Autorin: Katja Vaders Die 29-jährigen Zwillingsbrüder Ben und Kurt Etuk kamen als Kinder von Kamerun nach Duisburg. Im Teenageralter entdeckten sie ihre Leidenschaft für Mode – und für das Thema Nachhaltigkeit. Vor zwei Jahren gründeten sie ihre Brand etuk, die sich dementsprechend nachhaltiger, avantgardistischer Streetwear sowie dem Upcycling von Denim verschrieben hat. FASHION TODAY sprach mit den Brüdern über ihre Geschichte, ihre Inspiration und ihre Ziele.
FASHION TODAY: Ben und Kurt, ihr seid in Kamerun geboren. Seit wann lebt ihr in Deutschland?
Ben: „Wir sind im Jahr 2003 im Alter von acht Jahren mit unserer alleinerziehenden Mutter nach Deutschland gekommen. Sie hat damals ganz allein den Sprung nach Europa gewagt und Asyl beantragt. Unsere Mutter musste von Grund auf neu anfangen, was damals sehr herausfordernd für sie war.“
Fühlt ihr euch noch mit Kamerun verbunden? Was bedeuten euch eure Wurzeln?
Kurt: „Sehr viel, denn unsere Wurzeln prägen uns bis heute. Viele Entscheidungen, die wir getroffen haben, stehen in Verbindung mit dem Ort, an dem wir geboren sind. Wir haben immer noch viel Kontakt zu unserer Familie in Kamerun, unsere Herkunft spielte auch eine Rolle bei der Entscheidung, unser Modeunternehmen zu gründen, vor allem, was die Nachhaltigkeitsaspekte angeht.“
Wie kamt ihr zu der Idee, eure Fashion Brand etuk zu gründen? Kurt, du bist für das Design zuständig, was ist dein Background?
Kurt: „Die Gründung unserer Brand hat definitiv auch mit unseren afrikanischen Wurzeln zu tun, unsere Oma war Schneiderin und hat uns damit schon sehr früh an das Thema Mode herangeführt. Ich habe 2017 in Duisburg eine Ausbildung zum Bekleidungstechnischen Assistenten begonnen, mein Interesse an der Mode begann aber schon im Alter von 14 Jahren. Irgendwann hat die Schule mich ein bisschen gelangweilt … (lacht) Daher habe ich im Unterricht angefangen zu zeichnen. Da es damals noch kein Instagram gab, habe ich mich von Musikern inspirieren lassen, die ich im Fernsehen gesehen habe – und mich dann selbst ausprobiert. Zu Beginn meiner Ausbildung sollten wir unsere Lieblingsbrands und -designer vorstellen. Ich habe mir VETEMENTS ausgesucht, eine französische Modemarke, die Upcycling gemacht hat, und fand das Label vor allem deshalb interessant, weil ich selbst schon mit dem Thema experimentiert hatte. In dieser Zeit habe ich meine Leidenschaft nicht nur für Mode, sondern auch für Nachhaltigkeit und Upcycling entdeckt. Ben und ich haben dann beschlossen, dass wir unser eigenes Label gründen, sobald wir unsere Ausbildungen abgeschlossen haben. Im Jahr 2022 war es dann so weit.“
Ben, du machst das Marketing bei etuk.
Ben: „Genau. Ich habe eine Ausbildung zum Speditionskaufmann abgeschlossen und daher viel Know-how in der Logistik und im Vertrieb sammeln können. Anschließend habe ich mich selbstständig im Bereich E-Commerce und Marketing gemacht. Diese Erfahrung kann ich jetzt sehr gut bei etuk einbringen.“
Ihr habt euch schon vor der Gründung von etuk in der Modebranche bewegt. Wie sah das aus?
Kurt: „Ich war früher Influencer, konnte mich dadurch in der Modeszene umschauen und wichtige Kontakte knüpfen. Im Rahmen der Pariser Fashion Week waren wir bei einigen Shows dabei, was uns beim Aufbau unserer Brand enorm geholfen hat.“
Ben: „Im Jahr 2022 wurden wir vom Team von KARL LAGERFELD nach Paris eingeladen, das uns die Möglichkeit gegeben hat zu erleben, wie ein Unternehmen auf einem hohen Level funktioniert. Außerdem waren wir bei der Fashionshow der Designerin Marine Serre dabei, die unser Vorbild ist, was die Designsprache, aber auch das Thema Nachhaltigkeit angeht.“
„Streetwear ist unsere DNA.“
War es für euch von Anfang an klar, dass ihr euer Label gemeinsam machen wolltet? Und wie ist es, mit seinem Zwillingsbruder zusammenzuarbeiten?
