Artificial Art

KI in der Mode und der Kunst

Digital erschaffene Denim in die reale Welt ... Alle Bilder ©G-STAR

Autorin: Katja Vaders
Der rasante Fortschritt von KI geisterte im letzten Jahr wie ein Schreckgespenst vor allem durch die Kunst- und Kulturwirtschaft, aber auch durch einige andere Branchen. Sind Kreative durch künstliche Intelligenz demnächst überflüssig auf dem Arbeitsmarkt und werden auch in anderen Berufsfeldern Menschen schon bald von Robotern ersetzt? FT schaute sich dazu die erste KI-generierte Fashion-Kollektion des Denim-Labels G-STAR RAW an und sprach mit Alain Bieber, künstlerischer Leiter des Düsseldorfer Ausstellungs- und Veranstaltungshauses NRW-FORUM, das einen seiner Schwerpunkte auf digitale Kultur legt.

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Künstliche Intelligenz war im Jahr 2023 eins der meistdiskutierten Themen, nicht nur im Feuilleton. Einer der Gründe: Bereits Ende 2022 wurde ChatGPT, ein vom amerikanischen Unternehmen OpenAI entwickelter Prototyp eines Chatbots, für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Über ChatGPT können seitdem Userinnen und User in einen Dialog mit einer KI treten und sie zu allen möglichen Themen befragen und um Unterstützung bitten, zum Beispiel bei kreativen Prozessen. ChatGPT kann nämlich nicht nur Gedichte und Songtexte schreiben; es kann auch Bilder aller Art generieren, Designs entwerfen und damit künstlerische Prozesse vorantreiben, unterstützen oder sogar komplett übernehmen. Ein paar Anweisungen und ein Click reichen nämlich, um Usern einen Zugriff auf viele Millionen im Internet generierte Quellen sowie die von der KI bereits erlernten Prozesse zu ermöglichen.

Für die einen ist das eine revolutionäre Entwicklung, die als zukunftsweisend betrachtet und gefeiert wird. Wieder andere, gerade die Protagonisten der Kultur- und Kreativwirtschaft, stehen diesem Aufbruch in ein neues Zeitalter eher skeptisch gegenüber. Wird KI künftig wirklich die Arbeit von Künstlern, Designern, Autoren, Musikern und Journalisten übernehmen können? Und was bedeutet das nicht nur für die Kunst und Kultur, sondern letztendlich auch für unsere Gesellschaft?
Sorgen, denen die EU mit dem „AI Act“ begegnet: ein Ansatz, der den Umgang mit künstlicher Intelligenz und die Art und Weise, wie sie künftig unsere Welt und damit auch unser Leben definiert, regulieren möchte. Die spanische Regierung reagierte auf diese Strategie übrigens bereits Anfang 2023 und plante eine Aufsichtsbehörde für KI, die „Agencia Española de Supervisión de la Inteligencia Artificial“. In Deutschland blockierte zunächst vor allem die FDP den „AI Act“, Ende Januar 2024 einigte sich die Bundesregierung allerdings nun doch darauf, im Rat der europäischen Mitgliedstaaten der KI-Verordnung zuzustimmen.

Eine gute Entwicklung, denn die Verbreitung von KI schreitet auch in der Wirtschaft schnell voran, was sicherlich nicht ohne Regularien ablaufen sollte. Laut Destatis nutzt bereits jedes achte Unternehmen in Deutschland künstliche Intelligenz, das entspricht einem Wert von 12 Prozent, bei großen Unternehmen ab 250 Beschäftigten sind es sogar 35 Prozent. Der häufigste Grund für den Nichtgebrauch von KI sei laut dieser Umfrage lediglich „fehlendes Wissen“ zur Technologie.
Auch in der internationalen Modebranche gehört der Umgang mit KI längst zum Tagesgeschäft. Insbesondere im Marketing nutzt man sie, um beispielsweise Gesichter von Models zu generieren; im Online-Handel ist ihr Gebrauch zur Unterstützung bei der Entwicklung von Kundenempfehlungen längst gang und gäbe. Zur Hochzeit der Corona-Pandemie präsentierten viele Unternehmen der Branche digitale Modenschauen und virtuelle Showrooms, aber auch bei der Entwicklung neuer Kollektionen oder im Vertrieb setzen Fashion Brands vermehrt auf die Anwendung von KI.

