Autor: Andreas Grüter Brasilien ist für Sie in Sachen Mode Terra incognita? Dann wird es höchste Zeit, einen Blick über den Atlantik auf das Fashiongeschehen im größten Land Südamerikas zu werfen. Um Ihnen den Einstieg zu erleichtern, stellen wir Ihnen in unserem aktuellen Special die beiden Designer Rafael Caetano und Igor Dadona vor. Im Interview erzählen sie, was sie antreibt und was ihre Entwürfe ausmacht.
Rafael Caetano
FASHION TODAY: Hallo Rafael, bevor wir über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem brasilianischen und dem europäischen Markt sprechen, lass uns doch kurz einen Blick auf deine Geschichte und die Geschichte deines Labels werfen. Wie bist du zur Mode gekommen und wann hast du dein eigenes Brand gegründet?
Rafael Caetano: „Ich bin ursprünglich über das Zeichnen zur Mode gekommen. Meine Mutter lehrte mich das Nähen und brachte mir erste Schnitttechniken bei. So habe ich gelernt, wie man Styles entwirft und entwickelt. Noch bevor ich überhaupt aufs College ging, habe ich bereits regelmäßig an Designwettbewerben teilgenommen, und das war dann auch meine Eintrittskarte in die Fashionwelt. Um beim Nachwuchsdesignwettbewerb auf der Fashion Week mitmachen zu können, musste ich als echtes Label auftreten, und so hat alles angefangen. Ich bin dann zur Universität und habe danach noch ein Postgraduate-Studium absolviert.“
War es dir wichtig, dein eigenes Label zu gründen?
„Das Label ist wie gesagt eher im Process of entstanden, als ich anfing, an Wettbewerben teilzunehmen. Natürlich gefiel es mir auch ganz gut, an meinem eigenen Label zu arbeiten. Mein eigentliches Ziel war es aber, meinen Namen bekannt zu machen, um als multidisziplinärer Designer an mehreren Fronten arbeiten zu können. Zum Glück hat das ja auch ganz gut geklappt. Heute betreibe ich das Label, bin Dozent an verschiedenen Modeschulen in São Paulo und Madrid und freue mich immer wieder auch über andere Projekte.“
In deinen Herrenmode-Entwürfen spielst du immer wieder auch mit femininen Schnitten und Details und stellst damit klassische modische Geschlechterattribute infrage. Wie wichtig ist dir dieser Ansatz?
„Der Ansatz ist für mich von fundamentaler Bedeutung. Warum ausgerechnet Herrenmode, die stark von der Damenmode inspiriert ist? Anfangs wusste ich das selbst nicht genau, aber es fühlte sich für mich einfach richtig und wichtig an. Erst heute, nach vielen Jahren als Designer, vielen Kunden und einer beträchtlichen Anzahl von Unterstützern, erkenne ich die Bedeutung. Denn so inklusiv die Mode der Gegenwart auf den ersten Blick auch erscheinen mag: Sie ist doch durch und durch klassistisch und fungiert auf vielen Ebenen als eines der am stärksten ausgrenzenden Systeme. Das Spiel mit Geschlechterrollen auf einer professionellen Ebene untergräbt diese Normen, sorgt für einen wichtigen Diskurs auf dem Markt und treibt die kreativen Motoren für die nächsten Generationen an.“
Du hast sowohl in Brasilien als auch in Europa, genauer in Spanien, studiert. Wo liegen für dich die Unterschiede in der Herangehensweise an das Sujet Mode?
„In Brasilien bekam ich die klassische Modeausbildung und damit die Skills, um meinen Beruf auszuüben. In Spanien war meine Ausbildung weniger angewandt, sondern wesentlich akademischer, da ich hier einen Master-Abschluss in LGBTIQ+-Studien gemacht habe.“
Es gibt nur wenige brasilianische Designer und Labels, deren Kollektionen ihren Weg nach Europa finden. Was ist deiner Meinung nach der Grund dafür?
„Ich glaube, es liegt daran, dass das Thema Mode im Gegensatz zu Brasilien in den meisten europäischen Ländern sehr ernst genommen wird. Mode ist in Europa im Alltag sichtbar. In Ländern wie Frankreich, Italien und England erfahren Fachleute aus der Modebranche eine große Wertschätzung und dementsprechend wird auch in Unternehmen investiert. Europa ist die Wiege der Fashion, während Brasiliens Modegeschichte noch nicht sonderlich alt ist. Brasilianische Designer kommen nach Europa, um zu verstehen, wie die Mechanismen funktionieren. In der brasilianischen Modebranche herrscht ein Mangel an Investitionen. Obwohl ein beträchtlicher Teil der Brasilianer in der Bekleidungsindustrie arbeitet, wird die Mode bei uns immer noch nicht als Chance angesehen, die Textil- wie auch die Kreativbranche unseres Landes zu stärken.“
In welchen Ländern werden deine Kollektionen verkauft?
„Aktuell verkaufe ich ausschließlich in Brasilien, arbeite allerdings daran, auch auf dem spanischen Markt Fuß zu fassen.“
Ein paar Worte zu den Styles der Frühjahr-/Sommer-2025-Kollektion. Was ist das Thema und was hat dich inspiriert?
