Es läuft wieder

MICAM #95

©MICAM

Autor: Markus Oess
Die Vorsitzende der italienischen Assocalzaturifici, Giovanna Ceolini, sieht Änderungen auf die Schuhbranche zukommen. Und sie sieht das positiv, denn Digitalisierung und ökologische Nachhaltigkeit werden Taktgeber der Zukunft sein und darauf stellen sich die Branche und auch die MICAM ein, wie die Verbands-Chefin im FT-Interview betont. Aber Ceolini hat im wahrsten Wortsinn Realitätssinn: „Wir können uns nicht dematerialisieren“, sagt sie sinngemäß.

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„Verbindungen zwischen der physischen und virtuellen Welt, hier spielt sich die Zukunft der Messen ab.“ Giovanna Ceolini

FT: Frau Ceolini, die Besucher- und Ausstellerzahlen steigen. Die MICAM ist die bislang größte und wichtigste internationale Schuhmesse. Allerdings findet sie zeitgleich mit anderen Messen statt und die Zahlen früherer Ausgaben werden nicht mehr erreicht. Ein Trend, der generell auf Messen weltweit zu beobachten ist. Was bedeutet das für die MICAM in naher Zukunft?
Giovanna Ceolini: „Die Fachmessen für Mode und Accessoires, die im September auf der Fiera Milano Rho stattfanden, also MICAM MILANO, mipel, TheOneMilano und HOMI Fashion&Jewels Exhibition, wurden von 42.273 Fachbesuchern aus 129 Ländern besucht. Das ist ein Zuwachs von 21 Prozent gegenüber der Ausgabe vom September 2022. Die Messen zeigten vor allem eine steigende Nachfrage seitens ausländischer Käufer und bewiesen damit die Bedeutung des Exports für die Erholung der vertretenen Branchen. Die endgültigen Zahlen der Veranstaltungen zeigen wachsende Besucherzahlen aus Spanien, Frankreich und Deutschland. Was Nicht-EU-Länder betrifft, gab es ein lang erwartetes Comeback Chinas und Bestätigungen aus Japan und Nordamerika mit Kanada und den USA. Es wurden 1.024 Marken vorgestellt, davon 520 italienische und 504 ausländische, die über 30 Länder repräsentierten, wobei Spanien mit über 100 Unternehmen den ersten Platz belegte. Aufgrund exogener Ursachen wie anhaltender Konflikte und steigender Kosten erreichen wir mit einiger Verzögerung das Niveau vor der Corona-Krise. Ich bin sicher, dass die MICAM weiterhin die führende Veranstaltung der Schuhbranche und ein unverzichtbarer Termin für alle sein wird, die Geschäfte abschließen möchten.“

Wenn Sie sich die letzten fünf Jahre und insbesondere die Pandemie und die Folgen des Krieges in der Ukraine ansehen, welche Auswirkungen hat dies auf die italienische Schuhindustrie (und auf die Schuhindustrie weltweit …)? Wo liegen die Herausforderungen und wo liegen die Chancen?
„Die COVID-19-Pandemie und die anhaltenden Konflikte haben nicht nur die italienische und globale Schuhindustrie, sondern auch die Weltwirtschaft beeinträchtigt. Gerade für unsere Branche haben sie bestimmte bereits laufende Prozesse beschleunigt, die im Wesentlichen unter zwei Überschriften fallen: Digitalisierung und ökologische Nachhaltigkeit. Das sind neben dem Generationenwechsel und der Berufsausbildung die beiden wichtigsten Herausforderungen für zukunftsorientierte Unternehmen.“

Wie sehr und in welche Richtung hat dies ebenso die Messen und damit auch die MICAM verändert? Was kommt als Nächstes?
„Verbindungen zwischen der physischen und virtuellen Welt, hier spielt sich die Zukunft der Messen ab. Was die Notwendigkeit einer persönlichen Präsenz auf Messen keineswegs ausschließt. In unserer Branche ist es ein Muss, Schuhe zum Anfassen live dabeizuhaben. Natürlich wird Online immer wichtiger als in der Vergangenheit, aber wir können uns nicht in Richtung Dematerialisierung bewegen. Darüber hinaus ist Nachhaltigkeit mittlerweile entscheidend für den Erfolg einer Messe. Es handelt sich nicht um eine von oben auferlegte Verpflichtung, sondern um einen von den Verbrauchern geforderten Wert, der zum ultimativen Ziel und Leitfaden wird.“

