Autor: Markus OessMcKinsey & Company und The Business of Fashion (BoF) haben Ende November den aktuellen The State of Fashion 2023 Report veröffentlicht. Laut Bericht steuert die Branche auf einen globalen Abschwung zu. Die Kombination aus dem Krieg in der Ukraine, steigender Inflation und gestörten Lieferketten führe zu einer pessimistischen Stimmung für das kommende Jahr. Dr. Achim Berg ist Senior Partner im Frankfurter Büro von McKinsey & Company und Leiter der globalen Apparel, Fashion & Luxury Group. Wir haben nachgefragt, wie er im Kern die Ergebnisse sieht.
Die Bekleidungsbranche steuert auf einen Abschwung zu. Infolgedessen erwarteten 56 Prozent der Verantwortlichen in der Modebranche eine Verschlechterung der Bedingungen im Jahr 2023, nachdem sich die Modebranche nach der Pandemie mit einem Umsatzplus von 21 Prozent im Jahr 2021 merklich erholt hatte, heißt es dazu. Auch in der ersten Jahreshälfte 2022 seien die Umsätze um immerhin 13 Prozent weiter angestiegen. Der Aufschwung des Jahres verlangsamte sich jedoch wegen einer Reihe bisher „beispielloser Herausforderungen“ durch Ukrainekrieg, Energiekrise und Inflation. Die Modeunternehmen konnten sich 2021 und in der ersten Jahreshälfte 2022 ein solides Fundament aufbauen, sodass sie für die aktuellen Turbulenzen besser gerüstet sind.
FT: Herr Dr. Berg, die globalen Wachstumsperspektiven haben sich für die Fashion merklich eingetrübt. Wie sähe das Worst-Case-Szenario aus, was könnte sich bezogen auf Wachstum und Profitabilität bestenfalls ergeben?
Dr. Achim Berg: „Die Wachstumszahlen der Branche im Jahr 2023 werden durch die Inflation verzerrt, weil ein erheblicher Teil des Umsatzes von steigenden Kosten und Preisen betroffen ist. Das Luxussegment dürfte jedoch widerstandsfähiger sein als andere Kategorien. Laut des McKinsey Fashion Growth Forecasts wird der Umsatz in der zweiten Hälfte des Jahres 2022 um 1 bis 3 Prozent und im Jahr 2023 um 5 bis 10 Prozent steigen. Für den Rest der Branche wird für 2023 ein flaches oder sogar negatives Wachstum prognostiziert, das zwischen minus 2 Prozent und plus 3 Prozent liegen könnte. Die von uns befragten Führungskräfte aus der Modebranche sind für das kommende Jahr überwiegend pessimistisch: Sie gehen davon aus, dass sich die aktuellen Herausforderungen, wie die geopolitischen Spannungen und die Unterbrechung der Lieferketten, negativ auf ihr Geschäft und ihre Kunden auswirken werden. Unsere Umfrage prognostiziert für das Jahr 2023 ein globales Umsatzwachstum von 5 bis 10 Prozent für die Luxusbranche und von minus 2 bis plus 3 Prozent für den Rest der Branche.“
Die steigende Inflation in vielen großen Volkswirtschaften führt zu einem zurückhaltenden Kaufverhalten bei Konsumenten. Fast drei Viertel der US-Verbraucher entschieden sich zwischen April und Juli 2022 für preisgünstigere Marken oder Produkte. Markenhersteller stehen angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage unter Druck, um für ihre Konsumenten attraktiv zu bleiben. Allerdings sind Haushalte mit höherem Einkommen von der Krise weniger betroffen als Haushalte mit niedrigerem Einkommen und werden weiterhin Luxusgüter kaufen.
Durch die unsichere Wirtschaftslage wenden sich viele Modefirmen möglicherweise Ländern oder Regionen zu, die mehr Potenzial und Sicherheit als Osteuropa oder China bieten. Insbesondere die chinesische Wirtschaft galt lange als Wachstumsmotor.
Die Ergebnisse im Überblick
Konsumenten mit niedrigeren Einkommen dürften überproportional von den hohen Energiekosten und der Inflation getroffen werden. Luxus und Premium werden Ihren Prognosen nach ein gutes Wachstum verzeichnen. Was heißt das nun für mittelmodische Marken im mittleren Preissegment? Was können diese tun? Ist die Formal Wear der Rettungsanker?
