„KI-generierte Inhalte gehören niemandem“

Urheberrechte

„Wir haben schon mehrere technologische Wellen erlebt, bei denen man irgendwann immer angefangen hat, die Cash-Maschine anzuschmeißen. Das wird auch bei der KI vermutlich nicht mehr lange dauern“, sagt Prof. Dr. Daniel Antonius Daniel Hötte. ©KI generiert

Autorin: Katja Vaders
Derzeit existieren noch keine genauen gesetzlichen Vorgaben für den Umgang mit Urheberrechten bei von künstlicher Intelligenz (KI) generierten Inhalten. Welche Handhabe gibt es für Kreative, wenn ihre Werke unerlaubt von KI-Systemen im Netz eingesammelt und Userinnen und Usern zur Generierung neuer Inhalte zur Verfügung gestellt werden? FASHION TODAY bat Prof. Dr. jur. Daniel Antonius Hötte von der Hochschule Bielefeld um seine Einschätzung zu diesem komplexen Thema.

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„Natürlich haben alle Kreativen die Urheberrechte an ihren Werken. Die spannende Frage ist allerdings, wie man damit umgeht, dass die KI zuvor aus diesen Werken gelernt hat.“ Prof. Dr. Daniel Antonius Hötte ©Susanne Freitag

FASHION TODAY: Herr Hötte, Sie sind Jurist und Professor an der Hochschule Bielefeld. In welchem Bereich lehren Sie?
Prof. Dr. jur. Daniel Antonius Hötte: „Im Wesentlichen lehre ich im Bereich Digitalisierung, Immaterialgüterrecht insbesondere Urheberrecht und Datenschutz. Zuvor war ich einige Jahre als Rechtsanwalt in einer großen Kanzlei tätig, wo ich mit vielen internationalen Sachverhalten zu tun hatte. Ich versuche, Praxis, Lehre und Forschung zusammenzubringen.“  

Ich möchte mit Ihnen über KI-generierte Inhalte in Social Media sprechen, ein Thema, das sehr komplex und vor allem noch relativ neu ist. Wie hat sich die Thematik Ihrer Erfahrung nach in der letzten Zeit entwickelt?
„Zunächst einmal ist das Thema KI nicht nur ein juristisches Phänomen, für mich persönlich stellen sich hier vor allem gesellschaftspolitische Fragen. Wir bekommen zunehmend Bot- oder KI-generierte Inhalte zu sehen, die Fragen nach ihrer Authentizität aufwerfen, insbesondere bei Bildern und Videos. Wie werden wir diesen Inhalten in Zukunft gegenüberstehen?“

Wenn solche Bilder tatsächlich von KI generiert sind – wem gehören sie im Sinne des Urheberrechts? Man muss ja davon ausgehen, dass die KI zuvor mit bereits bestehenden Inhalten gefüttert wurde, die von Menschen kreiert wurden …
„Die Situation ist besonders, aber die einfache Antwort auf Ihre Frage ist, dass KI-generierte Inhalte niemandem gehören. Das Urheberrecht schützt nur natürliche Personen, in diesem Fall sind das die Kreativen in unserer Gesellschaft. Da die KI keine natürliche Person und damit keine Trägerin von diesen Rechten sein kann, gilt das auch für die in Ihrem Beispiel genannten Inhalte. Es gibt aber natürlich Bereiche, in denen man durch gezieltes Prompting (Interaktion mit generativen KI-Tools über Anweisungen, um gewünschte Ergebnisse zu erzielen. Anm. der Autorin)oder das verstärkte Einspielen von eigenen Werken das System in eine bestimmte Richtung lenken kann. In diesem Fall entstehen eventuell Urheberrechte für die Person, die das Prompting durchgeführt hat.“

