„Unsere Zielgruppe ist eine Stilgruppe“ 

Inhabergeführter Fachhandel 

Einzelhändler seit über 140 Jahren. Als HEISEL 1882 als Fachhändler für Herrenhüte gegründet wurde, war Deutschland noch Kaiserreich. Seit 1997 führt Hermann Sock den heutigen Herrenausstatter. alle Bilder ©Hermann Sock

Autorin: Eva Westhoff
Wie gelingt es einem Traditionsgeschäft, in der auch und gerade für den stationären Textileinzelhandel weithin krisenhaften Gegenwart zu bestehen? Was braucht es, um ein inhabergeführtes Bekleidungsgeschäft als „Marke“ zu etablieren? Wie behält man seine Kunden – und gewinnt neue? Ein Gespräch mit Hermann Sock, Inhaber des Herrenausstatters HEISEL.  

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Bereits seit 1932 ist HEISEL auf der Heidelberger Hauptstraße beheimatet.

Einzelhändler seit über 140 Jahren. Als HEISEL 1882 als Fachhändler für Herrenhüte gegründet wurde, war Deutschland noch Kaiserreich. Seit 1997 führt Hermann Sock den heutigen Herrenausstatter, anfangs tat er dies noch gemeinsam mit seinem Vater als KG. Nach dessen frühem Tod wurde Hermann Sock 2001 alleiniger Inhaber von HEISEL. Etwa 55 Quadratmeter klein ist das Geschäft an der Heidelberger Hauptstraße, die mit ihren 1,6 Kilometer Länge als eine der längsten Fußgängerzonen Europas gilt und durch ihre Lage in der Heidelberger Altstadt auch bei Touristen sehr beliebt ist.  

Drei Mitarbeiter beschäftigt Sock, um die 35 Marken umfasst das Sortiment, das klassisch zeitlose Eleganz widerspiegelt, darunter viele Traditionsmarken mit Produkten made in Europe. Wie der deutsche Hosenspezialist HILTL, PAUL&SHARK, die ihre Casual- und Sportswear in Italien fertigen, oder der familiengeführte Strickhersteller WILLIAM LOCKIE, der seit 1874 ausschließlich im eigenen Betrieb in Schottland produziert. Das Angebot reicht von der Kopfbedeckung bis hin zur Strumpfware, allein das Thema Schuhe überlässt man dem entsprechenden Fachhandel.   

Sich durch tiefes Produkt-Know-how, ein personalisiertes Einkaufserlebnis und maßgeschneiderte Dienstleistungen von der Konkurrenz abzuheben, nicht zuletzt der aus dem Internet – dies wird immer wieder als Erfolgsrezept ausgegeben, um in einem schwierigen Marktumfeld zu bestehen. Und diese Qualitäten werden gerne dem inhabergeführten Fachhandel als klassische Stärken zugeschrieben. Tatsache ist: HEISEL nimmt seinen Serviceauftrag ernst. Nicht nur mit einem Änderungs- und einem Versandservice, es besteht auch die Möglichkeit der Einzelanfertigung. Aus Stoffmustern von Webereien wie Ermenegildo Zegna und Loro Piana können Kunden sich Sakko oder Anzug nach ihren Wünschen anfertigen lassen von Herstellern wie EDUARD DRESSLER oder Sheppard & Jones. Auch Oberhemden von BRULI aus der Schweiz sind als Maßanfertigung erhältlich.  

FT: Auf Ihrer Website zitieren Sie Oscar Wilde, der einmal sagte, er habe einen ganz einfachen Geschmack – er sei immer mit dem Besten zufrieden. Was definieren Sie als „das Beste“ und inwiefern richten Sie Ihr Konzept daran aus? Wofür steht der Name HEISEL?
Hermann Sock: „Auch wenn Oscar Wilde damit den absoluten Luxus meinte, definieren wir das etwas anders: Das Beste ist für uns der optimale Schnittpunkt aus dem Anspruch und dem Budget des Kunden und der Optik und Qualität des Produkts. Unser Konzept ist das klassische Kaufmannskonzept: den individuellen Bedarf der Kunden herausfinden und versuchen, die dafür richtigen Produkte bereitzuhalten. Der Name HEISEL kommt ganz einfach von unserem Gründer Franz-Josef Heisel. Er steht für sehr viel Freude am Beruf, den Wunsch, sowohl bestmöglichen Service als auch das beste Produkt zu bieten und die Lieferanten so auszuwählen, dass sie diesen Ansprüchen jederzeit gerecht werden.“ 

