„Spannende Zeiten“ 

Wien

Die hohe Lebensqualität kommt nicht zuletzt daher, dass Wien eine Stadt mit Tradition und Historie ist, viel Kultur und damit auch kulturelles Leben zu bieten hat mit seinen unzähligen Theatern und Museen. CUM Mariahilferstrasse ©Krewenka/Steinbrenner

Autorin: Katja Vaders
Kaum eine europäische Metropole scheint aktuell so attraktiv für junge Menschen zu sein wie Wien. Was macht die Stadt anders, wie hält sie ihre Mietpreise stabil? Wie reagiert sie auf den Klimawandel? Und ist die österreichische Hauptstadt wirklich so viel lebenswerter als andere europäische Großstädte? FT sprach zu all diesen Fragen mit Ute Schneider, Architektin, Städteplanerin und Professorin für Städtebau und Entwerfen an der TU Wien.

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FT: Frau Schneider, viele europäische Studierende und Kunstschaffende zieht es bereits seit einigen Jahren nach Wien, auch aufgrund des immer noch bezahlbaren Wohnraums. Wie gelingt es der Stadt, die Mietpreise in Schach zu halten?

Ein Fokus auf die Integration grün-blauer Infrastrukturen birgt ein enormes Potenzial. Wien hat davon viel.“ Ute Schneider ©Boudewijn Bolleman

Ute Schneider: „Die Stadt Wien hat den Vorteil, relativ viel Land und Grund zu besitzen. Daher kann sie diese Thematik anders bewirtschaften als andere Metropolen. In Wien gibt es noch sehr viele Immobilien, die im Besitz der Gemeinde und des Wiener Wohnfonds sind. Hinzu kommt, dass der geförderte Wohnungsbau hier auf eine lange Tradition zurückschaut, einen sehr hohen Prozentsatz an gefördertem Wohnbau fordert und dieser qualitativ meist recht hochwertig ist.

Wien gilt als sehr lebenswerte Stadt. Was macht man städteplanerisch anders oder besser als andere Großstädte?
„Ich glaube, die hohe Lebensqualität kommt nicht zuletzt daher, dass Wien eine Stadt mit Tradition und Historie ist, viel Kultur und damit auch kulturelles Leben zu bieten hat mit seinen unzähligen Theatern und Museen. Außerdem gibt es unglaublich viele Hochschulen verschiedenster Art. Ansonsten ist es für mich oft schwer auszumachen, warum Wien so hoch rangiert: Der Zugang zum Wasser ist relativ spärlich, außer vielleicht entlang der Donau. Das gilt auch für den Anteil von Grün, der statistisch vielleicht sehr hoch sein mag, aber auf die Stadt verteilt gesehen eher gering ist. Zu den großen Grünflächen gehören der Wiener Wald, die Donauinsel, die Donauauen, das Donauufer, aber gerade in der Kernstadt ist eigentlich an vielen Stellen viel zu wenig Grün zu finden.“ 

Es fehlen also Parkanlagen? 
„Es gibt Parkanlagen, die aber oft sehr repräsentativ sind, deren Klimarelevanz als auch Biodiversität recht gering ist. Natürlich gewachsene Grünräume, eine vierte Stadtnatur oder auch neue Stadt-Wildnis, wie zum Beispiel die ,Freie Mitte‘ (hier sollen bis zum Jahr 2026 rund 5.000 Wohnungen entstehen; durch Konzentration der Bebauung am Rand kann in der Mitte des Bauprojekts ein etwa 10 Hektar großer Grün- und Freiraum geschaffen werden. Anm. d. Autorin). Hier hat sich die Natur sozusagen selbst ihr Ökosystem wieder aufgebaut und es ist gut, dass man diesen Teil als Park wieder in die Stadt integriert. Diese Entscheidung hat allerdings sehr lange gedauert und man ist auch immer noch nicht ganz sicher, wie man die Zugänglichkeit über verschiedene Wege gewährleistet, die vielleicht nicht immer den im ‚urbanen Raum‘ postulierten Sicherheitsansprüchen genügen. Aber das gibts in Österreich an anderen Stellen wie in den Alpen auch. Grundsätzlich hat Wien sehr viel repräsentatives Grün, das aber klimatechnisch nicht wirklich wirksam ist: Grünanlagen, die man gießen muss, sind so gut wie nicht klimarelevant. Natürlich gibt es die oben genannten Naturräume, die in sich funktionierende Ökosysteme sind, aber innerhalb der Stadt gibt es davon zu wenig, der Zugang zum Wasser ist eher gering. Ein Fokus auf die Integration grün-blauer Infrastrukturen birgt ein enormes Potenzial. Wien hat davon viel, es fließt in großen Teilen an der Stadt vorbei oder teils wenig zugänglich beziehungsweise integriert durch sie hindurch.“ 

