„Die gewaltigste Änderung fand in der Einstellung zu KI statt“

HDE

„Die großen Potenziale von KI-Anwendungen sind erkannt worden." Stephan Tromp ©Hoffotografen

Autor: Markus Oess
Klar, KI wird zusehends auch im Handel eingesetzt, um Prozesse zu beschleunigen und effizienter zu werden. Die Nutzung und damit die Bedeutung der KI nehmen beständig zu, aber Kosten und Planungsunsicherheiten bremsen das Tempo, wie eine Studie des HDE in Zusammenarbeit mit der Kölner Unternehmensberatung Dr. A. Safaric Consulting GmbH und der Universität Münster zeigt. Wir haben mit Stephan Tromp, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland, über die Schlussfolgerungen der Studie gesprochen.

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FT: Herr Tromp, Sie schreiben in Ihrer HDE-Studie, KI gewinne auch im Handel an Bedeutung. Welche Veränderungen sehen Sie im Handel?
Stephan Tromp: „Das stimmt. Die gewaltigste Änderung fand in der Einstellung zu KI statt. Zuvor haben viele das Thema lediglich als Hype wahrgenommen. Jetzt sind aber die großen Potenziale von KI-Anwendungen erkannt worden. Sicherlich haben dabei auch Erfahrungs- und Praxisberichte von denjenigen geholfen, die KI relativ früh angewandt haben, auch wenn es davon noch nicht genügend gibt.“

„Nur der Systemkopf hat die Ressourcen, um KI für Kunden-Chatbots, Generierung von Produktbeschreibungen und Logistikprozesse einzusetzen.“

Wo im Handel wird KI bevorzugt eingesetzt?
„KI wird derzeit häufig für relativ simple Anwendungsfälle genutzt. Dazu gehören beispielsweise die Belegbearbeitung in der Buchhaltung oder der Diebstahlschutz via Kamerasystem, aber auch die Erstellung von allgemeinen Absatzprognosen und die Überprüfung von Lieferantendaten. Unternehmen beginnen, generische KI-Lösungen einzusetzen.“

Holen die kleineren Händler gegenüber den großen Anbietern und den Onlinern auf?
„Die kleineren Händler sind hier auf ihre Verbundgruppen und Genossenschaften angewiesen. Um KI diesen Händlern zugänglich zu machen, ist es zwingend notwendig, die Technologien dahinter zu entwickeln. Nur der Systemkopf hat die Ressourcen, um KI für Kunden-Chatbots, Generierung von Produktbeschreibungen und Logistikprozesse einzusetzen.“

Was können Verbundgruppen leisten, um Größennachteile der kleineren Händler im Einsatz der KI auszugleichen?
„Da vielen kleineren Händlern die finanziellen Mittel für das Entwickeln von KI-Anwendungen fehlen, wäre es ideal, wenn die Verbundgruppen, aber auch Genossenschaften nützliche und vor allem auch rentable Anwendungen für ihre Mitglieder bereitstellen.“

Was davon ist schon Realität?
„Bereits jetzt arbeiten Genossenschaften und Verbundgruppen an KI-Lösungen, die auch für kleinere Händler anwendbar sind. Darüber hinaus hat das Mittelstand-Digital Zentrum Handel, dessen Konsortialführer der HDE ist, KI-basierte Lösungen zum Beispiel im Bereich Platzierung von Werbung auf Social-Media-Plattformen realisiert.“

Dennoch setzt die Mehrheit der Händler KI noch nicht ein. Woran liegt das?
„Ein Aspekt ist sicherlich der hohe finanzielle Aufwand für KI-Anwendungen in erster Instanz. Aber auch für den Erhalt dieser müssen finanzielle Mittel aufgewendet werden. Weiterhin spielt auch der Faktor ,Fachkraft‘ eine Rolle, so müssen die Mitarbeitenden entsprechend weitergebildet werden und das nicht nur in der IT, sondern auch in den anderen Abteilungen, die davon betroffen sind. Dazu kommt noch der Ausbau der IT-Infrastruktur.“

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„Der Mechanismus dahinter, aber auch die Einflüsse auf das eigene Geschäftsmodell müssen verstanden werden.“

