Autor: Alexander LanghorstIn den vergangenen Wochen standen die Meldungen aus China über hohe COVID-19-Infektionszahlen im Fokus, nachdem die chinesische KP sich von der bis Spätherbst 2022 verfolgten strikten Null-COVID-Politik verabschiedet hatte und die Strategie im Kampf gegen die Pandemie geändert hat. Inzwischen – so sind jedenfalls die Daten zu bewerten – scheint die größte Welle an Infektionen auch überstanden zu sein, sodass für die kommenden Monate mit einer Normalisierung des Konsumverhaltens und auch einer gewissen Erholung und Normalisierung des Marktes gerechnet werden kann.
Die im Jahre 1999 gegründete Alibaba Group betreibt die gleichnamige B2B-Plattform Alibaba.com, das Online-Auktionshaus Taobao und ist an einer ganzen Reihe weiterer großer Tech-Unternehmen beteiligt. Nach eigenen Angaben sieht sich Alibaba als größte IT-Firmengruppe in China. Zudem ist Alibaba weiterhin signifikant am FinTech-Ableger ANT GROUP beteiligt. ANT GROUP bietet dabei moderne Zahlungsmöglichkeiten an und ist entsprechend in einem besonderen Visier der staatlichen Aufsichtsbehörden. Hier kam es im Vorfeld des in 2020 geplanten IPOs zu einer Auseinandersetzung zwischen Alibaba-Gründer Jack Ma und staatlichen chinesischen Stellen. Letztlich wurde seinerzeit der IPO abgesagt und zusätzlich ein Kartellverfahren gegen Alibaba eingeleitet. Dieses wurde gegen Zahlung von 18 Milliarden Yuan (circa 2,3 Milliarden Euro) eingestellt. Vorwurf der Wettbewerbshüter war die „Ausnutzung der Marktmacht, um die Kunden an die eigenen Dienste zu binden“. Nach dem inzwischen erfolgten weitgehenden Rückzug von Unternehmensgründer Ma aus dem Geschäft scheint auch der in 2020 abgesagte Börsengang der ANT GROUP durchaus wieder in Reichweite zu rücken.
Aus Investorensicht zu beachten ist der jüngst in China zu beobachtende Trend, dass die Regierung sogenannte goldene Aktien an bestimmten Unternehmen erwirbt. Offensichtliche Zielsetzung von Peking ist es dabei, eine stärkere Kontrolle über gewisse – vor allem chinesische – Internetfirmen zu erlangen. Diese sogenannten goldenen Aktien entsprechen im Regelfall einem Anteil von 1 Prozent, welche über Staatsfonds erworben werden. Im Gegenzug erhält der Staat einen Sitz im Vorstand oder Aufsichtsrat und/oder ein Vetorecht bei wichtigen Geschäftsentscheidungen. Laut einem Eintrag in der Unternehmensdatenbank Qichacha hat die chinesische Cyberspace-Verwaltung Anfang Januar 2023 einen entsprechenden Anteil an der Alibaba-Einheit für Streamingdienste (Youku) erworben. Neben einer stärkeren Kontrolle durch staatliche Stellen bieten die goldenen Aktien den Unternehmen auf der anderen Seite aber zugleich auch Vorteile, etwa bei der Vergabe für erforderliche Lizenzen und so weiter.
Ähnliches ist bereits auch beim ebenfalls sehr bekannten Videoportal TikTok zu beobachten gewesen. Die zum ByteDance-Konzern gehörende Videoplattform gewinnt immer mehr an Bedeutung durch die geschickte Verbindung der Funktionen von Videoplattform und sozialem Netzwerk. Auch hier ist die chinesische Regierung mit einer „goldenen Aktie“ eingestiegen. TikTok entwickelt sich zunehmend auch zu einem immer wichtigeren Medium etwa für gezielte Werbung oder Influencer, was sich auch beim Absatz insbesondere im E-Commerce bemerkbar macht.
Im Rahmen der letzten Quartalszahlen für den Zeitraum Juli bis September 2022 – die am 17. November 2022 veröffentlicht worden sind – musste der Konzern einen Fehlbetrag von 20,6 Milliarden Yuan beziehungsweise 2,8 Milliarden Euro ausweisen, nachdem im Vorjahr mit 5,4 Milliarden Yuan noch ein deutlich positives Ergebnis ausgewiesen worden ist. Wesentlicher Grund für die deutlich roten Zahlen sind erforderlich gewordene Wertberichtigungen auf getätigte Investments, welche das Ergebnis deutlich verhagelt haben. Analysten hatten im Schnitt stattdessen mit einem Gewinn von 18,8 Milliarden Yuan gerechnet. Insgesamt kletterten die Umsatzerlöse im genannten Zeitraum um 3 Prozent auf rund 207,2 Milliarden Yuan, was ebenfalls unter den Erwartungen des Kapitalmarkts lag. Ein Plus von gut einem Viertel auf 43,3 Milliarden Yuan war hingegen beim EBITDA zu verzeichnen. Wesentliche Treiber dieser Verbesserung waren erfolgreich implementierte und umgesetzte Effizienzprogramme beim Lieferdienst Ele.me und der Shopping-Plattform Taobao. Die nächsten Zahlen für den Zeitraum Oktober bis Dezember sollen am 17. Februar 2023 veröffentlicht werden.
Analog zur Markterwartung geht GSC Research für das aktuell laufende Jahr 2022/2023 (31. März) von einem Anstieg des Umsatzes auf rund 1,05 bis 1,1 (Vorjahr: 0,99) Billionen Yuan aus. Das EBITDA dürfte sich entsprechend auf 210 bis 215 Milliarden Yuan (Vorjahr: 194,05) erhöhen. Unter dem Strich sollte ein Ergebnis je Alibaba-Aktie von umgerechnet etwa 6,10 bis 6,20 Euro nach zuvor 2,85 Euro erreichbar sein. Damit ergibt sich beim aktuellen Aktienkurs von 99 Euro ein erwartetes KGV fürs laufende Jahr von knapp 13. Für das kommende Geschäftsjahr rechnet GSC mit einer weiteren Zunahme beim Umsatz auf 1,2 Billionen Yuan, einem EBITDA von bis zu 245 Milliarden Yuan und einem daraus resultierenden umgerechneten EPS von 7 bis 7,10 Euro. Entsprechend verringert sich das KGV auf unter 12. Dividenden werden von Alibaba nicht ausgeschüttet.
Den fairen Wert der Aktie sehen wir bei 125 Euro, sodass der Anteilsschein für den spekulativ ausgerichteten und risikobereiten Investor durchaus einen Blick wert sein kann. Bei etwaigen Investitionsüberlegungen ist jedoch unbedingt zu beachten, dass die aktuellen geopolitischen Spannungen zwischen China und den USA sowie die seit Jahren zunehmend steigende Regulierung des Marktes in China durch die Partei zu Verwerfungen führen könnten. Entsprechend weist die Aktie ein höheres Risikopotenzial aus. Chancen können sich jedoch aus einer Erholung der Kauflaune der chinesischen Konsumenten nach überstandener COVID-Pandemie ergeben. Die Aktie ist auch problemlos in Deutschland handelbar, es sollte jedoch mit Limiten agiert werden, da je nach Börsenplatz teilweise die Umsätze nicht so hoch ausfallen.