Autor: Markus OessNachhaltigkeit messen und kommunizieren, aber wie? Nachhaltigkeit wirtschaftlich finanzieren, geht das gut? Antworten darauf geben sollte die Konferenz mit dem Titel „Sustainability meets Competitiveness: How to Square the Circle?“. Der europäische Textil- und Bekleidungsverband EURATEX hatte in Partnerschaft mit dem portugiesischen Textil- und Bekleidungsverband ATP zur 10. European Textile & Apparel Convention nach Porto eingeladen. Die Konvention markierte auch das 24. Textilindustrieforum für Portugal. Wir haben ATP-Präsident Mário Jorge Machado gefragt, wie weit sein Land ist in Sachen Nachhaltigkeit, was er sich bezüglich der europäischen Zusammenarbeit zwischen den Herstellern und Marken selbst wünscht und welche Bedeutung der deutsche Markt für seine Mitgliedsunternehmen hat.
FT: Herr Machado, in Ihren Ausführungen auf dem Kongress zeichnen Sie das Bild, dass Nachhaltigkeit in der Textilindustrie Effizienz bedeutet, im wahrsten Sinne des Wortes schnell und zuverlässig liefern zu können. Wie leistungsfähig ist Portugals Modebranche in Sachen Nachhaltigkeit im globalen Wettbewerb?
Mário Jorge Machado: „Die portugiesische Textil- und Bekleidungsindustrie hat in den letzten Jahren stark in neue Ausrüstungen und Technologien investiert, immer auf der Suche nach maximaler Effizienz in ihren Prozessen und einer möglichst geringen Umweltbelastung, um in Sachen Nachhaltigkeit führend zu werden. Beispielsweise haben viele Unternehmen in diesem Sektor in erneuerbare Energien, in die Nutzung von Biomasse für die thermische Produktion, in Geräte, die es ermöglichen, Abfall und Kosten aus dem Prozess zu minimieren, in die Wiederverwendung von Wasser investiert. In den letzten Jahren wurde, verstärkt durch die Umstände der Pandemie, auch ein starker Fokus auf die Digitalisierung von Prozessen gelegt, mit der konsequenten Förderung der Effizienz. Andererseits dürfen wir nicht vergessen, dass wir in Portugal eine Industrie haben, die Teil eines Proximity-Clusters ist, eines voneinander abhängigen, komplementären und synergetischen Clusters, eine äußerst günstige Situation in Bezug auf Effizienz, Kostenminimierung und Reaktionsfähigkeit.“
Lieferfähigkeit und Sicherheit sind das eine, aber welche Mengen können Sie noch bewältigen, wenn ein Großer wie zalando oder eine Industriemarke anklopft?
„In Portugal gibt es Unternehmen unterschiedlicher Größe mit unterschiedlicher Lieferkapazität, sowohl was die Produktart als auch, was die Mengen betrifft. Diese Unternehmen arbeiten in einem Netzwerk, in einer Logik der Zusammenarbeit, und vergeben manchmal Unteraufträge an andere Unternehmen, wobei sie immer die Qualität des Produkts und einen exzellenten Service garantieren. Es ist nicht so sehr die Menge, die die Annahme einer Bestellung verhindern kann, sondern der Preis, um den es geht. Wenn wir über große Bestellungen für Grundprodukte mit minimalen Preisen oder Margen sprechen, ist Portugal möglicherweise nicht die Lösung. In diesen Fällen muss auf andere Standorte, wie zum Beispiel nordafrikanische Länder, zurückgegriffen werden. Und in der Tat haben wir in den letzten Jahren eine größere Annäherung an diese Regionen gespürt, wo die Produktionskosten (Personal und Energie) niedriger sind und wo Produkte mit geringerer Wertschöpfung hergestellt werden können.“
Was ist mit den Zutaten? Die kommen nicht immer aus Portugal selbst. Gibt es auch Kontrollmechanismen, die Ihre Branche selbst aufgebaut hat, oder ist das Aufgabe der Kunden, die ihre Produkte in Portugal produzieren lassen?
