Autor: Markus OessDie dritte Ausgabe der Bekleidungsmesse IFCO in Istanbul sollte eine Party werden. Doch dann kam das Erdbeben im syrischen Grenzgebiet und legte einen Trauerschleier über die Veranstaltung. In den Hallen mischte sich unter die fassungslose Traurigkeit auch Wut über mangelhafte Hilfe und fahrlässigen Erdbebenschutz. Aber die IFCO wollte auch Zeichen setzen für die Zukunft der heimischen Bekleidungsindustrie, sagt Mustafa Pasahan, Vice Chairman des Textilverbandes İTKİB/İHKİB und Veranstalter der Messe. Die IFCO ist deutlich gewachsen und bringt auch erste große Marken in die Hallen.
Das Erdbeben an der syrischen Grenze überschattete die dritte Ausgabe der IFCO, Istanbul Fashion Connection, in Istanbul (8. bis 11. Februar). Die Messe war vor der Naturkatastrophe ausgebucht. Auf 45.000 Quadratmetern hatten sich im Istanbul Exhibition Center mehr als 600 Aussteller angemeldet, teilen die Organisatoren mit. In neun Hallen sollte die Plattform einen Überblick über die neuen Kollektionen in den Bereichen Womenswear, Menswear, Kidswear, Denim, Sportswear, Abend- und Hochzeitsmode, Lingerie, Strümpfe, Leder und Pelze verschaffen. IFCO Sourcing schließlich zielte auf die Möglichkeit, sich mit Produktionsunternehmen wie Talu, Zevigas, Bozkurt, Bilce Tekstil, Gelişim, Karar, Akademi, Bozpa Demezoğlu zu vernetzen.
Mehr als 25.000 Besucher aus über 100 europäischen Ländern, den zentralasiatischen Märkten und der Region am Arabischen Golf sowie der Türkei wurden erwartet. Dann kam das Beben und legte sich wie ein Trauerschleier über die Messe. Viele Aussteller organisieren selbst Hilfsaktionen, spenden Kleidung und Hilfsgüter in der Krisenregion. Sie schicken immer neue Lkw-Kolonnen, um für Nachschub zu sorgen. Fortwährend werden die Opferzahlen nach oben korrigiert. Nach Angaben des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan wurden allein in der Türkei mehr als 35.000 Tote gezählt. Über 13.000 Menschen würden in Krankenhäusern behandelt. Rund 1,6 Millionen Menschen sind in Große Notunterkünften untergebracht. 600.000 Menschen wurden den Angaben zufolge evakuiert worden oder haben selbst die Region verlassen. In Syrien spricht die Weltgesundheitsorganisation von 5.900 Toten. Noch immer ist die Lage unübersichtlich und die Kritik in den Messehallen an der schlechten Krisenpolitik und den chaotischen Hilfen durch den Staat sowie den nachlässigen Kontrollen der Baubehörden wird lauter. Unmut macht sich auch über die augenscheinliche Korruption der Baubehörden breit. „In Japan sterben vielleicht zwei Menschen bei solch einem Beben, in der Türkei sind es Zehntausende. Das Beben tötet nicht die Menschen, es sind die unsicheren Gebäude!“, wütet ein türkischer Aussteller.
Der Veranstalter İTKİB/İHKİB sagte alle Shows und auch den Gala-Abend ab, wollte aber die Messe selbst durchziehen. Zu viel wurde in die dritte Ausgabe der IFCO seitens der İTKİB/İHKİB und der Aussteller investiert, um abzubrechen, zumal dies das Erdbeben auch nicht ungeschehen gemacht hätte. Und es drehte sich um die Signalwirkung, die von der Veranstaltung gerade jetzt ausging. So ging es eben etwas leiser zu auf den Ständen. Gesprochen und kontaktet wurde aber gleichwohl. Auch wenn die Besucherzahlen durch das Erdbeben schwächer ausfielen als geplant, waren die Aussteller nicht unzufrieden.
Die İHKİB ist Trägerin der İstanbul Moda Akademisi (İMA). Die Hochschule wurde 2007 von İTKİB/İHKİB mithilfe des IPA-I-Programmes gegründet und hat inzwischen den Ruf einer international anerkannten Schule. Raf Stesmans ist Creative Director der İMA und gestaltete auf der Messe einen Trendbereich, auf dem sich die Studierenden der Akademie präsentieren konnten. Unter der Überschrift „Resilience“ arbeitete Stesmans die Verbindung von Nachhaltigkeit und Naturverbundenheit auf der einen Seite und der Technologie auf der anderen Seite heraus: „Die Leute wollen sich wiederfinden nach der Pandemie, aber das heißt nicht, dass sie neue Technologien deswegen ablehnen. Im Gegenteil, die Verbindung beider Welten erzeugt eine ganz eigene Harmonie.“
Die İMA unterstützt Absolventen über insgesamt vier Saisons hinweg beim Start ihres eigenen Labels. Beyza Eyüboğlu ist eine von ihnen. Sie ist mit ihrem eigenen Label angereist und verkauft Streetwear, die sie in Kleinserien produzieren lässt. Ihr Atelier befindet sich in Istanbul. Die Preise liegen zwischen 50 Euro (T-Shirt, Sweatshirt) und 400 Euro für eine Jacke. Natürlich erhoffe sie sich mehr Sichtbarkeit durch den Messeauftritt, sagt sie. Mit der Resonanz bisher sei sie nicht unzufrieden, sie habe jetzt aber auch keinen Run erwartet, fügt sie an.