Wenn ich als Journalistin einer KI vorgebe, dass sie mir einen Artikel über ein bestimmtes Thema schreiben soll, habe ich dann die Urheberrechte an dem so entstandenen Text?
„Nein, so einfach ist das nicht. Der Maßstab muss sein, dass sich Ihre Persönlichkeit in dem Ergebnis der KI widerspiegelt – so wie bei den Texten, die Sie selbst schreiben. Die KI darf also nur Ihr Werkzeug sein, nicht mehr. Stellen Sie sich einen Maler vor, der einen Pinsel benutzt: Hier würde niemand auf die Idee kommen, den Pinsel als Urheber zu bezeichnen, denn es ist der Maler, der den Pinsel führt. Genauso ist es bei dem Text, den Sie mithilfe von KI generieren: Ihre Autorenschaft muss klar erkennbar sein.“

Es reicht also nicht, drei Stichworte bei ChatGPT einzugeben, um mich dann anschließend Urheberin des Ergebnisses zu nennen?
„Genau dieser Punkt ist momentan noch unklar, ich gehe aber davon aus, dass die Maßstäbe relativ streng sind. Sie müssten die KI sehr eng führen und den generierten Text anschließend ausgiebig überarbeiten, um letztendlich die Urheberschaft für sich beanspruchen zu können.“

Wie sieht das bei gestalterischen Inhalten wie Illustrationen aus? Muss ich hier angeben, wenn diese von einer KI generiert wurden?
„Aus urheberrechtlicher Sicht müssen Sie gar nichts tun, Sie können sich allerdings auch nicht dagegen wehren, wenn andere die von der KI für Sie generierte Illustration übernehmen. Das ist ein spannendes Thema: Bei Gegenständen sind wir es gewohnt, dass sie einen Eigentümer oder eine Eigentümerin haben. Auch die Arbeit von Kreativen rechnen wir einer Person zu. KI-generierte Inhalte hingegen sind frei.“

Es ist aber doch so, dass die KI von Inhalten lernt, die zuvor von Personen in irgendeiner Form kreiert wurden – Songs, Bilder, Romane oder journalistische Texte wurden dazu in das System eingespeist. Wie geht man hier mit den Urheberrechten der Kreativen um?
„Natürlich haben all diese Kreativen die Urheberrechte an ihren Werken. Die spannende Frage ist allerdings, wie man damit umgeht, dass die KI zuvor aus diesen Werken gelernt hat. Es gibt eine gesetzliche Regelung, die man hier anwendet, die aber ursprünglich für das sogenannte Data Mining (Data Mining beschäftigt sich mit der Möglichkeit, in Datenbeständen versteckte Muster und Strukturen mittels systematischer Anwendung statistischer Methoden aufzudecken. Anm. der Autorin) gedacht war und die es Anbietern von solchen Systemen erlaubt, grundsätzlich Daten zu verwenden, ohne die Urheberinnen und Urheber zu fragen. Unter den Juristinnen und Juristen ist allerdings umstritten, ob diese Vorschrift auf KI anwendbar ist, auch wenn es dazu aktuell eine entsprechende Entscheidung des Landgerichts Hamburg gibt. Man darf also zunächst einmal auf die Werke von anderen Urhebern zugreifen, diese Inhalte müssen jedoch öffentlich oder aufgrund von Verträgen zugänglich sein.“

„Bei Gegenständen sind wir es gewohnt, dass sie einen Eigentümer oder eine Eigentümerin haben. Auch die Arbeit von Kreativen rechnen wir einer Person zu. KI-generierte Inhalte hingegen sind frei.“

Gibt es keine Möglichkeit, dagegen vorzugehen?
„Doch. Die Urheberinnen und Urheber können dem widersprechen, indem sie maschinenlesbar einen Vorbehalt in ihre im Netz veröffentlichen Inhalte integrieren und sie so kennzeichnen. Aktuell entsteht eine Diskussion, ob dieser Vorbehalt auch in normaler Sprache kommuniziert werden kann, weil die sogenannten KI-Crawler, die Webseiten nach kontextbezogenen Daten durchsuchen und Inhalte mitnehmen, mittlerweile in der Lage sind, natürliche Sprache zu erfassen. Früher hat man seine eigenen Werke über einen Code wie ein Wasserzeichen geschützt. Zusammengefasst: Man darf auf öffentliche Inhalte zugreifen – es sei denn, die Urheberinnen und Urheber machen deutlich, dass sie das nicht möchten. Es ist aber wie bereits erwähnt nicht ganz klar, ob diese Vorschrift, die eigentlich für Datenanalyse gedacht war, langfristig auf die großen KI-Modelle anwendbar ist.“  