Wie überall spüren auch Sie sicherlich den zunehmenden Fachkräftemangel. Gutes Personal wird zum limitierenden Faktor, oder?
„Zu den vielen Herausforderungen in unserer Branche gehört auch die Ausbildung, ein Thema, das mir besonders am Herzen liegt und von dem die Zukunft des Generationenwechsels abhängt. Denn ich bin nach wie vor der festen Überzeugung, dass es keine Innovation ohne entsprechendes Fachwissen und die nötige Vorbereitung geben kann, um auf den Märkten, auf denen sich globale Herausforderungen abspielen, wettbewerbsfähig zu bleiben. 
Mein Appell richtet sich hier an die neuen Mitarbeiter, die in das Unternehmen eintreten werden. Mit der Digitalisierung haben wir ein gutes Niveau erreicht, um junge Menschen mit altersgerechteren Technologien für die Branche zu begeistern. Auf der Entwicklungs- und Modellierungsebene gibt es viele auf Technologie und Digital ausgerichtete Berufe und Spezialisierungen für junge Menschen. Während Mode glamourös ist, hat die Arbeit in der Fabrik oft auf den ersten Blick keinen Reiz. Es liegt an uns, junge Menschen dazu zu bringen, ihre Meinung zu ändern und sich für einen Beruf zu begeistern, der in einer Zeit, in der der Zugang zur Arbeitswelt äußerst schwierig ist, so viel Befriedigung bieten kann. Denken Sie nur an die dramatische Zahl all derer, die nicht erwerbstätig sind und sich nicht um die Arbeitssuche bemühen. Wir erleben ein Paradoxon: Gerade in einer Zeit, in der weltweit der Wunsch nach ‚Made in Italy’ wächst, besteht auch eine Diskrepanz zwischen der Nachfrage aus der Arbeitswelt und den vom Markt angebotenen Fähigkeiten. Wir müssen daher die Außenwelt auf unsere Tätigkeit aufmerksam machen und zeigen, dass die Fabrikarbeit nichts mehr vom handwerklichen Erbe der Vergangenheit hat, sondern ein in die Zukunft projizierter technologischer Beruf ist. Ich hoffe, dass die Institutionen unsere Bemühungen unterstützen, indem sie Anreize und Support für die berufliche Bildung bieten.“

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Muss der Markt auch international entlang der Wertschöpfungskette näher zusammenrücken, um künftigen Herausforderungen besser gewachsen zu sein, und was würden Sie für die Zukunft empfehlen?
„Ich glaube, dass sich der Markt bereits in diese Richtung bewegt. Digitalisierung und ökologische Nachhaltigkeit sind die Weichenstellungen für die Entwicklung und werden, wie bereits erwähnt, vor allem von Verbrauchern gefordert, die insbesondere in Umweltfragen keine Kompromisse mehr eingehen und nun bereit sind, für das Endprodukt einen höheren Preis zu zahlen, solange es bestimmte Kriterien erfüllt.“

Deutschland ist nach wie vor ein wichtiger Markt für die italienische Schuhindustrie. Wenn deutsche Käufer nach Italien reisen, passt das sicher gut. Doch wo sehen Sie die Stärken und Chancen der deutschen Industrie? Was hören Sie von den Unternehmen im Deutschen Pavillon?
„Der Besuch von Fachkräften auf der MICAM im September war beachtlich und bestätigt, dass unsere Messe ein unverzichtbarer Termin ist, um sich nicht nur über aktuelle, sondern auch künftige Trends zu informieren. Andererseits sprechen wir von einem Markt, dem deutschen Markt, der für unsere Exporte wichtig ist, da er nach Wert die Nummer vier, aber den zweitgrößten in Bezug auf das Volumen darstellt. Nach Wert ging es um 8,4 Prozent nach oben, aber mengenmäßig um 15,5 Prozent nach unten. Wenn wir den Horizont jedoch auf die Zeit vor der Corona-Krise verschieben, sehen wir, dass wir im Vergleich zu 2019 wertmäßig um 28,2 Prozent gewachsen sind, während die Menge um 9,5 Prozent gesunken ist. Wir sind definitiv auf dem Weg nach oben. Auf der anderen Seite stellen in Italien hergestellte Schuhe für deutsche Kunden ein Statussymbol und eine Kauflust dar und kein Ort bietet in diesem Sinne ein so umfassendes Angebot wie die MICAM.“

Hintergrund

Die internationales Schuhmesse MICAM MILANO vom 17. bis 20. September 2023 setzte in ihrer 95. Ausgabe auf der Fiera Milano auf Qualität, Nachhaltigkeit und Innovation. Der Fokus richtete sich insbesondere auf junge Menschen, unter anderem mit dem traditionellen Segment Emerging Designers, das wieder zwölf Talente präsentierte. 1.024 Marken stellten sich vor, davon 520 italienische und 504 ausländische aus über 30 Ländern. Spanien stellte mit über 100 Unternehmen die meisten Marken.

Die Fachmessen (17. bis 20. September) für Mode und Accessoires auf der Fiera Milano Rho meldeten gute Ergebnisse, teilen die Veranstalter mit. MICAM MILANO, mipel, TheOneMilano und HOMI Fashion&Jewels Exhibition wurden von 42.273 Fachbesuchern aus 129 Ländern besucht. Das ist ein Zuwachs von 21 Prozent gegenüber der Ausgabe vom September 2022. Die Messen hätten vor allem eine steigende Nachfrage seitens ausländischer Einkäufer verzeichnet, was die Bedeutung des Exports für die Stärkung der Erholung der vertretenen Branchen unter Beweis stelle, heißt es weiter. Die Zahlen der Veranstaltungen zeigen wachsende Besucherzahlen aus Spanien, Frankreich und Deutschland. Außerhalb der EU gab es ein lang ersehntes Comeback Chinas und Bestätigungen aus Japan und Nordamerika mit Kanada und den USA. Insgesamt präsentierten über 2.000 Marken ihre Kollektionen für die kommende Saison.

  • MICAM 96.