Autorin: Cordelia AlbertDas Cover verrät nicht, was uns gleich erwarten wird: Es ist rosa und in der Mitte das Schwarz-Weiß-Foto einer typischen 1920er-Jahre-Schönheit. Eine charismatische Frau mit kurzen blonden Haaren, schmal gezupften Augenbrauen und dünnen, rot geschminkten Lippen, die den Blick versunken nach unten ins Nichts richtet. Und dann der Bruch, nur ein paar Seiten weiter, dieselbe Person, jetzt etwas älter und mit Schutzhelm, mitten im Krieg.
Die Frau ist Lee Miller – Model, Muse, Künstlerin, Kriegsfotografin – und eine der wichtigsten Fotografinnen des 20. Jahrhunderts. Sie war in den Bereichen Fotojournalismus, Mode, Porträtfotografie und Werbung tätig, sorgte als „Supermodel“ ihrer Zeit für Aufsehen, inspirierte die Künstler des Surrealismus und arbeitete später als Fotojournalistin und Kriegsberichterstatterin. Vergessen war die 1977 in Großbritannien verstorbene Künstlerin nie, aber aktuell erfahren ihr Leben und ihr Werk durch den gerade in den Kinos laufenden Film „Die Fotografin“ mit Kate Winslet in der Hauptrolle wieder ein großes Interesse.
Keine Geringere als die Schauspielerin ist es auch, die mit einem sehr persönlichen Vorwort in das Buch einführt. Dem folgt die biografische Einleitung durch den Herausgeber Antony Penrose, den 1947 geborenen Sohn von Lee Miller, der als Nachlassverwalter des Lee-Miller-Archivs und der Roland Penrose Collection im früheren Wohnhaus seiner Eltern, dem Farleys House in Chiddingly (East Sussex), das Museum leitet.
Mehr als spannend liest sich die Biografie: Geboren 1907 in den USA, kam Lee Miller schon früh mit der Fotografie in Berührung, arbeitete auch als Model und ging 1929 nach Paris, wo sie ihr Handwerk verfeinerte und mit Surrealisten und Avantgarde-Künstlern wie Jean Cocteau und Pablo Picasso verkehrte. In den Jahren mit dem Fotokünstler Man Ray entdeckten sie gemeinsam die Technik der Solarisation, um faszinierende Halo-Effekte (Verzerrungen) zu erzeugen. 1932 gründete sie ihr eigenes Fotostudio in New York und wurde zu einer prominenten Werbefotografin, zog danach in den Nahen Osten und wieder nach Europa, bevor sie ab 1944 die offizielle Kriegsfotografin der „Vogue“ wurde und Bilddokumente von den Angriffen der deutschen Luftwaffe auf Großbritannien, der Invasion der Alliierten und dem Ende des Zweiten Weltkrieges schuf. Die Grauen des Krieges hielt Lee Miller ebenso in ihren ausdrucksstarken Fotografien fest wie die Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Dachau.
Diesen künstlerischen Werdegang präsentiert der hochwertige und gleichzeitig feinsinnige Fotoband mit 100 ihrer herausragenden Arbeiten in chronologischer Reihenfolge. Er versammelt ihre berühmtesten Dokumentar-, Mode- und Kriegsfotografien und macht die hohe künstlerische Qualität der Fotos und die unschätzbare Aussage der Bildinhalte von Lee Miller als Zeitdokumente deutlich. Es ist so viel mehr, als das Cover erahnen ließ.
Antony Penrose: Lee Miller – Fotografien. Mit einem Vorwort von Kate Winslet. Elisabeth Sandmann Verlag, 1. Auflage 2023, Hardcover mit Schutzumschlag, 144 Seiten mit 100 Fotografien. 38 Euro.
ISBN: 978-3-949582-13-4