Berlin
Nachdem die Pitti Uomo mit guten Zahlen vorgelegt hatte, musste Berlin nachziehen. Die Messe war auf die Änderungswünsche der Aussteller eingegangen, hatte die Hallenbelegung und -aufbau neu aufgelegt. Doch der ganz große Run blieb am ersten Tag aus. Das Grundrauschen fiel etwas leiser aus. Am zweiten Tag hatte sich die Frequenz gesteigert. Messe-Chefin Anita Tillmann hebt jetzt am dritten Messetag gegenüber FT darauf ab, dass die Aussteller insgesamt eine zufriedene Bilanz ihrer Messen zögen. „Die Marken, mit denen ich bislang gesprochen habe, sind happy. Natürlich sind wir von den Zeiten vor Corona noch weg, aber es waren alle entscheidenden Handelshäuser vor Ort. Die Einkaufsteams sind wohl kleiner geworden, aber die Qualität stimmte. Bemängelt wurde, dass sich die deutsche Formalwear im mittleren Genre kaum zum Messestandort Berlin bekannt hat“, sagt Tillmann. Nun werde aktuell diskutiert, die Messen auf zwei Tage zu verkürzen, um Kosten zu sparen und die Veranstaltung effizienter auszugestalten.
Bei den Händlern, die sich in die Hauptstadt aufgemacht, war Unverständnis über die Zurückhaltung der Modeindustrie zu spüren. „Wir hatten heute sehr gute Gespräche auf den Messegängen mit Menschen, die ohne Messe heute nicht in Berlin gewesen wären. Danke an alle Aussteller, die da sind und damit beitragen, dass wir uns treffen können“, sagt Marc Ramelow, Elmshorn. „Und schade, dass viele zum wiederholten Male ‚schauen‘, aber sich nicht bekennen. Wir werden diese Chancen vermissen, wenn es sie dann nicht mehr gibt. Wir würden diese Transformation unserer Branche besser durchstehen, wenn wir es gemeinsam angehen. Aber dafür braucht es eine Plattform, vielleicht irgendwann auch ohne Produkte auf einem Messestand“, fügt Ramelow an. „Carpe Diem! Nutze den Tag – oder frei übersetzt – nutze die Chancen. Unternehmertum bedeutet Chancen und Möglichkeiten zu entdecken, zu bewerten und nach Prüfung auf Machbarkeit an die Umsetzung zu gehen. Insofern kann jedes Gespräch, jeder Kontakt, jeder Eindruck eine Chance darstellen. Wo gibt es eine bessere Möglichkeit als dies individuell für sich selbst unter Einbeziehung aller Sinne zu entdecken als auf einer Messe?“, wirbt unitex-Chef Gerhard Albrecht für die Modeplattformen in der Hauptstadt. „Die Uneinigkeit der Industrie zum Thema Messe ruiniert eventuell im größten Modemarkt Europas die einzige verbliebene Messe“, ärgert sich Händler und BTE-Präsident Steffen Jost. „Das Berlin Gefühl war gut. Allerdings haben leider sehr viele für uns im Fachhandel relevante Marken gefehlt“, fasst KATAG-Chef Dr. Daniel Terberger seine Eindrücke von den zurückliegenden Messetagen zusammen.
„Zu wenige Marken, zu wenig Besucher, zu wenig Marken …“ , beschreibt Dirk Heper, Chef der Ahlersmarke Pierre Cardin, die Spirale nach unten, die in der Hauptstadt in Gang gesetzt werden könnte. „Es wäre jammerschade, wenn sich die Branche der Messen berauben würde“, mahnt Heper unter dem Eindruck von zunächst schleppenden Besucherzahlen am ersten Tag. Nur auf Messen habe man die Chance, in zwei Tagen mit Händlern aus ganz Deutschland zu führen. Für Florian Wortmann, Geschäftsführer Baldessarini hat es sich gelohnt, die Presslounge auszustatten. „Ich habe die Presse hier und meine Händler kommen auch“, sagt er. Es sei eine gute Gelegenheit, den Relaunch der Marke und die neue Kampagne mit dem Influencer und Model Bene Schulz zu erläutern. Aber auch er sagt, die Brandlist in der Menswear sei ausbaufähig.
