Autorin: Eva WesthoffDie Aussichten sind trübe. Nach einem Plus von 2,9 Prozent im Jahr 2023 rechnet die OECD in diesem Jahr mit einem etwas schwächeren Weltwirtschaftswachstum und einem Zuwachs von nur 2,7 Prozent. In Deutschland wird die Wirtschaft laut der OECD-Prognose nach einem Minus von 0,1 Prozent 2024 lediglich um 0,6 Prozent wachsen und damit ein niedrigeres Wirtschaftswachstum als fast alle anderen Industrieländer verzeichnen. FT hat Achim Truger, Professor für Staatstätigkeit und Staatsfinanzen an der Universität Duisburg-Essen und Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, um eine Einschätzung gebeten.
FASHION TODAY: Der Konjunkturausblick für 2024 fällt nicht gerade rosig aus, für Deutschland wurde er zuletzt sogar deutlich nach unten angepasst. Worin sehen Sie die Ursachen? Bremsen Faktoren wie der Krieg in der Ukraine, die stark gestiegenen Energiepreise, die damit einhergehende allgemeine Verteuerung, geopolitische Unsicherheiten sowie die weltweite Konjunkturabkühlung und vor allem das Schwächeln der chinesischen Wirtschaft Deutschland als Exportnation besonders stark aus?
Achim Truger: „Die aktuellen Prognosen sind leider wirklich nicht günstig und Deutschland schneidet dabei im internationalen Vergleich besonders schlecht ab. Einige Forschungsinstitute prognostizieren bereits eine Schrumpfung auch im Jahr 2024. Aber die Schwäche lässt sich vor allem dadurch erklären, dass Deutschland von Energiekrise und schwacher Weltwirtschaft besonders betroffen ist. Das ist Folge seiner exportstarken und besonders von der energiekostenintensiven Industrie geprägten Wirtschaft sowie einer zuvor großen Abhängigkeit von russischen Energielieferungen. Diese Problemdiagnose ist wichtig, denn leider werden die akuten Probleme von manchen vernachlässigt und stattdessen ein allgemeines strukturelles Krisenlamento angestimmt. Wenn man aber die akuten Probleme ignoriert, wird man nicht weiterkommen.“
Wie ist es vor diesem Hintergrund um die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen bestellt? Welche Maßnahmen muss Deutschland als Industriestandort ergreifen, um international nicht abgehängt zu werden?
„Für die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit kommt es auf viele Faktoren an. Dazu gehören allgemeine Rahmenbedingungen wie eine gute Infrastruktur, hohe Forschungs- und Entwicklungsausgaben, gute Bildung sowie attraktive Investitions- und Arbeitsbedingungen. Aktuell kommt es für den Industriestandort vor allem auf den Ausbau der erneuerbaren Energien an. Zur Überbrückung der noch stark überhöhten Energie- und vor allem Strompreise braucht es übergangsweise aber auch einen befristeten Brückenstrompreis, der den energieintensiven Unternehmen Planungssicherheit verschafft und eine unnötige Abwanderung wesentlicher Industriezweige verhindert. Die Bundesregierung hat da einiges auf den Weg gebracht, das aber wegen der selbst gemachten Haushaltszwänge leider kaum reichen wird.“
Welche Weichen müssen in der EU gestellt werden, beispielsweise mit Blick auf die Energiewende? Zuletzt hat der Streit zwischen Frankreich und Deutschland im Zusammenhang mit der Strommarktreform gezeigt, dass hier die Interessen durchaus auseinandergehen. Wie beurteilen Sie den deutschen Atomausstieg aus wirtschaftlicher Sicht, wenn sich international wieder eine Atomlobby formiert? Welche Wettbewerbschancen birgt der Ausbau erneuerbarer Energien?
„Die EU ist für die deutsche Wirtschaft von zentraler Bedeutung. Nur in einer insgesamt prosperierenden EU kann auch Deutschland prosperieren. Und natürlich müssen die EU-Staaten auch in der Energiepolitik kooperieren. Europäische Leitungsnetze müssen ein zentraler Bestandteil sein. Dazu gehört auch, dass man sich nicht zu sehr in die energiepolitischen Grundsatzentscheidungen der Nachbarstaaten einmischt. Frankreich hält an der Atomkraft fest, Deutschland hat sich für den Atomausstieg entschieden. Natürlich hätte es leichte Kostenvorteile gebracht, wenn die restlichen Kernkraftwerke in Deutschland etwas länger gelaufen wären, aber ich bezweifle, dass ein Wiedereinstieg in die Kernkraft im großen Stil gesamtwirtschaftlich wirklich viel kostengünstiger wäre. Die Entscheidung für den Ausstieg ist gefallen. Das bedeutet dann eben, dass die Anstrengungen für die erneuerbaren Energien inklusive Brückentechnologien massiv vergrößert werden müssen.“
Die Inflation, hohe Zinsen und Reallohnverluste trotz Lohnerhöhungen wirken sich auch auf die Inlandskonjunktur und den privaten Konsum in Deutschland aus. Laut HDE-Konsumbarometer ist die Verbraucherstimmung in Deutschland zwischenzeitlich wieder gestiegen und stellte im Dezember 2023 sogar den höchsten Wert seit November 2021 dar. Im Januar ist sie allerdings wieder etwas eingeknickt, bleibt aber über dem Vorjahresniveau. Ist das erneute Aussetzen der Schuldenbremse der richtige Schritt, um die Konjunktur nicht weiter abzuschwächen und den Konsum wie auch die Investitionstätigkeit der Unternehmen zu erhalten beziehungsweise zu stärken?
