Autor: Andreas GrüterHerzlich willkommen zur ersten Edition unserer neuen „The Missing Link“-Rubrik. Ab sofort nehmen wir hier Fashion-Pieces unter die Lupe, die in ihrer Karriere Außergewöhnliches geschafft haben. Den Anfang macht der Anorak.
Der Anorak, mögen Sie denken, was ist an dem denn besonders? Und in der Tat ist die wetterfeste Jacke mit der eingearbeiteten Kapuze auf den ersten Blick in modischen Belangen eine ziemliche Niete, die allenfalls als wärmendes Gebrauchsutensil für kühle Herbst- und Wintertage durchgeht. Glamour-Appeal? Fehlanzeige.
Das allerdings sahen im Großbritannien der mittleren achtziger Jahre viele Bands der aufblühenden Indie-Musikszene gänzlich anders. Mit einem Bein in der Do-it-yourself-Haltung des Punk und Postpunk, mit dem anderen in der Tradition des twangeligen Schrammelgitarren-Reverb-Sounds des süßlichen 60s-Bubblegum-Pop, lärmten sich betont nerdig gebende Kids unter Namen wie The Pastels, The Pooh Sticks, Shop Assistants, The Wedding Present, Talulah Gosh, The Vaselines oder Josef K nicht nur ordentlich in den Garagen und Kellern des Königreichs. Sie tauschten auch die gefärbten Haare, schweren Stiefel und bemalten Lederjacken gegen einen Mod-inspirierten Ivy-League-Style im betont coolen uncoolen Secondhand-Look ein, dessen großer Vordenker Dan Treacy, Kopf und Sänger der kongenialen Television Personalities, hier keinesfalls unerwähnt bleiben darf. Immer mit dabei: besagter Anorak in einer Doppelrolle – sowohl als typisch britischer Slang für ausgeschlossene Muttersöhnchen, Loner und Streber als auch als textiles Statement, das die damalige Musikjournaille dazu inspirierte, dem bereits als C86 (benannt nach einer Tape-Compilation des New Musical Express) bekannten Phänomen den Subtitel „Anorak Pop“ zu verpassen.
Indiepop Ain’t Noise Pollution (The Pooh Sticks)
Heute, gute 38 Jahre später, ist Anorak Pop nicht nur well alive and kicking, sondern hat längst weltweit Fans gefunden, die das Banner des simplen, naiv-cleveren Popsongs weitergeben. Sie wollen Beispiele? Wir empfehlen neben den oben genannten Bands einen Blick auf die frühen Releases von Plattenlabels wie Creation, Sarah, Marsh-Marigold, 53rd & 3rd und Apricot. Das letzte Wort zum Thema überlassen wir der Friedberger Band Honigritter, die dem Anorak Pop 1987 mit „Babyanorak“ ein musikalisches Denkmal gesetzt hat:
„… einen Babyanorak gibt es nicht in jeder Stadt.
Aber ich will einen Anorak!
Einen Babyanorak gibt es nicht in jeder Stadt.
Aber ich will einen Anorak!
Ich will einen Anorak, so wie ihn Paul Weller hat.
Mit Pelzkragen und Kapuze und mit ein paar bunten Fliegerabzeichen
Ich will einen Anorak, so wie ihn nicht jeder hat.
Einen schönen kunterbunten Babyanorak.
Aber ich find keinen in dieser Stadt …“