Sie haben jetzt schon das für die Stadtplanung unserer Zeit überaus wichtige Thema Klimawandel angesprochen. Welchen Stellenwert haben Klimaresilienz, Klimafolgenanpassung, grüne Architektur oder Renaturalisierung für die Stadt Wien?
„Wir werden in den nächsten Jahren viele Dinge anders angehen müssen. Es ist ja leider nicht nur in Wien so, dass wir als Menschheit es geschafft haben, die Natur aus der Stadt zu verbannen. Unsere Aufgabe ist jetzt, sie wieder in die Innenstädte zurückzuholen. Es gibt Städte, in denen bereits maßgebliche Veränderungen in die Wege geleitet wurden, insbesondere, was die Nutzung von öffentlichem Raum angeht. Als gelungene Beispiele kann man Barcelona und Paris unter Bürgermeisterin Anne Hidalgo nennen. In diesen Städten wird darauf geschaut, dass die Zentren, und vor allem Straßenräume, als wesentliche öffentliche Räume nicht nur für Autos da sind, sondern vorrangig von den Bürgerinnen und Bürgern genutzt werden können. Um dies zu gewährleisten, muss man herausfinden: Welche Straßen sind für Individualverkehr, welche für Freiraum geeignet? Wo findet sich Potenzial für Plätze mit Verweildauer? Wo kann der Individualverkehr draußen bleiben?“ 

Siebensternviertel im Siebten Bezirk ©Krewenka/Steinbrenner

Wie kann eine solche Planung konkret aussehen? 
„Ich selbst wohne im 7. Bezirk in Wien. Hier gibt es viele kleinere Straßenzüge, die recht flexibel sind, was eine Nutzung für mehr innerstädtischen, nicht versiegelten und individualverkehrfreien Stadtraum angeht. Parkmöglichkeiten gibt es momentan überall, aber das muss nicht in jeder Straße der Fall sein. Hier könnte man systematisch schauen, welche Straßen wie in Barcelona und Paris eher für Freiraum geeignet sind, und sie dann entsiegeln, begrünen und für die Nutzung als öffentlichen Raum zur Verfügung stellen. Andere Straßen sind in solchen Konzepten für die Befahrung vorgesehen. Eine Stadtplanung in diesem Sinne bedeutet ja nicht, dass der Verkehr grundsätzlich aus den Innenstädten verbannt werden soll. Es geht darum, die Prioritäten und Nutzungsmöglichkeiten zu verteilen und allen Teilnehmern im Stadtraum ihren Raum zuzugestehen. Die Feuerwehr zum Beispiel kann auch über eine Grünfläche oder Schotter anfahren, wenn es nötig ist. Dass solche Mehrfachnutzungen und Funktionalitäten von Stadträumen möglich sind, machen uns andere Städte bereits vor. Auch die Stadt Wien wird in diesem Bereich in den nächsten Jahren tätig werden. Bereits jetzt wird von Studierenden verschiedener Fachbereiche, die einen Zugang zum Thema haben, untersucht, wie man diese Ideen kreativ umsetzen kann. Es gibt einen großen Bedarf und vor allem eine Notwendigkeit, sich den Herausforderungen zu stellen. Aber zur letztendlichen Umsetzung braucht es politische Entscheidungen – die es in Wien derzeit noch nicht gibt. Anne Hidalgo hat sehr unbequeme Entscheidungen getroffen mit dem Risiko, eventuell abgewählt zu werden. That‘s part of the game.“  

Ein gutes Beispiel. Bevor Anne Hidalgo ihre Ideen zu einer klimaresilienten und vor allem bürgerfreundlichen Stadt umgesetzt hat, gab es viele Widerstände, vor allem von Gewerbetreibenden. Inzwischen sind alle Pariserinnen und Pariser begeistert, die Stadt gilt international als Vorbild und Hidalgo ist längst wiedergewählt worden …
„Genau, aber diese Hürde müssen die Politikerinnen und Politiker nehmen – auch in Wien. Sie müssen begreifen, dass es nicht mehr anders geht. Auf der Klimakarte der Stadt Wien gibt es Bereiche, in denen es im Sommer sehr heiß wird. Man spürt schon jetzt, wie extrem sich Steine, Häuser als auch Straßen aufheizen und die Hitze abstrahlen.  