HEISEL ist sehr traditionsreich und existiert bereits seit 1882. Wie konnten Sie sich als „Marke“ behaupten und wie mussten Sie sich weiterentwickeln, um heute als Einzelhändler zu bestehen?
„Nicht stehen bleiben, immer im Sinne und nach den Wünschen der Kunden den Einkauf gestalten, sich selbst hinterfragen und dabei aber nicht jedem Trend nachlaufen, sich nicht verbiegen lassen.“ 

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Wie hat sich das Umfeld auf der Heidelberger Hauptstraße, der Fußgängerzone in der historischen Altstadt, in der sich Ihr Geschäft befindet, verändert? Aktuell gibt es hier beispielsweise in Laufweite noch zwei Filialen von GALERIA KAUFHOF, das Haus am Bismarckplatz wird Ende Januar 2024 schließen. Waren diese Häuser zu früheren Zeiten mal eine Konkurrenz für HEISEL?
„Wir würden uns natürlich freuen, wenn es noch immer die vielen schönen, inhabergeführten Fachgeschäfte aus verschiedensten Branchen gäbe, die es früher einmal gab, weil das die Attraktivität Heidelbergs nochmals steigern würde, aber das liegt weder in meinem Entscheidungsbereich, noch wird es besser, wenn ich dieser Tatsache nachtrauere. In anderen Städten ist es wesentlich schlimmer mit dem Schwund der Fachgeschäfte, die Hauptstraße ist noch immer sehr abwechslungsreich und interessant. Zudem haben wir in den Seitenstraßen kleine Spezialisten, die wir unseren Kunden auch gerne empfehlen. Der Kunde muss sich eben endlich einmal bewusst machen, dass ein Geschäft nicht durch Lob und guten Zuspruch geöffnet bleibt, sondern nur durch das häufige und kräftige Entleeren des Geldbeutels. Machen wir einen Test, Frau Westhoff: Was Sie jetzt, während Sie diese Zeilen lesen, gerade tragen, von der eventuellen Spange im Haar über ihre Bekleidung bis zum Schuh, was davon haben Sie in einem inhabergeführten Fachgeschäft regulär, also nicht reduziert, gekauft? Dann wissen Sie, ob Sie mit zu den Totengräbern zählen oder nicht. Aber ich kann es nicht ändern, da muss der Kunde schon selbst draufkommen, bevor das Schild ‚Alles muss raus wegen Geschäftsaufgabe‘ im Schaufenster hängt. Der KAUFHOF ist mir komplett egal, das ist ein Sammelsurium von Shop-in-Shops, ohne Beratung, ohne eigene Handschrift. Alles ist austauschbar, beliebig und auch kein Einkaufsmagnet. Wenn das jemals eine Konkurrenz gewesen wäre, hätten wir alles falsch gemacht und wären sicher nicht mehr hier.“ 

„Wir versenden durchaus in alle Welt – allerdings an Stammkunden, zu denen wir stets persönlichen Kontakt haben, manchmal durch Besuche, oft auch nur durch kontinuierliche Bestellungen und das Schreiben von Mails oder regelmäßige Telefonate.“

Wo sehen Sie als kleiner, spezialisierter, inhabergeführter Modehändler Ihre Stärken?
„In klassischem Kaufmannstum, es ist nichts anderes: Ehrlichkeit. Beständigkeit. Geradlinigkeit. Entschiedenheit. Beste Beratung. Auf den Kunden hören und ihm auch bestmöglichen Service bieten, ohne ihm zu Füßen zu liegen. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die ihren Beruf beherrschen und nicht einen Titel wie Chief Sales Manager (keine Ahnung, ob es das gibt) anstreben und den halben Tag damit zubringen, sich selbst im Spiegel zu betrachten. Diesen Mitarbeitern muss man zuhören, wenn sie einem sagen, was ihrer Meinung nach im Sortiment fehlt oder was man verbessern könnte, das geht nur auf Augenhöhe und wenn man sich nicht hinter der verschlossenen Bürotür verbarrikadiert. Die Rosinen aus dem großen Angebotskuchen picken, dabei maximales Preis-Leistungs-Verhältnis, beste Qualität sowie Serviceleistungen des Lieferanten und nicht den höchsten Kalkulationsfaktor oder das Prestige der Marke im Auge haben. Die kleinen Spezialisten unter den Herstellern zu finden, die niemand auf dem Schirm hat oder die andere erst später entdecken, ist das Salz in der Suppe des Einkäufers. Meist sind das ebenfalls inhabergeführte Firmen. Hersteller mit Management werden langsam, fast behördenmäßig und die Qualität sinkt ebenso wie die Verlässlichkeit. Aber Hauptsache, jeder neue Geschäftsführer ändert erst einmal das Firmenlogo – kostet ja nichts und bringt so unglaublich viel … Unsere Zielgruppe ist eine Stilgruppe. Vom Schüler bis zum Greis und in jeder Einkommensklasse. Keine Verkaufsprovisionen, der Kunde muss jederzeit spüren, dass er auch nach intensiver Beratung gehen kann, ohne etwas zu kaufen.“ 

