Autorin: Tays Jennifer Köper-KelemenDie britische Kosmetik-Kette Lush verfügt über 850 Shops und 12.000 Mitarbeiter weltweit. Ein markeneigener Social Media-Auftritt? Fehlanzeige! Fashion Today hat bei Tobias Kruse, Growth and Communications Strategy Lead für Lush Europe bei Lush Global Digital Limited, nachgehört, warum auf Kommunikation via Insta & Co. lieber verzichtet wird.
Seit 1995 bringt die Kosmetik-Kette Lush handgemachte und tierversuchsfreie Pflegeartikel wie Seife und Duschgel auf den Markt. Das britische Unternehmen mit Hauptsitz in Poole betreibt aktuell 850 eigene Ladengeschäfte und beschäftigt 12.000 Mitarbeiter weltweit. Erlebnisorientierte Live Events und Promotion-Aktionen in den Shops sind mitunter ein wichtiger Teil der internen Marketing-Strategie. Kommunikation und Interaktion über Social Media-Kanäle finden bewusst nicht statt. Lush verzichtet auf ein markeneigenes Profil auf einschlägigen Plattformen. Fashion Today hat bei Tobias Kruse, Growth and Communications Strategy Lead für Lush Europe bei Lush Global Digital Limited, nach den Beweggründen gefragt.
Kruse kümmert sich seit Oktober 2021 in über 13 Märkten um das europäische Digital Team und befasst sich mit allem, was sich bei Lush um Wachstum und Expansion im E-Commerce dreht. Im Jahr 2022 koordinierte er den digitalen Markteintritt von Lush in Polen, 2023 von Lush in Norwegen. Fortlaufend ist er mit Erweiterungen von Marketplaces in Europa betraut.
FASHION TODAY: Herr Kruse, Sie verzichten bei Lush auf markeneigene Social Media-Auftritte – seit wann ist dies so? Gab es einen Schlüsselmoment?
Tobias Kruse: „Die Entscheidung fiel im November 2021. Ein zentraler Auslöser hierfür waren die Enthüllungen der ‚Facebook Files‘, die unter anderem durch die Whistleblowerin Frances Haugen publik wurden. Haugen zeigte auf, wie die Algorithmen dieser Plattformen potenziell negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben können – insbesondere auf junge Nutzer*innen.
Für Lush, eine Marke mit starker ethischer Ausrichtung, war dies ein Wendepunkt. Die Entscheidung, keine eigenen Kanäle mehr mit Content zu bespielen, wurde getroffen, um ein klares Statement zu setzen und Verantwortung für das eigene Markenimage zu übernehmen. Lush möchte damit auch eine Diskussion anstoßen und Verbraucher*innen dazu anregen, sich ihrer eigenen Social-Media-Nutzung bewusst zu werden.“
Ausgerechnet Mode- und Beautymarken finden über soziale Medien aber viel Zulauf. Schadet es nicht den Umsätzen, wenn man sich entzieht?
„Der Verzicht auf Social Media hatte kurzfristig Auswirkungen auf unseren direkten Traffic. Langfristig hat sich jedoch gezeigt, dass authentische, echte Erlebnisse in unseren Shops und im Rahmen besonderer Aktionen eine noch tiefere Bindung zu unserer Kundschaft aufbauen – was sich in den vergangenen Jahren weiter positiv auf unsere Umsätze ausgewirkt hat.
Unsere Strategie konzentriert sich nicht nur darauf, einzigartige Produkte zu kreieren, sondern diese auch mit Me-Time-Momenten zu verbinden, die nachhaltiger im Gedächtnis bleiben, als ein flüchtiger Social-Media-Post. In unseren Shops finden regelmäßig Events statt, die echte Mehrwerte schaffen, wie Podiumsdiskussionen mit bekannten Autor*innen und Aktivist*innen, Fundraising-Aktionen, an denen Kund*innen teilnehmen und selbst einen positiven Beitrag leisten können, oder auch exklusive Promo-Aktionen für unsere Lush-Community.
Die Experience endet nicht im Store. Unsere Lush-App bietet ein immersives Entspannungsfeature namens BATHE, die viele Fans gefunden hat. Es gibt zu unseren Badebomben ausgewählte Playlists und Meditationen. Unsere Kund*innen können diese Funktion aktivieren und sich entspannt in der Wanne zurücklehnen. Es geht dabei nicht darum, dass man die Kund*innen möglichst lange in der App beschäftigt, sondern einfach BATHE einschaltet, das Handy weglegt und man selbst abschalten kann.
Auch Kooperationen mit Unternehmen wie Netflix oder Warner Bros., mit denen wir limitierte Kollektionen entwickelt haben, die von der Serie ‚Stranger Things‘ oder dem Film ‚Beetlejuice Beetlejuice‘ inspiriert waren, helfen uns, unsere Reichweite zu vergrößern, ohne auf klassische Social Media-Kanäle angewiesen zu sein. Diese Partnerschaften und Events stärken unsere Markenpräsenz und unterstützen unseren wirtschaftlichen Erfolg auf eine Weise, die unseren Werten entspricht und unsere Lush-Community mit alten und neuen Fans wachsen lässt.“
Wie reagieren Kunden, da Sie nicht auf Instagram & Co. zu finden sind?
„Unsere Kund*innen reagieren überwiegend positiv auf diese Entscheidung. Viele verstehen die Gründe hinter unserem Rückzug und schätzen nicht nur unsere konsequente Haltung, sondern auch, dass wir auf Transparenz setzen und Verantwortung für die Auswirkungen von Social Media auf die psychische Gesundheit übernehmen. Indem wir uns von diesen Plattformen zurückziehen, vermitteln wir ein bewusstes Zeichen – und genau diese Haltung wird von unserer Community respektiert und unterstützt.“
Welche Marketing Tools nutzen Sie anstelle von Social Media?