Es reicht längst nicht mehr aus, Dächer und Fassaden zu begrünen. Wir brauchen substanzielle Grünflächen, grüne Netzwerke auf Bodenniveau und Baumbestände mit Kronenschlüssen. Hierbei geht es auch um eine ausgewogene Biodiversität für Flora und Fauna in der Stadt. Viele Spezies brauchen größere, zusammenhängende Natur-Bereiche – begrünte Dächer und Fassadenbegrünung können das nicht leisten. Sie bringen einen zusätzlichen Mehrwert, können bodengebunden strukturelle Grünnetzwerke aber in keiner Weise ersetzen.“  

Josefstädterstrasse ©Krewenka/Steinbrenner

Ein weiteres wichtiges Thema auf dem Weg in eine klimaneutrale Stadt ist Mobilität in der Innenstadt. Welche Entwicklungen gibt es zu diesem Thema in Wien? 
„Es geht vor allem darum zu analysieren, wer denn wo parkt, wer die Straßen frequentiert und aus welchen Beweggründen, und die Stellplätze in den Straßen zu verringern, um Platz für Grün und Freiraum zu schaffen. Die Stadt Wien hat ein unglaublich gutes öffentliches Verkehrsnetz. Viele Autos, die in der Stadt geparkt sind, werden scheinbar nur ab und an am Wochenende bewegt, ein weiterer großer Teil ist offenbar von Pendlern, die in die Stadt fahren. Die Verkehrsplanung und Umsetzung in Wien scheint mir noch stets sehr autoaffin. Es gibt zwar auch gute regionale Verbindungen, die stetig weiter ausgebaut werden, aber solange der Parkraum in der Stadt so günstig ist, bleibt es für viele Bürgerinnen und Bürger sowie Einpendelnde natürlich bequemer, das Auto zu nutzen. Hier brauchen wir eine Transformation der Verhaltensmuster. Verhalten ändern wir leider scheinbar nur, wenn es wirklich wehtut, sprich: es nicht mehr funktioniert oder Geld kostet.“  

Den Grünen in Deutschland wird derzeit vorgeworfen, dass sie eine Verbotspartei seien. Denken Sie, es ist ein guter Weg, das Verhalten der Bürgerinnen und Bürger über Verbote zu ändern?  
„Verbote finde ich schwierig. Ich glaube eher, man sollte mit Aufklärung und Incentives arbeiten: Wenn wir gewisse Dinge verändern, dann verbessern wir dadurch unser aller Aufenthaltsqualität als auch Lebensqualität, die nicht per se nur von materiellen Werten, sondern mehr und mehr auch von immateriellen Werten bestimmt wird.  

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Zusätzlich zur Überzeugungsarbeit ist es aber wichtig, Erreichbarkeiten, Erschließungsqualitäten zu verbessern. Dass dies funktioniert, sieht man unter anderem in den Niederlanden oder der Schweiz. Menschen, die in gut erschlossenen Stadtvierteln leben, haben viel seltener ein Auto. Stattdessen gibt es in solchen Quartieren Angebote für Sharing Mobility. Natürlich existieren derartige Angebote auch schon in Wien, wichtig ist aber, dass diese Möglichkeiten weiter ausgebaut werden. Hierzu gehört auch eine verbesserte Infrastruktur für das Rad. Wien hat unglaublich breite Straßen, auf denen man einfach einen Streifen für Fahrräder reservieren könnte. Es kostet nicht einmal viel Geld oder Zeit, diese Änderung umzusetzen. Und das Ergebnis verbessert den Verkehr beziehungsweise die Durchflussfrequenz einer Straße: Es gibt Untersuchungen, dass Autos langsamer fahren, wenn sie weniger Raum zur Verfügung haben. Auf breiten Straßen hingegen wird schnell gefahren. Eine multimodale Straße mit öffentlichem Verkehr, Aufenthaltsqualität und eigenen Streifen für Fahrräder, Fußgänger und Grün hingegen hat eine wesentlich höhere Durchgangsrotation als eine monofunktionale Straße.“  