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Ganz schön unheimlich dieses Bild von Crawlern, die durch das Internet kriechen und überall Inhalte mitnehmen … Da muss es doch auch irgendwo eine Grenze geben. Ab welchem Anteil, den die KI erkennbar von meiner Arbeit verwendet, darf ich meine Urheberrechte geltend machen? Gibt es da schon Präzedenzfälle?
„In Deutschland bislang nicht. Aber vielleicht muss ich dazu erst einmal beim Grundsatz im Urheberrecht beginnen: Der besagt, dass ein Stil und vor allen Dingen eine Idee, die nicht in etwas Bestimmtem verkörpert ist, erst einmal frei ist. Nehmen wir als Beispiel eine ikonische Skulptur von Jeff Koons in Ballonform: Die Idee dieser Skulptur kann im Prinzip von jedem nachgemacht werden, Koons kann das nicht verbieten – außer, Sie bauen das Werk genau nach. Dieser Grundsatz lässt sich auf alle anderen Werke übertragen.“

Bedeutet das, Kreative haben hier keine Chance, ihr Urheberrecht geltend zu machen?
„Selbst wenn jemand ganz erkennbar einen Stil nachahmt, wird der Urheber auch zukünftig keinen Erfolg damit haben, rechtlich dagegen vorzugehen. Die Grenze ist erst da erreicht, wo prägende und damit schutzfähige Elemente eines Ausgangswerks wiederholt werden. In Stanford hat man ein entsprechendes Experiment durchgeführt: Man hat eine KI dahingetrieben, dass sie ihre Ausgangs- und Lerndaten wieder preisgegeben hat. Letztendlich hat sie genau das ausgegeben, womit sie gefüttert wurde. Das Ergebnis war dann keine Neuzusammensetzung mehr, sondern, aufgrund von ganz konkreten Anweisungen, im Endeffekt eine Kopie des Originals – und somit eine Urheberrechtsverletzung.
Ein derartiges Vorgehen ist jedoch nicht Ziel dieser Systeme, es geht vielmehr um eine Neukombination und die ist ein relativ weites Feld. Im Prinzip dürfen wir uns an allen möglichen Inhalten bedienen, sie neu zusammenstellen, solange in der Gesamtbewertung die prägenden Elemente des ursprünglichen Werks nicht wieder auftauchen. Nur dann wäre es eine Urheberrechtsverletzung.“

Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Kooperation von Springer mit Open AI, in der der Verlag dem System seine sämtlichen Inhalte zur Verfügung stellte? Inwieweit haben hier die Urheberinnen und Urheber, die für Springer publiziert haben, noch eine Möglichkeit, ihre Urheberrechte geltend zu machen?
„Ich habe meine Zweifel, ob Springer so etwas darf, wir müssen davon ausgehen, dass erst einmal alle Urheberinnen und Urheber sämtliche Rechte an ihren Werken haben. Im Angestelltenverhältnis gibt es da zwar Ausnahmen, aber grundsätzlich werden nur Rechte an den Arbeitgeber, in diesem Falle Springer, abgegeben, die vereinbart sind. Aus dieser Kooperation entsteht aber eine Art der Verwertung, die sich vor einigen Jahren noch keiner vorstellen konnte und die daher vermutlich vertraglich so nicht eingeräumt wurde.
Aus meiner Sicht sind die Verträge aber ausschlaggebend: Ob beispielsweise Buy-out-Klauseln enthalten sind, in denen sich Springer alles Mögliche vorbehalten hat – ansonsten hätte der Verlag nämlich nicht das Recht, Inhalte zu verkaufen. Grundsätzlich ist es eine völlig neue Verwertungsart, Daten an KI zu verkaufen, daher wäre zu klären, ob Springer das Recht dazu von seinen Mitarbeitenden eingeräumt bekommen hat.“

