Autorin: Eva Westhoff Mode und Kunst im Dialog. Beileibe kein neues Phänomen. Allerdings sind der Tenor und die Intensität des Austauschs stark an den Zeitgeist gebunden und abhängig vom Input der jeweiligen Akteurinnen und Akteure. Auch Technologie und Wissenschaft drücken dieser Beziehung ihren Stempel auf. Was eint die beiden Disziplinen und Märkte, insbesondere im Zeitalter der digitalen Transformation und weltweiten medialen Vernetzung? Welche Rolle spielen kollaborative Prozesse, welche die künstlerische Selbstinszenierung? Ein Gespräch mit Dr. Antonella Giannone, Professorin für Modegeschichte, -theorie und Bekleidungssoziologie und Prorektorin für Werkstätten, Kooperationen und Internationales an der weißensee kunsthochschule berlin sowie Mitherausgeberin des Sammelbandes „Dressing Like an Artist“.
FASHION TODAY: Kooperationen zwischen Modemarken und Kunstschaffenden sind heute allgegenwärtig. Treibende Kraft ist die Hoffnung auf Imagetransfer. Greift diese These zu kurz?
Dr. Antonella Giannone: „Die Kooperationen zwischen Mode und Kunst sind sehr unterschiedlich und können eine gegenseitige Befruchtung in jeglicher Hinsicht produzieren, selbstverständlich auch im ökonomischen Sinn. Es geht aber in vielen Fällen auch darum, Aufmerksamkeit anzuziehen, was in der heutigen Ökonomie des schnellen Scrollens kein einfaches Unterfangen ist, weder für die Mode noch für die Kunst. Die Kooperation mit Künstlerinnen und Künstlern verleiht Modeprodukten generell eine Exklusivität, die über die tradierten Bedeutungen von Luxus als materiellem Überfluss und Exzess et cetera hinausgeht. Die in Zusammenarbeit mit Kunst entworfene Mode setzt nämlich auf andere Formen ästhetischer Sensibilität.“
Mode und Kunst inspirieren sich seit jeher gegenseitig. Aber spricht Mode nicht ihre eigene Sprache? Sie haben zum Thema Kleidung als Zeichen promoviert: Wie unterscheiden sich Mode und Kunst in semiotischer Hinsicht?
„Mode spricht auf jeden Fall ihre eigenen Sprachen – ich würde hier auf jeden Fall im Plural sprechen –, die allerdings wie alle Sprachen ununterbrochen viele ‚fremde‘ Elemente, Register, Idiome integrieren. Die Sprachen der Mode unterscheiden sich von anderen kreativen und künstlerischen Sprachen etwa dadurch, dass sie dezidiert körperbezogen sind. Selbst in den konzeptuellsten und untragbarsten Varianten adressieren Moden den menschlichen Körper oder eine mögliche oder unmögliche Beziehung zu ihm. Diese Relation ist in der Kunst zwar sehr präsent, sie ist jedoch nicht zwingend.“
„Die moderne Selbstinszenierung von Künstlern hat im Laufe des 20. Jahrhunderts häufig auf die Konstruktion eines unverwechselbaren, individuellen ‚Images‘ gesetzt, das nicht mehr vom gesamten Werk getrennt werden konnte.“
Welchen Stellenwert haben im Modedesign interdisziplinäre und kollaborative Prozesse?
„Ich glaube, sie haben einen sehr hohen Stellenwert. Modedesign setzt den Dialog mit vielen anderen Disziplinen voraus, mit der Kunst sowie mit anderen Bereichen der Kultur und des Wissens. Innovativem Modedesign liegen sehr oft Kollaborationen zugrunde, die etwa das Spektrum benutzter Materialien, Techniken und Technologien, aber auch der Formen und Ästhetiken über die bereits bekannten Grenzen hinaus erweitern. Dies lässt sich sowohl historisch als auch im zeitgenössischen Kontext exemplifizieren. Kollaborationen unter bildenden Künstlerinnen und Mode- und Textildesignern waren etwa die Regel in den vielen Bewegungen, die wir als ‚künstlerische Avantgarde‘ des 20. Jahrhunderts bezeichnen, zum Beispiel im Rahmen des Futurismus, des Surrealismus oder des Konstruktivismus. Diese haben nicht nur die formellen Sprachen der Mode revolutioniert, sondern auch zur Definition einer neuen Rolle der Mode in Kultur und Gesellschaft beigetragen. Im aktuellen Modekontext orientiert zum Beispiel die Modedesignerin Iris van Herpen ihr Schaffen schwerpunktmäßig auf interdisziplinäre Kollaborationen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie kreativen Menschen aus unterschiedlichsten Bereichen, von der Kunst zu den Natur- und Ingenieurwissenschaften.“
„Dressing Like an Artist: Künstlerische Selbstinszenierungen und die Mode“ lautet der Titel eines Sammelbandes, den Sie mit herausgegeben haben. Dort schreiben Sie in einem Beitrag über den „Körper von Künstler*innen im Spannungsfeld von Self-Fashioning, Medien und Mode“. Welchen Anforderungen unterliegt die künstlerische Selbstinszenierung speziell im Zeitalter von Social Media? Und wie wirkt sie durch ihr Identifikationspotenzial auf die Mode zurück?