Welche Rolle spielt das Konzept der „Stadt der 15 Minuten“ in Wien, also eine Innenstadt, in der alle zum Leben wichtigen Orte wie Arbeitsplatz, Einkaufsmöglichkeiten oder Infrastruktur wie Schule oder öffentliche Gebäude innerhalb von einer Viertelstunde zu Fuß erreicht werden können?
„Es gibt in Wien zwar schon jetzt eine gute Nutzungsdurchmischung, sie ist aber noch nicht da, wo sie sein könnte. Derzeit liegt der Schwerpunkt der Planungen vor allem im Bereich Wohnen. Wir brauchen aber eine Mischung aus Wohnen, Arbeitsfunktionen und Versorgung. Wien hat hier ein relativ großes Potenzial. Es ist wichtig, gewerbliche Bereiche, vorzugsweise schienengebundene Areale, besser zu erschließen und multicodiert zu nutzen. Ich bin eine große Gegnerin davon, infrastrukturell gut erschlossene Areale einfach nur mit Wohnraum zu bebauen. Wir müssen vielmehr Konzepte mit einer guten, austarierten Mischnutzung ausarbeiten, in der auch die Versorgung und Entsorgung den für sie notwendigen Raum zugewiesen bekommen.“  

Wollzeile ©Krewenka/Steinbrenner

Wenn wir den Fokus auf die Versorgung legen: Gibt es weiterhin inhabergeführtes Gewerbe und Warenhäuser oder machen solche Einkaufsmöglichkeiten auch in Wien Platz für internationale Ketten? Und wie ist die Entwicklung der Mieten für gewerbliche Flächen in der Innenstadt?
„Auch in Wien ist die Lage angespannt, insbesondere, was die Mieten in den Erdgeschossen angeht. Es gibt noch viele kleinere, ältere Gewerbeflächen, aber der Preisdruck ist hoch. Das ist eine riesige Problematik, wie in ganz Europa. 

Ich bin der Meinung, dass es, egal wo, eine Immobilienentwicklung/-Business-Case-Kalkulation ohne das Erdgeschoss geben sollte. Vielleicht kann man diese Flächen aus der gesamten Mietenentwicklung herausnehmen und sich bei der Preisgestaltung eher am Umsatz der Gewerbe orientieren. Dann könnte man kleinere Läden günstiger veranschlagen, um den Druck zu verringern und eventuell auch alteingesessene, inhabergeführte Gewerbe zu retten.  

Ein ganz anderes Problem in Wien und anderen europäischen Städten ist, dass Anwohner gegen solche Geschäfte und gewerbliche Nutzungen in innerstädtischen Zonen klagen. Dabei gehört es doch beim Wohnen in einer Stadt dazu, dass es andere Nutzungsmöglichkeiten gibt. Bereits bei der Planung muss dementsprechend darauf geachtet werden, dass sich die einzelnen Nutzungen ergänzen, damit die Gewerbe in die entsprechenden Quartiere passen, sie dort langfristige Perspektiven haben.“ 

Sie sind also der Ansicht, dass Mieterinnen und Mieter wie auch Anwohnerinnen und Anwohner in die Pflicht genommen werden sollten, ihre Stadt mitzugestalten?
„Ja. Dass dies funktioniert, sieht man schon bei vielen Baugruppen-Konzepten, nicht nur in Wien, sondern auch in Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden. Hier werden zahlreiche Areale zu autofreien Wohnquartieren, in denen man auch die Grünflächen zwischen den Wohnungen und Häusern miteinbezieht. Diese werden zu anmietbaren Flächen, die Quartiersbewohner bewirtschaften und pflegen können. Ein Teil bleibt dabei in öffentlicher Hand, der andere wird für die Anwohnenden nutzbar gemacht; das sind Mischkonzepte, die auch die Kommunen entlasten.  

In Wien ist es schon jetzt möglich, eine Patenschaft für eine Baumscheibe zu übernehmen, die man bepflanzen kann. Solche Konzepte gibt es inzwischen in vielen Städten, allerdings fehlen mir solche Ideen bei der Bepflanzung von öffentlichen Grünflächen der Stadt Wien. Dazu braucht man in den einzelnen Quartieren natürlich unterschiedliche Gestaltungskonzepte. Wichtig ist allerdings, dass die Bewohnerinnen und Bewohner in die Gestaltung miteinbezogen werden und ihre Ideen einbringen können.“ 

