„Textil hat Zukunft!“

Ausbildung im Fokus

„Die demografische Entwicklung bekommt auch unsere Branche voll zu spüren. Die vorläufige Bilanz der Bundesagentur für Arbeit zum Ausbildungsjahr 2022/2023 zeigt, dass auf 100 betriebliche Berufsausbildungsstellen nur 80 Bewerberinnen und Bewerber kommen." Anja Merker, textil+mode ©photothek/lmo

Autorin: Tays Jennifer Köper-Kelemen
Fachkräftemangel und Ausbildungsflaute sind branchenübergreifend viel diskutierte Themen. Das Statistische Bundesamt registrierte auch für das Jahr 2022 ein anhaltend niedriges Niveau bei Neuabschlüssen von Ausbildungsverträgen. FASHION TODAY hat bei Anja Merker, Leiterin Referat Bildung beim Gesamtverband textil+mode, nachgehakt, wie es denn im Modesektor um Nachwuchskräfte steht.

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Laut Statistischem Bundesamt wurden im Jahr 2022 mit 469.900 neuen Ausbildungsverträgen zwar 0,8 Prozent mehr Kontrakte abgeschlossen als im Vorjahr, jedoch 8 Prozent weniger als vor der Corona-Pandemie und 14 Prozent weniger als vor zehn Jahren. Damit ist die Zahl neuer Ausbildungsverträge auf einem historisch niedrigen Niveau verblieben. In den Jahren zuvor war bereits eine rückläufige Anzahl von Neuverträgen zu verzeichnen. 2012 wurden noch deutschlandweit 544.400 Neuverträge geschlossen. Insgesamt markieren rund 1,2 Millionen Auszubildende 2022 einen Tiefstand.

Arbeitswelt im Wandel  

FASHION TODAY hat bei Anja Merker, Leiterin Referat Bildung beim Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie, nachgefragt, wie es in der Modebranche um Ausbildungsberufe sowie Nachwuchskräfte steht, welche Ansprüche heute im digitalen Zeitalter erfüllt werden müssen und welche Perspektiven es für junge Menschen in der Mode gibt.

FT: Frau Merker, wie ist es in Deutschland um die Ausbildungsberufe der Modebranche bestellt?
Anja Merker: „Die demografische Entwicklung bekommt auch unsere Branche voll zu spüren. Die vorläufige Bilanz der Bundesagentur für Arbeit zum Ausbildungsjahr 2022/2023 zeigt, dass auf 100 betriebliche Berufsausbildungsstellen nur 80 Bewerberinnen und Bewerber kommen. Die rückläufige Entwicklung der letzten Jahre konnte zwar gestoppt werden, dennoch erhalten wir weiterhin das Feedback von unseren Mitgliedsverbänden, dass die Unternehmen händeringend guten Nachwuchs suchen.“

Welche Ausbildungsberufe sind bei den jungen Menschen besonders beliebt?
„Deutsche Modemarken stehen weltweit für Qualität, Langlebigkeit und ausgezeichnetes Design. Jährlich bildet die Branche circa 1.500 junge Menschen in sehr vielfältigen Ausbildungsberufen aus. Hierzu zählen etwa der Textil- und Modenäher als zweijährige Ausbildung beziehungsweise der Textil- und Modeschneider oder der Produktgestalter als jeweils dreijährige Ausbildung, bei der die jungen Leute ihre ganze Kreativität und Vorliebe für Farben und Formen einbringen können. Die drei Ausbildungsberufe mit den meisten Auszubildenden in unserer Branche sind aber der Maschinen- und Anlagenführer, gefolgt vom Fahrzeuginterieur-Mechaniker und dem Produktionsmechaniker Textil, die besonders von technisch interessierten Jugendlichen nachgefragt werden. Wer erst einmal eine Ausbildung in unserer Branche angefangen hat, lernt schnell die abwechslungsreichen Aufgaben zu schätzen.“

Welche Ansprüche müssen im Rahmen einer Ausbildung heute erfüllt werden? Was müssen Unternehmen andersherum Auszubildenden bieten?
„Unsere vorwiegend mittelständischen Modehersteller ermöglichen den Auszubildenden einen engen persönlichen Kontakt zu allen Bereichen innerhalb des Betriebes. Eine gewisse Begeisterung für textile Materialien seitens der Bewerber ist natürlich eine gute Voraussetzung für den Einstieg in die Branche. Immer wichtiger als gute Noten ist heute, dass die Bewerber motiviert sind, Lust auf den Ausbildungsberuf haben und die Ausdauer mitbringen, die Ausbildung abzuschließen. Die Betriebe unterstützen die jungen Menschen über die Ausbildungsdauer individuell, um benötigtes fachliches Wissen und neue Kompetenzen im Umgang mit modernen Systemen und technischen Optionen zu erlernen, die etwa die Digitalisierung mit sich bringt.“

