Die türkische Textilindustrie zieht es noch stärker als bislang schon in den Westen, auch und besonders, was die Fertigung angeht; Europa und hier vor allem Deutschland, die USA oder Kanada sind aus Sicht der Aussteller der Texhibition in Istanbul die Regionen der Wahl, wenn es um das Exportgeschäft geht. Die Metropole am Bosporus soll zur globalen Plattform des Textilmarktes werden und das eben produktions- wie absatzseitig. Entsprechend fahren die Türken ihre Marketing-Aktivitäten hoch und versuchen, mit den Messen IFCO (Bekleidung, bislang drei Ausgaben) und Texhibition (Sourcing) weltweit die Sichtbarkeit weiter zu erhöhen. Und das mit Erfolg, beide Plattformen entwickeln sich nach oben. Ziel sei es, so ist vom Verband zu hören, eine privilegierte Position in der Welt einzunehmen, da die Türkei über integrierte Fertigungskapazitäten von der Faser bis zur Bekleidung verfüge.
Werbung im Westen für Nearshoring: Mit einem Exportvolumen von knapp 13 Milliarden US-Dollar im Jahr 2022 erzielte die türkische Textilindustrie ein Rekordergebnis und exportierte in insgesamt 200 Länder und Regionen. Das Land ist fünftgrößter Textil-Lieferant der Welt und sogar zweitgrößter Exporteur in die EU. Bei Denim zum Beispiel ist das Land in der EU die Nummer zwei und weltweit die Nummer vier. Die kurzfristigen Ziele sind ambitioniert: Für 2023 wird ein Exportvolumen von rund 15 Milliarden US-Dollar (14 Milliarden Euro) angestrebt, mittelfristig rund 20 Milliarden US-Dollar. Die Exporte in die EU sollen auf 7,5 Milliarden Euro steigen, das US-Geschäft die Milliardengrenze knacken. Die Türkei strebt einen Marktanteil von 20 Prozent der EU-Importe an, für die USA wurden 5 Prozent als Zielmarke ausgegeben. Dabei helfen soll auch die noch junge Texhibition Istanbul Fabric, Yarn & Textile Accessories Fair in Istanbul.
Die erst dritte Ausgabe der Texhibition Istanbul Fabric, Yarn & Textile Accessories Fair (8. bis 10. März) 2023 legte erneut nach Besucher- und Ausstellerzahlen zu. Die Messe wird von der Istanbul Textile and Raw Materials Exporters’ Association (İTHİB) und mit Unterstützung der Handelskammer Istanbul (ICOC) organisiert. 437 Aussteller aus den Bereichen Strick, Webwaren, Denim, Garne und Accessoires präsentierten sich auf rund 15.000 Quadratmetern im Istanbul Expo Center. Dazu gehören Namen wie Kipaş, Bossa, Yünsa, Btd, Çalık, Hefa, İskur, Universal, Gülle und Migiboy. „Mit der Texhibition Istanbul haben wir eine Plattform geschaffen, die die türkische Textilproduktion und das internationale Modebusiness effizient vernetzt. Die Messe erfüllt den Bedarf der Branche an sicheren Nearshore-Lieferketten. Die Messe ist ein Katalysator, um die Exporte der Türkei anzukurbeln“, sagt Ahmet Öksüz, Vorsitzender von İTHİB (Istanbul Textile and Raw Materials Exporters’ Association). Die Messe war gut besucht. Mehr als 25.000 Einkäufer wurden erwartet, allerdings waren 90 Prozent der Besucher aus dem Inland. Der Rest verteilt sich auf die EU, Russland, UK, Middle East und Nordafrika. Zum Vergleich: Bei der letzten Veranstaltung im September 2022 kamen 20.606 Besucher aus 98 Ländern. Und nur eine Handvoll Aussteller haben es nach Istanbul geschafft. Noch, denn das soll sich ändern. Den Anspruch an die Messe umschreibt der Vize der Istanbul Textile and Raw Materials Exporters’ Association (İTHİB) und Präsident des Messekomitees, Fatih Bilici, in knappen Worten mit „Nummer eins weltweit“
