„Das Musikbusiness ist schnelllebiger geworden“

Szene

Das CUBE wird vorwiegend von einem jüngeren Publikum besucht. © CUBE

Autorin: Katja Vaders
Die Ansprache der Generation Z stellt viele Branchen vor große Herausforderungen. Wie kann man möglichst authentische Marketingmaßnahmen für eine junge Zielgruppe umsetzen, die vor allem auf Social Media unterwegs ist? Ein Thema, das auch die Veranstaltungsbranche umtreibt, ganz besonders nach der längeren Zäsur aufgrund der Corona-Pandemie. Wie die Gen Z ausgeht, welche Art von Events sie bevorzugt und wie man diese Veranstaltungen am besten bewirbt, erzählte uns Nico Schiffer, Betreiber des Clubs CUBE in der Düsseldorfer Altstadt.

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Nico Schiffer: „Uns ist wichtig, in der Auswahl der Musik wenig wertend und offen für aktuelle Musikrichtungen sowie unbekannte Künstlerinnen und Künstler zu sein. Darauf springen die Kids an, im jungen Alter geht man offener mit neuen Trends um und hat noch keine verfestigte Meinung.“ © Velizar Kostadinov

FASHION TODAY: Nico, du bist seit vielen Jahren Betreiber des Clubs CUBE, zunächst in Paderborn und jetzt schon einige Jahre in Düsseldorf. Welches Konzept steckt hinter deinem Laden?
NICO SCHIFFER: „Ich habe das CUBE vor über 17 Jahren in Paderborn eröffnet, wir waren seinerzeit eine Location für alle Formen von Kultur und Subkultur. Als unser Mietvertrag auslief und nicht verlängert wurde, sind wir 2013 nach Düsseldorf umgesiedelt. Hier war es zunächst sehr schwierig, ein Stammpublikum aufzubauen, vor allem, weil es eine viel größere Auswahl an Clubs nicht nur in Düsseldorf, sondern auch im angrenzenden Köln und im Ruhrgebiet gibt. Dennoch war uns von Anfang an ein kultureller Anspruch wichtiger, als den Laden immer vollzukriegen – die Gastronomie sehen wir bis heute eher als Mittel zum Zweck. Toleranz und Weltoffenheit gehören definitiv zu unserem Konzept, sowohl was unser Programm, aber auch was unsere Gäste angeht. Unsere Türpolitik ist dementsprechend sehr offen und liberal. Wir wollen keine speziellen Szenen ansprechen, sondern einen Biotop schaffen, in dem jeder mitfeiern kann, der sich gut benimmt und Lust auf das hat, was wir anbieten.“

Wie würdest du eure konkrete Zielgruppe beschreiben, auch, was das Alter angeht?
„Auch hier liegt unser Fokus auf unserem klar definierten kulturellen, inhaltlichen Ziel und einer guten Atmosphäre und eben nicht darauf, eine zahlungskräftige Klientel anzuziehen. Daher waren wir in unserer Programmatik auch immer schon sehr progressiv. Das macht uns wahrscheinlich vor allem für ein jüngeres Publikum attraktiv. Uns ist wichtig, in der Auswahl der Musik wenig wertend und offen für aktuelle Musikrichtungen sowie unbekannte Künstlerinnen und Künstler zu sein. Darauf springen die Kids an, im jungen Alter geht man offener mit neuen Trends um und hat noch keine verfestigte Meinung. Vielen älteren Gästen waren wir hingegen oft nicht cool oder fokussiert genug und wahrscheinlich besteht deshalb das Fundament unseres Publikums aus jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 25 Jahren. Das ist natürlich auch von unseren Veranstaltungen abhängig – ältere Veranstalterinnen und Veranstalter ziehen auch ein älteres Publikum an.“

Gibt es heutzutage bei der jungen Zielgruppe noch klassische Szenen, wie man das aus den 1980ern oder 1990ern kennt?
„Absolut. Diese Szenen haben sich im Vergleich zu früher allerdings insofern verändert, als das Musikbusiness viel schnelllebiger geworden ist. Unser Leben ist heutzutage generell viel schneller und mit erheblich mehr Disruptionen verbunden als noch vor zwei oder drei Jahrzehnten. Und das drückt sich auch in der Musiklandschaft aus. Eine Szene wird viel schneller zum Hype, ist aber genauso schnell wieder durch, sobald sie zum Mainstream wird.“

Welche Rolle spielen dabei Social Media?
„Früher sind Bands lokal gewachsen und haben durch Touring ihre Tentakeln in den Rest der Welt ausgestreckt; heute macht man das eher übers Internet, dort gibt es die Multiplier, die Musikerinnen und Musiker teilen und so zum – wie gesagt manchmal sehr kurzfristigen – Hype machen.“

