Autor: Markus OessDie Studie „Arbeit und Karriere: Gleiche Chancen für alle?“ der IU Hochschule in Erfurt untersucht, wie es um die Gleichberechtigung in der Arbeitswelt steht. Im Fokus stehen dabei Unterschiede zwischen Männern und Frauen in Bezug auf Führungspositionen, Karriereambitionen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Trotz ähnlicher Qualifikationen und Motivation zeigt sich: Frauen sind in Führungspositionen weiterhin stark unterrepräsentiert. Neue Arbeitsmodelle sind gefragt.
Wer hätte das gedacht? Noch immer entscheidet das klassische Rollenverständnis von Mann und Frau über die Karriere. Entscheidend sind indes nicht Heim und Herd als Lebensaufgabe, sondern die Vereinbarkeit von Führung und Familie. Und da haben es Männer immer noch leichter, sie stellen sich augenscheinlich diese Frage erst gar nicht. Das ist ein Ergebnis der Studie „Arbeit und Karriere: Gleiche Chancen für alle?“ der Erfurter IU Hochschule aus dem vergangenen Jahr. An Aktualität hat die Untersuchung leider nicht verloren. Im EU-Vergleich belegt Deutschland mit einer Frauenquote von 28,9 Prozent Rang sieben. Erstaunlich ist zwar, dass die Republik besser als die Niederlande, Luxemburg oder Italien abschneidet, aber Länder wie Lettland sind da mit einer Quote von 45 Prozent einfach weiter.
Die IU-Studie belegt, dass Männer nach wie vor häufiger Führungspositionen bekleiden. Rund 32,2 Prozent der befragten Männer geben an, eine leitende Funktion zu haben, während es bei den Frauen nur 17,6 Prozent sind. Dies ist ein klares Zeichen dafür, dass der Aufstieg in Führungsrollen für Frauen immer noch mit Hindernissen verbunden ist. Ein Hauptgrund: Frauen sehen oft die zeitliche Belastung und die familiäre Verantwortung als Gründe, weshalb sie Führungsverantwortung ablehnen. „Die Vereinbarkeit von Familie und Karriere bleibt ein zentrales Problem, besonders für Frauen“, heißt es in der Studie. Dies führt häufig dazu, dass Frauen sich gegen höhere Positionen entscheiden, obwohl sie die gleichen Qualifikationen und das gleiche Potenzial wie ihre männlichen Kollegen haben.
Die Studie zeigt allerdings, dass flexible Arbeitszeitmodelle für Frauen eine wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, Karriere und Familie zu vereinbaren. 42,6 Prozent der weiblichen Führungskräfte arbeiten in Teilzeit, während der Anteil bei den Männern nur bei 20 Prozent liegt. Diese Diskrepanz zeigt deutlich, dass Frauen flexiblere Arbeitsmodelle benötigen, um Führungsverantwortung zu übernehmen und gleichzeitig private Verpflichtungen zu erfüllen. „Für viele Frauen ist Teilzeit die einzige Möglichkeit, Karriere und Familie zu vereinen“, so die Studienautoren. „Hier zeigt sich, wie wichtig flexible Arbeitsmodelle sind, um die Gleichstellung in der Arbeitswelt voranzutreiben.“ Arbeitgeber, die solche Modelle anbieten, ermöglichen es Frauen, in Führungsrollen zu gehen, ohne dabei familiäre Pflichten zu vernachlässigen. Wobei die Frage schon erlaubt sei, warum diese auch im eigenen Selbstverständnis der Frau zufallen muss. Das gute alte Patriarchat wirkt halt noch nach.
Besonders stark tritt das Problem bei der Familiengründung auf. Die Studie zeigt, dass 11,4 Prozent der Frauen nach der Geburt eines Kindes ihre Führungsposition aufgegeben haben, während dies nur auf 3,2 Prozent der Männer zutrifft. Hier wird klar, dass die Belastung durch Elternschaft weiterhin in erster Linie auf den Schultern der Frauen lastet. Das führt dazu, dass Frauen häufiger ihre Karrierepläne anpassen oder gänzlich aufgeben.
„Die Studie bestätigt, dass Elternschaft eine der größten Hürden für Frauen auf dem Weg in Führungspositionen bleibt“, erklärt ein Studienautor. Viele Frauen sehen sich nach der Geburt eines Kindes gezwungen, ihre Karriere zurückzustellen, was langfristig dazu führt, dass sie seltener in leitende Positionen aufsteigen.
In Bezug auf die Motivation für den Aufstieg in Führungspositionen sind sich Frauen und Männer wiederum ziemlich einig. Für beide Geschlechter stehen vor allem das höhere Gehalt und die persönliche Weiterentwicklung im Vordergrund. Rund 69,9 Prozent der Männer und 63,6 Prozent der Frauen nannten diese Faktoren als Hauptgründe für ihre Karriereambitionen.