„Die moderne Selbstinszenierung von Künstlern hat im Laufe des 20. Jahrhunderts häufig auf die Konstruktion eines unverwechselbaren, individuellen ‚Images‘ gesetzt, das nicht mehr vom gesamten Werk getrennt werden konnte. So entwickelten Kunstschaffende oft einen ‚Personencode‘, der über das Tragen bestimmter Kleidungsstücke oder -kombinationen, Frisuren und Accessoires definiert wurde. An wenigen sich wiederholenden Details ihrer Selbstdarstellung konnten und können viele Künstler immer noch klar identifiziert werden. Die immer stärkere Präsenz von Künstlern in vielen unterschiedlichen Medien hat weiterhin zu ihrer ‚Ikonisierung‘ geführt. Der Stil charismatischer Künstler, ähnlich wie der anderer Stars aus Kino, Musik und Popkultur, bietet sich für verschiedene Nachahmungsphänomene an und liefert Inspiration für die Mode. Die Social Media beschleunigen zum einen diese Prozesse, fordern aber gleichzeitig Künstler dazu auf, sich in alltäglichen Situationen zu zeigen und somit ihr Image zu diversifizieren.“
Gibt es Künstler, Epochen oder Stilvorbilder, die die Mode aktuell besonders stark prägen? Wenn ja, weshalb sind es ausgerechnet sie?
„Die Mode sucht andauernd Inspiration in Epochen der Kunstgeschichte, in unterschiedlichen Kunstbewegungen sowie in bestimmten Figuren von Künstlern. Der genaue Grund für die eine oder die andere Wahl lässt sich nicht eindeutig definieren und ist oft über die Grenzen der Mode hinaus – transmedial – zu suchen. Manchmal sind es bestimmte historische Ereignisse beziehungsweise diesbezüglich neue Erkenntnisse, die den Geschmack für eine bestimmte Epoche und die entsprechenden Stilvorbilder aktualisieren. In anderen Fällen sind es Filme zur Biografie historischer Menschen, etwa Marie Antoinette, oder Künstlerinnen, zum Beispiel Frida Kahlo, die Moden inspirieren. In meiner Wahrnehmung lässt sich überdies in vielen Modepositionen, die mit den Funktionen von Kleidung spielerisch oder provozierend experimentieren, eine ähnliche Attitüde erkennen, wie sie im Kontext des Surrealismus anzutreffen war.“
Durch die Globalisierung, die technologische Entwicklung und weltweite mediale Vernetzung haben sich Trendzyklen nicht nur in der Mode, sondern auch in der Kunst verkürzt. Rücken die beiden Disziplinen dadurch enger zusammen, gleichen sich die Gesetzmäßigkeiten der beiden Märkte einander an?
„Der Rhythmus von globalen Kunst-Events, Messen, ritualisierten und stark medialisierten Gelegenheiten für die Präsentation von Kunst intensiviert sich zunehmend. Was und wer in einem bestimmten Moment im Kunstbereich angesagt ist, hängt viel mit diesem Rhythmus zusammen, daher gibt es in diesem Sinne eindeutig viele Überschneidungspunkte zwischen den zwei Systemen.“
Mit KI gerät die Vorstellung vom originären Kunstwerk noch stärker ins Wanken als ohnehin schon – und damit der Kunstbegriff als solcher. Zugleich gibt es das Phänomen der Metaverse Fashion: Digitale NFT-Mode muss nicht mehr im herkömmlichen Sinne tragbar sein und wird teils zum Sammlerobjekt. Ebnet die digitale Transformation Unterschiede zwischen Mode und Kunst weiter ein?
„Die KI stellt viele kreative Bereiche vor ähnliche Fragen bezüglich der Autorenschaft, der Authentizität, der Originalität, des Stellenwertes und überhaupt des Wertes bestimmter menschlicher Prozesse, die jetzt von nicht menschlichen Intelligenzen übernommen werden können. Die große Herausforderung von Mode und Kunst besteht derzeit darin, mit kreativen Wegen und Methoden des Umgangs mit der künstlichen Intelligenz zu experimentieren und daraus Neues zu erlernen. Technologische Transformationen haben Menschen immer wieder vor große Herausforderungen gestellt. In der aktuellen Phase geht es darum, den eigenen Platz in einem ‚posthumanen‘ Zeitalter neu zu finden und kritisch zu reflektieren.“