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„Die drei Ausbildungsberufe mit den meisten Auszubildenden in unserer Branche sind der Maschinen- und Anlagenführer, gefolgt vom Fahrzeuginterieur-Mechaniker und dem Produktionsmechaniker Textil.“

Welche Rolle spielt die Digitalisierung?
„Die Arbeitswelt in der Textil- und Modeindustrie passt sich ständig den voranschreitenden digitalen Entwicklungen und den neuen technischen Möglichkeiten an. Die virtuelle Produktentwicklung gewinnt immer mehr an Bedeutung. Im Modebereich können Designer bereits am Rechner Optik und textiles Verhalten von Materialien simulieren und so Produkte virtuell designen. Zusätzlich kommen vermehrt digitale Medien auch in der Ausbildung zum Einsatz, wie Tablets und VR-Brillen oder auch Lernmanagementsysteme und Online-Lernplattformen. Die Branche hat zudem moderne Ausbildungsorte geschaffen, wie etwa die Textilakademie im nordrhein-westfälischen Mönchengladbach oder mit dem in diesem Jahr eröffneten Texoversum auf dem Campus der Hochschule Reutlingen in Baden-Württemberg.“

Welche Problemfelder ergeben sich hinsichtlich Digitalisierung und Ausbildung?
„Während die Betriebe schon vielfach mitten in der digitalen Transformation stecken, bestehen in vielen Berufsschulen noch Herausforderungen, mit der Entwicklung Schritt zu halten. Zum einen ist auch das Lehrpersonal vom demografischen Wandel betroffen, zum anderen müssen sich viele Lehrstätten digitalisieren und das Lehrpersonal sich dann auch in die Tools einarbeiten. Dies wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen.“

Würden Sie sagen, dass die Löhne in den Ausbildungsberufen der Mode attraktiv sind? Wie bewerten Sie die Perspektiven?
„Unsere Ausbildungskampagne ,Go Textile!‘ gibt auf www.go-textile.de ausführliche Einblicke in den Arbeitsalltag von Azubis unserer Branche und informiert auch über die Ausbildungsvergütungen und die vielfältigen beruflichen Möglichkeiten nach einer Ausbildung in der Textil- und Modeindustrie. Wer etwa seine Ausbildung als Textil- und Modenäher erfolgreich abgeschlossen hat, kann sich weiter zum Textil- und Modeschneider ausbilden lassen. Mit ausreichend Berufserfahrung und besonderer Eignung können die Aufgaben als Teamleiter oder Assistent des Fertigungsleiters übernommen werden. Eine Weiterbildung zum Industriemeister Textilwirtschaft oder staatlich geprüfter Bekleidungstechniker oder ein Studium im Bereich Bekleidungstechnik oder Modedesign steht den jungen Leuten ebenso offen.“

Welche Initiativen ergreifen Sie als Verband, um Nachwuchs zu fördern, Unternehmen zu unterstützen?
„Textil hat Zukunft – mehr denn je –, darauf machen wir mit all unseren Möglichkeiten aufmerksam. Unsere Ausbildungsinitiative ,Go Textile!‘ hat in den vergangenen Jahren kontinuierlich an Aufmerksamkeit gewonnen und zeigt auf allen Kanälen die breite Palette an textilen Ausbildungsberufen. Sie gibt allen Interessierten einen Überblick über die Einstiegs- und Karrieremöglichkeiten der Branche. Auf der Website sowie auf den Instagram- und TikTok-Accounts der
Kampagne stellen Azubis in kurzen Clips ihre eigene Ausbildung vor, ergänzt durch Infos zur Entlohnung und zu den Karrierechancen. Auf regionalen Ausbildungsmessen stehen wir ebenfalls Rede und Antwort, im kommenden Jahr zum Beispiel wieder auf der MG ZIEHT AN am 15. und 16. Mai an der Hochschule Niederrhein.“

Würden Sie sich mehr Engagement seitens der Bildungspolitik wünschen? Wenn ja, inwiefern?
„Auch wir würden uns gelegentlich mehr Geschwindigkeit im föderalen Bildungssystem wünschen. Abstimmungen etwa zur Er- oder Überarbeitung von neu geschaffenen oder neu geordneten Berufsbildern nehmen teilweise viel Zeit in Anspruch. Als Gesamtverband textil+mode sind wir in wichtigen Gremien und Ausschüssen vertreten und setzen uns für moderne Ausbildungsinhalte ein.“

www.textil-mode.de