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Außenhandel

Mittelfristig steht das Land vor großen Herausforderungen wie die hohe Arbeitslosigkeit, die Immobilienkrise und der demografische Wandel. ©pixabay

Autor: Markus Oess
China galt lange Jahre als Wachstumslokomotive, die gerne auch die Weltwirtschaft ziehen durfte. Doch inzwischen hat sich die Perspektive auf das Reich der Mitte verschoben. Der Drache hat Atemprobleme. Geht ihm nun pandemiebedingt die Puste aus? Das Land ist ein klassischer Risikopatient mit vielen Vorerkrankungen. Geht das gut? Christina Otte und Dr. Roland Rohde geben Antwort. Dr. Roland Rohde war 14 Jahre für die GTAI in Hongkong als Berichterstatter für den chinesischen Markt tätig. Christina Otte ist seit zehn Jahren bei der GTAI im Bereich Ostasien als Wirtschaftsexpertin für China zuständig. GERMANY TRADE & INVEST (GTAI) ist die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland für Außenwirtschaft sowie Standortmarketing und eine bundeseigene Wirtschaftsförderungsagentur. 

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FT: China hat in der Pandemiebekämpfung eine überraschende Kehrtwende vollzogen. Jetzt haben wir das Jahr des Hasen, ist damit auch das Land zurück?

Fällt China weg, sind viele für Deutschland wichtige Rohstoffe, etwa seltene Erden und Magnesium, aber auch Vorprodukte und Endprodukte nicht mehr zu bekommen.“ Dr. Roland Rohde, GTAI

Dr. Roland Rohde: Die Deutsche Bank rechnet mittlerweile mit 6 Prozent Wirtschaftswachstum für dieses Jahr. Der Inlandskonsum soll aber mit plus 3 Prozent schwach bleiben und erst 2024 um 10 Prozent zulegen. Der IWF geht für 2023 von einer Zunahme des Bruttoinlandsproduktes von 5 Prozent aus, warnt aber vor Rückschlägen.“

Christina Otte: Mittelfristig steht das Land aber auch vor großen Herausforderungen, die sich weiter wachstumsdämpfend auswirken, wie etwa die hohe Arbeitslosigkeit, die Immobilienkrise und der demografische Wandel. Langfristig wächst die Wirtschaft immer langsamer.“

Überwog bei der plötzlichen Öffnung das politische Kalkül, Dampf aus dem Kessel zu lassen, weil die Pandemie gar nicht mehr zu handeln war, oder gab es auch wirtschaftliche Gründe?
Otte: China ist anfänglich gut durch die Pandemie gekommen und war 2020 und 2021 Wachstumslokomotive, als die Pandemie in den USA und in Europa wütete. Doch mit Omikron war die Null-COVID-Politik nicht mehr aufrechtzuerhalten.“

Dr. Rohde: Der wirtschaftliche Druck war immens. Es kam immerzu zu Lockdowns und Produktionsschließungen im Land, der Einzelhandelskonsum ist eingebrochen und die Lieferketten waren immer wieder unterbrochen. Die Demonstrationen waren dann vermutlich das Zünglein an der Waage.“

Wie stark hat China selbst unter der Pandemie gelitten und wo steht das Land heute?
Dr. Rohde: Es gab hohe Wohlstandsverluste und der chaotische Lockdown von Shanghai hat das Vertrauen ins System erschüttert. Die drei Jahre andauernde Abschottung hat zu einem großen Vertrauensverlust von Investoren und Geschäftspartnern geführt. Viele ausländische Beschäftigte haben China verlassen.“

Otte: Auf dem 20. Parteitag Ende 2022 ist Präsident Xi Jinping für eine dritte Amtszeit als Generalsekretär der Kommunistischen Partei bestätigt worden. Die Führungsriege um sich herum hat er neu aufgestellt. Dabei zeigt sich, dass wirtschaftsliberale Stimmen das Nachsehen haben. Es ist eher von einem ‚Weiter so‘ auszugehen. Die staatliche Kontrolle auf Wirtschaftssektoren hat in den letzten Jahren zugenommen.“

Die geopolitische Lage hat sich gerade in den letzten Jahren zusehends verkompliziert. Nicht erst seit dem Syrien-Krieg steht Russland in der Kritik, wird Chinas Zurückhaltung im Westen mit Argwohn betrachtet. Auch China selbst steht unter scharfer internationaler Beobachtung. Wie stark ist China wirklich als Weltmacht und wie abhängig ist Europa, insbesondere Deutschland?

