unauffälligkeit?
„Diese schwulen Männer reduzieren den eigenen Look, um nicht mit den jungen, genderfluiden, oft heterosexuellen Typen in eine Schublade gesteckt zu werden. Ähnlich ist es mit der Sprache: Durch die ständige Überprüfung aller Formulierungen und die Vermeidung der vorgegebenen „No-Gos“ kommt es zu einer Verklausulierung des ehrlichen Sprechens in Konstrukte, die fern von dem sind, was man eigentlich ausdrücken wollte. Ausgenommen sind hier natürlich alle rassistischen Ausdrücke: Hier bin ich komplett kongruent mit dieser Rücksichtnahme, weil solche Formulierungen beleidigend sind. Wichtig ist, dass sich das Denken verändert – und nicht, dass die Sprache immer alles abbildet. Hier liegt nämlich die Gefahr, dass eine überkorrekte Sprache vielen zu anstrengend wird und das Gegenteil von dem auslöst, was man sich eigentlich wünscht.“
Migrationspolitik ist aktuell eins der Schwerpunktthemen im Wahlkampf für die bevorstehende Bundestagswahl. Sie ist auch für die queere Szene von Bedeutung, und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht. Sehr erschreckend ist beispielsweise die aktuelle Situation für geflüchtete, homosexuelle Männer, die in ihren Heimatländern aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verfolgt werden. Für viele von ihnen gehen die Einschüchterungen und Übergriffe nämlich in ihren Unterkünften hier in Deutschland weiter.
„Ja, das stimmt. Es gibt daher spezielle Wohneinrichtungen, in denen ausschließlich homosexuelle Männer leben. Ein Bekannter von mir ist in so einer Unterkunft untergebracht, in der natürlich die homophoben Angriffe ausbleiben. Trotzdem ist es für ihn dort schwierig, da sein Mitbewohner schwer traumatisiert ist, Drogen konsumiert und daher das Zusammenleben für meinen Bekannten unmöglich ist. Glücklicherweise konnte er privat bei einem Freund unterkommen. In einer normalen Flüchtlingsunterkunft ist es für Homosexuelle nicht auszuhalten, weil dort viele Männer aus den unterschiedlichsten Kulturen auf engstem Raum zusammenleben, darunter immer wieder solche, die sehr homophob sind. Die Bedingungen in diesen Einrichtungen sind natürlich generell und für alle sehr schlecht, aber das ist ein anderes Thema.“
„Einige Männer in Deutschland befürworten ein traditionelles, konservatives, teils religiös geprägtes Weltbild – das kommt von jungen Männern mit Migrationshintergrund, aber auch von den Rechten. Offenbar möchten auch Teile der Gay-Szene ,dazugehören‘ und verhalten sich daher ähnlich konservativ und lehnen diejenigen ab, die extrovertierter oder femininer gekleidet sind.“
Wie ist es für dich persönlich, wenn du dich im öffentlichen Raum bewegst? Bemerkst du, dass sich die Situation in den letzten Jahren verändert hat? Wirst du verbal oder sogar psychisch angegriffen?
„Verbal werde ich immer wieder angegangen, es gibt einen bestimmten Männertyp, der schwule Männer angreift – und zwar nicht nur mit Worten. Ein Freund von mir kleidet und stylt sich gern feminin. Er wurde in der letzten Zeit sehr häufig von jungen Männern, die oft einen anderen kulturellen Background haben als er und damit offenbar auch andere Moralvorstellungen, massiv eingeschüchtert. Das hat zur Folge, dass mein Freund sich inzwischen viel reduzierter und zurückgenommener kleidet, keinen Nagellack mehr trägt und auch Ecken in der Stadt meidet, an denen er diese teils sehr heftigen verbalen Übergriffe erlebt hat. Für ihn ist das schrecklich, da er selbst ein extrem toleranter Mensch ist, der jedem anderen immer sehr offen begegnet und für jegliche Diversität einsteht. Und dann wird er konfrontiert mit völlig rückwärtsgewandten Ansichten und Moralvorstellungen, die wir eigentlich schon für überwunden gehalten hatten. Es geht um unsere Freiheit, die schwule Männer sich sehr lange erkämpft haben und die dann auf einmal wieder eingegrenzt wird, weil das irgendeine Tradition oder Religion vorschreibt.“
Meinst du, dass solche Vorfälle, die ja nicht nur deinem Freund passieren, sich auch auf die Ergebnisse der Bundestagswahl auswirken könnten?
„Ich habe kürzlich bei ROMEO, das ist eine Dating-Plattform für die queere Szene, eine Wahlumfrage gesehen, deren Ergebnis ich absolut erschreckend fand: 27,8 Prozent der über 60.000 befragten schwulen Männer würden die AfD wählen, in der Altersgruppe von 18 bis 24 Jahren waren es sogar 34,7 Prozent.“
Bringst du diese Ergebnisse mit den beschriebenen Vorfällen in Verbindung – dass sich schwule Männer zunehmend bedroht fühlen von Angriffen, wie sie dein Freund erlebt hat?
