Autor: Markus OessDie Vorstellung einer Welt, in der Maschinen dominieren, wirft grundlegende ethische Fragen auf. Wie lassen sich Technologie und Religion vereinen und welche Verantwortung tragen wir im Umgang mit künstlicher Intelligenz (KI)? Prof. Dr. Idris Nassery, Leiter des Fachbereichs Islamische Normlehre an der Universität Paderborn, gibt Einblicke in religiöse und ethische Perspektiven auf KI und deren gesellschaftliche Implikationen. Über Ethik und Verantwortung im Umgang mit digitalen Technologien.
FASHION TODAY: Herr Prof. Nassery, wie gefällt Ihnen die Kultreihe „Terminator“?
Prof. Dr. Idris Nassery: „,Terminator‘ – legendär! Wie Arnold Schwarzenegger so schön sagt: ‚I’ll be back!‘ Und irgendwie kommt er ja immer wieder zurück, selbst wenn man ihn in flüssiges Metall taucht! Die Filme sind episch und zeigen ganz gut, wie schief es laufen kann, wenn man den Maschinen zu viel Macht gibt. Für einen Abend auf der Couch mit Popcorn und einem Hauch von existenzieller Angst? Stets eine gute Wahl!“
Im ersten Teil aus dem Jahr 1984 soll ein Cyborg, eine Mensch-Maschine aus der Zukunft, im Auftrag von Skynet, dem herrschenden Computersystem, Sarah Connor töten, die den späteren Revolutionsführer John gebären wird. Ist das aus heutiger Sicht betrachtet möglich, dass die Menschen dereinst von Maschinen kontrolliert, beherrscht werden und im Untergrund gegen ihre Vernichtung kämpfen müssen?
„Die Vorstellung, dass Maschinen die Menschheit völlig dominieren, ist gegenwärtig eher eine Fiktion, wie sie im ,Terminator‘ dargestellt wird. Allerdings wirft sie berechtigte Fragen über unkontrollierten technologischen Fortschritt auf. Derzeit sind wir noch weit davon entfernt, dass KI autonom moralische oder ethische Entscheidungen trifft, die unabhängig von menschlichem Design und Aufsicht sind. Die Angst vor einer ‚technologischen Singularität‘ – einem Wendepunkt, an dem KI sich über unsere Kontrolle hinaus selbst verbessern könnte – spiegelt mehr unsere Notwendigkeit wider, verantwortliche Aufsicht zu etablieren, als eine unausweichliche Realität. Um den Verlust menschlicher Selbstbestimmung zu verhindern, müssen wir Ethik in der KI-Entwicklung priorisieren.“
Sie haben Jura studiert, Wirtschaftswissenschaften, also recht weltliche Wissenschaften, ließen sich aber im islamischen Recht ausbilden und leiten den Fachbereich Islamische Normlehre am Paderborner Institut für Islamische Theologie an der Universität Paderborn. Wie ordnet der aufgeklärte Islam die KI ein?
„Ein aufgeklärtes islamisches Verständnis von KI betrachtet sie als ein Werkzeug, das dem Wohl der Menschheit dienen kann, sofern sie verantwortungsbewusst entwickelt und genutzt wird. In der islamischen Ethik ist Technologie wie KI moralisch neutral; ihr Wert liegt in ihrem Zweck und Gebrauch. Der Islam betont ein Gleichgewicht zwischen weltlichen Interessen und spirituellem Wohl, daher sollte KI idealerweise die menschliche Würde, Gerechtigkeit und ethische Verantwortung unterstützen. Das Ziel bei der Integration von KI sollte also sein, die Menschheit zu fördern, ethischen Prinzipien zu entsprechen und zentrale menschliche Werte nicht zu untergraben.“
„In der islamischen Ethik ist Technologie wie KI moralisch neutral; ihr Wert liegt in ihrem Zweck und Gebrauch.“
Welches Menschenbild und vor allem welches Gottverständnis liegt dem zugrunde?
