Autorin: Eva Westhoff„OH, SCHUHEN!“ Amadeus Thüner liebt sein Sujet. Davon zeugt nicht nur das Ausrufezeichen, das sein Podcast im Titel führt, der erste deutschsprachige zum Thema Sneaker, wie er sagt. Seit 2018 richten er und seine Partner darin den Fokus auf die drei großen S – Sneaker, Streetwear, Subkultur. „OH, SCHUHEN!“-Podcasts sind Teil der Medienplattform OH! SNEAKER MEDIA, die weiteren Content über verschiedene Formate hinweg bündelt. 2021 machte sich Amadeus „Ama“ Thüner außerdem mit seiner Agentur für Markenberatung STUDIO HIGHFIVESANDSTAGEDIVES selbstständig. Seine Street Credibility hat er sich nicht nur im Rahmen seiner Arbeit für Plattenlabels und diverse Magazine erworben, darunter das Hip-Hop-Magazin JUICE und das TätowierMagazin. Thüner war auch für das deutsche Skatebrand TITUS tätig und ab den späten Nullerjahren am Format „TITUS Web TV“ beteiligt. Ein Gespräch über die Vermittlung von Mode- und Subkultur in digitalen Zeiten.
FASHION TODAY: „STUDIO HIGHFIVESANDSTAGEDIVES is a playground of Brand Consultancy & Culture Communications“. Mit diesen Worten präsentiert sich deine Agentur auf der Website. Wie übermittelt man kulturelle Inhalte an eine Generation, der gemeinhin eine kurze Aufmerksamkeitsspanne attestiert wird?
Amadeus Thüner: „Subkulturen sind keine Gruppengefüge der ausschließlich jungen Generation, um das vorwegzuschicken. Zumal eine Definition über das Alter heute nur noch bedingt möglich ist: Schaut man sich die Gen Z an, dann ist diese zwar in einer Altersspanne definiert, aber nicht in ihren unterschiedlich ausgeprägten Geschmäckern. Häufig sieht sich diese nicht mehr einer einzigen Subkultur zugehörig, sondern springt zwischen verschiedenen Subkulturen und ergründet ihre ganz eigenen Melting Pots. Sicherlich ist diese Generation bereits verstärkt im digitalen Zeitalter aufgewachsen, dennoch ist das Alter aus meiner Sicht keine Absage an ältere Formate. Ich denke, es geht um den Inhalt. Und dieser kann manchmal besser im Short-Format und mal besser im Long-Format übermittelt werden. Das auszuarbeiten, ist eine der herausforderndsten und damit spannendsten Leistungen im Rahmen der Arbeit mit Subkulturen. Abseits der Inhalte selbst natürlich. Wenn man nichts zu erzählen hat, dann hilft natürlich auch nicht das beste Format.“
Seit 2018 gibt es deinen Podcast „OH, SCHUHEN!“. Heute produzierst du für deinen YouTube-Account OH! SNEAKER MEDIA neben Podcasts auch Video-Content, der insbesondere das Sneakerthema von allen erdenklichen Seiten beleuchtet. Geht Kommunikation in Zeiten von TikTok überhaupt noch ohne Video?
„Es kommt auf die Inhalte an, die man transportieren, und die Menschen, die man damit erreichen möchte. Aber natürlich bietet Visualität, gerade in einem Kontext der Behandlung von Mode- und Lifestyle-Themen, eine bessere Möglichkeit des Wissenstransfers und der Unterhaltung.“
„Es wäre sicherlich töricht, wenn man sich als Marke nicht alle Kommunikationskanäle anschauen und diese dann mit den eigenen Inhalten und der Zielgruppe, die man erreichen möchte, abgleichen würde. Aber muss eine Marke alle Kanäle bedienen? Nein.“
Du kommst ursprünglich von den Printmedien, hast unter anderem lange für das Hip-Hop-Magazin JUICE geschrieben. Wie hat sich die Vermittlung von Inhalten durch die Omnipräsenz des Digitalen verändert und hat Print noch einen Wert?
