Autor: Markus OessEin Flohmarktfund ist der Grund für die Wiederbelebung der Qualitätsmarke Merz b. Schwanen. Ein altes T-Shirt brachte ein Ehepaar dazu, nach den Ursprüngen des Shirts zu forschen. Wie es endete, ist bekannt. In den USA hat die Marke dank einer erfolgreichen Disney-Serie Kultstatus. Nun folgt der nächste Schritt, die weitere Integration der Produktion ins Unternehmen. Wohl gemerkt in Deutschland und alles ohne digitale (Skalen-)Helfer.
Es ist eine Zeitreise. Wer die Autobahn Richtung Albstadt verlässt und über das nicht mehr ganz so platte Land fährt, erhascht hier und da einen Blick auf den Glanz vergangener Tage, als die Textilindustrie die Menschen auf der Schwäbischen Alb ernährte. Dank der Schäferei hatte die Textilherstellung auf der Schwäbischen Alb Tradition. Ab dem 17. Jahrhundert stieg die Zahl der Strumpfwirker und Zeugmacher an. Für die Alb ging es aufwärts, der Beginn der maschinellen Textilindustrie im Zuge der industriellen Revolution sorgte für Schub. Gleichzeitig brachte auch der Baumwollboom vermehrt mechanische Webstühle auf die Alb und führte zur Gründung größerer Baumwollmanufakturen, etwa der Württembergischen Cattun Manufaktur in Heidenheim.
Im 19. Jahrhundert entstanden in Giengen an der Brenz die Vereinigten Filzfabriken und Steiff. In Albstadt entwickelte sich die Trikotindustrie, die schon bald bis ins Ausland lieferte. Die Textilindustrie war auch Wachstumsmotor und Kitt der Nachkriegsgesellschaft, die die gerade erlebten Schreckensjahre vergessen machen wollte. Dann aber kam der Niedergang, die heimische Produktion wurde zu teuer, manche Markennamen blieben, die Arbeitsplätze aber verschwanden. Heute kennt man noch zwei große Namen, die hier auch produzieren: Trigema und Mey. Und der Rest? Vergessen … wir das.
Szenenwechsel. Michael Schleicher ist gelernter Textilingenieur und arbeitet seit 2012 bei Merz b. Schwanen. Nach einem Zwischenstopp in Berlin ist er 2021 wieder nach Albstadt zurückgekehrt. Dort soll er künftig die Produktion leiten, die in den kommenden Monaten weiter ins Unternehmen integriert wird. Wir haben uns zu ihm nach Albstadt aufgemacht, um einen handwerklichen Produktionsbetrieb zu besuchen, der mit einem alten Maschinenpark Textilien herstellt, in Deutschland wohlgemerkt. „Hier zu arbeiten ist ein echter Zeitsprung. Dass die Maschinen immer noch funktionieren, zeigt, auf welchem Qualitätsniveau man sich in der damaligen Zeit bewegte“, merkt er nach der Begrüßung auf dem Weg zur Produktionshalle an, die ebenfalls nach alten Standards dimensioniert ist. Das alles wirkt nicht nur aus der Zeit gefallen, nach modernen Produktionskennzahlen ist es das wohl auch. In dem alten Gemäuer, das den Charme der ausgehenden 60er versprüht, rotieren die alten Rundwirkmaschinen aus dem letzten und vorletzten Jahrhundert. Sie kommen zum Einsatz bei der Herstellung des Jerseys für die Premiumlinie (GOOD ORIGINALS). Es gibt inzwischen auch eine Basislinie (GOOD BASICS), die in Portugal produziert wird. Spätestens jetzt wird klar: Wir besuchen die Produktionsstätte von Merz b. Schwanen.