„Im islamischen Denken wird der Mensch als Verwalter beziehungsweise Verwahrer der Schöpfung gesehen, mit einer einzigartigen Beziehung zu Gott. Diese Verwalterschaft bringt eine Verpflichtung mit sich, für die Schöpfung zu sorgen, Weisheit walten zu lassen und Gerechtigkeit zu fördern. KI, wie jedes wirkmächtige Werkzeug, sollte nicht unsere Verbindung zu Gott oder unsere ethischen Verpflichtungen untergraben. Stattdessen sollte sie uns helfen, diese Aufgaben besser zu erfüllen, stets mit Demut und einem Bewusstsein für menschliche Grenzen im Vergleich zum Göttlichen. KI sollte menschliche Fähigkeiten in einer Weise ergänzen, die den spirituellen Prinzipien von Barmherzigkeit, Fairness und Verantwortung entspricht.“
Wie schätzen Sie diese Problematik bei den anderen großen Religionen ein – im Zentrum allen Denkens steht doch die Beziehung des Menschen zu Gott, oder?
„Ja, auch andere große Religionen legen Wert auf die Mensch-Gott-Beziehung, die einzigartige ethische Überlegungen zur KI mit sich bringt. Das Christentum, Judentum, der Hinduismus und der Buddhismus haben jeweils ihre eigenen Vorstellungen von der Heiligkeit des Lebens, der Menschenwürde und des ethischen Verhaltens, die die Perspektiven auf KI prägen. In diesen Traditionen gibt es eine gemeinsame Betonung darauf, dass Technologie der Würde des Menschen dienen und nicht von tieferen spirituellen Wahrheiten und Praktiken ablenken sollte. Diese gemeinsame Basis könnte eine starke Grundlage für einen interreligiösen Dialog über die verantwortungsvolle KI-Entwicklung sein.“
Die KI kann unendlich lernen. Schaffen wir uns mit der KI einen neuen Gott, der allwissend und mächtiger ist als der Mensch, aber trotz allem berechenbar, weil er nach festen Gesetzmäßigkeiten arbeitet, im Gegensatz zu einem abrahamistischen Gott, der barmherzig ist, aber so nicht funktioniert? Schaffen wir uns also einen Gott 2.0, wie es Ihrer Münsteraner Kollege, Prof. Dr. Ahmad Milad Karimi, in seinem neuen Buch schreibt?“
„KI, egal wie fortschrittlich, fehlt es an den Qualitäten, die das Göttliche im Islam auszeichnen – Milde, Barmherzigkeit und absolutes Wissen. Während KI in der Lage ist, große Datenmengen zu verarbeiten, funktioniert sie innerhalb festgelegter Parameter und besitzt keine moralische Handlungsfähigkeit oder wahres Verständnis. Der Vergleich von KI mit einem ‚Gott 2.0‘ mag faszinierend sein, bleibt jedoch eine begrenzte und anthropozentrische Sichtweise. Wahre Göttlichkeit im Islam liegt jenseits menschlicher Konstrukte und ist fundamental anders als das, was KI darstellt. Die berechenbare Struktur der KI steht im starken Kontrast zur Transzendenz und zum Mitgefühl, die Gott auszeichnen.“
Warum aber brauchen wir überhaupt einen Gott, jemanden, der über uns steht?
„Der Glaube an ein höheres Wesen beantwortet fundamentale menschliche Fragen nach Sinn, Moral und Existenz. Er fördert ein Gefühl der Verantwortung, Demut und Verbundenheit. Diese Perspektive ist von unschätzbarem Wert im Umgang mit KI, da sie uns an die Notwendigkeit ethischer Grenzen, Mitgefühl und Respekt für die Würde des Menschen erinnert. KI kann mächtig sein, aber sie kann unsere spirituellen oder existenziellen Bedürfnisse nicht erfüllen; diese gründen sich auf Glauben, Selbstbewusstsein und menschliche Verbundenheit, die durch ein höheres Wesen gelenkt werden.“
Sie stehen der Technologie sehr offen gegenüber, sagen, KI könnte religiöse Rituale unterstützen, etwa durch virtuelle Gebetshilfen oder Roboter, die Zeremonien leiten. Dies könnte religiöse Praxis neu gestalten, erfordert jedoch ethische Reflexion über die Bedeutung und Authentizität solcher Formen. Aber Theologien seien gefordert, eine ethische Grundlage für die Entwicklung und Nutzung von KI zu schaffen. Es geht um die Bewahrung der menschlichen Würde und Verantwortung sowie den Schutz der Schöpfung im digitalen Kontext. Was meinen Sie damit?