Ben: „Auf jeden Fall war das klar! Wir sind zwar Zwillinge, aber eigentlich sind wir eine Person in zwei Körpern. (lacht)Trotzdem haben wir verschiedene Skills. Kurt ist der Designer, der Creative Mind der Brand, und ich bin im Marketing und im geschäftlichen Teil der Stärkere. Daher wussten wir, dass wir uns sehr gut ergänzen. Jeder von uns hat sich in seinem Bereich weiterentwickelt, eine Ausbildung gemacht, bis die Zeit reif war zu gründen. Etwas anderes wäre für uns nie infrage gekommen.“
Wohnt ihr auch zusammen?
Ben: „Nein, nicht mehr. Wir wohnen jeweils mit unseren Verlobten zusammen und haben Kinder. Dennoch sehen wir uns mehr als unsere Frauen …“ (lacht)
Kurt: „Wir haben immer alles zusammen gemacht, auch Fußball gespielt, und das eine Zeit lang ziemlich professionell, beim MSV Duisburg und bei Hansa Rostock. Eigentlich war es unser Traum, Fußballer zu werden; bis sich herausgestellt hat, dass unser Herz noch mehr für die Mode schlägt.“
Ben: „Wir hatten großes Talent im Fußball, aber im Endeffekt war der Sport nicht unsere Leidenschaft – und die muss man haben, um Profi zu werden und Karriere zu machen. Daher haben wir uns für die Mode entschieden.“
Ihr habt einen Showroom in Düsseldorf, euer Atelier ist aber in Duisburg. Warum?
Ben: „Wir wohnen in Duisburg und haben dort seit Kurzem unser Atelier, weil wir expandieren wollten und mussten. Ein Grund unseres Umzugs war, dass wir dort schöne, große Räumlichkeiten mit angeschlossener Lagerhalle gefunden haben.“
Duisburg ist ja eher unüblich als Standort für ein Fashionlabel …
Kurt: „Ja, unser Standort verursacht immer wieder viele Fragen. (lacht) Wir sind hier aber nicht nur, weil wir hier eine passende Location gefunden haben, die Stadt ist auch sehr interessant für die Story unserer Brand. Wir sind in Duisburg aufgewachsen, hier spielt sich für uns immer noch viel ab.“
Ben: „Wir werden unseren kleinen Showroom in Düsseldorf behalten, um dort Einkäufer zu treffen oder wichtige Meetings und Termine abzuhalten. Auch Pop-up-Stores oder Events von etuk werden weiterhin in Düsseldorf stattfinden.“
Ihr habt schon gesagt, dass bei eurer Mode der Fokus auf Nachhaltigkeit und Upcycling liegt. Warum ist euch das Thema so wichtig?
Kurt: „Das Thema haben wir uns nicht ausgesucht, sondern wir sind ganz natürlich reingewachsen. Da wir als Asylbewerber aufgewachsen sind, war unser finanzieller Background immer sehr begrenzt. Unsere Mutter hatte teilweise nicht genug Geld, uns bei H&M einzukleiden. Daher mussten wir zwangsweise auf Vintage-Ware zurückgreifen, im Alter von 14 oder 15 Jahren waren Second-Hand Stores unser zweites Zuhause und haben auch unsere Designsprache beeinflusst: Da ich mir keine neuen Klamotten oder Materialien leisten konnte, habe ich mich an alten Stoffen bedient und daraus etwas Eigenes gemacht. Erst als die Modebranche sich immer mehr mit Nachhaltigkeit beschäftigte, ist uns klar geworden, wie tiefgründig das Thema ist. Dazu muss man aber sagen: Mode ist grundsätzlich nicht nachhaltig. Man kann lediglich versuchen, sie so gut es geht nachhaltig zu gestalten. Und das tun wir.“
Ein Aspekt des Themas ist, dass ihr alle Teile in Duisburg fertigt. Wie kann man sich das vorstellen?
Kurt: „Wir arbeiten mit vielen verschiedenen Näherinnen und Nähern zusammen. Unser Kernteam besteht aber aus vier Leuten: Das sind wir beide, unsere Produktionsleiterin Rebekka Litwinski und Tony Schulz, unser Art Director. Hinzu kommen einige Praktikanten, zum Beispiel von der AMD, und viele Freelancer.“
Ben: „Wir brauchen mindestens drei Monate, um eine Kollektion fertigzustellen. Zunächst produzieren wir mehrere Samples – wir brauchen manchmal drei bis vier Versuche bis zum fertigen Teil. In diesem Prozess entstehen immer wieder Fehler, die sich aber oft zu richtig guten Ideen entwickeln.“
Upcycling von Denim ist für euch ein großes Thema, natürlich fertigt ihr auch aus Stoffen. Wo kauft ihr eure Materialien?