Eine Kundenbefragung des EHI aus dem Jahr 2020 hat ergeben, dass der Qualitätsaspekt für Männer beim Kleidungskauf bedeutsamer ist als für Frauen und dass sie eine größere Markentreue aufweisen. Was beobachten Sie bei Ihren Kunden? 
„Da wir nur Herrenbekleidung führen, fehlt mir ein Vergleich aus jüngerer Zeit. Ich würde sagen, dass Männer sich freuen, einen Hersteller und ein Geschäft zu finden, bei dem sie nur das erste Mal ein Produkt anprobieren müssen und sich bei den weiteren Einkäufen auf die Kompetenz des Händlers und eine kontinuierliche Passform und Qualität des Produkts verlassen können. Diese Hersteller und diese Mitarbeiter zu finden, wird leider immer schwieriger.“ 

Wie wichtig ist die Stammkundschaft für Ihr Geschäft und welche Rolle spielen die Touristen, die auf der Heidelberger Hauptstraße einen nicht unerheblichen Teil der Laufkundschaft ausmachen?
„Ich würde da nicht priorisieren. Der Stammkunde, den man manchmal sogar schon beim Einkauf für ein spezielles Produkt im Hinterkopf hat und den man anruft, kaum dass es geliefert wurde, macht ebenso viel Freude wie Menschen aus aller Welt kennenzulernen und sich innerhalb von Sekunden auf ihre Bedürfnisse einschießen zu müssen und dann eventuell abseits des Verkaufs in ein spannendes Gespräch zu verfallen. Mitunter langjährige Geschäftsbeziehungen aufzubauen, ist aber ebenso reizvoll. Da Heidelberg touristisch in zwei Sektionen aufgeteilt ist und wir nicht den Turbotouristen, der Heidelberg in drei Stunden besichtigt, abbekommen, können wir uns jedem Kunden in Ruhe widmen. Diese Abwechslung ist ausgesprochen schön und bereichert den Arbeitsalltag.“ 

HEISEL ist im Internet präsent, nicht nur mit einer Website, sondern auch auf Instagram. E-Commerce betreiben Sie allerdings nicht. Weshalb?
„Wir versenden durchaus in alle Welt – allerdings an Stammkunden, zu denen wir stets persönlichen Kontakt haben, manchmal durch Besuche, oft auch nur durch kontinuierliche Bestellungen und das Schreiben von Mails oder regelmäßige Telefonate. So bekommt jeder Kunde individuell auf seine Wünsche zugeschnittene Produkte fotografiert, beschrieben und angeboten. Würde ich unser riesiges Warenangebot fotografieren und in einem Shop präsentieren wollen, hätte ich keine Zeit mehr für meine Kunden vor Ort oder müsste ein Spezialistenteam einstellen. Ersteres will ich nicht, Zweiteres würde mir jede Rendite rauben. Dazu kommt, dass ich keine getragene Ware umtauschen würde, dazu wäre ich aber per Gesetz verpflichtet. Ich bin sicher kein Öko, aber neue Ware wegwerfen ist mir zuwider. Die Kunden, denen wir Ware schicken, sind verlässlich, auf irgendwelche Parasiten habe ich keine Lust. Ich bezweifle auch, dass es nur einen Händler in meiner ‚Größe‘ gibt, der damit wirklich Geld verdient. Schuster, bleib bei deinem Leisten!“