„Springer wird sich jedenfalls in allen neuen Verträgen die Erlaubnis einholen, Inhalte an KI-Systeme weitergeben zu dürfen.“

Wahrscheinlich wird es schon bald entsprechende Erklärungen bei den großen Verlagen geben, die man als Urheberin oder Urheber unterschreiben muss …
„Ja, davon gehe ich aus – wenn das nicht sogar schon geschehen ist. Springer wird sich jedenfalls in allen neuen Verträgen die Erlaubnis einholen, Inhalte an KI-Systeme weitergeben zu dürfen.“

Wie wird sich Ihrer Meinung nach grundsätzlich dieses Thema in der kommenden Zeit entwickeln und wie werden Juristen, Juristinnen damit umgehen?
„Ich wage zu behaupten, dass es in den eindeutigeren Fällen zunächst einmal zu Prozessen kommen wird, in denen KI-Systeme prägende Elemente von bestehenden Werken übernommen haben und sich Urheberinnen und Urheber dagegen wehren, insbesondere im Bereich Fotografie. Die Gerichte werden dann darauf angewiesen sein, mit dem bestehenden Rechtsrahmen umzugehen. Ich habe hier schon erste Entscheidungen gesehen, die eher zugunsten der KI-Systeme ausgegangen sind. Das kann sich aber auch wieder in eine andere Richtung entwickeln.
Parallel dazu werden neue Gesetze zum Thema entwickelt werden – das aktuelle Urheberrecht ist nämlich derzeit noch nicht AI-ready. Diese neuen gesetzlichen Regelungen werden die Interessen aller Beteiligten besser austarieren, gegebenenfalls mit einer Vergütungspflicht für die Urheber; die derzeitigen Regelungen sind tatsächlich noch vergütungsfrei. Es bleibt spannend, wie sich das Thema entwickeln wird.“

Derzeit scheint es, als sei es für den Gesetzgeber schwer, bei der sehr schnellen Entwicklung von KI-Systemen hinterherzukommen.
„Allerdings. Aktuell haben wir es eher mit generischen Modellen wie ChatGPT zu tun. Der nächste Schritt wird sein, die KI auf urheberrechtlich geschützte Materialien fachspezifisch zu trainieren. Dabei werden Inhalte aus Medizin, Jura oder dem Ingenieurwesen entstehen, für die man die KI-Assistenten deutlich besser aufstellt. Daraus werden Produkte entstehen, die erheblich mehr Geld kosten als die 20 Dollar, die man derzeit für die ChatGPT-Premiumversion bezahlt.“  

Sie gehen also davon aus, dass die KI-Systeme sukzessive kommerzialisiert und damit auch reguliert werden, ähnlich wie das in der Vergangenheit mit großen Teilen des Internets passiert ist?
„Genau. Wir haben schon mehrere technologische Wellen erlebt, bei denen man irgendwann immer angefangen hat, die Cash-Maschine anzuschmeißen. Das wird auch bei der KI vermutlich nicht mehr lange dauern.“ 

Wir werden sehen, in welche Richtung sich dieses spannende Thema noch entwickelt. Herzlichen Dank für Ihre Einschätzung und das interessante Gespräch!

Der Gesprächspartner

Prof. Dr. jur. Daniel Antonius Hötte lehrt Wirtschaftsrecht an der Hochschule Bielefeld und ist als Of Counsel in einer Kanzlei tätig. Seine Tätigkeitsfelder sind insbesondere Rechtsfragen der Digitalisierung, Legal Tech und Immaterialgüterrecht. Er forscht unter anderem zu den Auswirkungen von KI auf Recht und Gesellschaft und hat bereits 2019 als Fellow des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft ein Konzept für ein Studienangebot „Artificial Intelligence in Law & Business“ erarbeitet. Zudem berät Prof. Hötte zu Fragen der digitalen Transformation.