Bewahrer
„Das wollen wir auf jeden Fall bewahren. Die durchgängige Produktion im Zweischichtbetrieb aufrechtzuerhalten, ist jedoch nicht immer ganz einfach, weil die Ersatzteilversorgung natürlich angespannt ist und wir mit dem zurechtkommen müssen, was wir auf Lager haben. Da sind technisches Verständnis und hin und wieder auch Improvisationskunst gefragt. Ich bin sehr happy damit, handwerklich arbeiten zu können“, sagt Schleicher und öffnet die Tür zu dem großen Raum, in dem die Maschinen untergebracht sind. Es ist verhältnismäßig leise. Der Geräuschpegel liegt deutlich unterhalb desjenigen moderner Massenproduktionsstätten. Computer und digitale Displays sucht man vergebens. Der einzige Rechner im Raum dient augenscheinlich den firmeninternen Kommunikationsprozessen. Dafür hängt ein altes Telefon an der Wand. Fast scheint es, es könnte jeden Moment anfangen zu klingen.
Schleicher ist in Albstadt, genauer gesagt in der Firma angekommen: „Wir setzen auf Handwerkstradition und Qualität und sind der lebende Beweis, dass die Textilindustrie Alternativen zur billigen Massenproduktion hat. Wir können mit unseren Ressourcen verantwortungsvoll umgehen. Und die Verbraucher:innen schätzen das auch und entgegen der landläufigen Meinung sind sie bereit, dafür Geld auszugeben. Man muss ihnen nur erklären, warum die Teile mehr kosten und sich die Investition in ein gutes Textil immer rechnet.“
Wie es begann
Auch wenn die Geschichte der wiederbelebten Traditionsmarke inzwischen schon öfter erzählt wurde und natürlich auch durch die Presse ging, ist sie immer noch bemerkenswert. Die Wurzeln von Merz b. Schwanen reichen zurück bis ins Jahr 1911. Damals gründete Balthasar Merz die Textilmanufaktur auf der Schwäbischen Alb. Zeitsprung ins Jahr 2011, das Jahr, in dem Gitta und Peter Plotnicki – Designer:innen, Lebens- und Geschäftspartner:innen aus Berlin – die Marke wieder auferstehen lassen, nachdem die Nachkommen des Gründers die Produktion längst eingestellt hatten. Wie kam es dazu? Die beiden entdeckten auf dem Flohmarkt ein über 90 Jahre altes Knopfleistenhemd, das sie in Qualität und Machart faszinierte. Sie recherchierten, woher das Hemd kam, und landeten schließlich bei der Familie Merz, die in Albstadt hochwertige Qualitätsprodukte herstellte. Und sie trafen Rudolf Loder, der einige Rundwirkmaschinen sein Eigen nannte – und ein altes Textilfabrikgebäude.
Man war sich schnell einig. Gitta und Peter Plotnicki gründeten ihren Hauptsitz in Berlin, der Stadt, wo sie bereits seit Jahren lebten. Während die beiden die erste Kollektion und die Vertriebsstrategie entwickelten, tüftelte Rudolf Loder an den alten Maschinen in Albstadt. Das ist jetzt Jahre her und schon vor einiger Zeit hat die Familie Merz die Markenrechte komplett an Merz b. Schwanen übertragen. Derzeit sind 32 Maschinen im Einsatz. Zusätzliche Maschinen und ein Ersatzteillager sollen den störungsfreien Weiterbetrieb sichern. Allerdings sind keine weiteren Maschinen mehr auf dem Markt. 50.000 bis 60.000 Teile verlassen pro Jahr die Produktion auf der Schwäbischen Alb. Seit 2017/18 produziert Merz b. Schwanen auch Flachgewebe. Seit F/S 2023 sind Chinos, Kleider und Jacken im Programm.
Der nächste Schritt
Noch gehören die Maschinen und das Gebäude Rudolf Loder. Hier wird der Jersey hergestellt, der von weiteren Partnerbetrieben in der Umgebung zu fertigen Teilen verarbeitet wird. Merz b. Schwanen verantworten das Design und die gesamte Wertschöpfungskette. Und es ist geplant, in den nächsten Monaten den Verbund aus sechs Partnerbetrieben (Färben, Zuschnitt, Nähen und Lager) enger zusammenzuführen und Teile ins Unternehmen zu holen. Die Produktionssteuerung würde dann weiterhin in Händen von Merz b. Schwanen liegen. Am Standort arbeiten aktuell zehn Personen, teils auch in Teilzeit. Es gibt neben Schleicher noch einen Strickmeister und einen Stricker. Ein zweiter Stricker hat Merz b. Schwanen wurde unlängst eingestellt. Kleine Zeitgeschichten.