„Die Beziehung zwischen Kunden und portugiesischen Produzenten ist äußerst eng und vertrauensvoll. Viele von ihnen bräuchten nicht einmal strenge Kontrollmechanismen. Auf jeden Fall wissen wir, dass es sie gibt. In der gesamten Lieferkette werden umfangreiche Kontrollen, Audits und Zertifizierungen eingesetzt, um sicherzustellen, dass die verwendeten Materialien und Prozesse sowie die erhaltenen Produkte den Anforderungen des Kunden entsprechen. In dieser Branche gibt es sogar einen Ausdruck dieses Umstands, der als ‚Auditmüdigkeit‘ bezeichnet wird, da die Erzeugerbetriebe permanent von mehreren Auditierungsgesellschaften, für unterschiedliche Kunden mit unterschiedlichen Zertifizierungsstandards/Schemata oder Anforderungskatalogen/Kodizes auditiert werden.“
Was sind Portugals Kernkompetenzen, welche Segmente sind besonders wettbewerbsfähig?
„Portugal ist äußerst wettbewerbsfähig bei Produkten, die ein hohes Maß an Raffinesse und Mehrwert erfordern, bei denen Design, Technologie oder Funktionalität wichtige Attribute sind. Portugal verfügt über ein weltweit anerkanntes industrielles Know-how, das es ihm ermöglicht hat, in Bezug auf Qualitätsangebot und schnelle Reaktion bekannt zu werden. In den letzten Jahrzehnten wurden durch Investitionen in Technologie und Ausbildung weitere Attribute hinzugefügt, wie zum Beispiel Produktentwicklung und Engineering oder Mehrwertdienste. Und in letzter Zeit wird auch stark auf Nachhaltigkeit und ebenso auf Digitalisierung geachtet und investiert. Portugal wird von den wichtigsten europäischen und weltweiten Mode-, Heimtextilien- oder technischen Textilmarken und Unternehmen entweder für die Lieferung von Rohstoffen oder für die Herstellung der verschiedenen Endprodukte gesucht.“
Kreislaufwirtschaft
Sie sprechen viel über Offenheit und Zusammenarbeit. Wie eng und wie gut arbeitet die europäische Textilindustrie Ihrer Meinung nach bereits zusammen?
„Die Zusammenarbeit in der europäischen Textilindustrie basiert eher auf einem Lieferanten-Kunden-Ansatz als auf einem Produzenten-Produzenten-Ansatz. In diesem Fall gibt es noch viel zu tun.“
Wo sehen Sie Optimierungsbedarf?
„Im Moment würde ich sagen, dass die größte Herausforderung und wo wir mehr in die Optimierung von Lösungen investieren müssen, im Bereich der Kreislaufwirtschaft und insbesondere bei Post-Consumer-Textilabfällen liegt: Wie kann man diese Abfälle wiederverwenden, reintegrieren in neue Rohstoffe mit den notwendigen Eigenschaften, um dieser oder anderen Wertschöpfungsketten einen Mehrwert zu verleihen? Bei alldem sollte die Qualität der Produkte überdies erhalten oder sogar verbessert werden. Diese Prozesse müssen zunehmend hinsichtlich der Nachhaltigkeit, aber auch finanziell optimiert werden. In jüngster Zeit sind mehrere Initiativen und Projekte entstanden (zum Beispiel die EURATEX Re-Hubs), um sich dieser Herausforderung zu stellen, aber es bleibt noch viel zu tun.“
Wie ordnen Sie den deutschen Markt im Hinblick auf die portugiesische Industrie ein? Die Exporte nach Deutschland haben zugenommen …
„Der deutsche Markt für Portugal bedeutet Mehrwertprodukte im Mode-, Technik-, Funktions- oder Heimtextilbereich, ein technisch anspruchsvoller Markt, aber auch ein Markt, mit dem wir ein Vertrauens- und Kooperationsverhältnis aufgebaut haben. Es ist auch ein Markt, der sich auf Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft, Digitalisierung und Innovation konzentriert hat, was eine größere und tiefere Annäherung zwischen portugiesischen Herstellern und deutschen Kunden ermöglicht, und das Ergebnis davon ist genau der Anstieg der Exporte von Textilien und Kleidung aus Portugal nach Deutschland.“
Marke oder Machen
Wie stark ist die portugiesische nachhaltige Markenindustrie? Gibt es Marken, die für deutsche Händler interessant sind, und welche sind das?