Floridsdorferspitz ©Krewenka/Steinbrenner

Lassen Sie uns noch einmal kurz auf den Handel zurückkommen. Sie sagten eben, dass es der kleine, inhabergeführte Einzelhandel in Wien immer schwerer hat. Setzt man auch in Wien auf Shoppingmalls in der Peripherie?
„Die gibt es, nicht nur in der Peripherie, sondern auch in zentraleren Lagen, besonders in Arealen, in denen es eh schon viele Einkaufsmärkte gibt. Hier sollte der Fokus auf anderen, ergänzenden und attraktiven Nutzungen liegen, die auch außerhalb der Geschäftszeiten, in denen diese Einkaufszentren ja normalerweise brach liegen, für urbanes Leben und Aktivierung sorgen. Wie kann man in diesen Arealen mehr Aufenthaltsqualität schaffen, sie zu unterschiedlichsten Tageszeiten beleben und sicherer machen? Kann man vielleicht Autostellplätze reduzieren und diese Flächen anders nutzen? Dachflächen aktivieren, Malls mit Leerständen modifizieren, umnutzen, anstatt sie abzureißen? Oft sind diese Shoppingcenter gut an die S-Bahnen angebunden, daher eignen sie sich hervorragend für Schwimmbäder, Jugend- und Nachbarschaftstreffs, Event Spaces, Skateparks und so weiter, alles durch die Bank Nutzungen, die man nicht unbedingt in einem Wohngebiet haben möchte.  

Das ist ein sehr spannendes Thema: Welche Mischungen bieten wir an? Wie können sich diese Angebote gegenseitig ergänzen? Welche Nutzung ist tagsüber, welche nachts sinnvoll? Hier kann man die Dächer miteinbeziehen, die sicherlich anderweitig nutzbar wären. Es gibt tolle Beispiele aus diversen Städten und Ländern, wie man Dachflächen mehrfach nutzen kann, sie als Freiraum oder auch für Lebensmittelproduktion oder/und Energiegewinnung gebrauchen kann. Sie sehen, man kann durchaus radikale Konzepte für Malls, Logistik- beziehungsweise Industriehallen et cetera umsetzen – in der fünften Fassade, dem Dach, liegt ebenso wie in den Rändern beziehungsweise den Mantelnutzungen dieser großmaßstäblichen Volumen wahnsinnig viel Potenzial“. 

Das sind eine Menge tolle Ideen. Und auch wenn Wien einen sehr guten Ruf hat, habe ich nach unserem Gespräch das Gefühl, dass Sie trotzdem noch Verbesserungsbedarf sehen …
„Ja, es gibt tatsächlich noch Entwicklungspotenzial. Aber auch viele positive Aspekte: zum Beispiel, dass wir eben noch so viel innerstädtische Produktions- und Infrastrukturflächen zur Verfügung haben, im Gegensatz zu den meisten anderen internationalen Großstädten. Und es ist wichtig, diese nicht zu eliminieren, sondern vielmehr das Thema ,produktive Stadt‘ ernsthaft anzugehen. Wichtig ist auch, nicht aufzugeben, wenn gewisse Konzepte nicht sofort umsetzbar sind, sondern dranzubleiben. Wir haben hier große Gestaltungschancen, zum Beispiel Bahn- und Gleisareale, auf denen man klimarelevante Korridore gestalten kann. Hamburg ist diesbezüglich schon sehr weit, andere Städte werden nachziehen. Wir leben gerade in einer sehr spannenden Zeit für die Stadtplanung, Raumplanung, Landschaftsplanung und Mobilitätsplanung. Und das ist auch gut so, denn es ist höchste Zeit zu handeln! Eine multidisziplinäre, für Innovation offene Zusammenarbeit aller Projektbeteiligten ist hier unerlässlich.“ 

Hintergrund

Dipl.-Ing. Ute Schneider ist Architektin und Städtebauerin. Kommend aus dem Möbelbau und Interior Design, studierte sie Architektur und Stadtplanung an den Universitäten Konstanz, Stuttgart, Karlsruhe und Delft. Während ihres Studiums arbeitete sie in diversen deutschen und niederländischen, international operierenden Architekturbüros. 2002 begann Ute Schneider die Zusammenarbeit mit KCAP, einem international agierenden Büro für Architektur, Städtebau, Stadtplanung und Landschaftsarchitektur und -planung. Seit 2006 leitet sie deren Schweizer Büro in Zürich und hat dort bereits viele städtebauliche Projekte in der Schweiz, Frankreich, Deutschland, Irland und Finnland in diversen Maßstäben und Kontexten umgesetzt, darunter Masterplanungen für Bahnhofs- und Hafenareale sowie Flughäfen. Im Jahr 2020 wurde sie zur Universitätsprofessorin für Städtebau an die TU Wien bestellt. Dort ist sie dem Institut für Städtebau, Landschaftsarchitektur und Entwerfen der Fakultät für Architektur und Raumplanung zugeordnet. Ute Schneider ist zudem gefragte Vortragende und Mitglied in zahlreichen internationalen Jurys und Beiratsgremien.