„Das kann ich dir nicht sagen. Es ist auf jeden Fall schlimm, dass es gerade in der queeren Szene so viele junge AfD-Wähler gibt, da die Partei neben allem anderen ja auch nicht gerade für Schwulenrechte einsteht. Ich kann das nicht verstehen – genauso wenig wie, dass immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund sehr konservativ oder sogar rechts wählen. Was erwarten die von der AfD?“
Eben – zumal deren Anhänger nicht nur immer wieder Geflüchtete angreifen, sondern auch Menschen aus der LGBTQ+-Szene. Hinzu kommt, dass in Ländern, die von rechtspopulistischen Parteien regiert werden, die Rechte der Community, wie zum Beispiel die Ehe für alle, beschnitten werden und Queerfeindlichkeit salonfähig ist. Beobachtest du ähnliche Entwicklungen auch in Deutschland?
„Ich habe ja eben schon von meinem Bekannten erzählt, der aufgrund seiner sexuellen Orientierung nach Deutschland geflüchtet ist. Er hatte im letzten Jahr eine Gerichtsverhandlung, um endlich einen Aufenthaltstitel zu erhalten. Hier musste er anhand von teils sehr intimen Fotos und Videos und über die Aussagen von zwei seiner Freunde beweisen, dass er wirklich schwul ist. Das war natürlich für alle Beteiligten sehr unangenehm. Hintergrund ist, dass immer mehr Geflüchtete behaupten, homosexuell zu sein, um so einen Schutzstatus zu erhalten. Denjenigen, die wirklich in ihren Heimatländern aufgrund ihrer Homosexualität verfolgt werden, wird dann oft nicht mehr geglaubt und sie müssen einen Einblick in ihre Intimsphäre liefern.“
Lass uns noch einmal auf die Wahlumfrage zurückkommen, von der du eben erzählt hast. Beobachtest du auch in deinem privaten Umfeld, dass Mitglieder der Gay Community in die rechtspopulistische Ecke abgedriftet sind?
„Mir ist schon aufgefallen, dass mein Freund, der sich gerne feminin kleidet, teilweise auch von homosexuellen Männern schon sehr kritisch und abwertend beäugt wurde. Für mich ist das unglaublich: Wie können schwule Männer so konservativ sein? Vor 25 Jahren wäre das nicht passiert …“
Woran liegt dieses vermehrt konservative Verhalten?
„Einige Männer in Deutschland befürworten ein traditionelles, konservatives, teils religiös geprägtes Weltbild – das kommt von jungen Männern mit Migrationshintergrund, aber auch von den Rechten. Offenbar möchten auch Teile der Gay-Szene ,dazugehören‘ und verhalten sich daher ähnlich konservativ und lehnen diejenigen ab, die extrovertierter oder femininer gekleidet sind. Mir ist aber vor allem eins wichtig: Wir leben immer noch in einer freien Gesellschaft und auch wenn es diese Anfeindungen von allen möglichen Seiten gibt, können wir leben, anziehen, sagen, tun und lassen, was wir wollen. Auch wenn die schillernden Figuren der Szene in den letzten Jahren immer weniger geworden sind, ist es wichtig, dass sie umso lauter werden!“
… obwohl einige dieser schillernden und sehr feminin gekleideten Männer nicht unbedingt Teil der Gay Community sind, wie du eben schon festgestellt hast …
„Das stimmt. Manchmal denke ich, dass inzwischen einige Heteromänner offensiver gekleidet sind als Homosexuelle, sie erscheinen also schwul, sind es aber nicht. Ausgenommen sind hier natürlich die jungen Queeraktivisten, die sich gerne sehr feminin sowie offen gay kleiden und so leben, auch was ihre Sexualität angeht.“
Das gilt aber vor allem für das Leben in den westdeutschen Metropolen. Du bewegst dich aber auch immer wieder in der ostdeutschen Provinz. Wie ist dort die Situation für schwule Männer?
„Ich würde mich im Osten nicht so selbstbewusst in einem offensichtlich schwulen Outfit präsentieren wie im Westen. Auch wenn ich dort immer sehr maskulin unterwegs bin, bekomme ich Blicke, die zur Kenntnis nehmen, dass ich wahrscheinlich nicht heterosexuell bin. Trotzdem habe ich aber noch nie An- oder Übergriffe erlebt. Insgesamt denke ich, dass Menschen mit Migrationshintergrund in der ostdeutschen Provinz erheblich mehr Probleme haben als Homosexuelle.“
Lass uns abschließend noch einmal auf die kommende Bundestagswahl blicken. Derzeit ist die AfD bei Wahlumfragen zweitstärkste Kraft. Wir wissen, welche Pläne die AfD mit den geflüchteten Menschen in unserem Land hat – aber wie wird sich bei mehr politischer Verantwortung dieser Partei die Situation für die queere Community ändern?
„Es könnte sein, dass wir wieder damit anfangen müssen, für unsere Rechte und unsere Akzeptanz zu kämpfen – und das, obwohl die AfD absurderweise eine lesbische Kanzlerkandidatin hat. Ich denke allerdings nicht, dass die Partei radikal gegen die queere Community vorgehen wird.“
Vielen Dank für deine sehr persönliche Einschätzung!