Designed by KI

Selbstverständlich nimmt man auch bei Design- und Produktionsprozessen gerne die Hilfe von KI in Anspruch. Das niederländische Denim-Unternehmen G-STAR ließ sogar eine komplette Kollektion von einer künstlichen Intelligenz entwerfen. Als Resultat dieses neuen Projekts wurden im letzten Frühjahr insgesamt zwölf von einer KI entworfene Designs präsentiert, eins der Couture-Stücke entwickelten die Niederländer sogar analog in Form eines tragbaren Denim-Modells.
„Die Idee für dieses Projekt wurde geboren, nachdem wir die ‚Digital Fashion Group‘ gegründet hatten. Ihr gehören Mitarbeitende aus verschiedenen Abteilungen von G-STAR an, die ein gemeinsames Interesse an Innovation und Technologie haben. Wir wollten mit neuen Techniken experimentieren und das Potenzial von KI im Modedesign erkunden. Wir wollten jedoch nicht an die digitale Dimension gebunden sein, sondern etwas Reales schaffen – was wir getan haben. Damit waren wir die erste Denim-Marke, die tatsächlich von KI entworfene Kleidungsstücke hergestellt hat. Der gesamte Prozess hat das Potenzial von KI für Modedesign, aber auch für die gesamte Industrie gezeigt“, erklärt Valentijn Bouman, Head of Brand & Community Partnerships bei G-STAR.

Für die technische Umsetzung stellte man zunächst einige Muster her – da der Rücken in der KI-Vorlage nicht vorhanden war, wurde dieser von Designerinnen und Designern entworfen. Übrigens war bei allen zwölf Entwürfen, die zunächst vollständig von KI generiert worden waren, weiterer kreativer Input des Designteams vonnöten. „Der Produktionsprozess war eine ziemliche Herausforderung, weil es so viele unlogische Details gab. Wir haben viel Zeit und Fachwissen investiert, um herauszufinden, wie die Schichten miteinander verbunden sind und wo Details anfangen und wo sie enden. Das hat aber großen Spaß gemacht, weil wir mit Entwürfen gearbeitet haben, die ein Mensch so wohl nie kreieren würde“, so Bouman weiter.

In Produktion ging letztendlich wie schon erwähnt nur eins der außergewöhnlichen Designs. „Wir waren sofort der Meinung, dass das KI-Cape ein besonders interessantes Design hat und ein edles, aber tragbares Teil werden könnte, und wollten sehen, wie wir das digital erschaffene Denim in die reale Welt übertragen können. Dazu mussten wir die KI-Designs allerdings noch weiter verfeinern. Unsere Designerinnen und Designer fütterten Midjourney (eine künstliche Intelligenz, die in der Lage ist, KI-Kunst zu erschaffen, Anm. der Autorin) mit einer detaillierteren Beschreibung, um das endgültige KI-Design zu erstellen: ‚Aufforderung: denim cape morphic, model is wearing, organic shapes, minimal, ratio, futuristic hardware, techwear fashion, white background, 4k ‘.“ Herausgekommen ist dabei tatsächlich ein extrem cooles, sehr futuristisch anmutendes Denim-Cape.

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Verfeinert

Sieht Valentijn Bouman bei aller berechtigten Begeisterung in der zunehmenden Nutzung von KI nicht dennoch auch Gefahren? „Wir lieben es, innovativ zu sein und neue Tools in den Designprozess einzubringen – und die Integration von KI kann viele Vorteile mit sich bringen wie höhere Effizienz und Genauigkeit. Sie kann auch dazu beitragen, die Verschwendung von Materialien im Produktionsprozess zu reduzieren, indem eine Idee sofort in ein gut gemachtes Ergebnis umgewandelt wird.“ Insgesamt sieht G-STAR in der KI-Technologie also viel Potenzial, die Modeindustrie zu revolutionieren. Auch, weil durch ihren Einsatz Modeunternehmen Abläufe rationalisieren, Kosten senken und nachhaltigere Praktiken entwickeln könnten. Hinzu kämen KI-gestützte Chatbots, die im Kundenservice und in virtuelle Anprobe-Technologien integriert seien. „Aus Sicht der Designer können wir die Auswirkungen von KI-Design mit denen von Adobe Illustrator auf die Handskizze vergleichen: Es verbesserte und beschleunigte den Prozess, blieb dabei aber immer ein Werkzeug“, erklärt er weiter. Daher möchte G-STAR auch in Zukunft mit neuen Technologien experimentieren. Der Mensch soll aber weiterhin unbedingt die Kontrolle über alle operativen Prozesse behalten.

Eine Strategie, die auch in der Kunst von großer Wichtigkeit ist, in der ebenfalls vermehrt mit künstlicher Intelligenz gespielt und experimentiert wird. Denn was wäre ein Kunstwerk, wenn es nicht in allen Punkten und vor allem in letzter Konsequenz von einem Menschen erschaffen wird? Alain Bieber ist für die künstlerische Leitung des NRW-FORUM in Düsseldorf verantwortlich. Zuvor kuratierte er seit 2004 in ganz Europa zu Themen wie Street Art, Post-Internet Art, Netz- und Medienkunst, Politische Kunst, Gaming und Fotografie und gründete zahlreiche Kulturprojekte.