Die Tools und Angebote, mit KI zu arbeiten, nehmen zu. Damit sinken auch die Investitionskosten. Gleichzeitig rückt das Thema weiter in den Fokus der Wahrnehmung. Wo liegen Quick Wins, weil der Einsatz vergleichsweise einfach und lohnenswert ist?
„Durch den erhöhten Fokus auf KI gibt es auch neue Anwendungsbeispiele aus der Praxis. Anhand der Erfahrungen anderer kann individuell abgeleitet werden, ob und wie diese Anwendung auch im eigenen Unternehmen genutzt werden kann. Durch die gestiegenen Anwendungsfälle sind auch die Investitionskosten gesunken, sodass der Einstieg erleichtert wird. Auch der Fortschritt im Bereich Machine Learning oder beispielsweise Natural Language Processing haben es erleichtert, die KI-Projekte effizient umzusetzen. Dadurch ist die Kosten-Nutzen-Rechnung in Relation deutlich attraktiver geworden.“

Wovon würden Sie als Händler die Finger lassen?
„Um KI erfolgreich einsetzen zu können, muss sich eingehend damit beschäftigt werden. Der Mechanismus dahinter, aber auch die Einflüsse auf das eigene Geschäftsmodell müssen verstanden werden. Weiterhin ist ein professionelles Projektmanagement zwingend erforderlich sowie gegebenenfalls auch ein externes Expertenteam, von den finanziellen Mitteln ganz zu schweigen. Ansonsten sind die Startbedingungen für ein erfolgreiches KI-Projekt nicht gegeben.“

Was die Projektplanungen angeht, deutet die Studie darauf hin, dass die KI stärker im Verkauf statt allgemein in den operativen Prozessen, etwa Energieeffizienz, Diebstahlschutz, Buchhaltung et cetera, genutzt werden soll. Täuscht der Eindruck?
„Umgesetzt wurden bisher vor allem Stand-alone-Lösungen, die ohne großen systemischen Einschnitt umgesetzt werden konnten. Dazu zählen wie zuvor erwähnt der Diebstahlschutz via Kamerasystem, die Belegbearbeitung in der Buchhaltung und Umsatzprognosen. Allerdings sind weitere Einsätze geplant – in der Sortimentsüberarbeitung, bei der Erkennung von Kundenbedürfnissen, der Lagerflächenoptimierung und der Bestandsoptimierung durch Ereignisprognosen.“

Ist Bestandsoptimierung auch ein Thema, um die Kapitalbindung zu reduzieren?
„Natürlich, die Bestandsoptimierung ist wie gewöhnlich eine der Stellschrauben, mit der man die Kapitalbindung reduziert. Hier können KI-Anwendungen gut unterstützen. Das haben auch (unsere) Händler im Blick. So sind beispielsweise Anwendungen zur Optimierung des Sortiments, des Bestands und der optimalen Nutzung von Lagerflächen geplant.“

Sie sagen in der Studie, Lieferkettenoptimierungen stünden aktuell nicht auf der Agenda. Die Politik sieht das aber anders. Sieht der Handel da in erster Linie die Industrie in der Pflicht?
„Die Optimierung der Lieferketten dient letztendlich auch der Absicherung dieser bei den Lieferanten. Das heißt aber nicht, dass der Handel nicht bereit ist, seinen Teil dazu beizutragen. Es muss dabei allerdings darauf geachtet werden, dass die Maßnahmen in der Praxis tatsächlich umsetzbar sind. Hierbei müssen auch Größenunterschiede der Unternehmen beachtet werden. Was beispielsweise für einen Mittelständler noch leistbar ist, kann für ein Kleinunternehmen den finanziellen Ruin durch entstandene bürokratische Hürden bedeuten.“

Strategische Antworten gibt die KI in der Unternehmensführung noch nicht. Wird sich das in absehbarer Sicht ändern?
„In gewisser Weise gibt es das jetzt schon durch allgemeine Absatzprognosen, Klassifizierung von Produkt- und Warengruppen und Prozesssteuerung in der Zentrale. Hierfür muss aber ein gewisses Grundverständnis für KI vorliegen. Händler sollten hier herausfinden, wie sich diese Anwendung auf das eigene Geschäftsmodell und die Wertschöpfungskette auswirkt. Dadurch kann dann der ideale Einsatz von KI bestimmt werden.“