Ein paar Schritte weiter hat wieder die Anzugmarke BELFOR ihren Stand aufgebaut. Mehr Zuschauer als beim letzten Mal und die Internationalität nehme zu, hören wir dort. Das Label drängt es auf den westeuropäischen Markt und hat zum ersten Mal auch auf der CIFF in Kopenhagen ausgestellt. Auch Deutschland sei immer noch ein Thema. Konkreter wird es in Sachen Deutschland beim Denim-Anbieter CROSS JEANS, einem Familienunternehmen, das sich mit drei Fabriken neben der Auftragsfertigung mit CROSS eine Marke aufgebaut hat und auch nach Deutschland verkauft. CROSS hat sogar ein eigenes Büro und ein Warenlager in Berlin. Der VK der Hosen pendelt um die 65 Euro. Ugur Kerim Kolunsag ist Board Member des Familienunternehmens, das nun schon in dritter Generation geführt wird. Es sei seine zweite Messe, sagt er, und er sehe durchaus einen Fortschritt gegenüber dem letzten Mal: mehr Aussteller, mehr Professionalität und mehr Qualität bei den Besuchern. Deutsche Einkäufer habe er indes nicht gesehen, sagt er, wohl aber aus Russland, der Ukraine, Bulgarien. Sogar aus Südafrika seien welche da gewesen.
Neu war der Designbereich The CORE İSTANBUL, ein Bereich, der die Kreativen der FASHION WEEK ISTANBUL präsentiert, darunter Namen wie Arzu Karpol, Aslı Filinta, Ceren Ocak, Gül Ağış und Çiğdem Akın. Naz Yenigün hat in New York studiert, schrieb für die VOGUE und hat mit ihrem Bruder Yigit Bileydi das Label BY The OAK gegründet, mit dem sie auch schon zweimal auf der Pitti Uomo ausgestellt hat. Sie macht Workwear, die über Prints japanischen Style mit der Heritage der Türkei verbindet. Gut verkäufliche Genderless Fashion mit Verkaufspreisen zwischen 120 und in der Spitze 890 Euro für eine Lederjacke. Sie sei gefragt worden, ob sie ausstellen wolle, und sie habe zugesagt: „Nein, bereuen tue ich es bestimmt nicht mitzumachen und ich werde beim nächsten Mal wieder dabei sein.“ Dann aber hofft sie auf noch mehr Marken, die die passenden Einkäufer anlocken. Für den türkischen Markt sei sie nämlich zu teuer, aber die Messe bringe auch internationales Publikum und darum gehe es ihr. Genau das wollen die Veranstalter mit der neu geschaffenen Area auch erreichen. Jetzt will die İTKİB/İHKİB The CORE İSTANBUL auf Reisen zu anderen Messen schicken, um in der Welt Werbung für türkische Designkompetenz zu machen, wie Mustafa Pasahan, Vice Chairman des Textilverbandes, gegenüber FT ankündigt.
Um mehr Markenqualität in die Messe zu bringen, haben die Veranstalter überdies auch den Bereich IFCO BRANDS geschaffen. Dort nutzen 13 große Marken wie İpekyol, Damat, Kiğılı, Altınyıldız, B&G Store, Lufian, Jakamen oder Tudors die Plattform zur Erweiterung ihres internationalen Kundennetzwerkes. Damat hatte vor der Pandemie bereits drei Läden in Deutschland, musste dann aber das Geschäft in der Corona-Krise wieder aufgeben. Damit, betont Nihat Onuk, seien aber die Ambitionen zurückzukehren nicht vom Tisch. Im Gegenteil, zwar sei der deutsche Markt sehr schwierig, weil die Markentreue deutscher Männer hoch sei, aber es sei eben auch der größte Markt. Onuk bewertet die Messe als gut und sieht große Chancen, dass die IFCO ihren Platz im internationalen Messekalender nachhaltig finden kann. „Das wird“, meint er. Kiğılı ist da schon einen Schritt weiter. Die türkische Marke hat bereits zwei Stores in Düsseldorf (Innenstadt und Flughafen), schneidert für zalando eine Exklusivkollektion und ist Textilsponsor vom VfL Wolfsburg und dem 1. FC Köln. Taylan Kırali, Director of International Corporate Operations, will weiter expandieren. 20 Monobrandstores sollen es zunächst werden. Die Marke hatte auch schon gut 20 Shop-in-Shops mit GALERIA verabschiedet. Das war allerdings noch vor der Insolvenz. Nun warte man ab, wie es mit der Warenhauskette weitergeht. Auch in anderen Ländern wie Italien oder Griechenland ist die Marke vertreten. Auch Kırali gibt der IFCO eine reelle Chance und denkt, dass die Sommerausgabe im August einen weiteren Fortschritt zeigen wird. Ein noch höheres Expansionstempo will AC&co. Zu den acht Läden in Deutschland sollen weitere zwölf Läden schon bis Ende des Jahres dazukommen. In fünf Jahren will das Unternehmen ein Netz von 200 Stores aufgebaut haben und auch eine nennenswerte Anzahl von Shop-in-Shops in großen Warenhäusern und bei den Platzhirschen installieren.
İTKİB/İHKİB-Vize Pasahan zieht gegenüber FT ein positives Fazit der dritten Messe-Ausgabe. „Das Erdbeben ist eine große Tragödie. Wir wollten mit der IFCO auch ein Zeichen setzen für die Zukunft der türkischen Bekleidungsindustrie, der Designer und der Marken. Das ist uns gelungen. Wir konnten Gäste aus mehr aus 100 Ländern aus der ganzen Welt begrüßen. Mit IFCO BRANDS und The CORE İSTANBUL haben wir einen wichtigen Qualitätssprung erreicht. Ich bin sicher, dass die IFCO langfristig auch die Bedeutung Istanbuls als Mode-Hub deutlich aufwerten wird.“