Wir haben jetzt vor allem über den Konsum der jungen Zielgruppe gesprochen – wie sieht es bei der Gen Z mit dem Selbermachen von Musik aus?
„Es wird viel selbst gemacht, weil die Technik unzählige Möglichkeiten bietet. Das Equipment für einen DJ kostet nicht mehr viel oder man bekommt es irgendwo sogar kostenlos zur Verfügung gestellt, zum Beispiel an Universitäten. Alles ist weniger aufwendig, Musik ist frei zugänglich und so können sich die Leute kreativ ausleben. Im musikalischen Bereich gibt es heutzutage übrigens weniger Bands und mehr einzelne Künstlerinnen und Künstler, die ihre musikalischen Ideen alleine oder zu zweit umsetzen.“

Wenn wir jetzt wieder zurückkommen zur konsumierenden Masse: Was erwarten deine Gäste aus der Gen Z von einem Club?
„Das ist eine sehr gute Frage, bei der ich mich schwertue, sie zu beantworten. Ich bin kein großer Fan von Verallgemeinerungen bezüglich der Generationen, denn sie setzen sich aus unterschiedlichen Menschen zusammen. In der Gen Z gibt es beispielsweise eine Menge Leute, die gar nicht feiern gehen. Das liegt auch an der Schnelllebigkeit, mit der sie aufgewachsen sind, und dem Selbstverständnis, online ständig Zugang zu zahlreichen Filmen, zu Musik, zu Livestreams und Mitschnitten von Konzerten zu haben und somit keine 50 Euro für ein Ticket ausgeben zu müssen. Das hält viele davon ab, in einen Club zu gehen.“

Lass uns bitte über den Style deiner jungen Gäste sprechen: Gibt es einen speziellen Look und den Wunsch, sich über Mode zu inszenieren?
„Ich finde es bei meinen jungen Gästen sehr faszinierend, wie sehr sie in ihrem Style sie selbst sein können. Es gibt Gruppen von Freunden, die es in dieser Zusammensetzung in den 1980ern oder 1990ern wahrscheinlich nicht gegeben hätte, zumindest nicht in meinem Umfeld. Damals sind Leute zusammengekommen, die von einer Kultur geprägt waren, was sich auch in einem sehr ähnlichen Style niedergeschlagen hat. Heute sieht man eine Gruppe von Kids, in der einer beispielsweise im 1990er-Rave-Style mit Plateausohlen und bunten Klamotten zusammen mit einem anderen im 1980er-Gothic-Look und jemandem in einem eher spießigen Look zusammensteht. Diese Kombinationslust und die damit verbundene Freiheit, sich auszuleben, völlig unabhängig davon, wie das die Freunde und Freundinnen tun, ist meiner Ansicht nach etwas Neues. Was ich auffällig und faszinierend finde: Es geht den Leuten offenbar darum, dass ihre Inhalte und Überzeugungen zusammenpassen, ob der Style matcht, ist nebensächlich.“

Kommen wir noch einmal auf deine Arbeit als Clubbetreiber zurück. Wie sprichst du die jungen Leute an, wenn du Marketing für das CUBE machst? Wie erreichst du die Gen Z?
„Damit tun wir uns tatsächlich im Moment etwas schwer und vermuten, dass die Kids heute nicht mehr so viel feiern gehen wollen – obwohl ich dazu keine wissenschaftliche Evidenz habe. Das macht es uns natürlich schwerer, die junge Zielgruppe zu erreichen. Außerdem stecken wir aktuell in einer Art Marketingkrise …“

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Was meinst du damit?
„Früher waren Flyer und Plakate, aber vor allem das kleine, ein bisschen szenisch aufgestellte Stadtmagazin wichtig, in dem alle Konzerte und Veranstaltungen angekündigt wurden; und auch Mundpropaganda hat eine große Rolle gespielt. Und dann kam das Internet und später Social Media. facebook war für eine lange Zeit das absolute Paradies für kleine und mittelgroße Clubs, hier konnte man Veranstaltungen erstellen, eine Community aufbauen, die Leute einladen und sein Publikum sehr direkt ansprechen – ohne dafür bezahlen zu müssen. Das lief bestimmt 15 Jahre sehr gut, bis sich die Plattform immer mehr kommerzialisierte und die Reichweite bei Millennials und der Gen Z abnahm, die kein oder wenig facebook nutzten. Die junge Zielgruppe ist auf Social-Media-Kanälen unterwegs, die nicht wirklich marketingfreundlich sind. Instagram, Snapchat oder TikTok sind sehr schnelllebige Plattformen und daher nicht auf eine nachhaltige Ansprache an das Zielpublikum ausgerichtet, stattdessen muss man sehr organisch seine eigene Followerschaft aufbauen, was bei diesen Kanälen ziemlich schwierig ist.“