„Das Jahr 2023 könnte eine besondere Herausforderung für das mittlere Marktsegment werden, das in der Vergangenheit stark von wirtschaftlichem Abschwung betroffen war. Wir gehen davon aus, dass Verbraucher mit geringem Einkommen ihre Ausgaben angesichts der makroökonomischen Herausforderungen einschränken und eher zu niedrigeren Preispunkten und rabattierten Artikeln greifen werden, während Verbraucher mit höherem Einkommen, die vom wirtschaftlichen Abschwung weniger betroffen sind, weiterhin Geld für Luxusgüter ausgeben werden. Unabhängig davon hat sich der Bereich der formellen Kleidung in den Jahren 2021 und 2022 etwas erholt. Es ist zu erwarten, dass sich diese Dynamik auch 2023 fortsetzen wird. Im Unterschied zu Vorjahren könnte der Bereich allerdings vor allem von Preissegmenten profitieren (39 Prozent der Führungskräfte in der Modebranche gehen davon aus, dass der Verkauf von anlassbezogener Kleidung zu den drei wichtigsten Wachstumskategorien im Jahr 2023 gehören wird). Für Marken aus dem mittleren Marktsegment könnte das ein Vorteil sein, da sich die Verbraucher ein höheres Budget für besondere Anlässe erlauben.“
Regionale Verschiebungen bei Absatz und Produktion werden zunehmen, sagen Sie auch. Aber viele Firmen können die Produktion gar nicht so einfach in ein anderes Land oder gar Weltregion verlegen. Außerdem sind auch die Produktionskapazitäten und das Know-how nicht unendlich. Welche Länder könnten davon profitieren und von welchem zeitlichen Rahmen sprechen wir, bis sich die Verlagerungen auch gefestigt haben?
„Die regionalen Veränderungen in der Produktion sind sehr komplex und können deshalb nicht von einem Tag auf den anderen geändert werden. Vielmehr handelt es sich um strategische Schritte, die die Hersteller mit Blick auf ihre langfristigen Ziele und ihren Kundenstamm unternehmen. Aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Situation werden sich manche Pläne wahrscheinlich verzögern, da Hersteller und Marken größere Investitionen aufschieben. Wir gehen aber davon aus, dass diese Trends nach der Konjunkturabschwächung wieder aufgenommen werden. Regionen, die vom Nearshoring-Trend profitieren, liegen vorwiegend in der Nähe von großen Verbrauchermärkten wie den USA und Europa. Länder wie Mexiko oder die Türkei stehen dabei ganz oben auf der Prioritätenliste von Führungskräften aus der Modebranche.“
Umwelt und Gesellschaft
Die Modebranche wird sich außerdem zusehends mit ihren negativen Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft auseinandersetzen müssen. Dabei spielt gerade auch die Kommunikation der Nachhaltigkeitsbemühungen gegenüber den Verbrauchern im Hinblick auf den Vorwurf des Greenwashings eine wichtige Rolle. Aktuell bezeichnen 79 Prozent der Verantwortlichen in der Modebranche das Fehlen branchenweiter Standards zur Bewertung ihrer Nachhaltigkeitsbemühungen als größte Hürde zur Verbesserung der Wahrnehmung ihrer Bemühungen durch die Konsumenten. Gleichzeitig verlangen neue Vorschriften zum Verbot von Greenwashing von den Unternehmen eine größere Sensibilität bezüglich der von ihnen veröffentlichten Nachhaltigkeitsinformationen.
Ein anderes Thema ist das Greenwashing. Wie gut ist die Mode in Sachen Nachhaltigkeit aufgestellt und könnte der Trend zur Regionalität in der Beschaffung und Produktion helfen, hier echte Fortschritte zu erzielen?