„KI hat das Potenzial, religiöse Praktiken zu erleichtern, etwa durch virtuelle Gebetsbegleiter oder roboterunterstützte Zeremonien, besonders für Menschen, die nur eingeschränkten Zugang zu traditionellen Formen haben. Die Einführung von KI in religiöse Kontexte erfordert jedoch sorgfältige ethische Überlegungen, um Authentizität und Respekt vor Traditionen zu wahren. In der islamischen Theologie sollte die Rolle der Technologie stets ergänzend sein und nicht die echte menschliche Beteiligung an spirituellen Praktiken ersetzen. Die ethische Grundlage für den Einsatz von KI in der Religion muss die Würde des Menschen, die Heiligkeit der Anbetung und den Erhalt der Schöpfung in einem digitalen Zeitalter in den Vordergrund stellen.“
„KI wird wahrscheinlich beschränkt bleiben, wenn es darum geht, sich mit den komplexen Aspekten von Glauben und Spiritualität auseinanderzusetzen. Während sie Informationen verarbeiten und sogar Aspekte religiöser Sprache oder Bilder simulieren kann, fehlen ihr die Erfahrungsdimension und die emotionale Intelligenz.“
Sie fordern einen interdisziplinären Dialog zwischen theologischen, technischen und ethischen Disziplinen, um KI in einer Weise zu gestalten, die den religiösen und kulturellen Werten der Gesellschaft entspricht. Wie sollte dieser Dialog stattfinden?
„Ein wirksamer interdisziplinärer Dialog über KI sollte Theologen, Ethiker, Technologen, politische Entscheidungsträger und Vertreter verschiedener religiöser und kultureller Hintergründe einbeziehen. Ein solcher Dialog sollte auf gemeinsamen ethischen Prinzipien basieren, die die einzelnen Disziplinen übergreifen, und sich für Richtlinien und Praktiken einsetzen, die unterschiedliche Werte respektieren. Regelmäßige Foren, Workshops und Beratungsgremien können diesen Austausch fördern und dazu beitragen, einen ethisch fundierten Rahmen für KI zu schaffen, der integrativ und verantwortungsvoll ist.“
Trotz Fortschritten wird KI nie menschliche Emotionen und die Komplexität religiöser Erfahrungen vollständig nachahmen können. Diese Grenzen betonen die Unersetzbarkeit menschlicher Interaktion und die Einzigartigkeit religiöser Rituale. Bleibt die KI damit auf die Naturwissenschaft begrenzt oder kann sie dennoch auch Antworten für Glaubensfragen im weiteren Sinne geben?
„KI wird wahrscheinlich beschränkt bleiben, wenn es darum geht, sich mit den komplexen Aspekten von Glauben und Spiritualität auseinanderzusetzen. Während sie Informationen verarbeiten und sogar Aspekte religiöser Sprache oder Bilder simulieren kann, fehlen ihr die Erfahrungsdimension und die emotionale Intelligenz, die die menschliche Spiritualität prägen. Glaube ist ein persönlicher Weg, geformt durch innere Reflexionen, gemeinschaftliche Bindungen und die Begegnung mit dem Göttlichen – Aspekte, die KI als datenbasiertes Werkzeug nicht nachahmen kann. KI kann jedoch als unterstützende Ressource in der religiösen Bildung oder Praxis dienen, solange ihre Grenzen anerkannt werden.“
Zuletzt dann doch eine Frage an den Juristen: Könnte die KI ein Verbrechen begehen und könnte sie dafür zur Rechenschaft gezogen werden?
„Puh, stellen Sie sich das vor: ‚Roboter vor Gericht!‘ – das wäre mal eine Schlagzeile. Aber wenn der Roboter wirklich Mist baut, sagen wir mal, er schubst aus Versehen eine Vase runter, liegts meistens am Entwickler, nicht an den Drähten und Schaltkreisen selbst. Schlussendlich also: Die Verantwortung bleibt bei uns und die Roboter dürfen vorerst ohne Anwalt weitermachen.“
Der Interviewpartner
Seit Oktober 2019 leitet Prof. Dr. Idris Nassery den Fachbereich „Islamische Normlehre“ am Paderborner Institut für Islamische Theologie und forscht zu Ethik und Recht im Islam. Sein interdisziplinärer Ansatz umfasst Studien in Jura, Wirtschaft und islamischem Recht. 2022 gründete er das Institute for Law and Society in Afghanistan e.V. (ILSAF), das sich für Rechtsentwicklung in Afghanistan engagiert.