Warum man Billig häufig teuer bezahlen muss

Kommentar

Katja Vaders

Autorin: Katja Vaders

Jetzt ist es also da, das Bürgergeld; etwas über 50 Euro mehr im Monat bedeutet es seit Anfang des Jahres für Alleinstehende. Ein Tropfen auf den heißen Stein bei der derzeitigen Inflation, die im April bei plus 7,2 Prozent zum Vorjahresmonat lag. Insbesondere die Preise für Nahrungsmittel (plus 17,2 Prozent) machen den Deutschen zu schaffen; Energieprodukte lagen immerhin bei 6,8 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Laut Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbands für das Jahr 2021 war die Armutsquote in Deutschland bei 16,9 Prozent. Ein historischer, aber trauriger neuer Höchststand für ein Land, das im Ranking der reichsten Nationen der Welt immerhin auf Platz 18 landet.
Dass von diesem Reichtum immer weniger bei einem Großteil der Bevölkerung ankommt, ist kein Geheimnis. Wenn man am Existenzminimum lebt, bleibt dementsprechend so gut wie nichts für Luxusgüter übrig. Bekleidung gehört laut UN-Charta der Menschenrechte übrigens zu unseren Grundbedürfnissen. Um dieses befriedigen zu können, müssen immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher bei einem der großen Textil-Discounter einkaufen.
Dabei sind Fast-Fashion-Riesen und ihre Marktführer H&M und INDITEX längst nicht mehr so günstig wie noch vor einigen Jahren. In den 1990ern demokratisierten sie zwar die Modebranche und machten es auch für Geringverdiener oder ALG-2-Empfänger möglich, modisch gekleidet zu sein. Inzwischen setzt man aber auch bei den großen Vertikalen auf Nachhaltigkeit und Bio – und das hat seinen Preis.
Seit Mai 2009 spielt auch der irische Textil-Discounter PRIMARK eine Rolle im Preiskampf der Fast-Fashion-Unternehmen. Dass es noch billiger geht, beweist der chinesische Online-Gigant SHEIN, der seit geraumer Zeit den Markt gehörig aufmischt. In Deutschland ist SHEIN mittlerweile auf Platz 3 der größten Online-Stores im Segment Fashion und verkauft Shirts schon für 2 Euro das Stück.
Mit Sicherheit ist es verlockend, sich den Warenkorb vollzupacken, auch wenn man mit wenig Geld auskommen muss. Demzufolge ist SHEIN besonders bei Teenagern oder Studierenden sehr beliebt. Ob das Unternehmen wie auch andere Ultra-Fast-Fashion-Giganten allerdings Bekleidung zu Dumpingpreisen anbietet, um Fashion jedem zugänglich zu machen und damit die Ärmsten der Armen zu unterstützen, ist fraglich. Hinter dem Geschäftsmodell mit der Mode für alle steckt letztendlich nichts anderes als die Strategie des größtmöglichen Wachstums und der Gewinnmaximierung. Beides funktioniert am besten über eine Menge, deren Produktion definitiv ihren Preis hat.
Der Gewinn für Menschen in prekären Verhältnissen, die sich bei PRIMARK oder SHEIN modisch einkleiden können, bedeutet nämlich gleichzeitig, dass an ganz vielen anderen Punkten der Wertschöpfungskette Verluste eingefahren werden. Angefangen natürlich bei den Beschäftigten in den Produktionsländern, die unter unmenschlichen Bedingungen und für viel zu wenig Lohn färben, gerben oder zusammennähen, was sich hierzulande jeder leisten möchte.
Die Textilindustrie ist eine Dreckschleuder, die jährlich 1,2 Milliarden Tonnen Treibhausgase verantwortet. Ungefähr 60 Prozent aller Textilien enthalten Kunststofffasern, 35 Prozent des Mikroplastiks in unseren Ozeanen stammen dementsprechend von Bekleidung. Fashion ist damit eine Industrie, die unserer Umwelt mit am meisten schadet. Dabei werden laut einer Studie von WWF 40 Prozent der gekauften Teile nie oder nur selten getragen. Zudem sind die Textilien der Discounter und Billigmarken meist voller Giftstoffe, die ein Gesundheitsrisiko bedeuten – für die Arbeitenden in der Produktion wie auch die Verbraucherinnen und Verbraucher in der westlichen Welt, die sie tragen. Fazit: ziemlich viele Verluste für die meisten Menschen, aber große Gewinnmargen für die Unternehmen der Ultra-Fast-Fashion-Industrie.
Wer wenig hat, muss günstig kaufen, das ist klar. Dennoch gibt es auch bei den Discountern die Möglichkeit, verantwortungsbewusster zu konsumieren – und vor allem weniger! Wie appellierte Vivienne Westwood bereits vor vielen Jahren an uns alle? „Buy less, choose well, make it last.“ Heißt: Wir haben es in der Hand. Auch wenn wir derzeit weniger Geld in der Tasche haben, sollten wir nämlich nicht auf Kosten anderer Menschen und unseres Planeten leben.

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