Wie handhabst du das konkret für das CUBE?
„Es gibt ein Fundament an Stammgästen, das wir uns nach Corona aufgebaut haben, als die Leute wieder sehr gerne in Clubs ausgegangen sind. Inzwischen stehen viele allerdings mehr auf Events, und das bedienen wir dadurch, dass wir mit externen Veranstaltern und Veranstalterinnen zusammenarbeiten, die jeweils eigene Gäste mitbringen. Natürlich posten viele von ihnen, dass sie bei uns feiern waren – einige mit einer großen Reichweite –, was viel authentischer und damit für uns besser ist als jedes bezahlte Marketing.“

So erreichst du vor allem dein junges Publikum. Läuft diese Art von Marketing auch bei den „Junggebliebenen“?
„Die, wie du so schön sagst, ,Junggebliebenen‘ springen meiner Meinung nach auf die jungen Kanäle auf und identifizieren sich auch mit deren Content – viele von ihnen gehen seit 25 Jahren feiern, haben also nie damit aufgehört, Ausgehen ist ihre Lebenskultur. Solche Leute erreicht man eher mit Postern und Flyern – die wir aber sehr wenig nutzen, da wir vorwiegend online unterwegs sind. Außerdem leben wir vor allem davon, dass wir etabliert sind und die Menschen über uns sprechen.
Bei externen Veranstaltungen kann ich allerdings beobachten, dass Plakate wieder im Kommen sind. Die sprechen vor allem Leute an, die vielleicht Kinder bekommen haben, nicht mehr regelmäßig feiern gehen und sich ganz bewusst den sozialen Medien entzogen haben. Für die können Poster eine Art Zufallstreffer bedeuten: Vor 20 Jahren sind sie noch viel ausgegangen, sehen beim Spaziergang mit dem Kinderwagen ein Veranstaltungsplakat und denken: ,Cool, da performt ein DJ oder eine Band von damals, da geh ich hin.‘ Bei den Kids bilden sich hingegen online Plattformen, die Äquivalente sind zu dem, was die Älteren früher in Papierform hatten.“

Du hast eben Corona angesprochen. Wie hat deiner Erfahrung nach die Pandemie die Clubbing-Szene und ihre Gäste verändert?
„Als die Lage sich entspannte, hatten erst einmal alle Generationen wieder Lust auszugehen. Mittlerweile kann ich jedoch eine Problematik bei der ganz jungen Generation beobachten, die eigentlich aktuell ganz neu in die Clubs strömen müsste. Viele der Gen Z und jetzt auch schon der Gen Alpha haben über die Corona-Lockdowns verlernt beziehungsweise nie gelernt, sich in großen und engen Menschenmengen wohlzufühlen, wieder andere bevorzugen Open-Air-Partys. Wenn die Gen Z während der Hochzeit der Pandemie feiern war, dann vor allem auf illegalen Raves, die im Freien stattgefunden haben.“

Würdest du sagen, dass sich das Ausgehverhalten der jungen Zielgruppe nachhaltig verändert hat?
„Für viele Menschen, die in den Club gehen, um Kultur und Musik zu erleben, geht es vor allem ums Sehen und Gesehenwerden – das war meiner Meinung nach vor 30 oder 40 Jahren nicht anders. Die einzige Frage ist, wo und wie man das tut. In diesem Zusammenhang gibt es phasenweise verschiedene Trends, die sich immer wieder ablösen: Nach der Hochzeit der Love Parade in den 1990ern brach das Zeitalter der Events mit Festivals wie Hurricane, Southside oder Rock am Ring an. Bis die Leute sich wieder nach einem Ort sehnen, an dem sie sich wohlfühlen und zu dem sie eine Bindung aufbauen können, weil sie regelmäßig in die gleiche Location gehen – einen Club.“

In welcher Phase befinden wir uns aktuell?
„Ich glaube, dass wir jetzt, nachdem wir kurz nach Corona wieder in unsere Lieblingsclubs gegangen sind, in eine Phase der größeren Event-Positivität eintreten, was genährt wird von Influencer Marketing auf Social Media. Einzelevents bedienen die Schnelllebigkeit, von der wir schon gesprochen haben. Daher bin ich mir sicher, dass wir da jetzt schon ein Comeback sehen. Social-Media-Kanäle und das Internet insgesamt spielen bei dieser Entwicklung eine ebenso wichtige Rolle wie die ständige Verfügbarkeit von allem, was man konsumieren kann: Filme, Musik, Konzerte. Das prägt natürlich nicht nur die junge Generation, sondern auch ihr Ausgehverhalten.“

Vielen Dank für deine Einschätzung.