„Es gibt in der Tat verstärkte Kontrolle und Regulierung, weil eine wachsende Zahl von Verbrauchern beim Kauf Wert auf den ökologischen oder sozialen Fußabdruck legt. Die Aufsichtsbehörden überwachen die Modemarken verstärkt, um die Verbraucher vor irreführenden Behauptungen zu schützen. Modeunternehmen haben darauf reagiert, indem sie in den letzten Jahren verstärkt über nachhaltigkeitsorientierte Initiativen informieren. Die größte Herausforderung für Marken und Verbraucher ist das Fehlen einer allgemein anerkannten Definition des Begriffs Nachhaltigkeit beziehungsweise von Messgrößen zur Bewertung der Nachhaltigkeitsleistungen einer Marke. Wir sehen daher zwei Prioritäten:
- Investitionen in Forschung und Datennutzung, um die eigenen Nachhaltigkeitsansprüche zu untermauern und die Ergebnisse transparent zu machen;
- den Kommunikationsfluss im Unternehmen stärken, um sicherzustellen, dass Marketing-, Nachhaltigkeits- und Rechtsteams zusammenarbeiten, um eine gut informierte und präzise Nachhaltigkeitskommunikation zu erstellen.“
Es laufen erste Verfahren gegen Unternehmen wegen Greenwashing. Auf was muss sich die Modebranche einstellen, wenn auf der einen Seite staatlicherseits strengere Regeln kommen und andererseits die Transparenz und Geschwindigkeit der Informationsverbreitung für die Verbraucher weiter zunehmen und damit die Gefahr, ertappt zu werden, für die Firmen steigt?
„Die Transformation hin zu einem nachhaltigen Geschäftsmodell erfordert einen ganzheitlichen Ansatz, der eine Reihe von ökologischen und sozialen Faktoren berücksichtigt. Das beginnt mit Kohlenstoffemissionen und reicht bis zu Arbeitsschutzmaßnahmen der Hersteller. Zwar gibt es Zertifizierungssysteme von Drittanbietern und Instrumente zur Folgenabschätzung, doch sind diese häufig in der Diskussion und bieten noch keinen einheitlichen Standard. Ein solcher gemeinsamer Rahmen sollte dringend erstellt werden. Gleichzeitig sollten die Marken ihre eigenen Abläufe und Lieferketten analysieren, um Optimierungspotenziale zu entdecken. Investitionen in solche Instrumente sind entscheidend für eine fundierte Nachhaltigkeitskommunikation.“
Digitalisierung und gesetzliche Rahmenbedingungen stellen die Branche im DTC-Geschäft vor neue Herausforderungen. Die Kosten werden steigen. Erleben wir nun trotzdem noch mehr Wettbewerb und Preiskampf im digitalen Modehandel und was heißt das umgekehrt für das stationäre Geschäft?
„Online-DTC von Marken-Unternehmen dürfte auch im kommenden Jahr eine Herausforderung sein. Hintergrund sind strengere Datenschutzbestimmungen sowie die Erhöhung der Marketingkosten im Verbund mit einer niedrigeren Wirksamkeit von Online-Marketingstrategien.
Ein weiteres Problem sind die weiterhin sehr hohen Rücksendequoten, denn diese wirken sich negativ auf die Gewinnspannen aus. Online wird nicht mehr weggehen, aber die Marken müssen bei ihren Online-Strategien kreativ sein und die passende Balance zwischen Online-DTC und Online-Drittanbietern finden. Die Rolle von physischen Läden entwickelt sich ebenfalls weiter: Sie werden Teil einer integrierten Omnichannel-Strategie, sind der Ort, an dem Kunden die Produkte erleben können.“
Der Gesprächspartner
Dr. Achim Berg ist Senior Partner im Frankfurter Büro von McKinsey & Company und Leiter der globalen Apparel, Fashion & Luxury Group.
Er begann seine Karriere bei McKinsey im Jahr 2000. 2006 war er zwölf Monate lang im schwedischen McKinsey-Office in Göteborg und wurde 2010 zum Partner gewählt. Er berät Industrie- und Handelsunternehmen aus dem Bekleidungs- und Luxusgütersegment vornehmlich zu Fragen der strategischen Ausrichtung.
Achim Berg absolvierte eine Ausbildung zum Bankkaufmann (1992─1994) und hat Wirtschaftswissenschaften an der Universität Witten/Herdecke (1995─2000) studiert. Er hat an der Universität Witten/Herdecke (2002─2004) promoviert.