„Print wird immer einen Wert haben, wenn der Inhalt des gedruckten Wortes auch einen Wert hat. Es ist wie bei Schallplatten: Das Medium scheint veraltet, birgt aber aufgrund dessen, was es mich sich bringt, viel Potenzial auch für eine jüngere Generation. Die Vermittlung und Ausarbeitung mag sich dennoch geändert haben: Sie ist häufig schneller, häufig pointierter – und das bietet viele positive Effekte, wenn man mit ihnen gehaltvoll und respektvoll umgeht. Und Inhalte schafft, die dieser Beschreibung auch gerecht werden.“
Was sind die wichtigsten Kanäle in der Kommunikation mit jüngeren Zielgruppen? Und sollte man die als Marke alle nutzen?
„Es wäre sicherlich töricht, wenn man sich als Marke nicht alle Kommunikationskanäle anschauen und diese dann mit den eigenen Inhalten und der Zielgruppe, die man erreichen möchte, abgleichen würde. Aber muss eine Marke alle Kanäle bedienen? Nein. Viel wichtiger ist hierbei die Authentizität innerhalb der geschaffenen Formate. Denn auch wenn die vermeintliche Zielgruppe zum Beispiel auf TikTok weilt, man aber keine echten Inhalte vermittelt und sie authentisch wie passend aufbereitet, wird ein Versuch mit diesem Format eher negative Auswirkungen haben. Der sogenannte Fit muss gegeben sein. Ein weiterer Punkt, der viel Leistung und Wissen abverlangt und sicherlich auch herausfordernd ist – aber eben auch Spaß macht.“
Beobachtest du Trends, was die Markenkommunikation über die sozialen Medien betrifft?
„Viele Marken wollen über ihre Werte wahrgenommen werden. Darüber, wofür sie stehen, welche Emotionen sich mit ihnen verbinden lassen. Das ist nachvollziehbar und sicherlich auch positiv zu bewerten. Gleichzeitig wollen sie aber keine Trends verpassen und schlittern dabei häufig in ein ‚Hauptsache, wir sind dabei‘-Momentum, welches manchmal konträr zur eigentlichen Identität steht. In diese Falle zu tappen, ist schnell passiert, sollte man aber zu verhindern versuchen. Wir brauchen alle keinen weiteren Finanzdienstleister, dessen Produkte sich nicht an eine junge Zielgruppe richten, der aber mit ‚Yo Yo Yo‘-Hip-Hop-Blödeleien versucht, den Rattenfänger von Hameln zu mimen.“
Influencerinnen und Influencer sind Multiplikatoren und können auf diese Weise die Markenwahrnehmung beeinflussen, aber setzen sie auch modische Trends? Oder, anders gefragt: Entstehen Trends heute auf TikTok oder gibt es noch Street Culture oder Subkulturen, die diese hervorbringen?
„Trends entstehen heute durchaus auch in den sozialen Medien. Es wäre vermessen, diesen Plattformen und den dort publizierten Inhalten ihre Inspirationskraft absprechen zu wollen. Schlussendlich gehört zum Stempel ‚Subkultur‘ aber auch immer ‚Kultur‘. Und diese findet sich am Ende immer noch auf der Straße und nicht im Internet.“
Kennst du Beispiele für neue „echte“, auf der Straße geborene Street- oder Urban-Wear-Brands?
„Deutschland hat in den letzten Jahren durchaus eine beeindruckende Menge an erfolgreichen und authentischen Marken zu pushen gewusst. Diese funktionieren in der Tradition der ‚alten‘ Marken und finden ihre Wege mit den Möglichkeiten, die sie heute haben – das finde ich ganz großartig. Ein gedrucktes Buch gewinnt 2024 ja auch nicht an Mehrwert, nur weil man die Produktion des 16. Jahrhunderts neu aufleben lässt und sich deswegen für etwas Besseres hält.“
Wie kann Markenbindung angesichts der Kurzlebigkeit von Trends gelingen? Welche Werte sind der Gen Z wichtig und was zeichnet ihre Vertreterinnen und Vertreter als Konsumentinnen und Konsumenten aus? Kann man das bei dieser sehr diversen Zielgruppe überhaupt sagen?