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 Die Suche nach alternativen Beschaffungs- und Absatzmärkten befindet sich in vollem Gange. Die Zeichen stehen auf Diversifizierung.“ Christina Otte, GTAI

Otte: China ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt und für fast 19 Prozent der Weltwirtschaftsleistung verantwortlich. Deutschland hat den Warenhandel mit China in den letzten Jahrzehnten stetig ausgeweitet. Heute ist China wichtigster Handelspartner der Bundesrepublik und ein zentraler Absatzmarkt für deutsche Produkte. Einzelne Unternehmen sind sogar überdurchschnittlich vom Absatz in China abhängig.“

Dr. Rohde: Im Gegensatz zu Russland ist China sehr eng in die internationale Arbeitsteilung eingebunden. Für Deutschland ist China der wichtigste Beschaffungsmarkt weltweit. Fällt China weg, sind viele für Deutschland wichtige Rohstoffe, etwa seltene Erden und Magnesium, aber auch Vorprodukte und Endprodukte nicht mehr zu bekommen.“

Spielen bei allen Machtfragen die Verletzung der Menschenrechte, das diktatorische Auftreten der Regierung überhaupt eine Rolle? Geld stinkt bekanntlich nicht.
Dr. Rohde: Internationale Markenfirmen möchten in jedem Falle verhindern, mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht zu werden. Das wäre ein enormer Imageschaden und wirkt sich negativ auf den Absatz aus. Darüber hinaus gibt es die rechtlichen Anforderungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes. Das heißt, Unternehmen müssen Umwelt- und Sozialstandards entlang der Lieferkette einhalten.“

China ist inzwischen auf dem Weltmarkt auch ein gieriger Wettbewerber um Rohstoffe und Energie. Überwiegen jetzt die positiven Effekte, etwa weil die Importe nach China steigen, oder die negativen, weil die Nachfrage nach Rohstoffen und Energie wieder anzieht, die sowieso schon hohen Preise weiter in die Höhe treibt?
Dr. Rohde: Da gleichzeitig in den USA und anderen wichtigen Abnehmermärkten eher eine Rezession beziehungsweise Konjunkturschwäche bevorsteht, ist nicht davon auszugehen, dass Chinas Wirtschaftserholung starke Auswirkungen auf die Rohstoffpreise hat.“

Deutschland importiert mehr und mehr aus China und liefert selbst Waren ins Reich der Mitte. Nun gibt es im Westen seit Längerem Bemühungen, sich alternative Produktionskapazitäten in der Welt zu verschaffen. Sehen Sie da realistische Chancen, unabhängiger zu werden, oder ist der Zug schon abgefahren? Der Anteil von Spielwaren am Weltexport wächst weiter, bei Bekleidung geht es allerdings seit 2013 nach kurzen Phasen der Erholung insgesamt nach unten …
Otte: Die Suche nach alternativen Beschaffungs- und Absatzmärkten befindet sich in vollem Gange. Die Zeichen stehen auf Diversifizierung. Eine komplette Abkopplung von China planen allerdings die wenigsten Unternehmen. Wir sprechen von einem Prozess, der sich über mehrere Jahrzehnte hinziehen wird, das geht nicht über Nacht.“

Was ist mit der Textilproduktion für das Ausland? Auf der einen Seite will China weg von der Billigproduktion, auf der anderen Seite will die riesige Bevölkerung auch versorgt sein mit den Dingen des täglichen Bedarfs, auch mit Bekleidung. Wie steht China heute da?
Dr. Rohde: Chinas Anteil an den Textilexporten geht schon seit Jahren zurück. Textilproduktion als klassisch arbeitsintensive Produktion ist zum Teil schon lange in andere Länder gewandert. Viel Fertigung ist nach Vietnam gegangen. Aber China bleibt ein wichtiger Produzent, insbesondere bei Vorprodukten für die Bekleidungshersteller. Ohne Zulieferungen aus China können die Bekleidungs- und Schuhfabriken in Vietnam nicht produzieren.“

Wer sind die Chinesen Chinas, wo wird im Ausland produziert und was?
Dr. Rohde: Nach wie vor dominieren im mittleren und oberen Preissegment ausländische Marken in China. Insgesamt gewinnen aber chinesische Marken an Zugkraft, sie werden qualitativ besser und schaffen es teilweise erfolgreich, Elemente chinesischer Kultur zu integrieren. Für den chinesischen Markt produzieren die Unternehmen in der Regel in China.“

Wie schätzen Sie den Markt für europäische (Textil-)Marken ein? Immerhin versprechen die Erlöse im Reich der Mitte immer noch fantastische Preise und Margen …
Dr. Rohde: Die Nachfrage nach europäischer Luxusbekleidung ist weiter am Wachsen. Chinas Mittelschicht wird ja schließlich auch größer. Aber klar ist auch, dass der Markt nicht mehr so stark wächst wie zuvor.“

Otte: Der demografische Wandel könnte sich außerdem langfristig dämpfend auf den Konsum auswirken. Menschen, die in ihre Altersvorsorge investieren müssen, haben weniger Geld für den Konsum übrig. Und ältere Menschen konsumieren auch tendenziell weniger.“