Autorin: Tays Jennifer Köper-KelemenLisa und Delilah aus Deutschland sind seit über zehn Jahren beruflich und privat mit Südkorea verbunden. Im Juni 2021 haben die zwei Frauen inkognito gemeinsam ihren Podcast POCHA TALK ins Leben gerufen, über den sie ihre Erfahrungen im Land teilen. FASHION TODAY hat bei ihnen in puncto Kultur und Modeverständnis nachgehakt.
Lisa und Delilah sind zwei Frauen aus Deutschland, die seit rund zehn Jahren beruflich und privat mit Südkorea verbunden sind. Im Juni 2021 haben sie mit POCHA TALK inkognito einen gemeinsamen Podcast lanciert, um ihre Erfahrungen und Geschichten über das Leben im Land zu teilen. Seither veröffentlichen sie jede Woche eine neue Folge. Sie bieten einen bunten Einblick in Kultur, Essen, Beauty, Geschichte, Politik und Liebe. Um Kapazitäten und Kanäle zu erweitern sowie neue Projekte anzustoßen, setzen sie für ihr Format auf Spenden von Hörern. Diese sind wiederum aufgerufen, aktiv mitzuwirken und sich mit Ideen für Themen und Inhalte bei den Macherinnen zu melden. FASHION TODAY hat bei Lisa und Delilah nachgefragt, welche kulturellen Einflüsse sich im südkoreanischen Alltag bemerkbar machen und welches Modeverständnis bei den Menschen vor Ort bestimmend ist.
FASHION TODAY: Wie seid ihr dazu gekommen, euren Podcast POCHA TALK zu starten? Wer sind eure Hörer?
Lisa: „Unsere ersten Podcast-Episoden haben wir im Juni 2021 veröffentlicht und laden seither jede Woche eine neue Folge hoch. Wir haben schon immer leidenschaftlich gerne über die Kultur, Gesellschaft und Politik in Südkorea diskutiert und philosophiert. Wir sind generell sehr wissbegierig und vielfältig interessiert – eine Eigenschaft, die uns von Anfang an verbunden hat. Früher tauschten wir uns nur bei unseren abendlichen Besuchen am koreanischen Streetfood-Stand (Pocha) aus, heute tun wir dies durch unseren Podcast auch öffentlich. Wir haben seit rund zehn Jahren mit dem Land Südkorea zu tun und leben hier on/off aus beruflichen und familiären Gründen. Delilah hat zusätzlich auch mehrere Jahre in Seoul studiert.
Delilah: „Unsere Hörerinnen und Hörer sind eine sehr interessante, teils auch überraschende Mischung aus allen Altersklassen. Das Land Korea spricht Menschen aus unterschiedlichen Gründen an: Man kann sagen, dass der Großteil sein Interesse aufgrund von Unterhaltungsmedien wie K-Pop und K-Drama entwickelt und von hier aus dann zu K-Food und K-Fashion kommt. Ein anderer Teil der Hörerschaft wird aber auch über K-Beauty-Produkte oder ein reines Interesse an traditionellen, kulturellen Themen zum Korea-Fan. Da haben wir schon die unterschiedlichsten Geschichten gehört. Das Land Südkorea hat wirklich viel zu bieten, wodurch sich ein breites Spektrum an Hörerinnen und Hörern ergibt. Wir versuchen, im Podcast alle erdenklichen Themen rund um Korea abzudecken.“
Was macht das Leben in Südkorea aus?
Delilah: „Das alltägliche Leben in Korea ist geprägt von Harmonie, Anstand und Freundlichkeit. Überall, wo sich Menschen begegnen, wie zum Beispiel auf der Arbeit oder in der Uni, kann man ein überaus rücksichtsvolles und höfliches Miteinander beobachten. Auch bei alltäglichen Erlebnissen wie einem Besuch im Restaurant, beim Arzt oder in Klamottenläden kann man einen aufmerksamen und engagierten Service auf hohem Niveau erwarten.
Viele Menschen in Korea lieben neue Trends und Inspiration und sind ständig auf der Suche und willens, neue Dinge auszuprobieren, das gilt auch für viele ältere Menschen. Trends gibt es hier in allen Bereichen: natürlich vor allem in der Mode und bei Beauty-Produkten, aber auch in der Technik, bei Freizeitaktivitäten, bei Essen, Stadtvierteln, bei Instagram-Posts, bei Reisen und vielem mehr. Man lebt am Puls der Zeit und das ist aufregend.
Lisa: „Da die meisten Menschen viel arbeiten und wenig freie Zeit haben, muss alles effizient gestaltet sein. Deshalb nehmen viele gerne Dienstleistungen in Anspruch: Lebensmittel werden nach Hause geliefert, Hemden kommen in die Reinigung, die Wohnung lässt man vom Profi in 48 Stunden komplett renovieren. Das macht das Leben angenehm.