„Wegen der inflationsbedingt hohen Realeinkommensverluste – die Reallöhne sanken so stark wie noch nie nach dem Zweiten Weltkrieg – schwächelte der private Konsum. Mit der sinkenden Inflation und den nachholenden Lohnabschlüssen stiegen die Realeinkommen zuletzt wieder leicht und dies wird sich im Laufe des Jahres noch steigern. Insofern ist eine Erholung beim privaten Konsum angelegt. Die Frage ist nur, wie stark sie angesichts all der Verunsicherung ausfallen wird. Wir sind da im Sachverständigenrat eher zurückhaltend. Die Finanzpolitik wirkt leider insgesamt konjunkturdämpfend, vor allem deshalb, weil die strikte Einhaltung der Schuldenbremse durch Haushaltskürzungen von der Bundesregierung, vor allem von der FDP, über die Konjunkturstabilisierung und die Förderung von Investitionen gestellt wird.“
Sollte die Schuldenbremse reformiert werden? Wie kann dies gelingen?
„Ja, die Schuldenbremse sollte dringend reformiert werden, denn sie lässt – erst recht nach dem strengen Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts vom vergangenen November – viel zu geringe Spielräume zur Konjunkturstabilisierung nach schweren Krisen und zur Finanzierung der massiven öffentlichen Investitionsbedarfe. Am besten wäre dafür eine Grundgesetzänderung. Politisch ist das aktuell allerdings unrealistisch: Die Union verweigert sich einer solchen Reform und betreibt in Bundestag wie Bundesrat Fundamentalopposition – ganz abgesehen davon, dass auch die FDP keine solche Reform will. Für eine grundlegende Reform braucht es daher noch Zeit. Aber auch im Rahmen der aktuellen Schuldenbremse gäbe es noch erhebliche Spielräume durch Nutzung der Ausnahmeregel sowie geänderte technische Verfahren, gegen deren Nutzung sich die Bundesregierung allerdings unter Federführung des FDP-Finanzministeriums leider entschieden hat.“
Wie im Dezember bekannt wurde, fordern 18 Wissenschaftler, unter ihnen der Wirtschaftsweise Martin Werding, im Rahmen einer für das Bundesarbeitsministerium durchgeführten Studie auch eine Reform des deutschen Sozialsystems. Denn Mehrarbeit lohnt sich oftmals nicht, wenn man zugleich staatliche Hilfe bezieht. Anders als Teile der Politik denken die Wissenschaftler dabei aber nicht an ein Aussetzen der geplanten Erhöhung oder gar ein Absenken des Bürgergelds. Sie plädieren vielmehr dafür, den Beschäftigten bei Mehrverdienst weniger Sozialleistungen zu streichen. Was erachten Sie als sinnvoll?
„Martin Werding ist ja mein Kollege im Sachverständigenrat. Und wir haben uns im letzten Jahresgutachten im November im Konsens als Rat ebenfalls für eine entsprechende Reform des Sozialsystems ohne Kürzungen ausgesprochen. Wir schlagen vor, die Armutsgefährdung über höhere Erwerbstätigkeit und damit höhere Erwerbseinkommen zu verringern. Wenn man verschiedene Leistungen in der Grundsicherung bündelt, kann das den Bezug vereinfachen und die Inanspruchnahme erhöhen. Eine niedrigere Transferentzugsrate, wenn man mehr vom Verdienten behalten kann, würde es attraktiver machen, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen oder auszudehnen. Das könnte vielen Menschen aus der Armutsgefährdung heraushelfen, die Erwerbstätigkeit nimmt zu und es muss den Staat nicht einmal mehr Geld kosten. Also eine wirkliche Win-win-Situation!“
Deutschland leidet unter einem Fachkräftemangel, nicht zuletzt aufgrund des demografischen Wandels. Gleichzeitig sieht sich das Land mit Herausforderungen durch die vielen Geflüchteten konfrontiert. Könnten sie den Fachkräftemangel mildern? Wie ist das Thema Migration hier insgesamt zu betrachten?
„Das ist sehr kompliziert. Gesteuerte Einwanderung von qualifizierten Fachkräften in den Arbeitsmarkt kann eine wesentliche Strategie zur Linderung des demografisch bedingten rückläufigen Arbeitsangebots sein. Da hat die Bundesregierung bereits einige Erleichterungen auf den Weg gebracht, könnte aber sicher noch mehr tun. Wenn Menschen wegen Krieg, Verfolgung und Armut zu uns fliehen, ist das weniger gesteuert und die Chance, direkt qualifizierte Arbeitskräfte zu finden, ist deutlich geringer. Andererseits kann man über Bildung und Qualifizierung viele Menschen in Arbeit bringen, was angesichts des Fachkräftemangels unserer Wirtschaft und unserem Sozialsystem helfen kann. Damit das funktioniert und sich keine Vorbehalte gegen die Einwanderung herausbilden, muss natürlich dafür gesorgt werden, dass genügend Kapazitäten im Bildungssystem, auf dem Wohnungsmarkt et cetera vorhanden sind. Angesichts der gegenwärtig – von manchen politischen Kräften auch bewusst – aufgeheizten Stimmung gegen Ausländer fällt eine rationale Diskussion dieser Fragen allerdings schwer. Es ist daher zu befürchten, dass die Chancen der Erwerbsmigration nicht genutzt werden.“
Wann rechnen Sie mit einer weltwirtschaftlichen Erholung?
„Die Weltwirtschaft sollte sich im Laufe des Jahres langsam erholen, wenn die Inflation abklingt und die negativen Wirkungen der restriktiven Geldpolitik nachlassen. Dann dürfte sich auch der deutsche Export wieder beleben. Die chinesische Wirtschaft als wichtiger Exportmarkt für Deutschland schwächelt allerdings und ohne eine ehrgeizige Investitionsagenda im Inland wird sich die deutsche Wirtschaft nicht so schnell nachhaltig erholen.“