Autor: Andreas GrüterDie 20er, 50er, 60er, 70er, 80er, 90er sind zurück! Auf der Suche nach Inspirationen ist das Zitieren und Kopieren der Mode vergangener Jahrzehnte spätestens seit Anfang der 2000er Jahre in den Designabteilungen der großen Bekleidungshäuser Alltag. Ganz schön einfallslos und langweilig, findet unser Redakteur Andreas Grüter.
Neulich war ich auf einer DJ-Session von Freunden und brachte nicht nur Corona, sondern auch die Erkenntnis mit nach Hause, dass irgendwo auf der Welt bereits eine Zeitmaschine erfunden worden sein muss. Anders kann ich mir die Outfits der Clubbesucher nicht erklären. Von den Schnitten über die Farben und Waschungen bis hin zu den Kombinationen stellten diese eine Eins-zu-eins-Kopie der 90er Jahre dar. Nun ist es beileibe nichts Neues, dass sich Designer an den modischen Stilistiken vergangener Jahrzehnte bedienen. Wurde in den zurückliegenden 20+ Jahren aber lediglich mehr oder weniger geschickt zitiert und anschließend ein Remix abgeliefert, so scheinen wir jetzt in die Phase der bloßen Reproduktion übergegangen zu sein. Die zugegebenermaßen provokante Frage, die wie der sprichwörtliche Elefant im Raum steht, lautet dementsprechend: Warum braucht es eigentlich noch Designer, wenn es ein gutes Archiv auch tut?
Die Postmoderne ist an allem schuld …
Was sollen sie denn machen, die Damen und Herren Designer*innen, wenn die engsten und weitesten Hosen, die längsten und kürzesten Röcke und die buntesten und einfarbigsten Oberteile bereits in vergangenen Dekaden auf den Laufstegen der Welt präsentiert wurden und auch die Details-Munition fürs Sampling sich langsam, aber sicher dem Ende zuneigt, fragen Sie? Nun, ich bin nicht hier, um eine konkrete Antwort auf die Misere der Postmoderne zu liefern, aber ich habe eine Gegenfrage, die zur Antwortfindung beitragen könnte: Woher nahmen die Gestalter der heute viel zitierten Jahrzehnte eigentlich ihre Ideen? Ich stelle zudem fest, dass sich die Mode unter solchen Vorzeichen den Anspruch, kulturelle Errungenschaft zu sein, wenig elegant selbst unter den Füßen wegsägt. Und mit dieser Analyse stehe ich scheinbar nicht allein da. Schließlich setzt das Gros der Generation-Y- und -Z-Konsumenten das Thema Fashion längst mit Ex-und-hopp-Klamotten, mit täglichen Online-Einkäufen, mit Influencer-Einerlei und mit „Shopping Queen“ und „Germany’s Next Topmodel“ gleich. Optisch austauschbar und inhaltlich weitestgehend leer. Ich finde: keine guten Aussichten für eine Branche, die vom Image der Kreativität lebt.
Content is king
Natürlich, und das gehört auch zur Wahrheit, wurde die Abwärtsspirale nicht in erster Linie vom Design angestoßen, sondern viel eher von den Verkaufs- und Marketingabteilungen. Wenn dort ein Produkt propagiert wird, das schnell und einfach konsumierbar ist, fordert dies den Konsumenten selten zu einer tieferen Auseinandersetzung auf. Wenn der Konsument jedoch nicht gefordert wird, wünscht er sich vom Design ein einfach zu konsumierendes Produkt – und so weiter und so fort. Sie erkennen das Muster. Wie also geht es weiter? Wenn wir uns darauf einigen, dass es gar nicht so einfach ist, die großen und meiner Meinung nach auch längst überfälligen stilistischen Neuigkeiten aus dem Ärmel zu schütteln, liegt der Ausweg vielleicht gar nicht allein in der Gestaltung, sondern beispielsweise in Faktoren wie Nachhaltigkeit, Transparenz und einem ehrlichen Storytelling. Just my two cents …