Die Folgen des Erdbebens am 6. Februar, bei dem mehr als 52.000 Menschen in der Türkei und in Syrien ihr Leben ließen, sind immens für das Land. Wirtschaftsverbände und Ökonomen schätzen, dass die Folgen des Bebens rund 100 Milliarden US-Dollar kosten und das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes um ein bis zwei Prozentpunkte schmälern werden – zusätzlich zu den politischen und wirtschaftlichen Problemen mit einer galoppierenden Inflation, die sich im Land aufgehäuft haben. Die Regionen Adana, Gaziantep, Kahramanmaras und Kayseri liegen am oder im Epizentrum des katastrophalen Bebens. Insgesamt betrachtet, sind schätzungsweise 20 Prozent der türkischen Textilindustrie vom Beben unmittelbar betroffen. Dazu kommen Produktionsstopps, weil Lieferungen aus der Region nicht kommen. Etwa 30 bis 40 Prozent der Kapazitäten können dort derzeit genutzt werden. Unterm Strich könnte der Produktionsausfall in diesem Jahr in der Spitze bei bis zu 35 Prozent liegen, heißt es weiter. In den Betrieben geht man von sechs Monaten bis zu einem Jahr aus, bis der alte Produktionsstatus wieder erreicht werden kann. Die Iskur-Gruppe wurde 1990 von A. Kadir Kurtul gegründet. Sie ist ein Multi, der neben Textilien auch im Agrarbusiness, Automotive, Versicherungsgeschäft, Marketing und Retail sowie Energiemarkt aktiv ist. Nun hat Kurtul seine beiden Kinder und die Ehefrau im Erdbeben verloren, 32 Mitarbeiter starben. Die Produktion des Standortes wurde zum Teil zerstört. Inzwischen ist sie wieder angelaufen. Andere Fabriken sind komplett zerstört, stehen vor dem Nichts. Die Firmen, die nicht vom Beben betroffen waren, haben ihre eigenen Kapazitäten angeboten, um zu helfen. Es gibt eine große Solidarität und die Firmen unterstützen auch mit Geld- und Sachspenden. Die Texhibition wurde als Signal gewertet, jetzt den Kopf nicht hängen zu lassen, sondern schnell den Wiederaufbau anzugehen, wie İTHİB-Vize Bilici betont.
Viele Aussteller auf der Messe exportieren mehr, als sie in den Heimatmarkt liefern. Manche schlagen diesen Anteil wiederum dem Export zu, weil die eigenen Kunden die Ware komplett ins Ausland verkaufen. Das tut auch Tepar; das mittelständische Unternehmen mit Sitz in Istanbul kommt auf einen Jahresumsatz von rund 20 Millionen US-Dollar. „Wir konzentrieren uns auf die Nische und verkaufen Produkte mit Zusatznutzen“, sagt Junior-Chefin Yaprak Tepe. Das Unternehmen produziert Garne und Stoffe und beliefert unter anderem auch Hersteller von Kampfanzügen. Das neueste Projekt ist Renu, bei dem Polyester recycelt wird. Dieses wird in China gesammelt und aufbereitet. Die Texhibition sei noch für Firmen aus dem Inland, aber Tepe sieht durchaus Potenzial, dass sich die Messe tatsächlich spürbar internationalisieren kann. Vom Denim-Anbieter Bossa ist Ähnliches zu hören. Wenn internationales Publikum kommt, dann vor allem aus Russland und Ländern wie Griechenland, Serbien oder dem Iran. Gut 50 Prozent der Produktion laufen nachhaltig bei Bossa, der Rest ist konventionell. Neben dem Dauerbrenner Preis wird auch in der Türkei zusehends über Nachhaltigkeit gesprochen, teils eingefordert wie zum Beispiel von INDITEX, um die eigenen Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Dennoch glaubt Cumali Demir, Marketing Manager von Toraman Tekstil, einer der fünf großen Stricker der Türkei, dass das Thema durch die Krisen der letzten drei Jahre gegenüber Preis- und Kostendiskussionen zurückgeworfen wurde.
Gleichwohl will die Türkei in der nachhaltigen Produktion Fortschritte machen. Auf den Ständen wird immer wieder betont, dass die Fertigung schon zu einem nennenswerten zweistelligen Prozentsatz nachhaltig laufe, der Anteil schnell ausgebaut werden könne. Man unternehme große Schritte, um ein hohes Maß an Anpassung an den „Circular Economy Action Plan“ des European Green Deal sicherzustellen, betont die İTHİB. Konkret geht es darum, den Wasserverbrauch spürbar zu senken, energieeffizienter zu werden und generell die Organisation der Lieferkette nachhaltiger zu gestalten. Weitere Themen sind null Abfall in Produktion und Export, Zirkularität und die Umsetzung institutioneller Vorgaben zum CO2-Fußabdruck. Auch soll mehr Biobaumwolle produziert werden. Die Türkei ist mit 4,4 Millionen Ballen (circa 218 Kilogramm pro Ballen) der siebtgrößte Baumwoll-Erzeuger weltweit und es ist verboten, genmanipulierte Baumwolle anzubauen. Das Verbot soll jetzt mit einem eigenen Siegel für türkische Baumwolle besser vermarktet werden.