Klassenbewusstsein
Gitta und Peter Plotnicki sind die kreativen Köpfe hinter Merz b. Schwanen, die die Marke wiederbelebt haben – mit klaren Vorstellungen, was geht und was nicht. Wir haben die beiden zu ihren Plänen befragt und dazu, ob Discounter ein Thema wären, wenn die Konditionen stimmten.
FASHION TODAY: Deutschland ist Discountland! Oder doch nicht? Was ist das wahre Erfolgsgeheimnis von Merz b. Schwanen?
Gitta Plotnicki: „Merz b. Schwanen ist eine deutsche Bekleidungsmarke, die für die Herstellung einzigartiger Stoffe auf originalen Rundwirkmaschinen und ihre hochwertige und nachhaltige Bekleidung bekannt ist. Der Erfolg von Merz b. Schwanen kann auf mehrere Faktoren zurückgeführt werden:
Nachhaltigkeit: In den letzten Jahren ist die Nachhaltigkeit zu einem wichtigen Faktor für den Erfolg vieler Bekleidungsmarken geworden. Das Engagement von Merz b. Schwanen für die Verwendung nachhaltiger und umweltfreundlicher Materialien und Herstellungsprozesse entspricht den Werten von Kundinnen und Kunden, denenuns.
Qualität: Merz b. Schwanen legt großen Wert auf Qualität. Die Produkte werden in Deutschland mit traditionellen Fertigungsmethoden und hochwertigen Materialien hergestellt. Dieses Engagement für Qualität hebt uns von einer Branche ab, in der schnelle Mode und Massenproduktion vorherrschen.
Tradition: Mit den auf den alten Rundwirkmaschinen hergestellten GOOD ORIGINALS greift die Marke auf die traditionelle deutsche Textilproduktion zurück und verwendet originale Fertigungstechniken und Materialien. Dieses Bekenntnis zur Tradition spricht Kundinnen und Kunden an, die Wert auf Authentizität und Geschichte legen.
Einzigartiges Design: Die Entwürfe von Merz b. Schwanen sind in einer klassischen, zeitlosen Ästhetik für ein breites Publikum verwurzelt. Wir konzentrieren uns darauf, Kleidung zu kreieren, die Kundinnen und Kunden anspricht, die nach langlebigen, vielseitigen und zeitlosen Stücken suchen.“
Inzwischen bietet Ihr auch Strick und Outdoor sowie Hosen an. Wie holt man sich da Kompetenz ins Unternehmen, Stichwort Fachkräftemangel?
Peter Plotnicki: „Die Zusammenarbeit mit erfahrenen, etablierten Zulieferern in Portugal ist ein strategischer Ansatz, um dem Fachkräftemangel zu begegnen und Kompetenz in Ihr Unternehmen zu bringen, insbesondere in den Bereichen Strickwaren, Hemden, Jacken und Hosen. Portugal ist bekannt für sein Know-how in der Textilherstellung, und diese Wahl bietet mehrere Vorteile.
Zugang zu qualifizierten Arbeitskräften: Portugal kann auf eine lange Tradition in der Textilherstellung zurückblicken, was zu qualifizierten und erfahrenen Arbeitskräften führt.
Qualitätssicherung: Der Ruf Portugals als Textilproduzent wird oft mit qualitativ hochwertigen Produkten in Verbindung gebracht. Durch die Zusammenarbeit mit etablierten Lieferanten im Land können wir sicherstellen, dass unsere Produkte die Industriestandards erfüllen oder übertreffen.
Die portugiesische Textilindustrie hat eine lange Geschichte der Innovation. Die Zusammenarbeit mit erfahrenen Lieferanten kann zur Entwicklung neuer, einzigartiger Produkte und Produktionsmethoden führen.
Wettbewerbsfähige Kosten: Portugal ist zwar nicht immer die billigste Option, kann aber im Vergleich zu westeuropäischen Ländern wettbewerbsfähige Preise bieten, vor allem wenn man die Qualität und das verfügbare Fachwissen berücksichtigt.“
Was sagt der Handel zum Programmausbau?