Bildung hat in Südkorea einen enorm hohen Stellenwert und die Woche eines jungen Menschen ist geprägt von schulischem Lernen und dem Erringen weiterer sportlicher, künstlerischer oder musikalischer Fähigkeiten. Durchschnittliche koreanische Universitätsabsolventinnen und -absolventen sind im internationalen Vergleich extrem gebildet.
Man muss hierbei allerdings unterscheiden zwischen dem Leben in Seoul beziehungsweise in den Städten und dem Leben auf dem Land. Da die Hälfte der gesamten koreanischen Bevölkerung allein in Seoul und dessen Ballungsraum lebt, findet natürlich hier das spannende Leben statt. Nicht aber in einem 300 Kilometer entfernten Dorf zwischen Wiesen und Feldern. Klar, dass dort traditioneller und einfacher gelebt wird.“
Welche kulturellen Eigenheiten sind besonders präsent?
Lisa: „Man kann verallgemeinern, dass die Gesellschaft, nicht zuletzt durch den Konfuzianismus, sehr ehrgeizig ist und sorgfältige, fleißige Arbeit sehr schätzt. Die Arbeitskraft, Disziplin und Motivation, die viele koreanische Menschen an den Tag legen, sind sehr beeindruckend. Der Grundgedanke der Nation ist: ‚Sei so erfolgreich, wie es nur geht in deinem Leben.‘ Das bedeutet aber nicht, dass es in Korea langweilig zugeht, ganz im Gegenteil: In den Städten gibt es eine unglaubliche Auswahl an Entertainment, Freizeitangeboten und Party. – Der Ausgleich für harte Arbeit.
Der familiäre Zusammenhalt und der Respekt vor Obrigkeiten sind extrem wichtig. Jeder noch so wilde Rockstar würde bei der Begegnung mit einem älteren Menschen umgehend eine Verbeugung machen, höflich und bescheiden entgegnen. Was in welcher Situation ein angemessenes Verhalten ist, ist ein wichtiger Grundsatz der Erziehung und Harmonielehre, die in Korea jedem zwischenmenschlichen Kontakt zugrunde liegen. Das familiäre Mitspracherecht ist oft groß und wichtige Lebensentscheidungen werden eher gemeinsam getroffen. Der Lebensinhalt der meisten Eltern ist es, alles zu tun, was erforderlich ist, um den Kindern ein gutes beziehungsweise ‚besseres‘ Leben zu ermöglichen.
In Korea herrscht ein recht starker Wettbewerb zwischen den Menschen. Die Angst, im Leben zurückzufallen in Bezug auf Karriere und Privatleben, sowie das Erringen von Statussymbolen sind für viele Leute ein großer, wenn auch eher unschöner Antrieb. Die Gesellschaft hat viele ungeschriebene Gesetze, wie und wann etwas im Leben gemacht und geschafft werden sollte. Mit 30 sollte man alsbald heiraten, studieren muss man an einer renommierten Uni in Seoul, das Gewicht einer jungen Frau sollte 55 Kilogramm nicht überschreiten – dies sei hier nur beispielhaft erwähnt. Wer nicht entsprechen kann, leidet oft darunter. Das lässt sich auch auf die Mode übertragen, denn zu einem erfolgreichen Auftritt gehört es auch, stets die richtige Kleidung zu tragen. Wir könnten stundenlang über die kulturellen Eigenheiten philosophieren. Wer gerne wirklich tief in diese Thematik einsteigen möchte, den laden wir ganz herzlich zu unserem wöchentlichen Podcast ein.“
Welche Rolle spielen Trends und Mode?
Delilah: „Wer einmal durch Seoul läuft, der versteht sehr schnell, was modisch gerade angesagt ist. Denn: Wenn es einmal einen neuen Trend gibt, so tragen ihn in der Regel ALLE. Ein ganz individueller Modestil ist eher selten und wird nicht so sehr geschätzt wie die Einordnung in eine populäre Stilrichtung. Streetstyle, der romantische Look und Business Casual sind die beliebtesten Kategorien. Mode ist in Korea auch extrem wichtig, da sie den Status und die Lebenssituation eines Menschen widerspiegeln kann und auch die Möglichkeit gibt, sein öffentliches Ansehen zu erhöhen (durch Designertaschen beispielsweise). In den Geschäften findet man stets aktuelle Trendteile zu jedem Preis: von qualitativ niedriger Fast Fashion bis hin zu Designerlabels, sodass jeder an der aktuellen Mode teilnehmen kann. Bei Make-up (auch für Männer) und Haarschnitten gibt es ebenso ganz klare Trends, denen meist kollektiv gefolgt wird.“
Demnach ist ein persönlicher Stil vielmehr untergeordnet?