„Das Thema steht noch nicht final fest. Was ich aber schon verraten kann, ist, dass es wie in den beiden vorangegangenen Kollektionen auch wieder eine Reminiszenz an einen brasilianischen Künstler sein wird. Seit ich von São Paulo nach Madrid gezogen bin, interessiere ich mich mehr denn je für brasilianische Künstler und Ikonen.“
www.instagram.com/rafaelcaetanobr/
Igor Dadona
FASHION TODAY: Hallo Igor, erzähle doch bitte kurz etwas über dich und die Geschichte deines Labels.
Igor Dadona: „Ich wurde 1988 in São Paulo geboren. Das Thema Mode hat mich schon in meiner Kindheit interessiert. Ich habe es immer geliebt zu zeichnen und Kleidung zu entwerfen. Anfangs haben mich dabei vor allem Figuren aus Videospielen inspiriert. Mit der Zeit haben sich meine Skills dann immer mehr verfeinert und so bin ich schließlich beim Design gelandet. Mein Label Igor Dadona habe ich dann 2012 gegründet.“
Was hat dich daran gereizt, mit dem eigenen Label auf den Markt zu gehen?
„Männermode in Brasilien ist leider in weiten Teilen völlig innovations- und belanglos. Das meiste, was man hier in den Shops findet, ist komplette Basicware. Mit meinem eigenen Label versuchte ich, diese Marktlücke zu schließen.“
In deiner Jugend hattest du ein Faible für Videospiele. In einem Forbes-Feature über dich wirst du als eingefleischter Romantiker bezeichnet, dessen Faszination für Games, Comics und Popkultur sich ein Stück weit auch in seinen Entwürfen widerspiegelt. Erkennst du dich in dieser Beschreibung wieder?
„Klar haben mich Characters aus Comics und Videospielen und generell Popkultur immens beeinflusst und tun das auch heute noch. Allerdings habe ich mich natürlich über die Jahre auch weiterentwickelt. Derzeit setze ich mich beispielsweise viel mit dem Thema Architektur auseinander, und das spiegelt sich selbstverständlich auch in meinen aktuellen Entwürfen wider. Ich bin aber generell der Meinung, dass alles, was uns jemals inspiriert hat, irgendwo in unseren Köpfen und Herzen gespeichert ist und so immer ein Teil von uns bleibt.“
Du erklärtest in einem Interview, dass du bei deinem Label eher auf Qualität und Kundennähe denn auf expansives Wachstum setzt. Ab welcher Größe würdest du die Bremse ziehen?
„Als Designer hat man natürlich so seine kleinen und großen Eitelkeiten und Träume. Bei mir gehörte dazu allerdings nie der Wunsch, mein Label mit eigenen Shops und so weiter weltweit groß zu machen. Ungezügelte Produktion ist mir ein Graus. Ich ziehe es vor, mehrere kleine Kollektionen pro Jahr mit wirklich exklusiven Pieces zu entwerfen, die mit Sorgfalt produziert werden. Zudem mag ich den persönlichen Kontakt mit meinen Kunden. Auf meiner To-do-Liste ganz oben steht deshalb auch die Eröffnung eines Atelier-/Shop-Space. Darüber hinaus arbeiten wir daran, die Marke Igor Dadona auf dem internationalen Markt zu platzieren. Allerdings nur in wirklich ausgesuchten Shops.“
In welchen Ländern werden deine Kollektionen verkauft?
„Derzeit sind meine Kollektionen ausschließlich in Brasilien erhältlich. Wir haben eine Weile in Shops in New York verkauft und aktuell arbeiten wir an Plänen für eine kleine Expansion nach Europa.“
Warum haben bislang nur wenige brasilianische Designer und Labels Erfolg in Europa?
„Der brasilianische Modemarkt ist leider eine ziemliche Herausforderung. Es fehlt an Wissen um Themen wie Finanzen, Investment oder auch Logistik. Internationalisierungen von Labels werden dadurch immens behindert, was wirklich traurig ist, weil Brasilien viele tolle Brands zu bieten hat, deren Kollektionen sich weltweit verkaufen ließen. Wir schaffen es häufig nicht, unsere Mode über die Grenze zu bekommen, weil es an Mitteln und Anreizen mangelt, die Logistik ineffizient ist und die Produktionsmittel unzugänglich und nicht ausreichend sind.“
Was präsentierst du zu Frühjahr/Sommer 2025?
„Meine ‚Hourglass‘-Kollektion wurde durch die Sanduhr inspiriert und symbolisiert eine Rückkehr zu den Ursprüngen des Labels. Ich habe mit Damenbekleidung angefangen und jetzt, nach einer zehnjährigen Pause, neben dem Herrenprogramm erstmals auch wieder Frauenstyles entworfen. Was den rein technischen Aspekt angeht, so habe ich extrem hochwertige Stoffe wie reine Wolle, Seide in verschiedenen Formen und Verarbeitungen mit exquisiter Schneiderkunst gekreuzt. Im Fokus stehen klassische Silhouetten mit experimentellen Akzenten. Außerdem stelle ich meine mittlerweile zweite Zusammenarbeit mit Swarovski vor, bei der aufwändige handgestickte Details zum Einsatz kommen. ‚Hourglass‘ ist eine sehr luxuriöse Kollektion, die viele meiner Wünsche, klassische Elemente der Marke und Referenzen aus der Welt der Mode und Architektur in meinem eigenen visuellen Universum zum Leben erweckt.“