Peter Plotnicki: „Unsere Handelspartnerinnen und -partner haben die Programmerweiterung sehr begrüßt. Sie haben ein sehr positives Feedback gegeben, vor allem in Bezug auf die neuen Produkte, mit besonderem Augenmerk auf die Hosen und Strickwaren. Wir werden auf jeden Fall die Produktlinie weiterführen und erweitern.“
Wie wird die Beschaffung und Produktion von Merz b. Schwanen mittelfristig aussehen?
Gitta Plotnicki: „Wir werden weiterhin in Deutschland produzieren, wo Merz b. Schwanen ursprünglich gegründet wurde und wozu die Marke eine starke historische Verbindung hat. Da hier die Produktionsmöglichkeiten in Hinsicht auf Quantität sehr limitiert sind, werden wir weiterhin unsere Partnerschaften in Portugal ausbauen, da wir mit der Qualität, dem nachhaltigen Engagement und der Professionalität sehr zufrieden sind und gerne mit den Menschen dort zusammenarbeiten.“
Würdet Ihr zu Euren Bedingungen Kanäle außerhalb des Fachhandels bedienen, etwa Discounter, wenn die Mengenfrage zu lösen wäre?
Gitta Plotnicki: „Nein, wir würden keine Kanäle außerhalb des Fachhandels, wie etwa Discounter, zu unseren Bedingungen bedienen. Wir schätzen die Zusammenarbeit mit unseren autorisierten Einzelhändlern, die eine großartige Arbeit leisten, um unsere Produkte zu präsentieren und die Geschichte der Marke zu erzählen. Diese Partnerschaften sind besonders wichtig für uns.“
Was müssen Händlerinnen und Händler mitbringen, um Merz b. Schwanen zu verkaufen, und wo kann ich die Kollektion sehen?
Peter Plotnicki: „Wichtig ist uns, dass die anderen Marken in den Geschäften der interessierten Händlerinnen und Händler mit der Ästhetik und Qualität von Merz b. Schwanen übereinstimmen. Das bedeutet, dass die von ihnen angebotenen Produkte den Stil, die Werte und die Zielgruppe von Merz b. Schwanen ergänzen und dazu nicht im Widerspruch stehen sollten. Händlerinnen und Händler müssen sich an alle Markenstandards, Preisrichtlinien und Verkaufsbedingungen von Merz b. Schwanen halten. Dies ist wichtig, um den Ruf und die Konsistenz der Marke zu wahren.
Wir präsentieren unsere Kollektion auf Mode- und Fachmessen in Städten wie New York City (NYC), Paris und Berlin. Diese Messen sind in der Regel für Fachleute aus der Branche, einschließlich Händler:innen, zugänglich. Zusätzlich werden die neuen Kollektionen in Showrooms unserer internationalen Vertriebspartner:innen und in unserem eigenen Showroom in Berlin gezeigt. Händler:innen und Interessent:innen können sich direkt an Merz b. Schwanen oder seine autorisierten Vertreter:innen wenden, um spezifische Informationen zu erhalten.“
Big in USA
Die große Nachfrage nach dem Standard-T-Shirt von Merz b. Schwanen in den USA hat seinen Ursprung in der erfolgreichen Serie „The Bear: King of the Kitchen“ (Disney+). Der Hauptdarsteller trug meist das 215-Maco-Imit-Shirt, das schnell viral ging und Kultstatus errang. Hinter dem Kürzel Maco Imit steckt die Neuentwicklung eines Mischgewebes (67 Prozent Baumwolle und 33 Prozent Viskose) Anfang des 20. Jahrhunderts, das in Griff und Struktur der ägyptischen Baumwolle, dem Premiumstoff schlechthin, in nichts nachsteht. Die Community rätselte über die Herkunft des „perfekten“ T-Shirts aus „The Bear“. Aber es blieb ein Geheimnis, wer das Shirt herstellt, bis schließlich die Stylistin der Serie das Geheimnis selbst lüftete. Sie habe sich im Herrenbekleidungsgeschäft Self Edge beraten lassen und gleich den ganzen Bestand aufgekauft. Die Fans und mutmaßlich Merz b. Schwanen störte das nicht, denn nun war klar, wo man das Shirt kaufen konnte.