Lisa: „Individualität in der Mode gibt es in der koreanischen Kultur eher im Kleinen. Natürlich hat jeder Mensch das Bedürfnis, als eigenständige Person wahrgenommen und für seine eigene Persönlichkeit geschätzt zu werden. Das ist in Korea nicht anders, allerdings ist der Rahmen, in dem die Individualität stattfindet, eher etwas enger gefasst. Ein individueller Stil wird aus Teilen der aktuellen Kollektionen zusammengestellt, so ist es up to date, spiegelt aber trotzdem einen eigenen Stil wider. Klamotten, die zum Beispiel aus einer ganz anderen Modeepoche oder Kultur kommen, sieht man kaum.“
Fällt euch ein besonders prägnanter Look ein?
Delilah: „Besonders Männermode-Trends können in Südkorea gewagt und extravagant erscheinen. Viele junge Leute tragen ungewöhnliche Designs oder geschlechterübergreifende Schnitte mit absoluter Selbstverständlichkeit. Der Männerrock wird beispielsweise schon seit über einem Jahrzehnt von koreanischen Celebritys immer wieder aufgegriffen – mal allein, mal über einer Hose getragen. Viele globale Fashiontrends hatten gar ihren Ursprung in Südkorea, aber vielen Westeuropäerinnen und -europäern ist dies gar nicht bewusst, da sie die modischen Strömungen meist erst wahrnehmen, wenn sie auf den heimischen Märkten angekommen sind.“
Siehe zum Beispiel: https://www.soompi.com/article/1475535wpp/male-k-pop-idols-who-prove-that-skirts-are-for-men-too
Wie sieht es denn mit den gängigen Frauen- und Männerbildern aus? Sind womöglich Umbrüche spürbar?
Lisa: „Es gibt in Korea klare Geschlechterrollen, die aber anders definiert werden als in Deutschland. Für Männer und Frauen gibt es in Korea die gleichen Schönheitsideale: jugendliche, makellose Haut, volles Haar, eine schlanke, athletische Silhouette. Männer benutzen auch Make-up, dies tut bei der Frage nach ihrer Männlichkeit, aus koreanischer Sicht, aber nichts zur Sache. Der Markt für Männer-Make-up ist groß, spricht dabei natürlich eher die jüngeren Herren an. Koreanische Männer sind aus unserer Sicht durch einen wesentlichen Aspekt sehr klassisch männlich: ihre Stärke. Sie übernehmen die Verantwortung für Ehefrau und Kinder (auch finanziell), versorgen die alternden Eltern, arbeiten täglich zwölf Stunden in einem stressigen, verantwortungsvollen Job über viele Jahre, ohne einen einzigen Urlaubs- oder Krankheitstag. Das ist das normale Leben der meisten koreanischen Männer. Diese traditionelle Rolle als Familienoberhaupt erfordert viel Kraft und Disziplin und ist sicherlich das, was man auch in anderen Kulturen im patriarchalischen Sinne als männlich bezeichnen würde.
Von der Frau wird im Allgemeinen ein attraktives und gepflegtes Erscheinungsbild erwartet, wofür viele auch regelmäßig teure Behandlungen oder eiserne Diäten machen. Auch der Kauf von Designer-Accessoires, die weit über das reale Monatsbudget hinausgehen, kommt vor. Häufig werden von Frauen auch gute häusliche Qualitäten erwartet, so etwa sollen sie sich fürsorglich um die Familie kümmern, das Haus pflegen und gut kochen können, da Essen in der koreanischen Kultur einen besonders hohen Stellenwert hat.
Schöne Menschen haben in Korea oftmals ein ‚Pretty Privilege‘ und werden lobend auf ihr Äußeres angesprochen. Deshalb ist gutes Aussehen ein erstrebenswertes Ziel. Feminismus ist in Korea ein eher kontroverses Thema, wird vom Großteil der weiblichen Bevölkerung unterstützt und vom Großteil der männlichen Bevölkerung, die sehr konservativ ist, abgelehnt. Insofern stellt sich die Frage nach Neuentwicklungen oder Umbrüchen zwar, Lösungsansätze gibt es aber keine nennenswerten. Dazu müssten Veränderungen seitens der Politik angestoßen werden, was aktuell nicht auf der Agenda steht. So bleibt es an jedem selbst, sich seine eigene Beziehung und Rollenzugehörigkeit zu gestalten.“
Wer gerne mehr zu den hier angesprochenen Themen erfahren möchte, dem empfehlen wir die folgenden Podcast-Episoden:
19 – K-Beauty Teil 1: Schönheitsideal
45 – K-Beauty Teil 3: Das männliche Schönheitsideal
54 – Modekonsum in Korea
86 – Feminismus in Korea