„Es zeigt sich, dass Männer und Frauen ähnliche Beweggründe haben, eine Führungsposition anzustreben,“ so einer der Autoren der Studie. Während Männer jedoch stärker finanzielle Aspekte in den Vordergrund stellen, legen Frauen mehr Wert auf weiche Faktoren wie den Zusammenhalt im Team und die Anerkennung ihrer Arbeit.
Die Studie untersuchte auch die Wünsche und Erwartungen, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an ihren Job haben. Hier zeigt sich, dass die Top-Prioritäten beider Geschlechter erstaunlich ähnlich sind: Sowohl Männer als auch Frauen legen großen Wert auf Verdienstmöglichkeiten, Arbeitsplatzsicherheit und ein gutes Arbeitsklima. Frauen neigen jedoch stärker dazu, weiche Faktoren wie den Kollegenzusammenhalt zu priorisieren, während Männer eher auf harte Faktoren wie Gehalt und Karriereaufstieg fokussiert sind.
„Frauen legen besonders großen Wert auf zwischenmenschliche Beziehungen am Arbeitsplatz, und dies sollte in die Personalpolitik von Unternehmen einfließen.“
„Arbeitgeber sollten darauf achten, dass sie nicht nur finanzielle Anreize bieten, sondern auch ein gutes Arbeitsumfeld schaffen, das den Zusammenhalt im Team fördert“, erklärt ein Studienautor. „Frauen legen besonders großen Wert auf zwischenmenschliche Beziehungen am Arbeitsplatz, und dies sollte in die Personalpolitik von Unternehmen einfließen.“
Auch die Rolle der direkten Vorgesetzten wurde in der Studie angesprochen. Die Mehrheit der Befragten (80,1 Prozent) ist mit ihrer Führungskraft zufrieden, jedoch sehen nur weniger als die Hälfte ihre Vorgesetzten als Vorbild. Interessant ist dabei, dass das Geschlecht der Führungskraft kaum eine Rolle spielt. Es sind vielmehr die Leadership-Fähigkeiten, die entscheidend dafür sind, ob eine Führungskraft als Vorbild wahrgenommen wird.
„Die Geschlechterfrage spielt bei der Bewertung von Vorgesetzten eine geringere Rolle, als man vielleicht erwarten würde“, erläutert ein Studienautor. „Wichtiger sind Fähigkeiten wie Entscheidungsfreude, Empathie und Kommunikation.“
Ein weiteres Ergebnis der Studie ist der große Unterschied bei der Nutzung von Teilzeit und Homeoffice zwischen den Geschlechtern. Während 42,6 Prozent der weiblichen Führungskräfte in Teilzeit arbeiten, trifft dies nur auf 20 Prozent der Männer zu. Dieses Ergebnis unterstreicht die Bedeutung von flexiblen Arbeitsmodellen für Frauen, die versuchen, Karriere und Familie zu vereinbaren. Auch Homeoffice wird von Frauen häufiger genutzt als von Männern. Dies zeigt, dass flexible Arbeitsformen eine Schlüsselrolle spielen, um Frauen den Zugang zu Führungspositionen zu erleichtern und gleichzeitig ihre privaten Verpflichtungen zu erfüllen.
Die Ergebnisse der Studie machen deutlich, dass trotz ähnlicher Karrieremotivationen von Männern und Frauen strukturelle Hindernisse, insbesondere die familiäre Verantwortung, weiterhin Frauen von Führungspositionen fernhalten. Arbeitgeber sollten verstärkt flexible Arbeitsmodelle, Unterstützung bei der Kinderbetreuung und gezielte Förderprogramme für Frauen anbieten, um eine echte Gleichstellung in der Arbeitswelt zu erreichen.
„Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bleibt eine zentrale Herausforderung,“ betont ein Studienautor. „Unternehmen, die hier innovative Lösungen bieten, haben die Chance, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen und dadurch von einem vielfältigeren und inklusiveren Arbeitsumfeld zu profitieren.“ Für die Studie wurden 4.480 Menschen zwischen 16 und 65 Jahren befragt, die in einem Arbeitsverhältnis stehen.
Wie vor 70 Jahren
Die Arbeitsstrukturen sind oft noch so gestaltet, dass sie den Lebensmodellen von vor 70 Jahren entsprechen, als es primär der Mann war, der arbeitete. Eine echte Gleichstellung in der Arbeitswelt erfordert daher tiefgreifende strukturelle Veränderungen, fordert Prof. Dr. Alexandra Wuttig. Sie ist Kanzlerin IU Internationale Hochschule und Professorin für Innovation und Entrepreneurship.