„Marketing ist für Lush nicht bloß ein Mittel zur Gewinnmaximierung, sondern eine Möglichkeit, echte, authentische Verbindungen zu unseren Kund*innen aufzubauen. Wir haben unser CRM und die App stark ausgebaut, um unseren Kund*innen stets die frischesten News und Produktlaunches zu bieten. Unsere Shops sind dabei das Herzstück und fungieren als ‚Experience Marketing Plattformen‘. Etwa 70 Prozent unseres Umsatzes erzielen wir in unseren Geschäften, wo wir den Millionen von Menschen, die jährlich unsere Shops besuchen, etwas bieten, das auf digitaler Ebene erweitert, aber eben nicht ersetzt werden kann: persönliche, fachkundige Beratung und ein interaktives, erlebnisorientiertes Einkaufserlebnis, das auf individuelle Bedürfnisse eingeht.
Zusätzlich setzen wir verstärkt auf strategische Kooperationen, etwa im Rahmen von Film- oder Serienstarts. Diese Partnerschaften – wie die Zusammenarbeit mit Netflix – sind ein effektiver Weg, unsere Markenbekanntheit zu steigern und bleiben daher ein wichtiger Pfeiler unserer Strategie. So gelingt es uns, langfristig eine starke Markenpräsenz aufzubauen, die auch ohne Social Media nachhaltige Kund*innenbindungen schafft.“
Wie informieren Sie Kunden über neue Produkte, Rabatt-Aktionen und News?
„Wir nutzen klassische Marketing-Kanäle wie unseren Newsletter und unsere Website, um regelmäßig interaktive Inhalte, Produktneuheiten und Updates mit unserer Kund*innen zu teilen. Diese Channels erfüllen ihren Zweck effizient und ermöglichen es uns, relevante Informationen gezielt bereitzustellen. Ein weiterer wichtiger Touchpoint ist unsere Lush-App.
Außerdem setzen wir auf Plattformen wie Discord, die uns einen direkten Austausch mit unserer Community ermöglichen und Raum für Feedback und Diskussionen bieten. Durch diesen ethisch vertretbaren und direkten Zugang schaffen wir nachhaltige Beziehungen, die über bloße Produktwerbung hinausgehen.“
Klassisches Marketing
Nutzen Sie denn nichtsdestotrotz Social Media, um sich über neueste Beauty Trends zu informieren und zu inspirieren?
„Obwohl Lush auf Social Media verzichtet, sind wir natürlich weiterhin daran interessiert, mit der Branche Schritt zu halten. Wir sind uns bewusst, wie wichtig diese Plattformen für die Entstehung und Verbreitung von Trends sind. Lush-Mitarbeitenden steht es selbstverständlich frei, diese Plattformen zu nutzen. Auf Unternehmensebene verstehen wir unseren Rückzug aber als klare Positionierung. Wir wollen ein Zeichen für mehr Transparenz setzen und stellen uns gegen die problematischen Praktiken großer Tech-Konzerne. Gleichzeitig zeigen wir, dass inspirierende, innovative Arbeit auch abseits der Social Media-Welt möglich ist.
Statt uns an bestehenden Trends zu orientieren, setzen wir lieber selbst neue Maßstäbe. Fast die Hälfte aller Produkte bei uns sind unverpackt und es werden immer mehr. Unsere Produktinnovationen, wie etwa unser neuer verpackungsfreier ‚Naked Mascara‘, sind Beispiele für Lösungen, die nachhaltige und sinnvolle Alternativen bieten – und damit den Markt aktiv prägen.
Darüber hinaus binden wir gezielt die Erfahrungen und Perspektiven unseren Mitarbeitenden und Kund*innen mit ein, um neue Produkte zu entwickeln. Mit unserem ‚Co-Create’-Programm bieten wir Mitarbeitenden zum Beispiel ein einzigartiges Produktentwicklungspraktikum, mit dem Ziel, Vielfalt, Inklusion und Zugehörigkeit zu fördern und authentische Geschichten aus den Communities unserer Mitarbeitenden aufzugreifen und in die Produktentwicklung einfließen zu lassen. Durch diesen ganzheitlichen Ansatz, der Innovation, ethische Verantwortung und direkte Zusammenarbeit mit unseren Mitarbeitenden und Partnern vereint, setzen wir neue Standards für die Zukunft der Kosmetik.“
In welche Richtung denken Sie, werden sich soziale Medien noch entwickeln?
„Wir glauben, dass soziale Medien eine wichtige Entwicklung durchlaufen werden. Immer mehr Menschen hinterfragen, wie diese Plattformen ihre Nutzer*innen beeinflussen und welche Auswirkungen sie auf die mentale Gesundheit haben. Was wir uns wünschen? Dass es ein wachsendes Bedürfnis nach Plattformen gibt, die transparente und positive Interaktionen fördern.
Sollte es zu einem solchen Wandel kommen, könnte Lush in Erwägung ziehen, wieder auf sozialen Medien aktiv zu werden. Dies würde unter der Voraussetzung geschehen, dass diese Plattformen tatsächlich für das Wohl und die Sicherheit ihrer Nutzer*innern sorgen. Wir setzen uns für eine transparente und ethisch verantwortliche Nutzung digitaler Medien ein und wünschen uns eine Zukunft, in der soziale Medien zu einem positiven Raum für Interaktion und Austausch werden.“