„Unabhängig von allem – und das ist allumfassend – ist eine Markenbindung aus meiner Sicht einzig durch authentisches Storytelling und damit einhergehende Emotionalisierung möglich. Wenn das nicht gegeben ist, ist ein Produkt am Ende des Tages nur ein Produkt.“
Welche Bedeutung hat Authentizität, grenzt man sich als junger Mensch heute noch durch Mode ab? Ich frage das auch mit Blick auf die vielfältigen Kooperationen zwischen Streetwear-Brands und etablierten Luxuslabels.
„Mode scheint laut der Statistiken und Abverkaufszahlen heute mehr Bedeutung zu haben denn je. Sie dient aber nicht immer zwangsläufig der Abgrenzung, sondern auch der Zugehörigkeit. Eine Ablehnung eines vermeintlichen Mainstreams geht trotzdem mit dem soziokulturellen Wunsch einher, sich dann aber innerhalb einer Subkultur ausdrücken und seine Peer Group finden zu können. Authentizität ist dabei immer wichtig gewesen und ich sehe jetzt auch keinen Widerspruch durch etwaige Kooperationen zwischen Streetwear und Luxury Fashion. Manchmal ist es auch gar nicht so wissenschaftlich, sondern einzig und allein subjektiver Geschmack. Und wir wissen ja alle, was man über Geschmack sagt …“
„Ist die Geschichte, die ich als Marke erzähle, eine, die authentisch, nachvollziehbar, in einem Maße vielleicht sogar wichtig und richtig und emotionalisierend genug ist, dass man hier etwas Langfristiges schaffen kann?“
Inwiefern beeinflussen Nachhaltigkeit und ethische Produktion die Kaufentscheidungen junger Menschen?
„Zu wenig. Aber mehr als früher. Der Weg ist dennoch ein noch sehr, sehr langer.“
Welche Rolle spielen Events oder das stationäre Erlebnis, also die physische Welt und auch Serviceaspekte in der Markenkommunikation mit der jungen Zielgruppe?
„Die Negativbeispiele der ausgerufenen D2C-Strategien haben sich 2024 signifikant gezeigt. Ohne die Emotionalisierung durch Brick & Mortar und Events haben es Marken schwer. Man tut der jungen Generation unrecht, wenn man sie ausschließlich als im Internet lebende Unterhaltungskonsumentinnen und -konsumenten abstempelt. Zumal mir diese Diskussion immer zu schwarz-weiß geführt wird: Das Internet ist weder der Teufel noch der Heilsbringer. Einen Store zu eröffnen, ist weder die beste noch die schlechteste Entscheidung. Es gibt zu viele Faktoren, die zum Erfolg oder Misserfolg führen können; nicht jede Strategie lässt sich eins zu eins adaptieren. It’s in the mix.“
Wann ist eine Kommunikation geglückt? Lässt sich das messen?
„Man könnte mit Abverkaufszahlen und Margen argumentieren – und hätte damit sicherlich nicht unrecht. Aber auch das wäre nur die halbe Wahrheit. Und wenn wir vom Positivbeispiel einer langfristigen Marktposition ausgehen wollen, dann ist es ein emotionaler Aspekt, der eine tragende Rolle spielt: Ist die Geschichte, die ich als Marke erzähle, eine, die authentisch, nachvollziehbar, in einem Maße vielleicht sogar wichtig und richtig und emotionalisierend genug ist, dass man hier etwas Langfristiges schaffen kann? Das sind Attribute, die aus meiner Sicht dazu führen, dass man eine Kommunikation als geglückt bezeichnen kann. Zahlen sind da nur ein Teil der Rechnung.“