FASHION TODAY: Frau Professor Wuttig, Deutschland liegt im EU-Vergleich mit 28,9 Prozent Frauenanteil im unteren Drittel, was weibliche Führungskräfte anbetrifft. Da dürfte Sie das Ergebnis Ihrer Studie kaum überrascht haben. Was macht der Staat falsch oder, anders gefragt, was machen Länder wie Lettland oder Polen diesbezüglich besser, wo die Frauenquote bei Führungskräften schon jenseits der 40 Prozent liegt?
Prof. Alexandra Wuttig: „Tatsächlich überrascht es wenig, dass Deutschland im EU-Vergleich mit einem Frauenanteil von 28,9 Prozent bei Führungskräften hinter Ländern wie Lettland (45 Prozent) und Polen (42,9 Prozent) liegt. Ein großer Teil des Problems in Deutschland ist, dass das System nicht auf die Unterstützung von ‚Working Mums‘ ausgelegt ist. Es gibt kaum gesetzliche oder gesellschaftliche Anreize, die es Frauen erleichtern, Familie und Karriere miteinander zu vereinen. Beispielsweise sind Steuer- und Betreuungssysteme sowie die Aufteilung von Haushaltsaufgaben in vielen Fällen noch traditionell auf die männliche Erwerbsarbeit ausgelegt. In Ländern wie Lettland und Polen sind gesellschaftliche Normen und politische Maßnahmen stärker auf die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt fokussiert und es gibt umfassendere Unterstützungsstrukturen, die es Frauen ermöglichen, Familie und Beruf zu vereinbaren.“
In Ihrer Studie nennen Frauen oft die hohe zeitliche Belastung und familiäre Verantwortung als Gründe, die sie davon abhalten, Führungsverantwortung zu übernehmen. Sind Frauen weniger egoistisch als Männer, die ja in der althergebrachten Familienstruktur offenbar keine Probleme haben, sich auf den Job zu konzentrieren? Welche strukturellen Hemmnisse sehen Sie in den Unternehmen?
„Frauen fühlen sich nicht unbedingt ‚weniger egoistisch‘ als Männer, sondern sehen es oft als ihre Pflicht an, familiäre Verantwortung zu übernehmen. Dies ist historisch und gesellschaftlich tief verankert und obwohl sich die Rollenbilder langsam ändern, bleibt diese Verantwortung häufig an den Frauen hängen. Die traditionelle Rollenverteilung beeinflusst die Karrieremöglichkeiten und führt dazu, dass Frauen seltener Führungsverantwortung übernehmen, insbesondere, wenn flexible Arbeitsmodelle fehlen.“
Welche Rolle spielt bei all dem die klassische Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen in unserer Gesellschaft und wie weit sind wir in der Arbeitswelt von einer wirklichen Gleichberechtigung von Männern und Frauen entfernt?
„Die traditionelle Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen ist ein zentraler Faktor, der Gleichberechtigung in der Arbeitswelt behindert. Die Arbeitsstrukturen sind oft noch so gestaltet, dass sie den Lebensmodellen von vor 70 Jahren entsprechen, als es primär der Mann war, der arbeitete. Eine echte Gleichstellung in der Arbeitswelt erfordert daher tiefgreifende strukturelle Veränderungen in der Art und Weise, wie Arbeit und Betreuung organisiert werden.“
Teilzeit ist ein Lösungsansatz. Bleibt dann nicht doch die Frau auf der Strecke, die Job und Familie vereinen soll?
„Teilzeitbeschäftigung kann eine Möglichkeit bieten, Beruf und Familie zu vereinbaren. Allerdings bleibt die Frau dabei oft auf der Strecke, da dies langfristig die Gehalts- und Rentenperspektiven negativ beeinflusst. Derzeit sind Frauen in Teilzeitstellen überrepräsentiert, was zu einer strukturellen Benachteiligung führt. Eine Veränderung der Arbeitswelt hin zu mehr Flexibilität und Gleichberechtigung ist daher essenziell.“
Angesichts des Fachkräftemangels können wir es uns gar nicht leisten, rechnerisch auf 50 Prozent potenzieller Führungskräfte zu verzichten. Was raten Sie Arbeitgebern, wie sie künftig mit dem Problem umgehen sollten?
„Arbeitgeber sollten daher verstärkt auf flexible Arbeitszeitmodelle setzen und Frauen stärker in Führungspositionen integrieren. Dies beinhaltet die Schaffung von Strukturen, die es Frauen ermöglichen, Karriere und Familie zu vereinen, ohne dass sie dadurch Nachteile in Kauf nehmen müssen.“