„Ich sehe KI als ein Werkzeug für Kreative, vergleichbar mit einem Pinsel für Maler.“ Alain Bieber ©Katja Illner

Einer der Schwerpunkte des NRW-FORUM liegt auf digitaler Kultur; wie geht Alain Bieber mit dem Thema KI um?
„Digitale Kultur gehört zur Popkultur. Und als Ausstellungshaus für zeitgenössische Kulturen beschäftigen wir uns auch immer mit Neuen Medien. Sehr viele Kunstschaffende arbeiten bereits mit KI und produzieren damit spektakuläre Werke. Schon 2018 hat das NRW-FORUM Düsseldorf eine Ausstellung zum Thema KI präsentiert. Und im Kunstpalast habe ich erst kürzlich eine Ausstellung mit den monumentalen Datenskulpturen des Künstlers Refik Anadol kuratiert – hier wurden alle Werke gemeinsam mit einer KI erschaffen.“

Wie ist Alain Biebers generelle Erfahrung mit dem Umgang von KI in der Kunst: Bleibt sie Inspirationsquelle oder lassen Künstlerinnen und Künstler vermehrt ganze Teile ihrer Arbeit von künstlicher Intelligenz ausführen?
„Ich sehe KI als ein Werkzeug für Kreative, vergleichbar mit einem Pinsel für Maler. Und KI kann auch ein sehr inspirierender Dialog zwischen Mensch und Maschine sein, deshalb gibt es viele Beispiele für großartige Mensch-Maschine-Kooperationen.“ Insgesamt blickt auch er deshalb sehr entspannt in die Zukunft und teilt nicht die Sorge vieler, die KI könne den Menschen vermehrt aus dem Kunst- und Kulturbetrieb verdrängen. „Die KI kann (noch) nichts originär Neues erschaffen. Bisher imitiert und verfremdet sie nur Bestehendes aus ihren Datenschätzen. In der Mode und auch in der Kunst braucht es noch immer den kreativen Menschen, der zunächst die KI steuert, danach die Ergebnisse filtert, auswählt und aufbereitet. Bisher verschieben sich nur Arbeitsprozesse. Aber dafür braucht es ein neues Skill- und Mindset. Stichwort Prompt Engineering, das heißt, der Prozess, um Lösungen mit einer KI zu generieren, wird immer wichtiger.“

Am 17. Februar startet die Ausstellung des Künstlers Tim Berresheim im Düsseldorfer NRW Forum. Er ist ein Pionier der computerunterstützten Kunst. Seine Arbeiten verbindet ein Zusammenspiel aus Kunstgeschichte, Technologie, Wissenschaft und Natur. ©Auge und Weltbild º Station 14 2021 AR-Installation Courtesy the artist Tim Berresheim

Gibt es noch andere Möglichkeiten, künstliche Intelligenz in der Kunstwelt einzusetzen, beispielsweise, um Ausstellungen zu generieren, um sie so perfekt auf die Bedürfnisse des Publikums zuzuschneiden? Und wie sieht Alain Bieber generell die Zukunft der KI für die Kunst, auch in Bezug auf Ausstellungsorte? „Wir werden in Museen bald mehr Ausstellungen sehen, die von einer KI kuratiert wurden. Wir werden mehr Kunstwerke sehen, die nicht von Menschen erschaffen wurden. Noch spannender finde ich die Frage: Erleben wir bald noch eine technologische Singularität, in der eine KI ein eigenes Museum erschafft für Kunstwerke von anderen KIs und das dann vor allem von KIs besucht wird? Aber so ein Museum würde das klassische Museum als sozialen Ort, an dem sich reale Menschen begegnen und über Kultur austauschen, trotzdem nicht ersetzen. Und ich glaube auch, dass Menschen an KI-generierter Kunst nur ein mäßiges Interesse haben. Aktuell hat es noch den Reiz des Neuen. Aber Menschen wollen vor allem Kunst von anderen Menschen sehen“, ist er sich sicher. Und auch wenn Alain Bieber selbst gerne ChatGPT nutzt, sei es als Impuls- oder Ratgeber oder um Texte oder Bilder zu generieren: „Für meine kuratorische Arbeit ist dann doch meist das persönliche IRL-Gespräch unter Menschen, mit Künstlerinnen und Künstlern, Kulturschaffenden und Freunden die ergiebigste Quelle. Aber wie so oft: Die Mischung machts.“


Berresheim arbeitet mit neuesten Technologien, von Computer Generated Imagery (CGI), Hochleistungsfotografie, Laser- und 3D-Scanning über 3D-Drucke oder Mixed-Reality, um etwas radikal Neues entstehen zu lassen. ©Ahnung vom Großen Haus º Station 7 2021 AR Skulptur Courtesy the artist Tim Berresheim