Wolfgang Müller, der erneut mit der jüngeren Marke Tom Ripley in die Hauptstadt gekommen ist, sagt, dass die Besucher auf seinem Stand auf Vorjahresniveau liegen. Dennoch vermisst auch er wichtige Aussteller und von Händlerseite seien einige Regionen schwach bis gar nicht vertreten. „Abgerechnet wird aber zum Schluss“, sagt Müller. Die Premium Group selbst habe ihren Job gemacht. Deutlich enttäuscht von der Bereitschaft der deutschen Marken sich zum Standort Berlin zu bekennen und auch zu investieren war OLYMP-Chef Mark Bezner. „Wir hatten im Sommer eine Messe, deren Rückkehr gelungen war. Ich war mit einem guten Gefühl nach Hause gefahren und hatte fest damit gerechnet, dass sich weitere Marken aus der gehobenen Mitte der Menswear anschließen würden, um ein attraktives Umfeld zu schaffen. Leider ging es in die andere Richtung.“ Er stellt eine erneute Teilnahme in Frage, sollten keine verbindlichen Zusagen aus dem unmittelbaren Wettbewerbsumfeld von OLYMP kommen.
Mathias Eckert, CEO FYNCH-HATTON, äußerte ebenfalls Unverständnis, warum überraschend viele Marken es vorgezogen hatten, nicht nach Berlin zu kommen. „Für uns war es die richtige Entscheidung, zum ersten Mal nach der Pandemie die Womenswear zu zeigen. Wir hatten alle wichtigen Kunden aus der DACH-Region auf dem Stand. Auch die Stimmung war gut. Gerade für die DOB gibt es zu Berlin keine Alternative.“ Zusätzlich zur Mens- und Womenswear, brachten die Mönchengladbacher auch ihr Livingsortiment mit, das im vergangenen Herbst 2022 gelauncht und inzwischen an rund 20 Händler ausgeliefert wurde. Entworfen werden die Teile von Carina Brandts.
Die Seek hatte insgesamt ein stimmiges Portfolio aufzubieten und die Frequenz war dort besser. Entsprechend zufriedener fallen die Resümees der Aussteller aus. Für Lee/Wrangler sagt Sales Manager DACH, Aaron Rath, „es ist wichtig, dass wir die Seek als Plattform haben. Wir sind zufrieden und werden im Sommer wieder dabei sein. Schade ist nur, dass die Premium und Seek anders als das letzte Mal etwas weiter auseinanderlagen“. Er hatte auch Einkäufer aus Frankreich und Italien, vor allem aber aus der Dach-Region auf dem Stand. Auch bei Marken wie Champion (Alexander Kolb: „Im Sommer ist die Seek generell stärker, dann werden auch wahrscheinlich Marken wie Puma wieder dabei sein, die sich diesmal für die Paris Fashion Week entschieden.“) und Didrikson (Tim Jedwabny: „Die Freuenz war heute am zweiten Tag besser als gestern. Die Einkäufer sind erstaunlich optimistisch. Wir haben von den großen Key-Accounts wie Zalando , Bergfreunde und Globetrotter bis zu den kleinen Boutiquen die verschiedensten Händler gesehen.“) herrschte Gelassenheit. Robert Gauk, Head of Sales bei Merz b. Schwanen, kennt das: „Klar ist Berlin übersichtlicher geworden, aber unterm Strich bin ich nicht unzufrieden. Es ist eine fokussierte, angenehme Messe. Wir kommen sicher wieder. Die Messe war vor Covid auf einem guten Weg, nun muss sie eben wieder dorthin gebracht werden.“
Die Dinge anpacken, wollen Maren Wiebus und Marie-Luise Patzelt von der Seek. Das gilt aber auch für die Markenindustrie und den Handel. Vielleicht reicht es auch nicht aus konzeptionelle Veränderungen vorzunehmen, sondern Messe komplett neu zu denken, so wie es die Automobilbranche in den USA mit der CES in Las Vegas getan haben. Eine gute Kommunikationsplattform setzt neben anderen Dingen genau aber auch das voraus: eine gute Kommunikation, zwischen allen Beteiligten – Messe, Austeller, Handel und Medien. Und wenn Marken nicht kommen, hat auch das Gründe. Diese Hindernisse sollten, wertfrei gesprochen, abgeräumt werden. Dann kann auch wieder über Mode statt über Messe gesprochen werden.