„Leider ist dies eine unserer Schwächen. Die portugiesische Textil- und Bekleidungsindustrie hat eine lange und schöne Tradition in Bezug auf Produktion und industrielles Know-how, eine sehr starke Dynamik in B2B-Beziehungen, aber wir haben nur wenige Bekleidungs- oder Heimtextilmarken mit weltweiter Bekanntheit und Expansion und begrenzten Investitionen in Beziehungen. Dies liegt daran, dass es sich um völlig unterschiedliche Geschäftsmodelle mit sehr unterschiedlichen Fähigkeiten handelt und es für ein Unternehmen, das sich der industriellen Produktion verschrieben hat, sehr schwierig ist, sich gleichzeitig und gleichermaßen für die Entwicklung seiner eigenen Marke einzusetzen. In den letzten Jahren, und auch getrieben durch die Digitalisierung und den Boom des elektronischen Handels, sind einige portugiesische Marken für Kleidung, Kinderkleidung, Accessoires, auch Heimtextilien entstanden, aber sie sind noch klein und haben eine begrenzte europäische Expansion. Vielleicht hilft uns unsere immer engere Anbindung an den deutschen Markt, diese Herausforderung zu meistern.“
Wäre es nicht klüger, auch in Marken zu investieren, da diese einen höheren Mehrwert versprechen?
„Natürlich ist es das! Und es gab einige Versuche, aber es ist nicht einfach, es erfordert unterschiedliche Fähigkeiten und hohe Investitionen, die nicht immer leicht zu erreichen sind, und es ist manchmal ein langer Weg, um bemerkenswertere Ergebnisse zu erzielen.“
Reden wir über die Konferenz. Wie fällt Ihre Bilanz aus?
„Wir ziehen eine sehr positive Bilanz.“
Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Erkenntnisse der Konferenz?
„Wir haben die EURATEX-Konferenz nach Nordportugal gebracht, eine der wichtigsten in Europa, wenn nicht die wichtigste, um eines der derzeit herausforderndsten Themen zu diskutieren, den Kompromiss zwischen Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit, ohne die Kreislaufwirtschaft zu vergessen. Wir sprachen über die vielen Herausforderungen, die im Thema Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft enthalten sind (Messung, Kommunikation und Finanzierung von Nachhaltigkeit, Gegenseitigkeit auf dem Gemeinschaftsmarkt, Schließen des Kreislaufs für die Kreislaufwirtschaft), und einige der vielen Initiativen, die im EU-Kontext stattfinden, wie der europäische digitale Produktpass, EPR, die erweiterte Herstellerverantwortung, die Überprüfung der Kennzeichnungsgesetzgebung oder die verschiedenen Lösungen für das Recycling von Textilabfällen.
Wir haben es geschafft, ein sehr interessantes Programm anzubieten. Den Rednern muss zu ihrer Fähigkeit, Wissen zu teilen, und zu der in den verschiedenen Panels erzielten Dynamik gratuliert werden. Wir hatten viele Teilnehmer aus ganz Europa, die sehr interessante Fragen stellten, um die Debatte zu bereichern. In Bezug auf die Organisation haben wir von allen Glückwünsche erhalten und wir waren sehr zufrieden.
Durch die verschiedenen Beteiligungen und Initiativen, von denen wir die des Projekts ,Sustainable Fashion From Portugal‘ hervorheben, konnten wir zeigen, dass Portugal ein Beispiel für Exzellenz im Bereich Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft und der richtige Partner für diejenigen ist, die sich daran orientieren, was uns sehr zufrieden macht, obwohl dies eine fortlaufende Arbeit ist.“
Kongress, Kongress!
Der Gesprächspartner
Mário Jorge Machado ist seit 2019 Präsident der ATP, der Associação Têxtil e Vestuário de Portugal (Textil- und Bekleidungsverband Portugals). Er vertritt den ATP im Vorstand von EURATEX (Verband der europäischen Textil- und Bekleidungsindustrie) und im Vorstand von CIP – Confederação Empresarial de Portugal (Verband der portugiesischen Wirtschaft). Machado ist Anteilseigner und Verwalter von „Estamparia Têxtil Adalberto Pinto da Silva, S.A“, „Têxtil Adalberto Pinto da Silva, S.A.“, „Gama Natura, S.A.“ und „Torre Sénior, S.A.“.