Kurt: „Wir verwenden Dead-Stock- und Upcycling-Materialien. Dead Stock bedeutet, dass wir von großen Unternehmen ihre nicht verwendeten Lagerbestände günstig aufkaufen. Diese Stoffe werden sonst entweder weggeschmissen oder verbrannt – was natürlich extrem umweltschädlich ist. Außerdem beziehen wir Vintage-Denim, -Jacken und -Hosen.“
Ben: „Unsere Dead-Stock-Materialien bestehen übrigens ausschließlich aus sehr hochwertigen Stoffen, die wir für die Plissees unserer Röcke vornehmlich aus Schottland, ansonsten aber von Großhandelspartnern aus Deutschland und Italien beziehen. Und jedes Piece, bei dem wir Upcycling-Denim verwenden, ist ein Einzelstück.“
etuk steht für hochwertige Streetwear, ein lässiges und zurückgenommenes Design mit avantgardistischen Elementen. Woher kommt eure Inspiration?
Kurt: „Wir schauen uns Brands an, die wir gut finden, und möchten uns auf dem schmalen Grat zwischen avantgardistischer Hochwertigkeit und Streetwear bewegen. Es ist unser Ziel, ein Produkt zu fertigen, das Fragezeichen aufwirft. Außerdem finden wir Designerinnen und Designer gut, die das Thema Genderneutralität nach vorne pushen, denn die ist auch für uns eine große Inspiration: Heteromänner, die Röcke und Nagellack tragen, was ich übrigens auch gerne tue – ich inspiriere mich also auch selbst. Für mich ist es ein Ausdruck von Freiheit, eine neue Männlichkeit zu schaffen, in der man tragen kann, was man möchte, auch als Heteromann. Ursprünglich war der Rock ein Kleidungsstück für Männer, auch in der kamerunischen Kultur ist er ein traditionelles Kleidungsstück.“
Ben: „Mode gibt uns die Möglichkeit, gewisse Regeln zu brechen und uns frei auszuleben.“
Kurt: „Wir sehen Kleidung nicht an Gender gekoppelt. Natürlich gibt es Teile, die einen eher femininen oder maskulinen Bezug haben, aber wenn man sie richtig stylt, können Männer und Frauen alle Kleidungsstücke anziehen. Und genau das wollen wir mit unserer Designsprache wiedergeben, daher sind 95 Prozent unserer Kollektion genderless.“
Außerdem lasst ihr euch von Musik und Kunst inspirieren. Ihr arbeitet dementsprechend auch mit Musikern und Künstlern zusammen. Wie sieht eine solche Kollabo aus?
Ben: „Wir entwerfen Bühnenoutfits und Red-Carpet-Looks, zum Beispiel für AMILLI, 1LIVE-KRONE-Gewinnerin. Sie hatte uns seinerzeit angesprochen, ob wir die Outfits für ihre Tour machen wollen. Daraus hat sich die Zusammenarbeit mit weiteren Künstlern entwickelt.“
Kurt: „Streetwear ist unsere DNA. Wir sind auf der Straße in Duisburg aufgewachsen und leben daher die Kultur der Jugendlichen, wir sprechen die gleiche Sprache. Das ist natürlich auch für Musikerinnen und Musiker interessant.“
Wo bekommt man eure Mode?
Ben: „Derzeit vor allem in unserem Online-Shop, wir haben noch keine festen Stores, machen aber immer wieder Pop-up-Stores, in denen unsere Kundinnen und Kunden die Möglichkeit bekommen, unsere Kleidung live zu erleben. Unser nächster Step sind Kooperationen mit Concept Stores, vor allem in großen Städten wie Berlin, Hamburg und Paris. In Düsseldorf waren wir bereits in einem Laden vertreten und das lief sehr gut.“
Unser Schwerpunktthema in diesem Monat lautet „Von anderen lernen“. Von wem lernt ihr?
Kurt: „Wir versuchen, überall zu lernen, wo es uns möglich ist. Dazu unterhalten wir uns gerne mit erfahrenen Designerinnen und Designern wie Hiroyuki Murase von suzusan, einer Düsseldorfer Brand. Wenn er uns von seinen guten wie schlechten Erfahrungen erzählt, hilft uns das, Entscheidungen zu treffen. Und immer wieder ist es Marine Serre, bei der wir lernen, wie wir unsere Marke und unseren Nachhaltigkeits- und Upcycling-Gedanken weiterentwickeln können. Wir wollen nicht stehen bleiben, sondern uns bewegen!“
Und was können andere von euch lernen?
Ben: „Freiheit! Man sollte lieben, was man tut, ein extremes Durchhaltevermögen haben, egal, welchen Background man hat. Man muss an sich glauben, wenn man in der Modebranche Fuß fassen möchte, und man sollte wissen, dass das keine kurzfristige Sache ist. Daher muss man resilient sein – eine gute Idee reicht leider meist nicht aus, um erfolgreich zu sein. Was man auch von uns lernen kann: Es ist nicht entscheidend, von wo aus man startet, welchen Background man hat. Egal, ob man Asylbewerber ist oder aus guten Verhältnissen stammt, es ist entscheidend, wo man in 20 Jahren steht. Daher muss man lieben, was man tut.“
Vielen Dank für das Gespräch – und weiterhin alles Gute und viel Erfolg bei eurer Arbeit!